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Ouagadougous Müllsammlerinnen

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Foto: Mutter und Tochter und ihr sehr am Fotografen interessierter Esel [1]

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Claudia Digruber, Elisabeth Förg & nur für die kurze Einleitung Günther Lanier, Ouagadougou 17. Jänner 2024[2]

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Die beiden sind liebe Freundinnen von mir. Beide kommen aus Tirol. Ich habe erst diese Woche den Artikel zu sehen bekommen, den sie im August 2023 gemeinsam geschrieben haben. Er ist inzwischen in der Presse (am 24. September 2023) und in den Salzburger Nachrichten (am 5. Jänner 2024) erschienen. Hier finden Sie ihn in der ungekürzten Originalfassung. Den beiden Autorinnen lieben Dank fürs Überlassen der in ihrer klaren Schlichtheit exzellenten Reportage!

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Die Müllsammlerinnen in Ouagadougou

Einige soziale und wirtschaftliche Eckdaten zu Burkina Faso[3]

Einwohner:innen (2022): 22,67 Mio.
Fläche: 274.000 km2
Lebenserwartung bei Geburt (2021): 59 Jahre
% der Bevölkerung, die von ‹1,18 USD/Tag leben (2018): 30,5
Inflation (2022): 14,3%
Bevölkerung mit Zugang zu Elektrizität (2021): 19%
Alphabetisierungsrate: 29%

Langsam aber willig zieht der Esel den schon gut gefüllten Müllwagen durch eine Staubstraße von Dassasgho, einem Viertel in der westafrikanischen Stadt Ouagadougou. Geführt wird das Eselsgespann von zwei Frauen, Ami Nikiemra und ihrer rund 30-jährigen Tochter, Mariame Kinda. Wie zahlreiche andere Frauen arbeiten die beiden in der 3,2 Millionen Einwohner:innen zählenden Hauptstadt von Burkina Faso als Müllsammlerinnen. Obwohl es erst elf Uhr morgens ist, sticht die Sonne schon kräftig vom Himmel – die Vorzeichen der beginnenden Hitzezeit in diesem Land am Rande der Sahelzone. Auf der roten Sandstraße scharren Küken und deren Hennenmütter im Sand. Aus den Höfen der gemauerten, unverputzten und größtenteils mit Wellblech gedeckten Häuser dringt das dumpfe „Tok-Tok“ vom Zerstampfen des Getreides für das Mittagessen. Im Hintergrund singt und predigt der Muezzin über den Lautsprecher der nahegelegenen Moschee. Man könnte meinen, irgendwo am idyllisch-burkinischen Land zu sein; wären da nicht die zahlreichen Passant:innen und Motorräder, die sich am Eselswagen der beiden Frauen vorbeidrängen. Und die Hubschrauber des UN-Welternährungsprogramms und der burkinischen Streitkräfte, die alle paar Minuten über das Gespann hinwegfliegen – in die vom Terror geplagten und besetzten Gebiete des Landes.

Die beiden Müllsammlerinnen suchen sich für eine Rast ein schattiges Plätzchen unter einem Bougainvillea-Strauch. Immer wieder weht der Wind den säuerlichen Gestank des Mülls in ihre Richtung. Mariame Kinda nimmt ihren eineinhalb Jahre alten Sohn, den sie zur täglichen Arbeit auf den Rücken gebunden hat, aus dem Tragetuch, damit er ein wenig herumlaufen kann.

