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Wer braucht schon Männer?

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ein Dorf in Murang’a im zentralen Kenia war Ort der Feldforschung [1]

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Günther Lanier, Ouagadougou 27. März 2024[2]

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Ich habe gerade zwölfeinhalb Stunden Strom- und Computerlosigkeit hinter mir, das ist für mich in der burkinischen Hauptstadt der letzten zwanzig Jahre Rekord. Ich hoffe, dass mein heutiger Artikel nicht allzu sehr darunter gelitten hat, auch wenn er deutlich kürzer ist als der geplante und sein Thema gewechselt hat…

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Es gibt gar nicht so wenige Gesellschaften, wo Frauen nicht nur Männer, sondern auch Frauen heiraten können. Ob da jetzt Sexualität im Spiel ist oder nicht, ist fürs Erste irrelevant. Wichtig ist, dass die “Frau-Frauen-Heirat“[3] in der Tradition und in den Bräuchen verankert und somit sozial akzeptabel ist. Und zwar bis zum heutigen Tag, auch wenn christliche MissionarInnen versucht haben, dieser widernatürlichen Unsitte ein Ende zu bereiten.

Afrikaweit – in des Kontinents Osten, Süden und Westen – sollen es um die 40 Gesellschaften sein, wo es diese Möglichkeit gibt[4].


die Thika-Wasserfälle an der Grenze zwischen Kiambu und Murang’a [5]

Zu diesen 40[6] zählen die patriarchalen Kikuyu (die Schreibweise ist gebräuchlicher als das richtige ‘Gikuyu’), die in Kenia nicht nur zahlenmäßig dominieren und außerdem das Gros der als Mau-Mau bekannten Kenya Land and Freedom Army des kenianischen Befreiungskrieges stellten[7]. In einem kleinen Dorf in Murang’a, dem nordöstlich von Nairobi gelegenen Herzgebiet der Kikuyu, hat die Feldforschung stattgefunden, die ich hier kurz präsentiere[8].

Die beiden AutorInnen der Studie halten das Thema für von der Forschung vernachlässigt, insbesondere, was die Kikuyu betrifft, und sie wollen einen kleinen Beitrag leisten, um das zu ändern. Dabei war der kuhikia genannte Brauch Ende des 20. Jahrhunderts – die Feldforschung fand von Mai bis August 1992 statt – verbreiteter, als sie selbst erwartet hatten. In dem kleinen Dorf (dessen Namen sie nicht nennen, um die Anonymität der Beforschten nicht preiszugeben) haben sie acht Beispiele gefunden (deren Namen von den AutorInnen geändert wurden).

Entgegen in der Forschung weitverbreiteter Vorurteile gibt es jenseits des Sich-Kinder-Zulegens (die muhikania[9] genannte brautwerbende Frau ist unfruchtbar oder zu alt, um selbst Kinder in die Welt zu setzen und lässt das durch ihre als ahiki bezeichnete Ehefrau erledigen)[10] eine Vielzahl von Gründen für solches Heiraten. Freilich kann der Kinderwunsch der treibende Faktor sein, im afrikanischen Kontext wird Kinderlosigkeit ja gar nicht gutgeheißen. Es kann jedoch auch primär darum gehen, Einsamkeit zu beenden. Oder Spuren zu hinterlassen: dass sich nach dem Tod jemand der Verstorbenen erinnert. Oder um sich nicht einem Mann unterwerfen zu müssen – Frau-Frauen-Heiraten sind generell sehr viel egalitärer, auch wenn die brautwerbende Frau in der Regel älter und wohlhabender ist als ihre Braut.


beim Elephant Hill-Aufstieg, Murang’a [11]

Der erwähnte Begriff muhikania, der die Brautwerberin bezeichnet, wird übrigens unterschiedslos für männliche Brautwerber verwendet. Und auch das Wort kuhikania fürs Heiraten gilt, ob es sich um Frau-Frauen- oder Mann-Frauen-Heiraten handelt. Und die Hochzeitszeremonie heißt uhiki, ob jetzt die Vereinigung zweier Frauen oder die einer Frau mit einem Mann gefeiert wird.

