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Mma Ngoyi oder Im Schatten der ANC-Prominenz

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Foto: Lilian Ngoyi 1960 bei einer Rede beim Begräbnis ihrer Freundin und Kameradin Ida Mntwana[1]

* * *

Günther Lanier, Wien 24.8.2022[2]

* * *

Nicht, dass sie totgeschwiegen wurde. Das nicht.

Nicht, dass sie vergessen worden wäre. Auch das nicht.

Doch der ihr zustehende Platz ist einer an der Sonne, nicht im historischen Schatten. Ihr gebührt ein Platz an der Seite Madibas[3], nicht einer unter ferner liefen.

Am 9. August 1956 war sie eine der Anführerinnen des Frauenmarsches in Pretoria[4]. Geschätzte 20.000 Frauen – so viele waren nie zuvor mobilisiert worden – aus allen Teilen Südafrikas protestierten gegen die Apartheid-Regierung und die Pass-Gesetze. Bei diesem Marsch wurde das Lied “Wathint’ Abafazki, Wathint’ Imbokotho” geschaffen oder publik gemacht, meist übersetzt mit “You Strike the Women, You Strike a Rock“, also “Greifst du die Frauen an, so beißt du auf Granit“[5].


Lilian Ngoyi [6]

Das Führen von Menschen war ihr nicht in die Wiege gelegt. Lilian Masediba Matabane wurde am 25. September 1911 in Pretoria geboren. Ihre Mutter war Wäscherin, ihr Vater Minenarbeiter – letzterer starb später auch an einer berufsbedingten Lungenkrankheit.

Vier Jahre ging sie zur Schule[7]. Ab 1928 ließ sie sich in Johannesburg am City Deep Mine Hospital drei Jahre lang als Krankenpflegerin ausbilden. In dieser Zeit lernte sie John Gerard Ngoyi kennen, einen LKW-Chauffeur. Mit 19 wurde sie schwanger und gebar eine Tochter, Edith Ngoyi. Mit 23 heiratete sie, doch schon drei Jahre später starb ihr Mann 1937 bei einem Unfall. Sie arbeitete als Schneiderin, teils in Fabriken, teils daheim. Was die den Frauen nicht nur in Südafrika vorbehaltene Reproduktion betrifft, erfüllte sie ihre Pflicht: Als die Frau eines ihrer drei Brüder starb, nahm sie dessen Neugeborenes zu sich, später war es in erster Linie sie, die ihre Eltern pflegte[8].

Politisch tätig wurde Lilian Ngoyi zunächst in den 1940er Jahren im Rahmen der Garment Workers’ Union of South Africa (BekleidungsarbeiterInnen-Gewerkschaft Südafrikas). 1952 trat sie der African National Congress Women’s League (Frauen-Liga des ANC) bei und wurde bald zu deren Präsidentin – in Nachfolge Ida Mntwanas.


Ida Mntwana in den 1950er Jahren [9]

Bei der Gründung der Federation of South African Women (FEDSAW/Föderation südafrikanischer Frauen) 1954 – Ida Mntwana wurde deren erste Präsidentin – spielte Ngoyi eine bedeutende Rolle. Und als erste Frau wurde sie in dieser Zeit auch in den ANC-Vorstand gewählt.

1955 brach sie – gesponsort von der Internationalen Demokratischen Frauenföderation (WIDF)[10] – zu einer großen Reise auf, die sie nicht nur in die Schweiz zum WIDF-“Mütterkongress“, sondern auch nach Großbritannien, Deutschland, Rumänien, Russland und China führte.

Im Jahr darauf fand der große Frauenmarsch statt, dessentwegen Lilian Ngoyi heutzutage vor allem erinnert wird.

1956 war sie eine der 156 Inhaftierten, die wie Nelson Mandela u.v.a.m. im Rahmen des “Hochverratsprozesses“ (Treason Trial) in Südafrikas Geschichte des Widerstands gegen die Apartheid eingingen. Sie wurde 1960 in dieser Sache zwar freigesprochen, hat dadurch aber ihren Maschinistinnen-Job in der Fabrik verloren.

Auch wurde sie bald wieder verhaftet – von den fünf Monaten musste sie 19 Tage in Einzelhaft verbringen. Bei einem neuerlichen Gefängnisaufenthalt waren es dann 71 Tage Einzelhaft – diese lange Zeit der Isolation raubte ihr – auf Dauer – die Fähigkeit, sich zu konzentrieren.


