Radio Afrika TV

Quelle oder Abwehr von Gefahr. Gedanken zum Militär in Afrika.

Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on whatsapp
Share on email
Share on print
  • Home
  • Quelle oder Abwehr von Gefahr. Gedanken zum Militär in Afrika.

Günther Lanier, Ouagadougou, 2.9.2020

Für diejenigen, die wie ich (und wie der Duden[1]) mit der Terminologie rund um Waffen und WaffenträgerInnen wenig vertraut sind, vorab eine Begriffsklärung[2]:

Militär: die mit Kriegswaffen ausgestatteten TrägerInnen der Staatsgewalt, die vorwiegend hoheitlich mit der Gewährleistung der äußeren Sicherheit betraut sind.
Militär ist meist als Streitmacht/Streitkräfte organisiert, aber auch als Gendarmerie, Grenzpolizei, Grenzschutz, Grenztruppen, Nationalgarde, Paramilitär, Miliz. Private Sicherheits- und Militärunternehmen können militärische Funktionen erfüllen.
Militär untersteht in der Regel dem Verteidigungsministerium. Militär kann auch für polizeiliche Aufgaben eingesetzt werden[3].

Streitkräfte: bewaffnete Menschen (SoldatInnen), die für den Kampf mit Waffen aufgestellt, ausgerüstet, ausgebildet, organisiert und geführt werden; sind ein Instrument zur gewaltsamen Durchsetzung politischer Interessen mit militärischen Mitteln.
Streitkräfte bestehen meist aus Landstreitkräften (Heer), Luftstreitkräften (Luftwaffe) und gegebenenfalls Seestreitkräften (Marine), eventuell auch einer Küstenwache[4]. Oft kommt dazu noch die Gendarmerie.
Rekrutierung[5] per allgemeiner oder beschränkter Wehrpflicht (Einberufung) oder aber freiwillig (auf Zeit oder bis zur Pension), dann handelt es sich um ein Berufs“heer“. Die Kombination verschiedener Rekrutiermethoden ist üblich.
Das stehende “Heer“ ist der im Frieden unter Waffen befindliche Teil der Streitkräfte, der im Kriegsfall durch ReservistInnen ergänzt wird.

Armee: im engen Sinn ein für eine bestimmte Aufgabe oder einen Kriegsschauplatz bestimmter militärischer Verband unter einheitlichem Oberbefehl; im weiteren Sinn gleichbedeutend mit Heer; im weitesten Sinn gleichbedeutend mit Militär.

Heer: für den Landkrieg bestimmter Teil der Streitkräfte. Umfasst Kampftruppen, Kampfunterstützungstruppen, Logistiktruppen und Führungstruppen.

Polizei ist mit dem Schutz der inneren Sicherheit betraut, ihre Aufgabe ist das Gewährleisten der öffentlichen Sicherheit und Ordnung inklusive Vorbeugung, Ermittlung, Verfolgung, Ahndung von “Ordnungswidrigkeiten“. Polizei untersteht in der Regel dem Innenministerium. Polizei kann auch militärische Aufgaben wahrnehmen.

 [6]

Ich kann hier in Ouagadougou, der burkinischen Hauptstadt, bis heute nicht zwischen den verschiedenen Sorten Uniformierter unterscheiden. Das liegt sicher einerseits an meinem Widerwillen allen Bewaffneten gegenüber, auch wenn sie seit dem Aufkommen des Terrorismus viel sympathischer geworden sind. Es liegt andererseits aber daran, dass sich – nicht nur in Burkina – die Aufgabenbereiche von Heer, Gendarmerie und Polizei vielfach überlappen. Zumindest in Burkina betätigen sich z.B. alle an Verkehrskontrollen.

Das Anwenden von Gewalt stellt in der Moderne theoretisch ein Monopol des Staates dar. Für diese Gewalt bedarf es strikter Regeln, damit es nicht zum Missbrauch kommt. Wer stärker ist, kann anderen ihren oder seinen Willen aufzwingen. Und diese Stärke ist nur beschränkt körperliche Kraft, meist geht es um Waffen bzw. um die stärkeren Waffen – nicht zuletzt die Kolonisierung hat das ja eindrücklich und brutal vorgeführt.