Die StudienautorInnen wehren sich vehement gegen den Ausdruck “weiblicher Ehemann“[12] für die “dominante“ und ältere Partnerin, denn der Begriff “Ehemann“ ist Träger zu vieler Konnotationen “normaler“ heterosexueller Paare mitsamt dessen üblicher patriarchaler Überlegenheit – die eben nicht zutreffen[13]. Auch den zwei Ehepartnerinnen (“mutumia wakwa“)behagt nach Angaben der FeldforscherInnen der Ausdruck “Ehemann“ gar nicht. Neben “Muiru wakwa“sind auch “muka wakwa“ sowie “muiru wakwa“, Mit- oder Co-Ehefrau, übliche Selbstbezeichnungen.

Hier ein Zitat aus dem Interview mit Ciru, die mit Nduta verheiratet ist:

“Ich frage mich, was ist es, was Frauen haben, die mit Männern verheiratet sind, was ich nicht habe. Ist es Land? Ich besitze Land. Sind es Kinder? Ich habe Kinder. Ich habe keinen Mann, aber ich habe eine Frau, die mich mag[14]. Ich gehöre ihr und sie gehört mir. Und ich sag’s dir, ich brauch’ mir keine Sorgen machen, dass mir ein Mann anschafft, was ich tun soll.“[15]

Wunderbar “unordentliche Verhältnisse“ können bei den Kikuyu zustande kommen, z.B. Kuhis Haushalt[16]: Zuerst hatten Kuhi (eine Frau) und Huta (ein Mann) geheiratet. Dann hatten die beiden beschlossen, Huta solle eine zweite Frau heiraten, Kara. Später heiratete Kuhi zusätzlich eine Frau, Wamba, die sich insbesondere um die Kinder der Familie kümmern sollte. In diesem Fall durfte sie auch mit Kuhis Mann Huta, den sie informell auch als ihren Mann erachtete, schlafen – sowie mit jedem anderen Mann außerhalb des Haushalts. Später heiratete Wamba ihrerseits eine Frau namens Wambui. Somit gab es in Kuhis Haushalt zwei Mann-Frauen- und zwei Frau-Frauen-Ehepaare. Und das alles ist regelkonform.

Wozu sind Männer gut oder nötig? Nicht zu viel, scheint’s. Für Geschlechtsverkehr, freilich – wenn und wann die Frau will und zu ihren Bedingungen. Lassen wir abermals Ciru zu Wort kommen:

Ich kann mit jedem Mann schlafen, den ich begehre, der Lust wegen oder um Kinder zu zeugen. Und keiner dieser Männer kann sich je hier bei uns zu Hause niederlassen oder einen Anspruch auf die Kinder erheben. Unmöglich! Das dürfen sie nicht und das wissen sie auch sehr gut. Sie kommen und gehen.”[17]

Und Cirus Frau Nduta meint zu dem Thema:

Wir haben keinerlei Interesse daran, dass sich ein Mann hier bei uns einrichtet. (…) Ciru sieht, dass ich mir hier keinen Mann halte. Wozu auch? Um mich unglücklich zu machen? (…) Es ist besser, sich um sich selbst zu kümmern.“[18]

Empowerment. Gelebter Widerstand. Ein radikaler Bruch mit der rundum herrschenden männlichen Dominanz[19].

 
auch unter Kenias Nandi – weiter westlich von Murang’a – heiraten Frauen Frauen [20]

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Endnoten:

[1] Foto COSV 2009, leicht zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kenya09-Murang%27a-contesto-COSV.jpg.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] “Gynaegamie“ ist im Deutschen offenbar der Fachausdruck, ich ziehe die deutsche Übersetzung des englischen Fachausdrucks “woman-woman marriage“ vor. Wobei es auch auf Englisch den Ausdruck “gynogamy“ gibt, er ist allerdings sehr viel weniger üblich.

[4] Siehe Elisabeth Tietmeyer, Frauen heiraten Frauen: Eine vergleichende Studie zur Gynaegamie in Afrika, Höhenschäftlarn bei München (Klaus Renner-Verlag) 1985.