Ami Nikiemras Gesicht ist von harter Arbeit geprägt. Trotzdem wirkt sie mit über 60 Jahren aufgrund ihrer pfiffigen Art zu erzählen außergewöhnlich rüstig. Sie trägt mehrere Schichten von Kleidung und Tüchern, um sich in der Arbeit gegen den Schmutz zu schützen. Gummihandschuhe und Gesichtsmaske zieht sie während der Rast nicht aus. Frau Nikiemra stammt aus einer burkinischen Großfamilie mit zehn Schwestern und fünf Brüdern. Sie hat selbst fünf Kinder großgezogen und lebt heute mit ihrem Mann und ihrem jüngsten Sohn im Stadtviertel Yamtenga. Ihr Mann arbeitet als Wächter, aber das Einkommen reicht nicht für die Versorgung der Familie. Früher hat Frau Nikiemra deshalb in den Straßen von Ouaga Sand zusammengekehrt, um ihn anschließend an Baufirmen und Häuslbauer zu verkaufen. Infolge der laufenden Stadterweiterung wurde diese Arbeit aber von der Stadtverwaltung übernommen, und das Zusatzeinkommen von Frau Nikiemra fiel weg. Der Verkauf von Erdnüssen am Straßenrand brachte nicht genügend Umsatz, sodass sie sich schließlich auf die Suche nach einer lukrativeren Arbeit machte. Im Zuge dessen wurde sie von ihrer Nachbarin auf Frau Kisanata Sawadogo, die Leiterin des Vereins „Wend Jiide“, aufmerksam gemacht. „Wend Jiide“ bedeutet „Gott, der groß ist“ – übersetzt aus Mooré, der Sprache der größten burkinischen Volksgruppe der Mossi. Frau Sawadogo brauche Frauen, die in ihrem christlichen Verein als Müllsammlerinnen mitarbeiten wollten, meinte die Nachbarin. Und so begannen Frau Nikiemra und ihre Tochter schließlich unter der Anleitung von „Madame“, wie die beiden die Vereinsleiterin respektvoll nennen, von Montag bis Donnerstag mit Esel und Müllkarren die Haushalte und Straßen von Dassasgho sauber zu halten.

„Ich gehe von mir zuhause um sieben Uhr morgens los und hole meine Tochter auf dem Weg ab. Ich kann nicht Radfahren. Deshalb gehen wir einige Kilometer zu Fuß ins Vereinszentrum, um dort den Esel und den Müllwagen abzuholen. Dann spazieren wir mit unserem Eselsgespann weiter ins Entsorgungsviertel, wo wir unsere Müllrunde drehen. Unseren Wagen leeren wir im Müll-Sammelzentrum in der Nähe. Wenn der Container dort schon gefüllt ist, müssen wir eine Stunde weiter gehen, ins nächste Sammelzentrum. Ungefähr drei Mal am Tag leeren wir unseren Müllwagen. Um etwa halb fünf Uhr müssen wir Schluss machen, damit wir nicht in die Finsternis kommen. Das wäre mit dem Verkehr zu gefährlich. Wir bringen den Esel und den Wagen wieder zurück ins Vereinszentrum und sind dann gegen sieben Uhr abends zuhause. Dort koche ich dann noch und mache den Haushalt.“ So beschreibt Frau Nikiemra ihren Arbeitsalltag und legt dem Esel ein paar Salatblätter zum Fressen hin, damit er noch ein wenig stillhält. Dass ihre Beine von ihrem Zuhause bis zur Arbeit und abends wieder heim schon mehr als sechzehn Kilometer bewältigen, dabei nicht gerechnet die Müllrunden, scheint für sie eine Selbstverständlichkeit zu sein. Sie erklärt, dass sie und ihre Tochter auf der Holzpritsche oder der Eisenstange zwischen Esel und Wagen mitfahren können, solange die Pritsche des Müllwagens noch leer ist. Türmt sich dann der Müll auf dem Wagen, gehen die beiden zu Fuß nebenher, damit der Esel nicht so schwer ziehen muss. Für ein Mittagessen ist nicht jeden Tag Zeit, sodass der Magen zwischen dem Frühstück bis zur abendlichen Rückkehr nachhause manchmal leer bleibt.

Derzeit arbeiten laut der Vereinsleiterin von „Wend Jiide“, einer großgewachsenen Burkinabè in farbenfroher Kleidung, insgesamt zehn Frauen mit fünf Eseln und Müllwagen für den Verein. Unterstützt werden sie von einem motorisierten Dreirädler, der von zwei Jungen gelenkt wird und der den Frauen einmal pro Woche und bei besonders viel Arbeit unter die Arme greift. Die Frauen ziehen jeweils zu zweit auf vorgegebenen Routen durch Dassasgho und sind zum Großteil bereits höheren Alters, oft auch Witwen. Mangels Rente brauchen sie dringend ein Einkommen. „Ich wollte alle fünf Frauenduos mit Dreirädlern ausstatten, um ihnen die Arbeit zu erleichtern. Sie haben sich allerdings vehement gewehrt und sich wegen des enormen Verkehrsaufkommens in Ouagadougou weiterhin für den altbewährten Eselskarren entschieden,“ beschreibt Sawadogo ihr gescheitertes Vorhaben.

