Radio Afrika TV

Unheil aus Europa für Afrikas Frauen

Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on whatsapp
Share on email
Share on print
  • Home
  • Unheil aus Europa für Afrikas Frauen

Foto: Aba-Frauen – sie gaben dem Aba-Frauenkrieg den Namen [1]

Traditionen im steten Wandel
oder
Unheil aus Europa für Afrikas Frauen

* * *

Günther Lanier, Ouagadougou 27. September 2023[2]

* * *

Nach drei Jahrzehnten britischer Herrschaft reichte es Igbo-, Ibibio-, Andoni-, Ogoni-, Efik- und Ijaw-Frauen im Südosten des heutigen Nigeria und es gab Krieg gegen die Kolonialherren. Das Datum des Ogu Umunwanyi oder Aba-Frauenkrieges wird meist mit 1929 angegeben[3], aber der Kampf der Frauen begann Jahre vorher und dauerte über 1929 hinaus. Es ging gegen die in vieler Hinsicht unakzeptable fremde Herrschaft, vor allem aber gegen die von den Weißen im Einverständnis mit den einheimischen Männern vorangetriebene Entmachtung der Frauen.


Olokos Distrikt-Ingenieur mit Frau vor seiner Residenz [4]

Ich will weiter zurück als die Kolonialzeit. Um zu verstehen, was Igbo- und anderen Frauen weggenommen wurde, ist es nötig zu wissen, wie sie vorher gestellt waren.

Vorauszuschicken ist, dass sich Weiße gerne als RetterInnen schwarzer Frauen aufspielen. Aus einer erweiterten historischen Perspektive ist das absurd. Die Kolonialherren, die ja in der Tat so gut wie ausschließlich “Herren“, also Männer, waren und nach ihren von daheim mitgebrachten ausgeprägt patriarchalen Regeln lebten, untergruben afrikaweit die Stellung der Frauen und verschlechterten deren Position innerhalb der Geschlechterverhältnisse. Für einheimische Frauen hatten sie nur Geringschätzung und hatten fast nur mit Männern zu tun. Waren Zustände schon vor der kolonialen Eroberung patriarchal, wurden sie es noch mehr, waren Frauen zuvor aber gleichberechtigt, dann war ihr Verlust sehr viel drastischer. Dafür bieten sowohl Yoruba als auch Igbo anschauliche Beispiele.

Statt einer ausgiebigen ethnographischen Studie oder einer umfassenden Historie biete ich Ihnen ein paar Gustostückerln aus dem bemerkenswerten Buch “Familienangelegenheiten. Feministische Konzepte in afrikanischer Philosophie und Kultur“[5] von Nkiru Uwechia Nzegwu, einer an der State University of New York in Binghamton lehrenden und forschenden Philosophie-Professorin.


Immer wieder betont Nezgwu (2006), dass sie über die Igbo der Gegend von Onitsha schreibt, heute eine 2 Millionen-Stadt am Niger [6]

Bevor die europäischen Kolonisatoren eine periphere Form des Kapitalismus einführten, waren es Menschen und Kinder, die unter den Igbo der Gegend von Onitsha wahren Reichtum darstellten.

Heirateten eine Frau und ein Mann, so zog sie zu ihm in seine Großfamilie und die gemeinsamen Kinder gehörten zu seiner Familie. Frühe Ethnologen und Missionare, lauter Männer, hatten schnell Patrilinearität (Vererbung in der männlichen Linie) und Patrilokalität (die Ehefrau zieht zu ihrem Mann) diagnostiziert.

Vorschnell.


Reiche Igbo-Frauen, Kirchenmitglieder, Onitsha 1880 [7]

Denn eine Frau hatte mehrere andere gesellschaftlich anerkannte Möglichkeiten.