Ein Glück nur, dass die Kolonialherren mit der Zivilisierung der Wilden weltweit löbliche Zwecke verfolgten!

Auch das kapitalistische Weltsystem beruht letztlich auf Gewalt. Auch wenn die Waffen meist nicht “sprechen“, sondern nur “als Rute“ im Fenster stehen, aber die Drohung reicht meist. Wenn nicht, können sie jederzeit zum Einsatz kommen, wie ich das z.B. vor vier Wochen in meinem Artikel über den Umgang mit Widerständigen in Simbabwe, Tansania und Uganda gezeigt habe[7].

Oberbefehlshaber oder Oberkommandierende sind in der Regel die Staatsoberhäupter.

Das mag die Regel sein – die Praxis sieht manchmal anders aus. Das macht Streitkräfte zum “zweischneidigen Schwert“.

 [8]

Blaise Compaoré, 1987 bis 2014 burkinischer Staatschef, war stets auf der Hut vor seinen Sicherheitskräften. Einst war er Hauptmann und es war 1983 ein Putsch, der vier Hauptmänner um Thomas Sankara an die Macht gebracht hatte. Blaise war unter der Revolution nur die Nummer zwei, so ließ er seinen besten Freund Sankara am 15. Oktober 1987 aus dem Weg räumen und schwang sich selbst auf den Präsidentensessel. Und wollte von dort partout nicht gestürzt werden. Es hieß, er schlafe in seinem Palast jede Nacht in einem anderen Raum, ließe niemanden wissen, wo.

Er vermied es, die regulären Streitkräfte stark werden zu lassen. Nur die ihm treu ergebene Präsidialgarde[9] (RSP) verhätschelte er. Ich erinnere mich, dass 2006, als es zu Zwistigkeiten zwischen Angehörigen von Militär und Polizei kam, ein Minister höchstpersönlich Munition “im Busch“ in Sicherheit gebracht haben soll, damit die Lage nicht eskaliere[10].

Und 2011 dann, als sich SoldatInnen an Bekundungen der Unzufriedenheit im ganzen Land beteiligten, und selbst Angehörige der Präsidialgarde mittaten und in der Nähe des präsidialen Palastes in die Luft schossen, war Blaise schon unterwegs nach Ziniaré, wo sich seine Privatresidenz befindet – erst, als sich die Lage wieder beruhigt hatte, kehrte er zurück[11].

Es war dann “sein“ Volk, das Blaise Ende Oktober 2014 stürzte[12].

Und Blaise war keineswegs der einzige, der Angst vor’m Militär hatte. Félix Houphouët-Boigny und Léopold Sédar Senghor standen Pate[13], auch wenn die beiden andere Lösungen für ihr Dilemma fanden – Schutzbedarf versus Putschangst: Sie pflegten ihre Beziehungen zur Ex- oder Neo-Kolonialmacht Frankreich und Paris stationierte französische Truppen bei ihnen.

Das ist viele Jahre her. Dass die Gefahr der Einmischung des Militärs in die Politik beileibe nicht vorbei ist, hat zuletzt Mali gezeigt, wo Ibrahim Boubacar Keïta (IBK) vor zwei Wochen, am 19. August 2020, unsanft (obwohl unblutig) vom Thron gestoßen wurde. Er hatte offensichtlich zu wenig Angst vor seinen Sicherheitskräften gehabt…

 [14]

Um zu beurteilen, wie sehr die Stärke einer Armee in Afrika mit ihrer Putschlastigkeit korreliert, versuche ich nun eine Gegenüberstellung “militärische Stärke eines Landes – Zahl der Staatsstreiche seit der Unabhängigkeit”.

Was die militärische Stärke betrifft, stützt sich die Tabelle auf Daten von Global Fire Power[15] (einer eindeutig waffenfreudigen Organisation) und was die Zahl der Putsche betrifft, auf zwei US-Akademiker, Jonathan Powell und Clayton Thyne[16].

