Foto: die TeilnehmerInnen des Workshops “Friedensoperationen und Sicherheitsherausforderungen in Westafrika“ am Internationalen Kofi Annan Friedenserhaltungs-Trainingszentrum in Accra. Das 2004 eröffnete Kofi Annan International Peacekeeping Training Centre (KAIPTC) bildet WestafrikanerInnen – nicht nur Militärs – für internationale Friedensmissionen aus. Heute sind gewaltsamer Extremismus und Terrorismus in der Region ein Fokus des KAIPTC[1]
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Günther Lanier vor allem als Übersetzer eines Artikels von Muhammad Dan Suleiman
Ouagadougou 13. Dezember 2023[2]
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Was der Artikel erzählt, den ich heute hier übersetze, gilt vielfach auch jenseits der Grenzen Ghanas. Und da es in manchen Kontexten klüger ist, Kontroversielles durch die Blume zu sagen oder schreiben, war ich froh, als ich vor einer knappen Woche auf Muhammad Dan Suleimans Artikel gestoßen bin.
Ihm gilt mein herzlicher Dank für die Erlaubnis, seinen Artikel zu übersetzen.
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Ghanas Medien behandeln Terrorismus als Bedrohung von außen – und übersehen Gewalt im Inland
von Muhammad Dan Suleiman
wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Curtin-Universität, Perth, Australien
Artikel im englischen Original veröffentlicht von The Conversation am 6.12.2023 auf https://theconversation.com/ghanas-media-treats-terrorism-as-a-threat-from-outside-it-overlooks-violence-at-home-216674
Westafrika müht sich im Umgang mit zunehmenden terroristischen Attacken. Wikimedia Commons
43% der globalen Terrorismustode ereigneten sich 2022 im Sahel, der sich südlich der Sahara vom Westen bis in den Osten des afrikanischen Kontinents erstreckt. Zwischen Jänner und Juni 2023 wurden in Westafrika 1.800 terroristische Attacken verzeichnet. Dabei starben 4.600 Menschen[3].
In der Region ist es auch zu einer Reihe von Staatsstreichen gekommen; diese machen betroffene Länder verletzlicher.
Westafrikanische Küstenländer machen sich Sorgen, dass der Sahel-Terrorismus auf ihr Territorium überschwappen könnte. Das ist der Hintergrund, vor dem in Ghana Diskussionen und Kommentare zum Terrorismus stattfinden.
Ich forsche seit einem Jahrzehnt zu Sicherheit und Militanz in Afrika. Zuletzt habe ich recherchiert[4], wie in Ghana Terrorismus angesichts der Unsicherheit im Sahel und der Reputation des Landes als eine Oase des Friedens gesehen wird.
Aufgrund seines Potentials, Uneinigkeit zu säen und als Rechtfertigung von Gewalt und Missachtung bürgerlicher Rechte seitens der Sicherheitskräfte zu dienen, ist beanstandet worden, wie von Terrorismus weltweit gesprochen wird.
Daher war es mein Ziel zu beurteilen, ob diese globalen Vorstellungen die Sichtweise in Ghana beeinflussen. Außerdem wollte ich die Auswirkungen des Terrorismus-Diskurses auf die Sicherheit durchleuchten.
Ich habe herausgefunden, dass dieser Diskurs widersprüchlich, gefährlich und vereinfachend ist. Ihm fehlt ein kohärentes Thema, er wiederholt nur problematische Narrative und Gemeinplätze.
Eines dieser Narrative war die falsche Vorstellung, dass Terrorismus Ghana fremd war und jetzt ins Land eindringt. Zweitens setzte der Diskurs Terrorismus mit Gewalt djihadistischer Gruppen gleich. Während es in der Region sehr wohl djihadistische Formen von Gewalt gibt, kommen auch andere Formen von Terrorismus vor – inklusive dem Terrorismus von Staaten und seiner RepräsentantInnen.
Analyse von Nachrichtenartikeln
Ich bin mit einer skeptischen Haltung an die Terrorismus-Diskussion in Ghana herangetreten und habe 60 Online-Nachrichtenartikeln analysiert, die zwischen 2015 und 2022 veröffentlicht worden waren.
