Giraffe im Nairobi-Nationalpark und vor Kenias höchstem Gebäude, dem Britam Tower [1]
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Günther Lanier, Ouagadougou 8.3.2023[2]
London tut sich neuerdings im Kampf gegen die Migration besonders hervor. Zwar wurden noch keine AsylwerberInnen nach Kigali ausgeschafft, diese Maßnahme stieß letztes Jahr auf allzu viel Widerstand, aber Premierminister Sunak hat mit dem ruandischen Präsidenten soeben vereinbart, dass die Zusammenarbeit ihrer beiden Länder diesbezüglich fortgesetzt werden soll[3].
Die relative Offenheit Großbritanniens gegenüber Leuten aus den Kolonien ist längst schon Vergangenheit. Aufseiten der diversen Regierungen gilt es jetzt – wie anderswo auch – durch Härte und brutales Durchgreifen gegen illegale Fremdlinge zu punkten. Und dabei immer noch eins draufzusetzen.
Dass das Klischee britischer Zurückhaltung und Noblesse auch der gar nicht gentleman- und ladyhaften kolonialen Wirklichkeit vielfach diametral entgegenstand, hat sich selten so klar erwiesen wie in Kenia vor etwa 70 Jahren. Wie damals koloniale Administration und noch mehr die SiedlerInnen auf den als “Mau Mau“[4] bekannten Kampf gegen die britische Besatzung reagierten, war an Grausamkeit nicht zu überbieten.
Noch traue ich mich nicht an dieses spezielle Kapitel Kolonialgeschichte heran – doch will ich mich ihm heute auf einem Schleichweg nähern. Mir ist kürzlich ein Buch in die Hände gefallen. Und ich habe mich durchgebissen. 571 große, ziemlich dichtbedruckte Seiten lang. 1955 ist es erschienen. Sein Autor ist Robert Ruark, sein deutscher Titel “Die schwarze Haut“ ist ebenso unverdächtig wie “Something of Value“ im Englischen. Im Klagenfurter Verlag Buch und Welt ist es auf Deutsch damals herausgekommen, noch im Jahr des Erscheinens des Originals.
In dem Buch geht es um den Mau Mau-Krieg, auch wenn der so betitelte dritte Teil erst auf Seite 377 beginnt. Besonders an dem Werk ist, dass es die Grausamkeiten der Weißen unverblümt darstellt. Der Autor fand ganz offensichtlich, dass Scham überflüssig, fehl am Platz wäre. Er ist darin radikaler als die Kolonialadministration, die bei ihrem Abzug anlässlich der kenianischen Unabhängigkeit den Großteil inkriminierender Dokumente vernichtete.
Robert Ruark, 1915-65, war ein US-amerikanischer Kolumnist, Autor und Großwildjäger. Im Zuge der Ausübung seines Hobbys lernte er Kenia kennen und hat sich – das wird in seinem Buch klar – intensiv mit Land und Leuten beschäftigt, sodass “Die schwarze Haut“ als ein aus dem Inneren Kenias geschriebener Roman durchgehen könnte. Wobei es freilich die Sicht aus dem Inneren eines Weißen ist. Nicht, dass er sich nicht auch zu den Schwarzen kundig gemacht hätte[5], doch seine Einfühlsamkeit in deren Welt geht über einen bestimmten Punkt nicht hinaus.
Die zentrale Figur des Romans ist der begeisterte Jäger Peter McKenzie, der von reichen GroßwildjägerInnen fürstlich dafür entlohnt wird, dass er sie an noch lebende Trophäen zum Abschuss heranführt. Nach Ausbruch des Mau Mau-Krieges setzt Peter sein Fachwissen dann bei der Jagd auf die Mau Mau-KämpferInnen ein.
Mich interessiert vor allem, was für eine Haltung, Einstellung, Denkart den Grausamkeiten den Boden bereitet hat, die von weißer Seite an den FreiheitskämpferInnen begangen wurden. Dazu tippe ich nun eine lange Passage aus dem Buch ab – nicht ohne meine LeserInnen zu warnen, dass die darin enthaltene Verachtung gegenüber Schwarzen schlimmer und massiver kaum mehr sein könnte.
Ein “nettes“ US-amerikanisches Paar wird von Peter vom Flughafen abgeholt und dann über drei Monate bei der Jagd betreut. Die beiden – Tom und Nancy Deane – sind Robert Ruark und seiner Frau bei ihrer ersten Kenia-Reise nachgebildet. In der zitierten Passage sind sie soeben in Kenia gelandet und nach Pass- und Zollformalitäten mit Peter und dessen zukünftiger Frau Holly auf dem Weg ins Hotel, wo sie eine erste Nacht verbringen werden, bevor die Safari richtig losgeht.
der Gura-Wasserfall, Aberdare-Nationalpark [6]
“Der Wagen näherte sich den Eingeborenenvierteln, und Nancy Deane bekam ihren ersten Eindruck von Afrika, hörte die ersten afrikanischen Geräusche und roch zum ersten Mal afrikanische Gerüche. Sie schien betäubt zu sein. Der Gestank konnte aber auch jeden Fremden umbringen.