Ganz prinzipiell: Eine Igbo-Frau war zuallererst Tochter, Schwester, Mutter und erst in zweiter Linie und wenn sie es wollte Ehefrau. Auch als Ehefrau gehörte sie noch immer primär zu ihrer Herkunftsfamilie – starb sie, so wurde sie zurückgeholt (wir könnten sagen: repatriiert 😊) und daheim begraben. Freilich konnte sie auch schon zeit ihres Lebens jederzeit (z.B. wenn sie genug hatte von ihrem Ehemann) nach Hause zurückkehren, hatte dort Wohnrecht und Recht auf Land zum Bebauen und war keineswegs Paria, nur weil die Heirat nicht geklappt hatte. Wie ihre Brüder erbte sie von den Eltern. Völlig anders als im Europa der Kolonialzeiten, wo Frauen unmündige Wesen waren, die sich einzig qua Verehelichung “verwirklichen“ konnten, freilich in unterworfener Position.


Hochzeit in Nnewi, einem kulturellen Zentrum der Igbo. Da Nigeria homophob geworden ist, dürfte es sich bei den beiden Frauen nicht um das Hochzeitspaar handeln [8]

Vorkolonial zählte eine unverheiratete Igbo-Frau also genauso viel wie eine verheiratete.

Ihr standen andere Lebens- oder Beziehungsmodelle zur Verfügung. Zuvorderst ist hier idigbe zu nennen[9]. Bei dieser Form von Beziehung lebt die Frau weiterhin daheim mit ihrer Ursprungsfamlie und ihr Partner zieht zu ihr. In diesem Fall “gehören“ die Kinder der Familie der Frau.

Um ihre Familie zu vergrößern, kann eine Frau auch eine Frau oder mehrere Frauen heiraten[10]. Die von ihrer Frau oder im polygynen Fall von ihren Frauen geborenen Kinder gehören dann ihr und somit ihrer Familie.


ein beeindruckendes Igbo-Haus 1912 [11]

Die vorkoloniale Ideologie der Igbo war überaus gebärfreudig. Nzegwu vermutet[12], dass das eine Reaktion auf die Verheerungen des europäischen Dreiecks- und SklavInnenhandels war, dass damals das Ersetzen der Geraubten, das Wiedererreichen oder Aufrechterhalten der für das gesellschaftliche und großfamiliäre Überleben nötigen Menschenzahl absolute Priorität genossen. Denn wenn wir von vorkolonialen Traditionen sprechen, dürfen wir nicht in den Irrglauben verfallen, dass es sich um in Stein geschriebene Regeln handelt. Solche Regeln, solche Traditionen sind beweglich, flexibel, passen sich beständig veränderten Umständen an.

Insgesamt waren Frauen, auch Ehefrauen, sexuell autonom – wir könnten sagen, dass das Gebrauchsrecht für ihre Geschlechtsorgane mit der Heirat nicht an ihren Ehemann überging, wie das dem christlich-monogamen Standard entspricht. Untreue war kein Scheidungsgrund. Sogar wenn sie sich in einem Kind konkretisierte. Laut dem Regierungsethnologen Northcote Thomas konnten Liebhaber verheirateter Frauen nach einem Palmwein-Geschenk an den Ehemann quasi offiziell ihre Beziehung leben[13]. Aber eventuelle Kinder gehörten zur Familie des Ehemannes. Erwies sich eine Beziehung als unfruchtbar, so konnten andere Männer einspringen[14], oft wurde die Ehefrau auch nach Hause zurückgeschickt, “zur Behandlung“, und es wurde gehofft, dass sie nach ein paar Jahren mit einem oder noch besser mehreren Kindern zurückkommen würde[15].

Eine Witwe konnte, solange sie nicht neu heiratete, auch bei ihrer Schwiegerfamilie (und somit bei ihren Kindern) wohnen bleiben, konnte sich einen Liebhaber nehmen und konnte ihrem (verstorbenen) Mann weitere Nachkommen gebären[16].


Gästinnen bei einer Igbo-Hochzeit in Nnewi [17]

Traditionelles Igbo-Denken und Handeln geschah immer im Rahmen der Groß- und nicht der Kernfamilie. Und es ging um Konsanguinität (Blutsverwandtschaft), auch wenn diese zum Teil nichts mit biologischer Abstammung zu tun hatte. Die Konjugalität (eheliche Paarbeziehung) spielte eine untergeordnete Rolle.

Für Nzegwu lebten die vorkolonialen Igbo in der Gegend von Onitsha in einer nicht-gegenderten Gesellschaft[18].