Ausgewählt habe ich sie aus einem Ghanaweb.com-Dossier namens “Terrorangriff auf Ghana“ und zwar zwischen Juli und September 2022. Ghanaweb.com ist die am meisten genutzte Online-Nachrichtenquelle Ghanas, es gibt sie seit den späten 1990ern.
Die Auswahl fand aufgrund von zwei Kriterien statt. Das erste war das Verwenden von Droh- und Risiko-Sprache. Dabei suchte ich nach Titeln, die Raum oder Ort (z.B. Sahel, Togo, Burkina Faso), Verletzlichkeit (“durchlässige Grenzen“), Vorbeugung (“seien Sie wachsam“) und Beruhigung (“keine Panik“) vermittelten.
Das andere Kriterium war die angenommene Autorität der Quelle. Ich suchte Artikeln aus, die Sicherheitsbeamte, AnalystInnen mit erwiesener Medienpräsenz, PolitikerInnen und religiöse Führer zitierte.
Die Analyse ergab, dass es sich um einen einseitigen Diskurs handelte, der ein unvollständiges Bild der ghanaischen Sicherheitslage bot.
Ghanas übersehene Kultur der Gewalt
Der Diskurs übersah Ghanas endemische Kultur der Gewalt, einschließlich Taten von Milizen, politische Morde und Polizei-Brutalität.
Vor Kurzem waren mehrere Milizen in Ghana in gewaltsame Vorfälle involviert, darunter Gewalt bei den 2019er Wahlen, die zu zwei Toten und 18 Verletzten führte. Ein Sicherheitsanalyst hat 24 gewalttätige Gruppen im Land identifiziert, sie nennen sich Kandahar Boys, Aluta Boys, Al Qaeda, Invincible Forces (= ‘Unbesiegbare Kräfte’) und Delta Forces (= ‘Delta-Kräfte’).
Am 16. Jänner 2019 wurde ein Enthüllungsjournalist vor seinem Haus niedergeschossen, mutmaßlich ein politischer Mord.
2020 hat eine amtierende Parlamentsabgeordnete bei einer Wählerregistrierung mit einem Gewehr mehrere Schüsse abgefeuert, sie sagte, es wäre zu ihrem Schutz gewesen. Im selben Jahr hat ein anderer Parlamentsabgeordneter gedroht, das Haus eines ehemaligen ghanaischen Präsidenten niederzubrennen.
Es gibt viele Fälle von Gewalt ausübenden Sicherheitsbeamten, darunter das Erschießen von sieben muslimischen Jugendlichen, die fälschlich für bewaffnete Räuber gehalten wurden.
Bei Ghanas Wahlen im Jahr 2020 – die achten Wahlen seit 1992 – wurden fünf Tote und eine große Zahl von Verletzten registriert.
Manche WissenschaftlerInnen sind der Ansicht, dass die extralegale Gewalt in Ghana einer Kultur der Straflosigkeit geschuldet ist, die das Ergebnis einer “systemischen Enthauptung der Polizei durch die politische Elite“ ist.
Dem Sahel die Schuld geben
Trotz dieser terrorisierenden Gewalttaten schafft der ghanaische Terrorismusdiskurs den vorherrschenden Eindruck, dass Terrorismus und politische Gewalt jetzt aus dem Sahel auf Ghana zusteuern.
Die Angst vor den aufziehenden Terroristen[5] hat in Ghana “alle“[6] zur Verteidigung des Landes zusammengebracht. Die Liste inkludiert BürgerInnenwehren auf Gemeinschaftsebene, zivilgesellschaftliche Organisationen, politische Parteien, Unternehmensorganisationen, Kirchen und traditionelle FührerInnen. Die Maßnahmen zum Schutz Ghanas umfassen Terrorismusbekämpfungsübungen, Überwachung, Grenzschutz, Prophezeiungen und Gebete.
Dieses kollektive nationale Bemühen stellt politische Gewalt aus anderen Ländern so dar, als gäbe es keine Terror-Ereignisse innerhalb Ghanas. KommentatorInnen behaupten, Terrorismus steuere nunmehr auf Ghana zu – und das lässt die GhanaerInnen in Panik geraten und sich fürchten.
Drei Beispiele zeigen, wie widersprüchlich und vereinfachend und daher irreführend der Terrorismus-Diskurs ist.