Normalerweise leeren die Frauen also vier Tage pro Woche die Mülltonnen. Während der Regenzeit in den Monaten Juni bis August können sich Arbeitsausmaß und damit auch Einkommen jedoch bis auf zwei Tage wöchentlich reduzieren. Das Fortkommen auf den matschigen Straßen ist dann nur schwer bis gar nicht möglich. Zugleich sammeln sich in den Haushalten in diesen Monaten aber auch ungleich mehr Abfälle an, da die Menschen ihre Haushalte angesichts der Regengüsse sauber halten und Unnützes loswerden möchten. Ein schwer zu bewältigendes Dilemma, das durch die Mithilfe des Dreirädlers teilweise gelöst wird.

„Der monatliche Verdienst für die Müllsammlerinnen hängt von der Anzahl der Haushalte ab, die sie bedienen. Ich achte gut darauf, dass alle meine Arbeiterinnen in etwa dieselbe Anzahl an Haushalten versorgen und einen vergleichbaren Monatslohn im Umfang von 20.000 CFA erhalten. Seit der Gründung meines Vereins hat sich der Lohn wegen der steigenden Kundenzahl immerhin bereits verdoppelt,“ berichtet Frau Sawadogo stolz. Früher ergab sich für die Frauen ein willkommener Mehrverdienst, wenn sie den Müll beim Ausräumen aus den Tonnen nach Plastik, Karton und Alu in Beuteln rund um ihren Müllwagen sortierten. Diese Materialien sind bei zahlreichen Unternehmen heißbegehrter Rohstoff. Für den Verkauf von einem Kilo an Plastikflaschen und sonstigen Verpackungen erhielten die Müllsammlerinnen von den Händlern etwa 100 bis 150 CFA, umgerechnet rund 20 Cent. So konnten sie ihren Monatslohn nochmals um 40 Euro aufbessern. Zumindest war es früher so, denn, so bedauert Frau Nikiemra: „Seitdem es den Leuten schlechter geht, schicken die Familien ihre Kinder um 6 Uhr in der Früh auf die Straßen, damit sie in den Müllkübeln nach brauchbaren Materialien zum Verkaufen suchen. So ist dieses Zusatzgeschäft in letzter Zeit leider viel weniger geworden.“

Laut Angaben der Weltbank leben derzeit mehr als 40% der burkinischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze, und entsprechend dem Bericht zum „Human Development Index“ liegt Burkina Faso auf Platz 184 von 191 eingestuften Ländern. Seit 2015 ist das Land Ziel von terroristischen Anschlägen, welche massive Fluchtbewegungen im Land verursachen: Per Ende 2022 befanden sich 1,8 Mio. Menschen in Burkina Faso auf der Flucht. Die schlechte Sicherheitslage im Land gepaart mit Versorgungsengpässen in Folge des Kriegs in der Ukraine haben 2022 außerdem zu einer Rekordinflation (in den letzten zehn Jahren) von 14,1% im Land geführt.

Als junge Frau hat die heute 57-jährige Madame Sawadogo als Schneiderin gearbeitet und anschließend im Verkauf von Schmuck und Pagne, also burkinischen Stoffen. Aber das hat eines Tages nicht mehr funktioniert. So versorgte die Mutter von drei Töchtern und einem Sohn hungrige Kundschaft täglich mit „Dègué“, einem westafrikanischen hirsebasierten Gericht. Sie erzählt weiter: „Ab 1995 wollte ich dann meine christlichen Werte auch in meinem Beruf mehr umsetzen, für meine Mitmenschen Gutes tun. So habe ich mich auf Referenz eines Kollegen aus meiner Pfarre beim Verein ABBF beworben, der in der Müllentsorgung in Ouagadougou tätig war. Dort arbeitete ich bis 2004, bis ich dann in Dassasgho meinen eigenen Verein namens „Wend Jiide“ gegründet habe.“ Die Leiterin war überglücklich, als ein Gönner dem Verein Starthilfe in Form von vier gespendeten Eseln und Karren gab. Zu dieser Zeit gab es vor den meisten Haushalten in der Stadt keine Mülltonnen, sondern kleine Müllablagerungen, die durch tägliches Verbrennen entsorgt wurden. Außerdem wütete im Land die Cholera. „In mühsamer Sensibilisierungsarbeit zu den Themen Sauberkeit und Gesundheit haben wir potentiellen Kunden die schädlichen Auswirkungen ihrer Praktiken der Müllentsorgung erklärt. Und der Aufwand hat sich gelohnt: Inzwischen bekommen wir neue Kundschaft über Mundpropaganda dazu, und aktuell bedienen wir über den Verein 600 Haushalte einmal wöchentlich. Jeder Haushalt bezahlt uns dafür 1.500 FCFA monatlich“.

