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Schildbürgereien, Menetekel et al.

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Foto: Regenzeit in Koubri [1]

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Günther Lanier, Ouagadougou 23.11.2022[2]

* * *

Nicht, dass anderswo Anstand üblich wäre, wenn es um Macht und Profit geht. Für Österreich haben das Kurz & KonsortInnen ja in aller Anschaulichkeit vorgeführt. Doch gibt es Gewohnheiten, die erzeugen Erwartungen. In Burkina Faso sind ab dem 20. November 2021 langeingesessene politische und gesellschaftliche Sitten verkommen. Wir hoffen sehr, dass die Palastrevolte Ende September 2022 dem nun ein Ende gesetzt hat, wagen es bisher aber nicht, dem scheinbaren “Frieden“ zu trauen.

Begonnen hat es also am 20. November vorigen Jahres. Auf Regierungsanweisung wurde da das mobile Internet abgeschaltet. Acht Tage lang. Roch Kaboré und seine Leute hatten Angst vor sich organisierendem Widerstand. Unter dem Langzeitstaatschef/-diktator Blaise Compaoré, der Ende 2014 qua Volksaufstand verjagt worden war (Wahlen hatten ihn immer wieder mit großer Mehrheit bestätigt), hatte es so etwas nie gegeben. Das Wort war stets ziemlich frei im Land. Freilich gab es auch da Grenzen – dem kleinen Bruder des Präsidenten Verwicklung in einen Mord anzulasten, das ging zu weit und der betreffende Journalist, Norbert Zongo, büßte 1998 mit seinem Leben (und dem seiner drei Begleiter im Auto).

Dass Internet-Abschalten nichts bringt, keinen Beitrag leistet zum Erhalt von Macht, ist zwar weithin bekannt[3], praktiziert wird es nach wie vor. Ende vorigen Jahres in Burkina ist es als Symptom der Angst der Regierenden vor dem Machtverlust lesbar – und die Folge der Ereignisse hat gezeigt, dass diese Angst zu Recht bestand.

Am 24. Jänner war es soweit. Eine “Patriotische Bewegung zum Schutz und zur Wiederherstellung“ (MPSR[4]) hievte in einem nahezu unblutigen Putsch den 41-jährigen Oberstleutnant Paul-Henri Sandaogo Damiba auf den Thron. Der war kurz zuvor, im Dezember 2021, von Roch Kaboré zum Kommandeur der dritten burkinischen Militärregion ernannt worden. Gerechtfertigt wurde der Staatsstreich damit, dass Armee und Staat gegen den Terrorismus nichts weitergebracht hatten. Da das stimmte und weithin Frustration und Leid verursacht hatte, wurde das neue Regime zunächst mit viel Wohlwollen akzeptiert. Damiba verstand es anfänglich auch, das zu sagen, was die Leute hören wollten.

Am 5. Februar trat Burkina bei den Fußball-Afrika-Meisterschaften im Spiel um die Bronze-Medaille gegen Kamerun an. In der 71. Minute führte Burkina 3 zu 0. Dann geschah Unfassbares – Kamerun erzielte nach Toren in der 72. und 85. Minute in der 88. Minute den Ausgleich und das Elfmeterschießen ging 5 zu 3 zu seinen Gunsten aus. Ob beim Zustandekommen dieses Wunders alles mit rechten Dingen zugegangen ist, wissen wir nicht – zuvor waren bei diesen Afrika-Meisterschaften immer wieder wichtige Spieler aufgrund von Covid verhindert gewesen. Das hatte seltsamerweise nie Spieler des Gastgebers Kamerun betroffen.

Das Spiel um den Platz 3 hätten wir in Burkina jedenfalls als Menetekel verstehen sollen.

Damit Damiba ungewählt burkinischer Präsident werden konnte, musste Recht verdreht werden. Sei’s drum. Doch was folgte ging an die Substanz.


Auf den Steinhofgründen [5]

Was Damiba angekündigt und versprochen hatte, erwies sich immer gründlicher als Lug und Trug. Was den Terrorismus betrifft, verschlimmerte sich die Lage weiter. Die neuen Herren des Landes interessierten sich für anderes – Pfründe[6] und das Wiedereinsetzen[7] einstiger Granden aus der Zeit Blaise Compaorés.