Die Fahrt vom Eastleigh-Flughafen zum Norfolk-Hotel ist für einen Neuankömmling schrecklich. Wenn man die Race Course Road entlangfährt, hat man die besseren Wohnungen der Inder bald hinter sich und stößt auf das Eingeborenenviertel, auf die engen, sich windenden Basare. Die meisten Läden, die Duccas, gehören wie die Basare zwar Indern; aber sie sind kleiner und schmutziger und mehr von Fliegen und Ungeziefer wimmelnd und schlampiger als die, die näher der Innenstadt liegen. Sie sind billiger und haben minderwertigere Ware. Sie verkaufen Süßwaren und Kali-Schnupftabak und billige Zigaretten, Ballen schäbigen Tuches aus Birmingham, extra für den Export hergestellt, abgelegte Kleider, alte Heeresmäntel, schreckliche alkoholfreie Getränke, schlechtes Bier, Dosennahrung, Tennisschuhe und klebrigen, von Fliegen überkrusteten Kuchen. Dazwischen machen sich ein paar Läden breit, noch schäbiger, kleiner und mit weniger Ware, die Namen wie Kariuki bin Muchiri oder Njuguna bin Kamau tragen und damit andeuten, daß sie einem Eingeborenen gehören. Diese Läden haben verrückt schiefe Wände aus plattgehämmerten Benzinkanistern oder aus Lehm und Stroh oder alten Verpackungs-Kisten, ihr Boden besteht aus klumpigem hartgetretenem Lehm, und im Innern ist es immer dunkel und rauchig. Sie verkaufen alte Kleider aus fünfter Hand, die vom Hehlermarkt der Diebe oder aus den eingeborenen Leihhäusern kommen und wie einsame Vogelscheuchen an der Kleiderleine in dem gelegentlich sorgsam bewachten, schmutzigen Hof hängen. Sie haben schmierige Kännchen widerlich süßen Tees zu verkaufen, und speckigen Reis und ein Eingeborenenbier, das eher nach Schleimsuppe als nach Bier aussieht. In einigen Kneipen kann man ein paar angefaulte Yamswurzeln und eine Schüssel Hammel- oder Ziegenfleisch mit Unga, dem Maismehlbrei, als Posho bekommen. Drinnen sieht man die Eingeborenen herumhocken und aus dem Ugali mit den Händen eine Kugel rollen, in die sie mit dem Finger ein Loch bohren, in das sie eine Fetzen Fleisch stecken oder eine dicke, undefinierbare fette ranzige Sauce und Gott weiß was noch alles gießen. Einige hocken, andere strecken sich aus und lehnen sich an die verrückt schiefe Wand. Wieder andere liegen betrunken in der Sonne oder schlafen einfach.
Dieses Tohuwabohu von Gerüchten wetteifert nun noch mit dem Krach. Hundert Sprachen und Dialekte stehen im Wettstreit miteinander, ohne jemals den Sieg zu erringen – Suaheli, Meru, Embu, Kikuyu, Wakamba, Kipsigi, Kavirondo, Arabisch, Pushto, Urdu, Hindustani, Portugiesisch, Goanesisch, Pondichéry Französisch, Englisch, Massai, Somali, Nandi, Deutsch und Griechisch. Ein ewiges Kindergeschrei, Ziegengemecker, ratterndes Grammophongeplärr, dazwischen ein schrilles Gekicher aus einer der schmutzigen Hütten, der Singsang eines zum Gebet aufrufenden Muezzin, dunkler Trommelschlag, das Klatschen eines Hiebes und der darauffolgende Schmerzensschrei, ein Trauergesang, ein arabisches Lied im Radio und das endlose Grundgemurmel von Streit, Zank, Geschäft und Prahlereien. Kraushaarige schwarze Huren in europäischen Kleidern, aber barfuß mit Spreiz- und Plattfüßen, lachen und feilschen in der sich dauernd bewegenden Menge, die sich verzweifelt an die Straßenecken anklammert, wie die Fliegenklumpen auf den schwarzen Fleischstücken, den Ziegen- und Hammelköpfen in den Fleischerläden, Fliegen, die wie betrunken zwischen den Mangofrüchten und Yamswurzeln herumkrabbeln, Melonen aufbrechen und sauer werdende Süßwaren in Scharen überziehen. Und immer ein endloser, unaufhaltsamer Strom sich abplackender Leute – sie kommen in die Stadt oder gehen hinaus, verstopfen die Straßenseiten auf Fahrrädern und zu Fuß, auf schwankenden Eseln oder wie Sardinen in Omnibusse und schlingernde Lkws gepackt. Die Frauen tragen immer eine Last auf dem Rücken – Lebensmittel, Brennholz oder ein paar erbärmliche Habseligkeiten. Ihr Nacken ist gebeugt, und die Tragriemen schneiden tief in ihre Stirn.