Diese hohe Anzahl an Kund:innen bedeutet eine herausfordernde Aufgabe für die Müllsammlerinnen, die pro Trupp also durchschnittlich 120 Haushalte pro Woche mit ihren Eselsgespannen bedienen. Bei der Auswahl ihrer Mitarbeiterinnen achtet Sawadogo daher besonders auf Sinn für gute Zusammenarbeit und Verlässlichkeit. Es sei nicht einfach, Frauen für die Tätigkeit als Müllsammlerin zu finden. Lieber würden diese in der Sortierung des Mülls in den Sammelzentren arbeiten, denn das Sammeln der Abfälle gilt allgemein als die härtere Arbeit. Neben der Personalauswahl ist es auch Aufgabe der Vereinsleiterin, als sogenannte „Agentin“ gegen Monatsende die Beiträge bei den Haushalten einzutreiben und in etwaigen Konflikten zwischen Kund:innen und Müllsammlerinnen zu moderieren. Dabei erhält sie Unterstützung von vier weiteren Agentinnen, die im Verein zusätzlich auch als „Animateurinnen“ in der Anwerbung von Neukund:innen tätig sind. „Manchmal passiert es, dass Mieter oder Hauseigentümer umziehen, ohne uns Bescheid zu geben. Dann bekommen wir kein Geld für die Arbeit, die wir im vergangenen Monat geleistet haben“, beklagt sich Frau Sawadogo über die fehlende Zahlungsmoral einiger Kundschaften. Ursache für Konflikte bietet auch die Tatsache, dass Klient:innen unerlaubterweise Steine oder Sand zur Entsorgung in ihre Abfalleimer schütten. Auch wenn sie von den Müllsammlerinnen auf diese Unsitte hingewiesen werden, sind einige uneinsichtig, und eine Agentin muss schlichtend einschreiten. Vor allem rund um religiöse Feiertage oder bei Familienfeiern fallen in den Haushalten besonders viele Abfälle an. In diesen Zeiten wird die Kundschaft von den Agentinnen gebeten, einen höheren Beitrag zu bezahlen, um die Zusatzfahrten zum Sammelzentrum abzudecken. Grundsätzlich seien die Kunden freundlich und den Müllsammlerinnen dankbar für ihren Service, freut sich Frau Sawadogo. Und manchmal stecken sie ihnen auch ein Trinkgeld zu oder laden sie auf einen Kaffee ein.

Die Leiterin ist stolz darauf, dass sich der Verein über eigene Einkünfte und Spenden selbst finanzieren kann. „Von der Stadtgemeinde hat „Wend Jiide“ seit Bestehen noch nie Geld erhalten. Wir sind allerdings sehr dankbar für die Ausbildungen zu verschiedenen Themen in der Abfallbeseitigung, die von der Stadt und gemeinnützigen Organisationen immer wieder angeboten werden. In diesen Fortbildungen wurde uns zum Beispiel gezeigt, wie man aus alten Kartons Kohle machen kann. Dazu zerteilt man die Kartons in kleine Stücke und vermischt sie mit Wasser und einem chemischen Produkt. Nach zwei Tagen kann diese Mischung zu Kohle gepresst werden.“