Global Fire Power verwertet für den Index nach eigenen Angaben über 50 (auf ihrer Webseite habe ich 43 gezählt) Subindikatoren, die zu den Kategorien Personal (manpower), Ausrüstung (mit den meisten Subindikatoren, meiner Zählung nach 20 der 43: Flieger, Panzer, Schiffe…), Finanzen, Logistik, natürliche Ressourcen (Erdölproduktion, -konsum, -reserven) und Geographie (Größe, Meereszugang, usw.) gruppiert werden.

Was die Staatsstreiche betrifft, geben Jonathan Powell und Clayton Thyne auch das genaue Datum sowie die Quellen ihrer Informationen und Beurteilungen an.

Ich bin mir bewusst, dass die Methodologie meiner Konfrontation der beiden Datenreihen bedenklich ist. Eine derart komplexe Frage wie Putschhäufigkeit auf einen einzigen Wert beziehen zu wollen, muss notgedrungen schiefgehen. Zum Beispiel haben manche Länder eine “Putschtradition“ und andere gar nicht. Dazu kommt, dass die Index-Werte nur für 35 der 55 afrikanischen Länder verfügbar sind (ich nehme an, dass für die fehlenden keine Daten vorliegen oder kein Interesse besteht oder sie keine Streitkräfte haben). Und last but not least stelle ich die 2020er Feuerkraft (fire power) Putschen und Putschversuchen gegenüber, die über die letzten circa 60 Jahre verteilt stattgefunden haben – während dieser Zeit kann sich viel geändert haben.

Aber die Spielerei sei mir gegönnt. Schließlich sind die in der Tabelle wiedergegebenen Daten ja schon in sich interessant, insbesondere, was die Zahl der erfolgreichen und schiefgegangenen Staatsstreiche betrifft.

Insgesamt halten sich übrigens gelungene und missratene Staatsstreiche ziemlich die Waage. Summieren wir, so kommen wir auf 102 bei denjenigen, die gelungen, und 106 bei denen, die misslungen sind.

Beeindruckend.

Hier die Tabelle, gereiht nach der Zahl gelungener + misslungener Staatsstreiche:

Die mit Excel berechnete Korrelation (zwischen der Zahl gelungener + misslungener Staatsstreiche und militärischer Stärke) ist ganz leicht negativ (-0,0172), das heißt, es besteht ein minimal inverser Zusammenhang.

Hier dieselbe Tabelle, wobei die Länder ausschließlich nach den gelungenen Staatsstreichen gereiht sind:



Abermals ist die mit Excel berechnete Korrelation (zwischen der Zahl gelungener Staatsstreiche und militärischer Stärke) mit -0,0619 ganz leicht negativ, das heißt, es besteht ein etwas stärkerer, aber noch immer minimaler inverser Zusammenhang.

Für das Kalkül von Blaise & Co ist diese hier die relevante Tabelle (misslungene Staatsstreiche zählen nicht, denn sie entmachten nicht). Vertrauen wir – bei allen geäußerten methodologischen Bedenken – dieser simplen Analyse, so bräuchten sich afrikanische Staatschefs nicht vor starken Armeen zu fürchten, vielmehr gilt (ein bisschen) das Gegenteil. Die burkinische Armee könnte heute deutlich besser gerüstet sein für den Kampf gegen den Terrorismus… Und auch Blaises Nachfolger Roch Kaboré bräuchte keine Angst vor einer starken Armee zu haben.

Fazit: Staatsstreiche auslösende Faktoren sind anderswo als in der militärischen Stärke zu suchen.

Der Vollständigkeit halber noch dieselbe Tabelle gereiht nach der militärischen Stärke.




Endnoten:

[1] Nicht, dass ich den Duden kritisieren will – seine Definitionen sind (zu) kurz. Armee = “gesamte Streitmacht eines Landes, Staates“; Militär = “Streitkräfte, Gesamtheit der [Soldatinnen und] Soldaten eines Landes“.

[2] Zusammengetragen aus Wikipedia und Meyers Taschenlexikon.

[3] Das dem Artikel vorangestellte Foto zeigt eine Mutter, die um ihr beim Volksaufstand an den Waffen der Militärs gestorbenes Kind weint. Foto Hippolyte Sama in der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou Ende Oktober 2014.

