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Karthago hofieren

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Bild: Die Gründerin Karthagos trifft auf den zukünftigen Gründer Roms.
Von diesem Treffen erzählt Vergil in seinem Epos Aeneis, ein Werk, das anlässlich der Biographie des Aeneas die Größe Roms feiert. Obwohl Dido zu diesem Zeitpunkt eindeutig die Stärkere von den beiden war, ging diese Geschichte für sie schlecht aus.
Was die Parallele zur Gegenwart betrifft, sind Geschlechter und Machtverhältnisse vertauscht: Giorgia Meloni (nach ihr Ursula von der Leyen) kommt Kaïs Saïed in Karthago aufsuchen.[1]

* * *

Günther Lanier, Ouagadougou 21. Juni 2023[2]

* * *

Der Reigen von PolitikerInnen aus der EU, die in den letzten beiden Wochen nach Karthago[3] gepilgert sind, ist wahrhaft beeindruckend. Es begann mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni am 6. Juni, ging am Sonntag darauf weiter mit der Triade Ursula von der Leyen (Präsidentin der Europäischen Kommission), Giorgia Meloni (gleich nochmals) und Mark Rutte (dem niederländischen Ministerpräsidenten) und zuletzt schauten am 19. Juni noch die InnenministerInnen Frankreichs und Deutschlands, Gérald Darmanin und Nancy Faeser, kurz vorbei.

Tunesien geht es wirtschaftlich gar nicht gut.

Den BesucherInnen geht es darum, dem befreundeten Land, das keine 150 km von Sizilien[4] entfernt und ein alter Verbündeter ist, unter die Arme zu greifen, ihm in diesen schweren Zeiten beizustehen.

Deswegen hat von der Leyen seitens der EU 1,05 Mrd. Euro angeboten. Auch Meloni davor und Darmanin danach haben substanzielle Summen in Aussicht gestellt.


Das Treffen von Dido und Aeneas [5]

Ob der Deal zustande kommt, ist nicht sicher.

Der autokratische Staatschef ziert sich.

Tunesien werde für die EU nicht die Grenzwache übernehmen, hat er lauthals verkündet.

Hoppla, ist da etwas schiefgegangen?


Dido & Aeneas [6]

Die EU[7] heizt zwar in Afrika (wie anderswo auch) den brain drain an, schließlich mangelt es ihr an medizinischem und anderweitig gut ausgebildetem Personal, aber sonst hat sie ein riesiges, fast könnten wir sagen existentielles Problem mit Migration. Und die hat zuletzt zwischen Tunesien und Italien massiv zugenommen. Das Mittelmeer überqueren nicht nur, aber insbesondere auch – siehe miese Wirtschaftslage – TunesierInnen.

Erinnern Sie sich an den Arabischen Frühling und wie Gaddafi, als er unsanft mit den Aufständischen umging, 2011 mit Bomben überschüttet wurde? Erinnert Sie der rezente EU-BesucherInnenstrom nicht an diese Bombardements? Damals ging es Paris, London, Rom, Washington, usw. darum, den aufmüpfigen ölreichen libyschen Staatschef vom Thron zu stoßen. Jetzt soll Kaïs Saïed in die Knie gezwungen, zur vollen Mitarbeit bei der MigrantInnenabwehr verpflichtet werden. Heute wird mit Euro geschossen, damals regnete es Bomben. Das Absurde an der Geschichte ist, dass es kein besseres Bollwerk als Gaddafi gegen die Migration gab, der hatte sein Land im Griff. Sein Sturz hat auch indirekt zur vermehrten Attraktivität Europas beigetragen, konnte sich doch seither der Djihadismus im Sahel ausbreiten und dort das Leben teils verunmöglichen, sprich Flüchtlinge und Migrationswillige schaffen.


Fresko Dido und Aeneas aus dem Haus des Kitharaspielers, Pompeji [8]

Angesichts der ökonomischen Schwierigkeiten hatte sich Kaïs Saïed im Februar ganz offen des Rassismus bedient, um abzulenken, um angesichts der eigenen Unfähigkeit, für die wirtschaftliche Krise eine Lösung zu finden, zumindest einen Sündenbock anbieten zu können. Er hatte, sich auf Subsahara-Afrika beziehend, von “Horden von illegalen MigrantInnen“ gesprochen und wie notwendig es sei, dieser Migration rasch einen Riegel vorzuschieben, zumal es sich um ein “zu Beginn dieses Jahrhunderts ausgehecktes kriminelles Unternehmen (handle), um die demographische Zusammensetzung Tunesiens zu ändern“ und das Land in ein “nur afrikanisches“ zu verwandeln und seinen “arabisch-muslimischen“ Charakter auszulöschen[9].

Nach seinem Besuch in Karthago, wo sich der tunesische Präsidentenpalast befindet, bezog sich der französische Innenminister ganz offenbar auf dieses präsidiale Unterbeschussnehmen der illegalen Migration aus Subsahara-Afrika, als er bei einer Pressekonferenz zuerst Kaïs Saïed recht gab, es handle sich nicht darum, Tunesien zum Grenzwächter der EU zu machen, das sei nicht die “Bestimmung“[10] des Landes, aber es gäbe da viele Illegale, die aus dem Süden, aus dem Sahel nach Tunesien kämen, es ginge darum und das liege auch im Interesse Tunesiens, diese Illegalen daran zu hindern, nach Europa überzusetzen[11].