Das System der Müllentsorgung in Ouagadougou hat im Jahr 2005 eine grundlegende Veränderung erlebt: Die Stadt leitete damals mittels einer öffentlichen Ausschreibung die Privatisierung dieses Sektors ein (Details siehe Infokasten). Frau Sawadogo ist der Meinung, dass die damalige Ausschreibung nicht erfolgreich war. „Die zwölf Sammelzonen, in die Ouagadougou aufgeteilt worden war, hätten für die einzelnen Verbände viel zu viele Haushalte umfasst. Deshalb haben sich alle Organisationen und Personen, die in der Abfallbeseitigung auch schon vorher tätig waren, selbst organisiert und sich die Arbeit aufgeteilt – zusätzlich zu jenen Unternehmen, die die Konzessionen bekommen haben. Es ist ja genügend Arbeit für alle da“, argumentiert Sawadogo die heutige inoffizielle Aufteilung des Abfallsystems unter den verschiedenen Akteur:innen des Sektors. Im Viertel von Dassasgho sind deshalb viele in die Abfallentsorgung eingebunden – unter anderem Vereine wie „Wend Jiide“ mit ihren Eselskarren und Einzelpersonen mit ihren Dreirädlern. Die Haushalte können frei wählen, für wen sie sich entscheiden. „Immer wieder gehen Hauseigentümer durch die Straßen und fragen bei den Entsorgern an, zu welchen Konditionen sie ihren Haushalt übernehmen könnten“, beschreibt die Leiterin die Konkurrenzsituation zwischen den Entsorger:innen und das Entstehen neuer Kundschaft im Viertel.

Infokasten zur Privatisierung der Müllentsorgung in Ouagadougou im Jahr 2005

Die Aufgabe der Müllentsorgung in Ouagadougou lag bis 2005 in öffentlicher Hand. Im gesamten Stadtgebiet waren bis dahin große Müllcontainer aufgestellt, die von Vorsammel-Organisationen befüllt, von städtischen Unternehmen abgeholt und auf kontrollierten Deponien am Rande der Stadt entleert wurden. Im Zuge der Privatisierung der Müllentsorgung wurden diese Müllcontainer 2005 durch Sammelzentren, in denen Container platziert wurden, ersetzt. Die Stadt teilte Ouagadougou in zwölf Sammelzonen auf und organisierte eine öffentliche Ausschreibung für die Vergabe von Konzessionen für die künftige Abfallentsorgung. Verbände, die sich bereits in den 1990er Jahren infolge des Versagens der öffentlichen Strukturen im Abfallbereich auf gemeinschaftlicher und Gemeindebasis gebildet hatten, waren gezwungen, sich in wirtschaftlichen Interessensgemeinschaften mit kleinen und mittleren Privatunternehmen zusammenzuschließen und um die Konzessionen zu bewerben. Nach der Vergabe der Verträge im Jahr 2007 waren diese Gemeinschaften ab sofort für die Abholung der Abfälle in den Haushalten sowie von „wilden“ Deponien und den Transport dieser Abfälle in die Sammelzentren verantwortlich. Die anschließende Abholung der Abfälle aus den Sammelzentren und der Transport in das „Centre de Traitement de Valorisation des Déchets (CTVD)“, also ins Zentrum für die Behandlung und Verwertung von Abfällen, erfolgt je nach Stadtviertel über städtische oder über private Unternehmen, die von der Stadt pro abgeholtem Kubikmeter an Müll bezahlt werden. (Flux n° 89/90 Juli – Dezember 2012 S. 79-89, „Des choix d’aménagement urbain porteurs d’inégalités sociales et environnementales: La gestion des déchets solides à Ouagadougou (Burkina Faso)“, Issa Sory Bernard Tallet).

Frau Nikiemra und ihre Tochter beenden schließlich ihre Pause und ziehen mit ihrem vollen Eselswagen ins nahegelegene Sammelzentrum von Wayalghin. Dort ist glücklicherweise noch Platz für ihre Ladung. Das Sammelzentrum nimmt eine Fläche von etwa 30 mal 30 Metern ein. Umrahmt von einer betonierten Mauer und gesichert durch ein großes Einfahrtstor, das abends geschlossen wird, wirkt das Areal aufgeräumt. An vielen Stellen auf der Halde liegen Säcke, in denen Müll in Plastik, Metall und Karton säuberlich getrennt wird. Immer wieder fahren motorisierte Dreirädler und Eselskarren durch das Einfahrtstor und kippen ihre Müll-Ladungen in einen Container in der Mitte des Areals. Plötzlich klettert eine Frau in den Container und sucht nach verwert- und verkaufbaren Materialien, bevor ihr andere zuvorkommen und ihr das Geschäft abluchsen. Sie wühlt, ohne mit Maske oder Handschuhen gegen den Schmutz geschützt zu sein, in den Abfallbergen. Der Verwalter des Sammelzentrums, Samali Compaoré, kümmert sich hier gemeinsam mit sechs weiteren Angestellten um das Einhalten der Regeln und die Sauberkeit. Er erklärt: „Der Müll wird auch hier im Sammelzentrum vor allem von Frauen aber auch von jugendlichen Männern sortiert und dann an Unternehmen verkauft. Auch auf der Endhalde für den Müll, im „Zentrum für die Behandlung und Verwertung von Abfällen“, leben viele Menschen vom Sortieren und Weiterverkauf des Mülls. Dort wird zum Beispiel Biomüll zu Kompost verarbeitet und Hartplastik zu Granulat. Unternehmen produzieren aus diesem Granulat Schlüsselanhänger, Stühle, Büroordner und Tischdecken.“

