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Großmütterliches

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Foto: Die alte Frau und das Meer… [1]

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Günther Lanier, Ouagadougou 1. Mai 2024[2]

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Großmütter stehen selten im Rampenlicht. Großmutterliebe und Großmuttersorge sind allerdings fürs Überleben oft wesentlich. Das gilt auch für reichere Teile der Welt. In traditionellerem Kontext ist die Einbindung der Oma (meist der Vatermutter) in die Kleinkindversorgung institutionalisierter. Das hat sich auch gehalten, wenn die Kinder – und Enkerl – weit weg leben, zum Beispiel jenseits des Atlantiks.

Von dort stammt der erste von drei Beiträgen zum Thema Großmutter.

Auf Laurie Andersons 2010 herausgekommener CD “Homeland“ findet sich ein Lied über die Vergänglichkeit des Lebens (“Transitory Life“), in dem sie beschreibt, wie ihre Oma in ihrem glänzenden schwarzen Sarg liegt, mit Makeup versehen, wie sie es ihr ganzes Leben nie verwendet hatte – in Lauries Ohr bereitet sie sich ein Bett und jede Nacht hört Laurie nun, wie wir durch dieses vergängliche Leben ziehen[3].

Ein Bett im Ohr? Die Erklärung dazu gibt ein anderes Lied derselben CD namens “Der Beginn der Erinnerung“. Dort wird eine Geschichte erzählt aus der Zeit, bevor die Welt begann, als es noch keine Erde gab, kein Wasser, nur Luft – und Vögel, Unmengen Vögel. Landen konnten sie nicht. So flogen sie und flogen. Unter diesen Vögeln war eine Lerche und eines Tages starb ihr Vater. Das war ein wirkliches Problem. Denn da es keine Erde gab, wo sollte der Körper hin? Doch die Lerche fand eine Lösung: Sie beschloss, ihren Vater in ihrem eigenen Kopf zu begraben. Und das war der Beginn der Erinnerung[4].

In einem afrikanischen Kontext hätte Laurie Anderson das Lied vielleicht “Albtraum vorm Weltenbeginn“ genannt. Einen Leichnam für seine ewige Ruhe nicht in Erde zu betten, ist unvorstellbar. Und wenn irgend geht, sollte es seine Erde sein, die, von der er einst hergekommen ist. Und damit ihm “die Erde leicht werde“ muss dann in gebührendem Abstand eine große Trauerfeier folgen. Die erst gibt Verstorbenen den Weg frei, um Ahn oder Ahnin zu werden, die aus dem Jenseits über ihre Nachkommen wachen – so ihrer hienieden angemessen gedacht wird.


Mama Alabo auf Tarkwa Bay Island, Lagos [5]

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Auf die zweite meiner drei Großmutter-Geschichten bin ich bei Sony Labou Tansi gestoßen, in einem Buch[6], das lange nach seinem Tod kritische Texte dieses so unheimlich begabten enfant terrible der afrikanischen Literatur vereinte. Auf Seite 99 schreibt er dort in einem Text, den er “Ich öffne meine Adern dem Wort“ genannt hat:

Letztlich glaube ich, dass ich aus einem ganz einfachen Grund schreibe: Ich habe den tiefen Wunsch, es meiner Großmutter gleichzutun. Wenn sie an dem Ort der Savanne ankam, wo sie ihr Maniok- oder Erdnuss-Feld anlegen wollte, kniete sie sich hin, konzentrierte sich und sprach mit der Erde in Worten voller Sanftheit: ‘Hört her, Steine, Pflanzen, Erdklumpen… Ich werde mir erlauben, in Eurem Haus ein Süßkartoffelfeld einzurichten… Ich werde Eure Geräte und Eure Güter stören…’ Ich glaube, das ist auch mein Job als Schriftsteller: dass ich die Worte störe, die guten Gewissen störe…“[7]

Sony Labou Tansi wurde nicht müde, eine Welt zu stören, wo Unabhängigkeit nur Schein war, sich die falschen ergeben hatten[8], nämlich die Postkolonisierten und Entwicklungszusammengearbeiteten, und er hörte nie auf, anzuschreiben gegen die Verhältnisse. Angesichts des Schweigens und der Brutalität gelte es, etwas auf die Beine zu stellen, das groß genug ist, den Verdammten dazu zu dienen, ihre Erinnerung als Besiegte zu ersetzen – und das gleichzeitig den Wohlhabenden ihre triste Illusion des Sieges raubt[9].