Immerhin: Von “Horden“ hat Gérald Darmanin nicht gesprochen.

Am Tag nach dem Besuch seines Innenministers hat Emmanuel Macron, um den Druck noch ein bisschen zu erhöhen, Kaïs Saïed zu dem noch diese Woche in Paris stattfindenden Gipfel mit dem Thema “Für einen neuen weltweiten Finanzpakt“ eingeladen[12]. Da geht es dann wieder um Migration – oh, ich bitte tausend Mal um Verzeihung: natürlich um Wirtschaft.


Dido und Aeneas in der Höhle [13]

* * *

Endnoten:

[1] Johann Heinrich Tischbein der Ältere, Dido trifft Aeneas, 3.1.1780, überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:The-Meeting-Of-Dido-And-Aeneas.jpg.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Karthago ist heute ein – eher nobler, am Meer gelegener – Vorort von Tunis. Siehe auch Günther Lanier, Erinnerungen an ein anderes Karthago, Ouagadougou (Africa Libre) 19.1.2022, https://www.africalibre.net/artikel/87-erinnerungen-an-ein-anderes-karthago bzw. Wien (Radio Afrika TV) 19.1.2022, https://radioafrika.net/erinnerungen-an-ein-anderes-karthago/.
Zu Tunesien und Tunis siehe auch Günther Lanier, Stimmen, nein Bilder aus Tunis, Ouagadougou (Africa Libre) 17.7.2018, https://www.africalibre.net/artikel/317-stimmen-nein-bilder-aus-tunis sowie Günther Lanier, Sieben Jahre danach. Tunesien braucht eine Revolution, der Jasminaufstand hat nicht gereicht, Ouagadougou (Africa Libre) 1.8.2018, https://www.africalibre.net/artikel/315-sieben-jahre-danach-oder-tunesien-braucht-eine-revolution–der-jasminaufstand-hat-nicht-gereicht.
Die letzten beiden dieser Artikel sind auch erschienen in Günther Lanier, Afrika. Exkursionen an den Rändern des Weltsystems, Linz (guernica Verlag) 2019 (nur beim Verlag erhältlich unter [email protected]), pp.197-203 bzw. pp.209-216.

[4] 145 km. Nach Lampedusa ist es eine Spur weniger, 138 km, und bis zu der sehr viel weniger bekannten, obwohl vier Mal so großen und ebenfalls zu Italien gehörenden Insel Pantelleria nur 60 km.

[5] Francesco di Giorgio-Schule, circa 1480, Tempera auf Holz, Foto Daderot 2.11.2017, leicht überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:The_Meeting_of_Dido_and_Aeneas,_by_the_Studio_of_Francesco_di_Giorgio,_c._1480,_tempera_on_wood_-_Portland_Art_Museum_-_Portland,_Oregon_-_DSC08948.jpg?uselang=de.

[6] Wenceslas Hollar (1607-77), Dido und Aeneas, o.J., leicht überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wenceslas_Hollar_-_Dido_and_Aeneas_(State_5).jpg?uselang=de.

[7] Insbesondere auf Großbritannien trifft das trotz Brexit genauso zu.

[8] Jetzt im Nationalen Archäologie-Museum Neapels; aus der Zeit zwischen 10 vor und 45 nach der Zeitenwende; zugeschnitten GL; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Affresco_romano_-_Enea_e_di.jpg?uselang=de.

[9] Ich übersetze Zitate aus Jeune Afrique & AFP, L’Union africaine condamne les déclarations «choquantes» de Kaïs Saïed sur les migrants, Jeune Afrique 25.2.2023, https://www.jeuneafrique.com/1421747/politique/lunion-africaine-condamne-les-declarations-choquantes-de-kais-saied-sur-les-migrants/. Auch Dominique Sopo, Präsident des französischen Vereins SOS Racisme beschäftigt sich mit diesem Thema in seinem Artikel “L’insoutenable sortie de route de Kaïs Saïed“, Jeune Afrique 24.2.2023, https://www.jeuneafrique.com/1421242/politique/linsoutenable-sortie-de-route-raciste-de-kais-saied/.

[10] Oder “Berufung“ – im Original “vocation“.

[11] Siehe Amira Souilem, En Tunisie, Gérald Darmanin annonce 25,8 millions d’aide «dédiée aux questions migratoires», RFI 19.6.2023, https://www.rfi.fr/fr/afrique/20230619-en-tunisie-g%C3%A9rald-darmanin-annonce-25-8-millions-d-aide-d%C3%A9di%C3%A9e-aux-questions-migratoires

[12] Amira Souilem, Tunisie: le ballet des dirigeants européens suscite le débat, RFI 21.6.2023, https://www.rfi.fr/fr/afrique/20230621-tunisie-le-ballet-des-dirigeants-europ%C3%A9ens-suscite-le-d%C3%A9bat.

[13] Thomas Willeboirts 1646, Bildergalerie Sanssouci, museum-digital:brandenburg, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bosschaert,Thomas_Willeboirts_-_Dido_and_Aeneas_in_the_cave_-_Bildergalerie_Sanssouci.jpeg?uselang=de.

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