Leider geht der Großteil der wertvollen Abfallmengen in Ouagadougou infolge von fehlenden Recycling-Strukturen trotzdem verloren: 35% des Abfalls landen auf den Straßen oder auf „wilden“, also inoffiziellen Halden, schreibt Sophie Douce, die ehemalige Burkina-Korrespondentin der Le Monde. Rund 80% des gesamten Mülls der burkinischen Hauptstadt bleiben ungenützt. Das entspricht einem geschätzten jährlichen Wertverlust für die Stadt von mehreren hunderten Millionen an FCFA. Die großen Mengen an illegal entsorgtem und achtlos weggeworfenem Müll verstopfen in der Stadt das ohnehin unzureichende Kanalsystem und verursachen vor allem in der Regenzeit lokale Überschwemmungen. Das tägliche Verbrennen von Abfällen in den Haushalten verunreinigt auch heute noch die Luft in Ouaga – und die Atemwege der Bewohner:innen, die ohnehin von Verkehr und Sahel-Staub schon massiv belastet sind.

Für die Zukunft hat Frau Sawadogo vor, ihren Verein durch die Anstellung von noch mehr Frauen zu vergrößern. „Viele Menschen sind arbeitslos und suchen Beschäftigung. Diesen Menschen, vor allem den älteren Frauen, möchte ich eine Chance geben. Ich hoffe, dass sich dann wieder Gönner finden, die ihre Geldtasche für zusätzliche Esel und Karren öffnen. Außerdem wünsche ich mir, dass eine meiner Töchter meine Arbeit als Vereinsleiterin weiterführt.“ Für die künftige Müllentsorgung in Ouagadougou denkt Sawadogo über ein gut organisiertes System zur Mülltrennung für Haushalte nach, so wie sie es in Dokumentationen zu europäischen Systemen gesehen hat.

Ami Nikiemra lacht über die Frage, wie lange sie sich vorstellen könne, diese harte Arbeit noch zu machen, und meint: „Mein Sohn macht dieses Jahr seine Matura. Ich möchte, dass er anschließend eine Ausbildung macht. Ich bin müde, aber ich will auf jeden Fall weiterarbeiten, um meinen Sohn zu unterstützen. Ich wünsche mir eine gute Zukunft für alle meine Kinder und Enkelkinder. Für mich selbst brauche ich nichts.“ Ihre Tochter Mariame hat beschlossen, nicht mehr in die Schule zurückzukehren. Zu lange sei es her, dass sie nach der 5. Klasse Volksschule ihre Ausbildung abgebrochen hätte. Außerdem würde das Zusatzeinkommen in ihrer Familie fehlen.

Schließlich motivieren die beiden Frauen den Esel mit einem sanften Zug an der Eisenstange des Müllwagens zum Weiterziehen. Frau Kinda bindet ihren kleinen Buben auf den Rücken und verschwindet an der Seite ihrer Mutter um die Ecke der roten Sandstraße.

Transparenzhinweis: Die Recherche fand im Rahmen einer Reise statt, die vom Museum der Völker Schwaz / BMKÖS finanziert wurde.

* * *

Endnoten:

[1] Foto Harouna Marané 2023.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] https://donnees.banquemondiale.org/pays/burkina-faso?view=chart, 19.07.2023 UND https://worldmap-knowledge.com/articles/the-highest-literacy-rates-in-the-world.html, 19.07.2023.

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