Bald kontrollierte der burkinische Staat nur noch die Hälfte seines Territoriums oder sogar weniger. Reisen im Land wurde immer riskanter, auch für Menschen schwarzer Haut[8]. Die Zahl der Binnenflüchtlinge schwoll immer weiter an.

Das warf kein gutes Licht auf Burkina und seine Regierung. Schon unter Roch war versucht worden, dieses Problem unter den Teppich zu kehren – Binnenflüchtlinge wurden aus der Hauptstadt zurückgeschickt in die Nähe von dort, wo sie herkamen – Gebiete, die für Medien und Ausland weniger sichtbar waren. Allmonatlich waren die Zahlen veröffentlich worden und sie waren Anfang 2022 auf nahezu 2 Millionen geklettert – nahezu ein Zehntel der Gesamtbevölkerung. Ein Dorn in Damibas Auge – und der kluge Mann fand ein Gegenmittel: Ab Ende April wurden keine neuen Zahlen mehr veröffentlicht. Genial, nicht wahr? Und dann noch besser: Die Zahlen wurden korrigiert, nach unten freilich, es sei falsch gezählt worden, statt 1,9 Millionen seien es Ende April 2022 nur etwas über 1,5 Millionen gewesen. Wobei nicht bestritten wurde – es war ja angesichts nicht aufhörender Berichte über terroristische Attacken nicht zu übersehen –, dass immer mehr neue Flüchtlinge dazukamen. Um 199.320 mehr waren es nach offiziellen Angaben Ende September im Vergleich mit Ende April[9].

Im Umgang mit dem Terrorismus waren Erfolge rar. Das schaut für Regierung und Armee nicht gut aus. Die Lösung: Das Berichten über Misserfolge wurde zum Vaterlandsverrat erklärt. Verlor die burkinische Armee, dann durfte die Presse nicht darüber berichten. Sie wurde stattdessen mit erfundenen Erfolgen gefüttert. Freilich: Im Krieg sind alle Mittel recht – auch die USA haben z.B. Geschichten erfunden, um den Einsatz im Irak ihrem Publikum im In- und Ausland schmackhaft zu machen. Die US-amerikanischen Irreführungen wurden jedoch geglaubt[10].


noch einmal des Portal in Koubri [11]

Wahrscheinlich war es die Einladung Blaise Compaorés nach Ouagadougou, mit der Damiba den Bogen endgültig überspannt hat. Der Langzeitdiktator war am 6. April 2022 in Abwesenheit wegen seiner Rolle bei der Ermordung seines Vorgängers Thomas Sankara im Jahr 1987 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Damiba jedoch brachte ihn drei Monate später in die ersehnte Heimat zurück. Als Deckmantel diente ein Treffen mit ehemaligen burkinischen Präsidenten am 8. Juli, in dem Damiba sich von seinen Amtsvorgängern in Sachen Sicherheit, Terrorismus und Versöhnung beraten lassen wollte. Von den fünf Geladenen nahmen letztlich nur zwei[12] teil, zu durchsichtig waren Damibas Manöver und Motive.

Skandalös war freilich in erster Linie, dass Damiba einen verurteilten Verbrecher hofierte statt ihn verhaften zu lassen.

Ein Präsident hat einen Premierminister und hat MinisterInnen, die ließ er immer wieder Behauptungen in die Welt setzen – ob das Blaises Ouagadougou-Aufenthalt betraf[13] oder die angeblichen Erfolge gegen den Terrorismus[14] –, die jeglicher realen Grundlage entbehrten, aber er hoffte offenbar, dass alle, die wussten, dass gelogen wurde, aus Unterwürfigkeit oder Angst schweigen würden. Nun, sie schwiegen nicht, auch wenn ihnen das zweifellos als Majestätsbeleidigung ausgelegt worden ist.