Das sollte sich durch die Kolonialisierung grundlegend ändern.


ein Igbo-Haus in Illa im westlichen Igbo-Siedlungsgebiet [19]

Denn die Kolonialherren machten sich zügig daran, das Patriarchat einzurichten, wobei sie sich insbesondere der Gerichtsbarkeit bedienten, des Gewohnheitsrechtes (customary law). Diesem Prozess widmet Nzegwu ihr zweites Kapitel, “Das Patriarchat legalisieren“[20]. Umgedichtete Traditionen ermöglichten das. Die Kolonialherren konnten sich keine nicht-gegenderte Gesellschaft vorstellen, ihre Quellen waren koloniale Ethnologen, Missionare und wenn Einheimische, dann sicher keine Frauen. Reichten die Traditionen nicht, konnte noch immer das Naturgesetz angerufen werden – abstoßende, der britischen Moral widersprechende Bräuche konnten dann außer Kraft gesetzt werden, auch wenn sie der Tradition entsprachen.

Die Unabhängigkeit brachte diesbezüglich für die Frauen keine Erleichterung. Das Gewohnheitsrecht entfaltete weiterhin seine unsägliche, frauenentmächtigende Wirkung[21]. Zu welchen Frauen betreffenden Ungerechtigkeiten das in Nigeria Männer und Richter auch noch lange nach der Unabhängigkeit befähigte, zeigt unter anderem der Nzegwu selbst betreffende Fall, den sie ausführlich darstellt[22]: Sie war 26, als ihr Mann, ein bekannter Anwalt, am 8. Oktober 1980 starb. Dessen Bruder gelang es in der Folge, sie mittels Gerichts, Gewohnheitsrechts und verdrehter Traditionen eines Großteils ihres Erbes zu berauben. Das letztinstanzliche Urteil wurde 1997 gefällt – da half kein Gleichheitsversprechen der nigerianischen Verfassung, da war das noch dazu falsch interpretierte Gewohnheitsrecht Trumpf.


Ofala Onitsha 2016 [23]

* * *

Endnoten:

[1] Keine Angaben zu FotografIn und Datum. Foto veröffentlicht in Margery Perham, Native Administration in Nigeria, Oxford (Oxford University Press) 1937, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Aba_Women_of_Nigeria_(early_20th_century).jpg.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Was Igbo-Frauen betrifft, gibt N. U. Nzegwu 1925-35 als Zeitraum an. Siehe Nkiru Uwechia Nzegwu, Family Matters. Feminist Concepts in African Philosophy of Culture, New York (State University of New York Press) 2006, p.91. Ebd., pp.89-101 beschäftigen sich mit dem Ogu Umunwanyi, wie der Aba-Frauenkrieg auf Igbo heißt.
Ich selbst habe vor fast sechs Jahren in einem Funmilayo Ransome-Kuti gewidmeten Artikel kurz auf den Aba-Frauenkrieg verwiesen – siehe Günther Lanier, Die friedensnobelpreiswürdige Replik, Ouagadougou (Africa Libre) 27.12.2017, https://www.africalibre.net/artikel/348-die-friedensnobelpreiswurdige-replik bzw. Wien (Radio Afrika TV) 27.12.2017.

[4] Ich bin nicht sicher, ob es sich um das für den Aba-Frauenkrieg so zentrale Oloko handelt, aber Hauptsache, es ist ein britischer Kolonialbeamter. FotografIn und Datum nicht angegeben; UK National Archives CO1069; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:The_National_Archives_UK_-_CO_1069-80-62.jpg.

[5] Meine Übersetzung des in der Fußnote oben bereits erwähnten Originaltitels “Family Matters. Feminist Concepts in African Philosophy of Culture“, New York (State University of New York Press) 2006.
Dieses Buch werde ich in der Folge kurz “Nzegwu (2006)“ nennen. Vor allem sein Kapitel 1 (pp.23-63) ist Hauptquelle meines Artikels.

[6] Ofala Onitsha, ein jährlich stattfindendes Festival der Igbo, das insbesondere in Onitsha mit großem Pomp gefeiert wird. Foto Eaghadiuno 20.5.2016, leicht zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ofala_Onitsha_05.jpg.

