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Mungiki oder gewalttätige Jugendbanden in Kenia

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Armut, Jugendarbeitslosigkeit, politische Desillusionierung, Vernachlässigung staatlicherseits – fruchtbares Terrain für gewalttätige Jugendbanden [1]

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Bodil Folke Frederiksen: Original-Artikel; Günther Lanier: kurze Einleitung und Übersetzung
Ouagadougou 21. Februar 2024[2]

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Kenia war immer wieder der Fokus meiner Artikel, in letzter Zeit mehrmals, aber nicht ausschließlich[3], zur als Mau-Mau bekannten Land and Freedom Army[4].

Heute präsentiere ich Ihnen die Übersetzung eines Artikels, den die Ostafrika-Expertin und emeritierte Dozentin[5] der Roskilde-Universität Bodil Folke Frederiksen kürzlich über gewalttätige Jugendbanden in Kenia publiziert hat. Ihr ein herzliches Dankeschön für die Übersetz- und Publizier-Erlaubnis!

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Die Mungiki, Kenias gewalttätige Jugendbanden, dienen verschiedenen Zwecken. Wie Identität, Politik und Verbrechen sie am Leben halten

Bodil Folke Frederiksen

Quelle für den englischen Originaltext: https://theconversation.com/mungiki-kenyas-violent-youth-gang-serves-many-purposes-how-identity-politics-and-crime-keep-it-alive-221791

In Kenia gibt es eine Vielzahl von Jugendbanden[6], die für Gewalt und ihre Verbindungen zu politisch Mächtigen bekannt sind. Keine ist berüchtigter als die Mungiki-Bewegung, deren frühere Mitgliederzahl[7] auf mindestens eine Million geschätzt wird. Obwohl sie verboten wurde, bleibt sie in den Medien dauerpräsent[8], als Werkzeug oder Ziel politischer AkteurInnen. Bodil Folke Frederiksen hat die Mungiki im Zuge ihrer Feldforschung[9] zur kenianischen Jugendkultur untersucht. Sie geht dem Ursprung, der Entfaltung und der Langlebigkeit der Gruppe auf den Grund.

Was hat zur Entstehung der Mungiki geführt?

Die Mungiki sind in den späten 1980ern in der kenianischen Rift Valley-Provinz entstanden. In dieser Provinz schwelten Konflikte[10] zwischen indigener Mehrheit (vor allem Kalenjin) und später gekommenen SiedlerInnen (in erster Linie Kikuyu) Landbesitz und Rechte betreffend.

In den frühen 1990ern kam es zum ersten Ausbruch politisch angestifteter interethnischer Konflikte[11], die darauf abzielten, den Einfluss der Kikuyu in der Lokalpolitik zurückzudrängen. Die Mungiki sind als Jugendbewegung der Kikuyu entstanden, sie verteidigten die Enteigneten: Frauen, MigrantInnen und die Landjugend.

Damals widersetzte sich die Gruppe auch der autokratischen und korrupten Regierung von Daniel Arap Moi, einem Kalenjin. Später wurden Mungiki-Gruppen von Moi kooptiert und für seine Wahlen eingespannt. Er war der erste in einer Reihe hochrangiger PolitikerInnen, die das taten.

Ethnizitätspolitik schuf die Voraussetzungen für die Mungiki.

In den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen von 1997[12], 2002[13] und 2007[14] mobilisierten führende PolitkerInnen gewalttätige Jugendmilizen zur Unterstützung ihrer Wahlkämpfe.

Nach den verheerenden[15] Präsidentschaftswahlen von 2007 mobilisierte Mwai Kibakis Kikuyu-dominierte Party of National Unity[16] Kikuyu-Jugendmilizen in Vergeltung für die von der Oppositionspartei Orange Democratic Movement[17] eingesetzten Banden. Im Zentrum[18] der daraus resultierenden Gewalt standen die Mungiki.

Bis zur Jahrtausendwende entwickelten sich die Mungiki zu einem überwiegend urbanen Phänomen[19]. Armut, Jugendarbeitslosigkeit und politische Desillusionierung schufen fruchtbares Terrain für die Gruppe. Vor allem junge Männer sahen sich als “No Future“-Generation[20], hatten kaum Möglichkeiten, sich als erfolgreiche Erwachsene zu etablieren mitsamt der zum Erhalt einer Familie nötigen ökonomischen Mittel.

Informelle städtische Siedlungen wurden von Staat und lokalen Behörden vernachlässigt. Jugendgruppen füllten diese Leerstelle. In den Slums von Nairobi maßen sich Mungiki-Angehörige mit anderen Milizen wie Kamjesh oder den Taliban in Mathare Valley. Wie Mungiki waren auch diese involviert in den Krieg um öffentlichen Transport, die Versorgung mit Basisdiensten (z.B. Elektrizität) und in Schutzgeldforderungen an Unternehmen. Sie spielten auch eine Rolle, was Sozialhilfe, das Schaffen von Arbeitsplätzen und Sicherheit betraf.

Mungiki-Führer haben die Mitgliederzahl zwischen 1,5 Millionen und 4 Millionen angesetzt[21]. Diese Zahlen sind wahrscheinlich übertrieben. Die Zahl der aktiven Mitglieder dürfte jedenfalls in Tausenden zu messen sein.