Angeführt von Winnie Mandela tragen ANC-Frauenliga-Mitglieder den Sarg von Ida Mntwana [11]

In der Folge setzte das Apartheid-Regime alles daran, Mma Ngoyi – Mutter Ngoyi –, wie sie liebevoll genannt wurde, zu brechen. Drei Mal je fünf Jahre lebte sie unter einer “Bannverfügung“ (“banning order“), von 1962, 1967 und 1975 an je fünf Jahre, ein Mittelding zwischen Hausarrest und Verbannung. Sie durfte Orlando (Soweto) nicht verlassen und durfte keine andere “gebannte“ Person treffen, durfte keine öffentlichen Veranstaltungen besuchen, keine Reden halten, durfte nicht zitiert werden. 1962-72 durfte sie sich auch bei sich daheim nie mit mehr als einer Person gleichzeitig treffen.

Politische Karriere war unter solchen Umständen keine möglich. Sogar das materielle Überleben als Schneiderin wurde ihr extrem erschwert, konnte sie doch nirgends hinfahren, um sich Stoffe oder anderes Material zu besorgen. Auch verschreckten die häufigen Polizeidurchsuchungen ihre KundInnen.

Zwei Monate vor dem Auslaufen ihrer dritten Bannverordnung starb sie am 13. März 1980. 69 Jahre war sie da. “Freiheit hatte sie zu ihren Lebzeiten nie gekannt, und für ihren Einsatz für diese Freiheit blieb ihr auch die Anerkennung versagt.“[12]

Sie war aus der ArbeiterInnenklasse. Niemand hat eine ausführliche Biographie von ihr verfasst. Sie war nicht die Ehefrau eines berühmten ANC-Führers. Sie war nicht reich und es gibt keine Lilian Ngoyi-Stiftung. Ihre letzten 18 Jahre verbrachte sie quasi in Einzelhaft, auch wenn außerhalb des Gefängnisses. Und sie lebte insbesondere gegen Ende in sehr ärmlichen Verhältnissen.

Dabei war sie in vieler Hinsicht und weit über den Frauenmarsch hinaus eine Pionierin.

Bei ihrem Begräbnis[13] am 24. März 1980 sagte der prominente Anti-Apartheid-Aktivist, Geschäftsmann und Arzt Nthato Harrison Motlana[14], eigentlich müssten Millionen ihrer Beisetzung beiwohnen.

Und der spätere Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu meinte bei derselben Gelegenheit, würde einmal die wahre Geschichte Südafrikas geschrieben, würde dort ihr Name in goldenen Buchstaben aufscheinen.

Sie war eine begnadete, mitreißende Rednerin. Winnie Mandela hat über sie gesagt: “Sie sprach die Sprache der ArbeiterInnen, war selbst eine gewöhnliche Fabriksarbeiterin. Wenn sie gesagt hat, wofür sie stand, konnte sie Emotionen hervorrufen wie niemand sonst.“ Und der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Ezekiel Mphahlele schrieb in einem Drum-Artikel über sie, sie könne mit ihrem kleinen Finger jede ZuhörerInnenschaft durchrütteln, Männer zum Grunzen bringen vor Scham und aus einem Gefühl der Kleinheit[15].

Ich schließe diese Hommage an Mma Ngoyi, der zu Unrecht im Schatten gebliebenen Freiheitskämpferin, mit demselben Foto, mit dem ich sie begonnen habe. Hier ist es nun vollständig: Sie hält eine Rede zu Ehren ihrer Freundin und Kameradin Ida Mntwana bei deren Begräbnis 1960. Mma Ngoyi war da 49 Jahre alt. Genau zwanzig Jahre später, auch im März, wird sie selbst sterben.


Mma Ngoyi [16]

* * *

Endnoten:

[1] Oberster Teil des von GL überarbeiteten Fotos. Angaben zum Foto: Datum – wohl des Hochladens durch Azola Dayile – 7.9.2017, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lilian_Ngoyi_gives_an_oration_at_Ida_Mntwana%27s_funeral.jpg.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Nelson Mandela.

[4] Ihre Freundin Helen Joseph und sie waren die treibenden Kräfte dieses Frauenmarsches.

[5] Gesungen von gegen geschlechtsspezifische Gewalt protestierenden Männern: https://www.facebook.com/watch/?v=798912170889145.