[4] Neuerdings mancherorts auch Weltraumstreitkräfte und Kräfte für den Cyberkrieg.

[5] Wiki schreibt von der “Auffüllung der Streitkräfte mit Personal“ – nett.

[6] Waffen zum Schutz vor Boko Haram sind in Abuja, der nigerianischen Hauptstadt, omnipräsent. Foto GL, 29.1.2015.

[7] Günther Lanier, Im Würgegriff. Wenig(er) Raum für Kritik, Radio Afrika TV 5.8.2020, https://radioafrika.net/2020/08/05/im-wurgegriff-weniger-raum-fur-kritik/.

[8] Sudanesisches Kaskara-Schwert, zweischneidig, plus Scheide. Foto Swordman0423, 11.7.2020, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:A_Sudanese_Kaskara_sword_with_sheath.jpg.

[9] Régiment de sécurité présidentielle/RSP. Sie waren es auch, die im September 2015, ein knappes Jahr, nachdem Blaise mittels Volksaufstandes vertrieben worden war, einen Putsch versuchten. Das Volk widerstand.

[10] Wurde in diplomatischen Kreisen berichtet. Wie ich aus zuverlässiger Quelle – Petra Radeschnig – gehört habe.

[11] Siehe dazu Günther Lanier, Land der Integren. Burkina Fasos Geschichte, Politik und seine ewig fremden Frauen, Linz (guernica Verlag) 2017, pp.308f (für 2006) und pp.315-318 (für 2011).

[12] Siehe ebd., p.325.

[13] Houphouët-Boigny tat das in anderer Hinsicht tatsächlich, soll er doch Blaises Heirat eingefädelt haben. Wahrscheinlich hat er auch bei der Ermordung Sankaras seine Hand im Spiel gehabt.

[14] Das waren noch andere Zeiten: 2020 hat der Putsch den Volksaufstand vollendet – beim sehr kurzlebigen Putsch in Mali 2012 war von den Militärs verlangt worden, sie sollen schnell wieder von der Macht lassen. Text auf dem Foto: “Militärs an die Front, das Volk an die Macht“. Foto Nancy Palus in der malischen Hauptstadt Bamako 25.3.2012, leicht überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Protests_against_the_putsch_in_Mali.jpg.

[15] Ich hätte ja gehofft, dass nicht nur ihr Index, sondern auch Analysen zugänglich sind, aber dazu muss eineR offensichtlich zahlendeR KundIn sein. Siehe https://www.globalfirepower.com/countries-listing.asp.

[16] Siehe Powell, Jonathan & Clayton Thyne. 2011. Global Instances of Coups from 1950-Present. Journal of Peace Research 48(2):249-259, https://www.jonathanmpowell.com/coup-detat-dataset.html und dort insbesondere die “List of coups by country (txt)” auf http://www.uky.edu/~clthyn2/coup_data/powell_thyne_coups_final.txt.

Afrika Tv

Tue 18:00 - 18:30
Wed 16:00 - 16:30
Thu 14:00 - 14:30
Fri 12:00 - 12:30
Sat 10:00 - 10:30
Sun 08:00 - 20:30

Radio Afrika International

On Orange FM 94.0 MHZ

Mon 09:00 - 10:00
Tue 09:00 - 10:00
Wed 09:00 - 10:00
Thu No Transmition
Fri 09:00 - 10:00
Sat 09:00 - 10:00
Sun 09:00 - 10:00

Radio Afrika International

On Ö1 campus

Mon 15:00 - 17:00
Tue 15:00 - 17:00
Wed 15:00 - 17:00
Thu 15:00 - 17:00
Fri 15:00 - 17:00
Sat 15:00 - 17:00
Sun 15:00 - 17:00

Current Events

take a look at the events that are happening right now.

Radio Afrika Tv Newsletter

Sign up to be inside the updates that Radio Africa Tv publishes

Radio Afrika youtube channel

Radio Afrika Tv Podcast

Newsletter Abonnieren

Bleiben Sie mit unserem monatlichen Newsletter über unsere Arbeit informiert!