Was sind die Praktiken und Grundsätze der Mungiki?

Die Gruppe gründet auf dem Schnittpunkt von Generation, Ethnizität, Religion und Klasse. Ihre Mitglieder sind jung, arm und überwiegend Kikuyu, Kenias größte[22] ethnische Gruppe. Die Mungiki operieren vor allem in urbanem Gebiet, agieren dort als Bürgerwehr, üben aber auch gemeinnützige, kulturelle und kriminelle Tätigkeiten aus. Gewalt wird eingesetzt, um Kontrolle zu erlangen oder aufrechtzuerhalten. Im Lauf der Zeit hat es ein – allerdings instabiles – Naheverhältnis zu politischen Parteien und FührerInnen gegeben. Die Registrierung als politische Partei namens National Youth Alliance[23] gelang, ging in der Folge aber wieder verlustig.

Die Mungiki können als neo-traditionelle soziale Bewegung verstanden werden. Was den Ursprung ihrer Praktiken und Grundsätze betrifft, bezieht sie sich auf vorkoloniale und koloniale Geschichte. Ihre Werte gründen in Religion und Kosmologie der Kikuyu.

Ein zentraler Kikuyu-Brauch war das Übertragen der Macht von einer Männer-Generation an die nächste, ein als “ituika“ bekanntes Ritual, das alle 30 oder 40 Jahre stattfand. Ein weiterer war die rituelle Exzision der Mädchen und Beschneidung der Buben an der Schwelle zur Pubertät im Rahmen der Initiation in die Mündigkeit. Ein dritter war der Treueeid, der Gruppemitglieder auf ewig im Geheimen miteinander verband.

Die den Bräuchen zugrundeliegenden Werte hatten auch während Kenias antikolonialen Kämpfen[24] der 1940er und 1950er Jahre Bestand, in der als Mau Mau bekannten Befreiungsbewegung, die überwiegend von Kikuyu getragen wurde.

Diese Werte bilden noch immer den Kern der Praktiken und Grundsätze der Mungiki, wenn auch abgewandelt und angereichert. Ziel der Mungiki ist, grob gesagt, das Empowern von Jugendlichen, das Wiedereinführen traditioneller Werte (insbesondere klarer Geschlechterrollen), der Kampf gegen Korruption sowie Reformen zur Schaffung einer egalitären Gesellschaft, deren Mitglieder einander beistehen.

Die Mungiki treten vielgestaltig auf. Die Jugendorganisation ist als Sekte bezeichnet worden, als Gang oder Miliz. Sie hat versucht, als politische Partei anerkannt zu werden. Ihr vielen Gesichter und ihre Zähigkeit haben sie mehr als 30 Jahre am Leben erhalten.

Warum wurde sie verboten?

Die Mungiki sind das Kind von Kenias gewalttätiger kolonialer[25] und postkolonialer Geschichte. Im Lauf ihrer ganzen Geschichte hat die Organisation Gewalt angewandt, um Mitglieder zu rekrutieren und zu halten.

In den frühen 2000ern wurde die Gewaltanwendung gesteigert und in vielen Fällen Terror angewandt: Abtrünnige wurden ermordet, diejenigen, die sich weigerten, Schutzgeld zu zahlen, mit dem Tod bestraft und andere milizähnliche Organisationen brutal bekämpft. Ein beträchtlicher Teil der Tätigkeiten war kriminell, darunter das Erpressen von Haushalten oder Geschäften. Bestechungsgelder und Drohungen sollten das Eindringen in den informellen PendlerInnen-Transportmarkt ermöglichen. Zum Erreichen von Zielen wurde getötet und verstümmelt.

Auf der politischen Ebene sehen manche nationale und lokale FührerInnen die Popularität und den Fortbestand der Bewegung als Bedrohung der Stabilität und ihrer eigenen Machtausübung.

Obwohl sie verboten wurden, sind sie nicht verschwunden, nicht wahr?

Die Bewegung hat eine Reihe von Wandlungen durchgemacht. Nachdem sie in den frühen 2000er Jahren verboten wurde, wurde ihr Führer Maina Njenga eingesperrt. 2006 machte er seine Bekehrung zum christlichen Glauben[26] bekannt und bei seiner Befreiung im Jahr 2009 erklärte er die Bewegung als erledigt. Nichtsdestoweniger taucht sie immer wieder auf, ist aber viel weniger stark als zu ihrer Glanzzeit.

Viele ihrer Mitglieder sind getötet oder eingesperrt worden[27].

Die Mungiki weigern sich zu sterben, weil sie positiverseits auf kulturellen und religiösen Traditionen[28] beruhen, die in Kenia weiterhin lebendig sind. Auf junge Männer und Frauen wirkt die Betonung des “sauberen Lebens“ – ohne verantwortungslosen Sex oder Alkohol – anziehend. Und die Mungiki bringen die Bemühungen junger Leute zum Ausdruck, politisch zu agieren.