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Meine dritte Großmuttergeschichte ist ein ganzes Buch: 1998 hat Calixthe Beyala “Das kleine Mädchen der Straßenlaterne“[10] veröffentlicht. Widerspenstig und chaotisch wie alle Bücher dieser Rebellin, die vor Konflikten nie zurückgescheut ist[11], ist es unter denen, die ich kenne, ihr zärtlichstes. Sie erinnert sich an ihre Kindheit, die sie in der Obhut ihrer Großmutter in größter Armut in Douala[12] verbracht hat, dieser “Frau des Widerstands, die gegen alles zu kämpfen liebte – die bestehende Ordnung, die heiligen Empfindlichkeiten, die Was-wird-man-denn-sagen – sobald sie das Gefühl hatte, dass es ihrer Gemütsruhe oder ihrer Bestimmung in die Quere kam.“[12a]

Viel ließe sich aus diesem Buch zitieren, darunter die kleinen Weisheiten der Alten, die sie ihrer Enkelin im Lauf der Jahre mitgegeben hat. Ich beschränke mich auf das Erzählen des Buch-Endes. Die Großmutter tut ihren Verwandten und Leuten aus ihrem (verlassenen) Heimatdorf kund, dass sie sich auf eine große Reise begibt[13]. Und sie verteilt unter ihnen ihre Ersparnisse. Nur ihre Enkelin bekommt nichts – außer dem Auftrag, das Königinnenreich ihrer Großmutter wiederaufzubauen. Der Auftrag ist ihr nicht neu. Eine Ente und einen Enterich bekommt sie, die würden für Nachwuchs sorgen, es würde ja darum gehen, das völlig entleerte Dorf des Ursprungs neu zu bevölkern.

Gepäcklos bricht die Großmutter auf. Ihre Enkelin begleitet sie durch Douala. Als sie den Rand der Stadt erreichen, beginnt es hell zu werden. Als sie den Waldrand erreichen, sagt ihr die Großmutter: “Du musst jetzt zurück. Von nun an befinde ich mich im Reich meiner AhnInnen“[14].

Jeder Widerspruch wäre vergebens gewesen. Die Füße der Enkelin sind wie festgewachsen. Ein letztes Mahnen, den Wiederaufbau des Königinnenreiches nicht zu vergessen. Dann setzt sich die Großmutter langsam in Bewegung. Hinter ihr geht die Sonne auf. Sie verschwindet im Grün der Blätter, der Bäume, der Lianen. “Ich liebe dich, Großmutter!“, brüllt die Enkelin ihr nach, während die Stadt in ihrem Rücken langsam aufzuwachen beginnt.

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Was für eine Art, zu gehen!


Die alte Frau und das Meer… [15]

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Endnoten:

[1] Erstes Foto einer Dreier-Serie von Ei’eke 14.5.2019, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Eiseke_Bolaji_-The_Old_woman_and_the_sea_001.jpg.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren! Am 2.5.2024 habe ich ein Zitat ergänzt (das der Fußnote 12a).

[3] Übersetzung GL. Hier der Text im Original: “And grandma in the pancake makeup she never wore in life/Lies there in her shiny black coffin looks just like a piano./She made herself a bed inside my ear./She made herself a bed inside my ear./And every night I hear/We’re sailing through this transitory life./We’re moving through this transitory life.”

[4] Übersetzung GL. Hier abermals der Text im Original: “There’s a story in an ancient play about birds called The Birds/And it’s a short story from before the world began/From a time when there was no earth, no land./Only air and birds everywhere./But the thing was there was no place to land./Because there was no land./So they just circled around and around./Because this was before the world began./And the sound was deafening. Songbirds were everywhere./Billions and billions and billions of birds./And one of these birds was a lark and one day her father died./And this was a really big problem because what should they do with the body?/There was no place to put the body because there was no earth./And finally the lark had a solution./She decided to bury her father in the back if her own head./And this was the beginning of memory./Because before this no one could remember a thing./They were just constantly flying in circles./Constantly flying in huge circles.”

[5] Foto Ei’eke 11.5.2019, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Eiseke_Bolaji_-The_Old_Woman_and_the_Sea_002.jpg.

[6] Sony Labou Tansi, Encre, sueur, salive et sang. Textes critiques, Paris (Editions du Seuil) 2015. Gestorben ist Sony Labou Tansi zwanzig Jahre vor dem Erscheinen des Buches, 1995.

[7] Übersetzung GL. Im Original: “Je crois, tous les comptes faits, que j’écris pour une raison aussi simple que le désir profond d’imiter ma grand-mère qui, lorsqu’elle arrivait à l’endroit de la savane où elle devait faire son champ de manioc ou d’arachides, se mettait à genoux, se concentrait et parlait à la terre avec des mots remplis de douceur: ‘Ecoutez, pierres, plantes, mottes de terre… Je vais me permettre de faire un champ de patates dans votre maison… Je vais déranger vos ustensiles et vos biens…’ Je crois que c’est cela aussi, mon métier d’écrivain : déranger les mots, déranger les bonnes consciences…

[8] Siehe Sony Labou Tansi, Encre, sueur, salive et sang. Textes critiques, Paris (Editions du Seuil) 2015, p.69.

[9] Der zweite Satzteil ist keine eins-zu-eins Übersetzung, aber sehr nahe an ebd., pp.113f.

[10] Es gibt es nur im französischen Original: Calixthe Beyala, La petite fille du réverbère, Paris (Albin Michel) 1998.

[11] Als bekennende Feministin konnte und kann sie das auch gar nicht.

[12] Die Wirtschaftsmetropole Kameruns.

[12a] Calixthe Beyala, La petite fille du réverbère, Paris (Albin Michel) 1998, p.163. Übersetzung GL.

[13] Ebd., p.228.

[14] Ebd., p.232.

[15] Foto Ei’eke 11.7.2007, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Eiseke_Bolaji_-The_Old_woman_and_the_sea_003.jpg.

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