Die Gerüche hängen wie eine niedrige Wolke in der Luft. Sie sind untrennbar miteinander vermengt und bilden eine ungeheure ätzende Essenz, in der der süßliche Ruch verdorbenen Fleisches und faulender Früchte sich mit dem scharfen Gestank von Urin, Tier- und Menschenexkrementen vermischt, mit dem Geruch von Curry und glimmendem Kuhdung und dem scharfen, in die Nase steigenden Stank von Ziegen und menschlichem Schweiß und heißer Sonne und starkem billigem Tabak und schmutzigen, von Ungeziefer starrenden Kleidern und unaufgeräumten Hütten und unsauberen Krankheiten und ranzigem Fett und Haschischwolken und aufgewirbeltem roten Staub und billigem, ekelhaft riechendem Parfüm und Fusel und Moschus. Sie lagern über dem Basar wie ein schmutziges Gewand und dringen durch die kleinsten Ritzen der elenden Lehmwände. Sie dringen in die Kleider, wenn man zu Fuß vorbeikommt, oder überwältigen einen wie ein Hieb auf die Nase, wenn man langsam im Wagen vorüberfährt.
Wenn man durch dieses Viertel im Wagen fährt, wie Peter, Holly und das Ehepaar Deane auf ihrem Weg zur Stadt, wird man sich eines Phänomens bewußt – der Eindeutigkeit schwarzen Lebensausdrucks. Es gibt keine Neugier, kein aktives Aufbegehren, nur eine große, allumfassende, animalisch dumpfe Abneigung, ein kollektives Herumschwenken der Köpfe, wie Vieh gegen einen Feind, und gefrorene, starre Blicke. Wenn man vorbeikommt, hört das schrille Gelächter in den kleinen plappernden Gruppen auf. Jede Unterhaltung verstummt, und die Lebhaftigkeit ebbt ab. Es gibt nur noch einen völlig nichtssagenden Blick, den Blick des Nichts hinter den Augen, keinen Ausdruck um den Mund, nichts. Nichts. Der schwarze Mann in Kenia verkriecht sich hinter diesem leeren starren Wall, und kein Weißer kann den Wall durchdringen, wenn der Schwarze ihn aufrichtet. Sobald der Wagen in einer Staubwolke vorübergefahren ist, fängt das Geplapper dahinter wieder an, und davor tritt sofort Stille ein.
‘Sie wollen doch nicht etwa behaupten, daß in diesen Bretterbuden tatsächlich Menschen leben?‘“[7]
Nach dieser Tortur erübrigt sich ein Kommentar. Mein Artikel schließt, wie er begonnen hat, mit einer Giraffe, jetzt aber eine gemeuchelte.
stolz muss er sein, der Herzog von Medinaceli, Luis Fernández de Córdoba y Salabert, auf seine große Beute, die “geerntete“ Giraffe [8]
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Endnoten:
[1] Foto Alexmbogo 13.6.2020, leicht zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:A_giraffe_the_tallest_animal_in_Kenya_at_Nairobi_National_Park_with_a_background_of_Britam_Tower_the_tallest_building_in_Kenya.jpg.
[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!
[3] BBC, Rwanda migrants plan: Sunak holds talks with Kagame, BBC Africa Live 07 March 2023 um 8h02.
[4] Die Eigenbezeichnung der KämpferInnen für die Unabhängigkeit war “Land and Freedom Army“.
[5] Immer wieder überrascht mich, dass die für unterlegene Mitmenschen empfundene Verachtung nicht daran hindert, sich intensiv mit ihnen zu beschäftigen, und im vorliegenden Fall ihre Welt sehr detailliert darzustellen (wobei ich viel zu wenig über Kenia weiß, um beurteilen zu können, wie richtig die diesbezüglichen Angaben sind). Freilich hilft Wissen über Leute bei ihrer Ausbeutung.
[6] Foto Nina R 21.2.2016, leicht überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Aberdare_National_Park_2,_Kenya.jpg.
[7] Robert Ruark, Die schwarze Haut, Klagenfurt (Verlag Buch und Welt) 1955 (© “Something of Value“ 1955), pp.193-195.
[8] Fotografiert zwischen Nov.1908 und März 1909, FotografIn unbekannt, Quelle: Cazadores Españoles del Siglo XX (Spanische JägerInnen des 20. Jahrhunderts), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Duke_of_Medinaceli_Giraffe.jpg.