Negativerseits haben sich die Lebensbedingungen für die Mehrheit der jungen KenianerInnen nicht verbessert. Es hat keine Übergabe von Macht an die junge Generation stattgefunden. Bezahlte Jobs gibt es so gut wie keine. Armut ist weitverbreitet. Und kenianische Politik ist nach wie vor gewalttätig, für ältere privilegierte[29] Männer reserviert und durchsetzt von Misstrauen und Korruption.

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Mathare, etwa 5 km nordöstlich von Nairobis Zentrum [30]

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Endnoten:

[1] Mathare, Nairobi, Foto Laura Kraft 26.10.2010, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Iron_sheet_and_mud_houses_in_Mathare_(Nairobi)_(5163712556).jpg.[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Zur alternativen Nobelpreisträgerin Phyllis Omido siehe Günther Lanier, Fanal der Hoffnung im Kampf für Umweltgerechtigkeit, Ouagadougou (Africa Libre) 18.10.2023, https://www.africalibre.net/artikel/534-fanal-der-hoffnung-im-kampf-fuer-umweltgerechtigkeit bzw. Wien (Radio Afrika TV) 18.10.2023, https://radioafrika.net/fanal-der-hoffnung-im-kampf-fur-umweltgerechtigkeit/.

[4] Siehe hierzu z.B. Günther Lanier, Die späte Freiheit der Muthoni wa Kirima, Ouagadougou (Africa Libre) 6.9.2023, https://www.africalibre.net/artikel/525-die-spate-freiheit-der-muthoni-wa-kirima bzw. Wien (Radio Afrika TV) 6.9.2023, https://radioafrika.net/die-spate-freiheit-der-muthoni-wa-kirima/ oder Günter Lanier, Land und Freiheit oder Die ungeschriebene Geschichte von morgen, Ouagadougou (Africa Libre) 22.3.2023, https://www.africalibre.net/artikel/497-land-und-freiheit-oder-die-ungeschriebene-geschichte-von-morgen bzw. Wien (Radio Afrika TV) 22.3.2023, https://radioafrika.net/land-und-freiheit-oder-die-ungeschriebene-geschichte-von-morgen/ und auch Günther Lanier, Weißsein in Kenia, Mitte 20. Jahrhundert, Ouagadougou (Africa Libre) 8.3.2023, https://www.africalibre.net/artikel/492-weisssein-in-kenia-mitte-zwanzigstes-jahrhundert bzw. Wien (Radio Afrika TV) 8.3.2023, https://radioafrika.net/weissein-in-kenia-mitte-20-jahrhundert/.

[5] Associate Professor war ihr eigentlicher Titel vor der Emeritierung. Zu ihr und ihrer Expertise siehe z.B. https://theconversation.com/profiles/bodil-folke-frederiksen-1505531.

[6] https://www.crimeresearch.go.ke/wp-content/uploads/2022/04/Organized-Criminal-Gangs-in-Kenya-Report.pdf.

[7] dx.doi.org/10.2139/ssrn.1462685.

[8] https://www.capitalfm.co.ke/news/2024/01/gachaguawe-will-not-allow-attempts-to-revive-mungiki/.

[9] https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/j.1467-7660.2010.01670.x.

[10] https://link.springer.com/chapter/10.1057/9781137444134_9.

[11] https://www.hrw.org/sites/default/files/related_material/Akiwumi.Rift%20Valley.pdf.

[12] https://www.hrw.org/reports/2002/kenya/Kenya0502-06.htm.

[13] https://www.theguardian.com/world/2002/dec/27/kenya.jamesastill.

[14] https://jp.reuters.com/article/idUSL4508248/

[15] https://www.csis.org/blogs/smart-global-health/background-post-election-crisis-kenya.

[16] Partei der Nationalen Einheit, GL.

[17] Orange Demokratische Bewegung, GL.

[18] https://www.independent.co.uk/news/world/africa/kenyan-president-uhuru-kenyatta-funded-and-orchestrated-violence-of-feared-mungiki-militia-after-2007-election-9991224.html.

[19] https://www.pd.co.ke/news/mungiki-gang-on-the-prowl-claim-central-leaders-211431/.

[20] https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/j.1467-7660.2010.01670.x.

[21] https://ssrn.com/abstract=1462685.

[22] https://www.statista.com/statistics/1199555/share-of-ethnic-groups-in-kenya/.

[23] Nationale Jugend-Allianz, GL.

[24] https://theconversation.com/kenya-at-60-the-shameful-truth-about-british-colonial-abuse-and-how-it-was-covered-up-218608.

[25] https://theconversation.com/humiliation-and-violence-in-kenyas-colonial-days-when-old-men-were-called-boy-and-africans-were-publicly-beaten-218261.

[26] https://allafrica.com/stories/200911170573.html/.

[27] https://www.amnesty.org/es/wp-content/uploads/2021/07/afr320082007en.pdf.

[28] https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/j.1467-7660.2010.01670.x.

[29] Das “entitled“ des Originals ist unübersetzbar. Es bedeutet so viel wie privilegiert und diese Privilegien als Rechtsanspruch betrachtend. GL.

[30] Foto SuSanA Secretariat 9.3.2012, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mathare_(6833032600).jpg.

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