[7] Der Reichtum ist insbesondere am Elfenbein-Schmuck an den Beinen zu erkennen. Foto G. F. Packer 7.1.1880, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:%22Rich_Women._Onitsha._(church_members.)%22_G._F._Packer,_1880s.png.

[8] Nnewi liegt im Bundesstaat Anambra, die Stadt soll 1 Million BewohnerInnen haben. Foto Peter489 am 2.11.2009, leicht zugeschnitten GL; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Traditional_Wedding_Nnewi.jpg. Entgegen dem Dateinamen lautet die Bildunterschrift auf Wikipedia “modern Igbo wedding“.

[9] Erstmals wird idigbe auf p.25 von Nzegwu (2006) erwähnt, dann sehr häufig wieder.

[10] Das gilt genauso für woman-woman marriages. Polygynie bedeutet das Heiraten von zwei oder mehr Frauen, früher wäre von “Vielweiberei“ die Rede gewesen.

[11] Foto 2.1.1912 vom Regierungsethnologen Northcote Thomas oder seinen Assistenten, leicht zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Igbo_PreColonial_Architecture_by_Northcote_Thomas_and_assistants,_c._1912.png

[12] Nzegwu (2006) pp.29f.

[13] Zitiert in Nzegwu (2006), p.44. George T. Basden hingegen meint, dass solche Beziehungen “mehr oder weniger geheim“ (“more or less clandestine“) waren. Siehe ebd.

[14] War ein Ehemann impotent, so konnten die Dienste von “husband helpers“, also “Ehemannhelfern“ in Anspruch genommen werden. Siehe ebd., p.46.

[15] Ebd., pp.45f.

[16] Ebd., p.45. Überreste dieser Tradition gab es auch im unabhängigen Nigeria – dazu siehe ebd., pp.135f. Mittlerweile hatte sich freilich das Umfeld geändert und nach dem Tod ihres Vaters von anderen Männern gezeugte Söhne konnten die Erbregelung verändern.

[17] Foto Peter489 am 2.11.2009, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Women_Attire_Nnewi.jpg.

[18] Schon in ihrer Einleitung nennt sie die Igbo-Gesellschaft “ungendered“. Siehe Nzegwu (2006), p.9.

[19] Foto 3.1.1911 vom Regierungsethnologen Northcote Thomas oder seinen Assistenten, leicht zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:A_decorated_wall_(of_a_house%3F)_at_Ila_(Illah),_in_the_western_Igbo_area,_photographed_by_British_colonial_government_anthropologist_Northcote_Thomas,_October-November_1912._MAA,_Cambridge.jpg

[20]Legalizing Patriarchy“, Nzegwu (2006), pp.63-102.

[21] Dem ist Nzegwus drittes Kapitel gewidmet, “Bräuche und ihre falschen Darstellungen“ (“Customs and Misrepresentations“), ebd., pp.103-156.

[22] Ebd., p.117-133.

[23] Foto Eaghadiuno 20.5.2016, leicht zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ofala_Onitsha_06.jpg.

Afrika Tv

Tue 18:00 - 18:30
Wed 16:00 - 16:30
Thu 14:00 - 14:30
Fri 12:00 - 12:30
Sat 10:00 - 10:30
Sun 08:00 - 20:30

Radio Afrika International

On Orange FM 94.0 MHZ

Mon 09:00 - 10:00
Tue 09:00 - 10:00
Wed 09:00 - 10:00
Thu No Transmition
Fri 09:00 - 10:00
Sat 09:00 - 10:00
Sun 09:00 - 10:00

Radio Afrika International

On Ö1 campus

Mon 15:00 - 17:00
Tue 15:00 - 17:00
Wed 15:00 - 17:00
Thu 15:00 - 17:00
Fri 15:00 - 17:00
Sat 15:00 - 17:00
Sun 15:00 - 17:00

Current Events

take a look at the events that are happening right now.

Radio Afrika Tv Newsletter

Sign up to be inside the updates that Radio Africa Tv publishes

Radio Afrika youtube channel

Radio Afrika Tv Podcast

Newsletter Abonnieren

Bleiben Sie mit unserem monatlichen Newsletter über unsere Arbeit informiert!