Eine weitere Neuerung im Umgang mit Opposition war vermehrter Einsatz von Einschüchterung. Unliebsamen Leuten wurde zum Beispiel das Auto zerstört. Das ist Serge Imhotep Bayala passiert, Mitglied des Balai citoyen (BürgerInnenbesen), einer Basisbewegung, die beim Vertreiben Blaise Compaorés eine wichtige Rolle gespielt hatte[15]. Es kam zum Einsatz angeblich zivilgesellschaftlicher Organisationen, die ganz offensichtlich zur Unterstützung der Regierenden geschaffen worden waren. So wurden aufmüpfige Demonstrationen gestört oder verhindert. Oder die Gründungsveranstaltung der widerständischen “Patriotischen Front“ (Front Patriotique) erhielt am 4. August Besuch von einem Übergangsparlamentarier und seiner Schlägertruppe – die anwesenden PolizistInnen schritten erst ein, als die Störenfriede in Bedrängnis gerieten und sicherten ihren Abgang[16].

Nun, Damiba hat inzwischen seinen Meister gefunden. Er wurde mittels Palastrevolte am 30. September von MPSR-Leuten um Ibrahim Traoré und von der Straße gestürzt. Doch noch bei seinem Abgang, in aussichtsloser Situation, bewies Damiba Schläue: Um ohne Waffengewalt zu gehen, stellte er sieben Bedingungen für seinen Abschied von der Macht[17]:
1. Fortsetzung der Operationen im Einsatzgelände
2. garantierte Sicherheit und Nicht-Strafverfolgung für Militärs, die ihn unterstützt hatten
3. fortgesetzte Stärkung des Zusammenhalts innerhalb der Streitkräfte
4. Fortsetzung der nationalen Versöhnung
5. Respektieren der gegenüber der Ecowas eingegangenen Verpflichtungen[18]
6. Fortsetzung der Staatsreform
7. Garantie für seine Sicherheit und Rechte und die seiner MitarbeiterInnen.

Das war gerissen: Indem sein Nachfolger Traoré zum Vermeiden von Blutvergießen diese Bedingungen akzeptierte, bestätigte er, dass Damiba in seiner kurzen Zeit an der Spitze des Staates tatsächlich getan hatte, was er fortgesetzt haben wollte.

Das Schmankerl habe ich mir für den Schluss aufgehoben. Bekanntlich haben Damiba & Co entgegen ihrer vollmundigen Ankündigungen und in Widerspruch zu ihrer vorgeblichen Daseinsberechtigung an der Spitze des burkinischen Staates bei der Rückeroberung des Staatsgebietes kläglich versagt.

Doch einmal mehr ist ihnen etwas eingefallen, wie sie diese beständige Niederlage in einen Sieg ummünzen können: Sie haben einen Nationalen Tag der Absage an den Terrorismus (Journée nationale de refus du terrorisme) erfunden. Schade, dass sie nicht lange genug an der Macht waren, um dieses Vorhaben[19] in die Wirklichkeit umzusetzen – es wäre sicher ein durchschlagender Erfolg geworden.

Die Ehrenbürgerschaft Schildas haben sie sich damit aber jedenfalls erworben.


noch einmal die Tür ins Nichts auf den Steinhofgründen [20]

* * *

Endnoten:

[1] Foto GL 28. Juli 2018. Koubri liegt unweit südlich der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Siehe George Ogola, Shutting down the internet doesn’t work – but governments keep doing it, The Conversation 19.2.2019, https://theconversation.com/shutting-down-the-internet-doesnt-work-but-governments-keep-doing-it-111642.

[4] Mouvement patriotique pour la sauvegarde et la restauration.

[5] Foto GL 9.6.2014. Die Steinhofgründe befinden sich am Westrand Wiens.

[6] Die Gehälter des Präsidenten und der MinisterInnen wurden (mehr als) verdoppelt. Und die MinisterInnenräte, scheint es, dienten vor allem für Ernennungen – in den allwöchentlichen Protokollen waren die Listen solcher Ernennungen nie auch nur annähernd so lang gewesen wie unter Damiba. Zu den MinisterInnengehältern siehe z.B. https://www.rfi.fr/fr/afrique/20220603-burkina-faso-les-augmentations-de-salaires-des-ministres-font-pol%C3%A9mique, zu Damibas Gehalt z.B. https://www.jeuneafrique.com/1351464/politique/burkina-une-transition-sobre-qui-fait-exploser-le-salaire-de-ses-ministres/.