- “Accra sicher, aber Ghana nicht über’m Berg – Vizekommissar Eklu“ und “Regierung ist für terroristische Attacke gerüstet – Ministerium für nationale Sicherheit“. Diese Behauptungen sind widersprüchlich. Sie bedeuten, Ghana ist sicher und unsicher gleichzeitig.
- Ein Analyst behauptet, “TerroristInnen sind in unseren Gemeinschaften, sie sind unsere NachbarInnen, sie sind unsere Geschwister, sind unsere Väter und unsere Mütter“. Diese Behauptung ist gefährlich. Sie könnte unnötige soziale und kommunale Spannungen bewirken.
- Ghana ist das einzige an Burkina Faso grenzende Land, das keine terroristische Attacke erlitten hat. Diese Behauptung ist eine Vereinfachung, sie ist nur wahr, wenn Terrorismus als “djihadistische“ politische Gewalt definiert wird.
Meine Schlussfolgerung ist, dass zukünftige Taten terroristischer oder politischer Gewalt in Ghana nichts Neues sein werden. Während Wahlen mit Tötungsabsicht zu schießen und in einem Wahllokal einen Warnschuss abzugeben sind terroristische Akte. Polizeibrutalität, Gewalt und Wahlen anlässlich von Wahlen sind auch politische Gewalt.
Auswirkungen des Diskurses
Der Terrorismusdiskurs in Ghana zeigt, wie fehlerhafte Ansichten über den sogenannten globalen Krieg gegen den Terror das beeinflussen, was wir über Sicherheit denken, auch dann, wenn diese Ansichten fatale Konsequenzen zeitigen wie Islamophobie und mehr Gewalt.
Diese einseitigen Narrative können Gemeinschaften vor den Kopf stoßen und die soziale Kohäsion bedrohen. Ärger noch können sie Ghanas Verpflichtung untergraben, gegen Unsicherheit im Land vorzugehen.
Um solche Probleme zu vermeiden, haben manche WissenschaftlerInnen argumentiert, dass Terrorismus je nach spezifischem Kontext definiert werden sollte. Ich selbst habe anderswo dargelegt, dass Terrorismus mehr ein Prozess als ein Ereignis ist.
Das vermeidet die Gefahren, die entstehen, wenn es nur eine einzige Erzählung gibt zu Terrorismus und politischer Gewalt im Allgemeinen. Insbesondere schafft es ein Umfeld, das Lösungen zuträglich ist, die Ghana und seine BürgerInnen dauerhaft schützen.
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“Ein weiblicher Sergeant der Militärpolizei der ghanaischen Armee überwacht die Menschenmenge, die anlässlich der Eröffnungsfeier zur ‘Western Accord’-Übung 2013 am Kofi Annan International Peacekeeping Training Centre in Accra versammelt ist. Die ‘Western Accord 13’ ist eine von der US-Army Africa ausgerichtete Militärübung, um die Fähigkeiten sowohl der Streitkräfte der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten als auch die der US-Army zur gegenseitigen Unterstützung bei internationalen Friedensoperationen zu verbessern“[7]
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Endnoten:
[1] Fotografiert vom Fotografen/von der Fotografin der US-Botschaft in Accra am 18.8.2015, leicht zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:KAIPTC_workshop_Aug_2015_B002a.jpg.
[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!
[3] Anmerkung GL: Englische Quellenangaben gebe ich nicht wieder. Wer sie versteht, kann den Artikel im Original lesen.
[4] Anm. GL: Da es sich um die zugrundeliegende Forschung des Autors handelt, mache ich hier puncto Quellenangabe eine Ausnahme. Siehe https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/17539153.2023.2250142. Dort ist allerdings nur die (englische) Zusammenfassung zu finden. Der Zugang zum Paper selbst kostet für 48 Stunden 50 USD.
[5] Anm. GL: Im Englischen hat “terrorist“ kein Geschlecht und in terroristischen Gruppen finden sich durchaus auch Frauen. Angst aber haben wir vor den Männern – daher hier nur die männliche Form.
[6] Unter Anführungszeichen, weil der Autor hier auf einen Artikel verweist, wo ein Sicherheitsexperte “alle“ auffordert, sich prioritär um ihre Sicherheit zu kümmern und daher im Kampf gegen den Terrorismus mitzutun.
[7] Foto Sergeant Tyler Sletten der US-Army Africa 26.6.2013, leicht zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ghana_Army_Sergeant_2013.jpg. Bildunterschrift von ebd.