[5] Foto Njeriannk 30.12.2011, leicht zugeschnitten GL, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/2/20/Fourteen_falls_Thika%2CKenya.JPG/1280px-Fourteen_falls_Thika%2CKenya.JPG.

[6] Auch Igbo und Yoruba Südost- bzw. Südwest-Nigerias kennen die Frau-Frauen-Heirat. Siehe den “verwandten“ Artikel Günther Lanier, Traditionen im steten Wandel oder Unheil aus Europa für Afrikas Frauen, Ouagadougou (Africa Libre) 27.9.2023, https://www.africalibre.net/artikel/531-unheil-aus-europa-fur-afrikas-frauen bzw. Wien (Radio Afrika TV) 27.9.2023, https://radioafrika.net/unheil-aus-europa-fur-afrikas-frauen/.

[7] Siehe dazu insbesondere Günther Lanier, Die späte Freiheit der Muthoni wa Kirima, Ouagadougou (Africa Libre) 6.9.2023, https://www.africalibre.net/artikel/525-die-spate-freiheit-der-muthoni-wa-kirima bzw. Wien (Radio Afrika TV) 6.9.2023, https://radioafrika.net/die-spate-freiheit-der-muthoni-wa-kirima/, Günther Lanier, Land und Freiheit oder Die ungeschriebene Geschichte von morgen, Ouagadougou (Africa Libre) 22.3.2023, https://www.africalibre.net/artikel/497-land-und-freiheit-oder-die-ungeschriebene-geschichte-von-morgen bzw. Wien (Radio Afrika TV) 22.3.2023, https://radioafrika.net/land-und-freiheit-oder-die-ungeschriebene-geschichte-von-morgen/ und Günther Lanier, Weißsein in Kenia, Mitte 20. Jahrhundert, Ouagadougou (Africa Libre) 8.3.2023, https://www.africalibre.net/artikel/492-weisssein-in-kenia-mitte-zwanzigstes-jahrhundert bzw. Wien (Radio Afrika TV) 8.3.2023, https://radioafrika.net/weissein-in-kenia-mitte-20-jahrhundert/.

[8] Siehe Wairimu Ngaruiya Njambi, William E. O’Brien (beide vom Wilkes Honors College/Florida Atlantic University), Revisiting ‘Woman-Woman Marriage’: Notes on Gikuyu Women, pp.145-165 in: Oyèrónké Oyěwùmí (Hg.), African Gender Studies. A Reader, N.Y. (Palgrave Macmillan) 2005.

[9] Mehrzahl ahikania.

[10] Wobei Kinder teils als notwendig erachtet werden, um ihnen Land zu vererben, z.B. wenn die Familie des verstorbenen Mannes sich dessen Land aneignen will.

[11] Foto Tony0991 11.3.2017, leicht zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Aberdare_range.jpg.

[12]Female husband“ ist der im Englischen weitverbreitete Terminus dafür.

[13] Für “Gatte“ und “Gemahl“ gilt das nicht minder.

[14] Das englische “care“ transportiert auch das Sich-um-jemanden-Kümmern, nicht nur die Zuneigung.

[15] Dieses Zitat beschließt den einleitenden Absatz der Studie auf p.145. Übersetzung GL. Dasselbe Zitat kehrt auf p.150 etwas ausführlicher wieder.

[16] Ebd., p.148. Dieser Absatz ist keine Übersetzung, aber ich bleibe eng am Text der Studie.

[17] Ebd., p.151. Übersetzung GL.

[18] Ebd. Übersetzung GL.

[19] Diese Zeile fasst die beiden letzten Absätze der Studie (p.162) in Kürzestform zusammen.

[20] Die Nandi werden in der Studie nur en passant erwähnt. Bild: “Nandi-heimoa“ tituliertes Gemälde von Akseli Gallen-Kallela aus 1909, Gallen-Kallela-Museum GKM-3468, datumsloses Foto von Jukka Paavola, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Nandi-heimoa.tif.

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