[7] War das mit der “Restauration“ im Namen der MPSR gemeint?

[8] Weiße Haut erhöht den Wert von Geiseln wegen der generell höheren Lösegelder.

[9] Siehe Lefaso.net, Crise humanitaire au Burkina : 1 719 332 personnes déplacées internes à la date du 30 septembre 2022, Lefaso.net 19.10.2022 um 11h02, https://lefaso.net/spip.php?article116761 bzw., für die Daten im Detail, https://bit.ly/3VzFHud.

[10] Siehe z.B. https://de.wikipedia.org/wiki/Begr%C3%BCndung_des_Irakkriegs.

[11] Foto GL 28.7.2018.

[12] Der zweite war Jean-Baptiste Ouédraogo, er war vor Thomas Sankara kurz Präsident, ist ein bekannter Blaise Compaoré-Freund. Zu dem Treffen siehe z.B. RFI, Burkina Faso plusieurs grands absents à la réunion des anciens chefs d’État, RFI 8.7.2022 um 22:43, https://www.rfi.fr/fr/afrique/20220708-burkina-faso-plusieurs-grands-absents-%C3%A0-la-r%C3%A9union-des-anciens-chefs-d-%C3%A9tat.

[13] Premierminister Albert Ouédraogo hatte erklärt, dass Oberster Rat der RichterInnenschaft (Conseil Supérieur de la Magistrature) und die Familie Sankara, insbesondere Thomas Sankaras Witwe Mariam Sankara, vorab informiert waren, was Blaises Ouagadougou-Besuch betrifft. Beiderseits wurde dementiert. Siehe z.B. Boukari Ouoba, Grand entretien du premier ministre : Gros discrédit sur le gouvernement, Le Reporter (Ouagadougou) 1.9.2022, pp.13f.

[14] Z.B., dass Binnenflüchtlinge nach Thiou und Déou zurückkehren konnten. Oder dass TerroristInnen reumütig in den Schoß des Staates zurückgekehrt seien. Siehe z.B. Boureima Ouédraogo, 7 mois de pouvoir du président Damiba: Le bilan qui divise les Burkinabè, Le Reporter (Ouagadougou) 1.9.2022, pp.3f.

[15] Es war kurz vor Mitternacht am 22.8.2022. Siehe z.B. Patricia Coulibaly, Incendie du véhicule de Serge Bayala: “Au-delà de la voiture, c’est ma petite personne qui serait visée“, dixit Serge Bayala, Lefaso.net 29.8.2022, https://lefaso.net/spip.php?article115679.

[16] Der Übergangsparlamentarier ist Mohamed Koumsongo. Attackiert wurde unter anderem Alassane Bala Sakandé, unter Roch Parlamentsvorsitzender und noch immer Präsident von dessen Partei MPP. Siehe Boukari Ouoba, Le député et la milice de loubards: Quand les alliés de Damiba terrorisent les OSC, Le Reporter (Ouagadougou) 15.8.2022, pp.11f.

[17] Siehe z.B. Lefaso.net, Burkina: Damiba a posé sept conditions avant de rendre sa démission, selon les autorités religieuses et coutumières, Lefaso.net 2.10.2022, https://lefaso.net/spip.php?article116401.

[18] Ecowas ist die westafrikanische Staatengemeinschaft, der Burkina insbesondere versprochen hat, innerhalb einer gewissen Frist zur Demokratie zurückzukehren.

[19] Es war der burkinische Verteidigungsminister, der diese Idee verlautbarte. Siehe z.B. Informationsdienst der burkinischen Regierung, Point de presse du gouvernement: bientôt une journée nationale de refus du terrorisme, SIG 12.8.2022, https://www.sig.bf/2022/08/point-de-presse-du-gouvernement-bientot-une-journee-nationale-de-refus-du-terrorisme/. Etwas Häme zu dem Thema bietet Roch Arthur Sawadogo, Journée de refus du terrorisme, une idée à très vite oublier, Le Reporter 15.8.2022, p.2. Ebd., p.4 beschäftigt sich auch Boureima Ouédraogo en passant mit der Sache: Situation politico-sécuritaire au Burkina: De l’impasse à l’engrenage.

[20] Foto GL 9.6.2014.

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