[6] Angaben zum Foto: Datum – wohl des Hochladens – 7.9.2017, von Azola Dayile, leicht überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lilian_Ngoyi.jpg.

[7] In ihrer Doktorarbeit kommentiert Cathy LaVerne Freeman, der Mangel an formeller Bildung hätte sie dazu gebracht, “Menschenführung als Sache des alltäglichen Überlebens anzugehen und nicht von irgendwelchen Theorien oder intellektuellen Positionen aus“ (im Original: “(…) hence approached leadership from everyday survival instead of theory or intellectual positions“), Cathy LaVerne Freeman, Relays in Rebellion: The Power in Lilian Ngoyi and Fannie Lou Hamer, Geschichte-Fakultät der Georgia State University 2009, p.95, https://scholarworks.gsu.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1038&context=history_theses.

[8] Viele der Informationen zu Lilian Ngoyi entnehme ich Martha Evans, Lilian Ngoyi: an heroic South African woman whose story hasn’t been fully told, The Conversation 8.8.2022, https://theconversation.com/lilian-ngoyi-an-heroic-south-african-woman-whose-story-hasnt-been-fully-told-188345. Auch der Anstoß zu meinem Artikel kommt von diesem exzellenten kurzen Artikel von Martha Evans.

[9] Angaben zum Foto: Datum – wohl des Hochladens – 7.9.2017, von Azola Dayile, leicht überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ida_Mntwana_addresses_delegates_at_the_Congress.jpg.

[10] Eine 1945 in Paris gegründete lose Vereinigung antifaschistischer Frauenorganisationen: Fédération Démocratique Internationale des Femmes/FDIF, auf Englisch Women’s International Democratic Federation/WIDF.

[11] Hätte sich Winnies und nicht Nelson Mandelas Linie in den 1990er Jahren durchgesetzt, wäre Südafrika heute ein anderes, vielleicht weniger ungleiches Land… Ich habe dieses Foto schon einmal verwendet, nämlich in Günther Lanier, Der südafrikanische Tod der Revolution. Von Winnie zu Ramaphosa, 20.12.2017, https://www.africalibre.net/artikel/349-der-sudafrikanische-tod-der-revolution-oder-von-winnie-zu-ramaphosa.
Angaben zum Foto (1960): 7.9.2017 (wohl das Hochladedatum), Azola Dayile, leicht überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:ANC_Women%27s_League_carrying_the_coffin_of_Ida_Mntwana.jpg.

[12] Ich übersetze aus Martha Evans, Lilian Ngoyi: an heroic South African woman whose story hasn’t been fully told, The Conversation 8.8.2022, https://theconversation.com/lilian-ngoyi-an-heroic-south-african-woman-whose-story-hasnt-been-fully-told-188345. Im Original: “She never saw freedom in her lifetime, nor did she receive the recognition she deserved for her efforts to achieve it.” Auch die folgenden beiden Absätze lehnen sich an diesen Artikel von Martha Evans an und auch die Zitate von Desmond Tutu, Ezekiel Mphahlele und Winnie Mandela habe ich dort gefunden.

[13] Siehe dazu auch das 4’11’’ kurze Video “Funeral Of Mama Lilian Masediba Ngoyi“ auf https://youtu.be/0fMNcpl8yG8.

[14] Später bekannt als “Vater des schwarzen ökonomischen Empowerments“ (Father of Black Economic Empowerment), weil er wohl dessen Hauptprofiteur war. 1925 geboren, starb er 2008.

[15] Dieses Zitat ist nahezu unübersetzbar – wie üblich habe ich mich lieber vom Text etwas entfernt, um den Sinn beizubehalten. Im Original: “She can toss an audience on her little finger, get men grunting with shame and a feeling of smallness.”

[16] Von GL leicht überarbeitet. Angaben zum Foto: Datum, wohl des Hochladens durch Azola Dayile, 7.9.2017, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lilian_Ngoyi_gives_an_oration_at_Ida_Mntwana%27s_funeral.jpg.
Ich habe nur die zwei im Artikel widergegebenen gemeinfreien Fotos von Lilian Ngoyi gefunden, vom Frauenmarsch gar keine. Weitere Fotos von Mma Ngoyi sind am Ende des oben bereits erwähnten Videos von ihrem Begräbnis zu sehen: https://youtu.be/0fMNcpl8yG8.

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