Radio Afrika TV

Gestohlenes Humankapital

Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on whatsapp
Share on email
Share on print
  • Home
  • Gestohlenes Humankapital

Circa 400 vor der Zeitenwende: Vor dem Einbalsamieren der Mumie wurden außer dem Herz alle Organe entfernt und in den vier Kanopenkrügen (unter dem Löwenbett) aufbewahrt. Der Schakalköpfige ist Anubis, Totengott und sakraler Herr der Balsamierungshalle [1]

* * *

Günther Lanier, Ouagadougou 23. August 2023[2]

* * *

Zu Kolonialzeiten war es Kunst, die gestohlen wurde. Und Menschen, versklavte.

Heute werden Organe gestohlen, Gehirne, mitsamt der Menschen.

Brain drain heißt das, auch auf Deutsch.

Diesem Aderlass sind viele afrikanische Staaten ausgesetzt. Besonders schlimm wirkt er sich im Bereich Gesundheit aus: Daheim macht sich dann das Fehlen des medizinischen Personals grausam bemerkbar – ÄrztInnen, aber bei weitem nicht nur sie, denen im Globalen Norden sehr viel höhere Gehälter gezahlt und sehr viel bessere Arbeitsbedingungen geboten werden[3].


Reiseapotheke Theodore Roosevelts bei seiner Großwildjagd-Reise in Ostafrika 1909/10 [4]

Dass es da ein Problem gibt, ist auch der Weltgesundheitsorganisation WHO aufgefallen[5]. Auf der Basis einer Resolution aus dem Jahr 2004[6] wurde daher im Mai 2010 auf der 63. Weltgesundheitsversammlung der “WHO-Verhaltenskodex zum Internationalen Anwerben von Gesundheitspersonal“ beschlossen[7].

Diesem Verhaltenskodex unterwerfen sich WHO-Mitglieder freiwillig.

Es ging darum, Prinzipien und Praktiken für ein ethisches Anwerben von Gesundheitspersonal festzulegen und zu fördern, welche die Rechte, Verpflichtungen und Erwartungen von Herkunftsländern, Zielländern und migrierendem Gesundheitspersonals berücksichtigen (Punkt 1 von Artikel 1/Ziele).

In dem Verhaltenskodex folgen dann auf sieben dichtbedruckten Seiten im abgehobenen Englisch internationaler Vereinbarungen die Artikel 2/Wesen und Geltungsbereich, 3/Leitideen, 4/Verantwortlichkeiten, Rechte und Anwerbepraktiken, 5/Entwicklung der Gesundheitsarbeitskräfte und Nachhaltigkeit des Gesundheitssystems, 6/Datenerhebung und Forschung, 7/Austausch von Informationen, 8/Anwendung des Verhaltenskodexes, 9/Monitoring und institutionelle Gestaltung und 10/Partnerschaften, technische Zusammenarbeit und finanzielle Unterstützung.


Arzt im Labor des Laquintinie-Krankenhauses von Douala [8]

Alle drei Jahre wird die Implementierung des Verhaltenskodexes durch die WHO-Mitglieder überprüft. So geschehen 2013, 2016, 2019 und abermals 2022, jeweils im Mai. Der WHO-Generaldirektorin oder dem WHO-Generaldirektor obliegt diesbezüglich die Berichterstattung. Das geschah auch am 3. Mai 2022 – der Bericht “Humanressourcen für Gesundheit“[9] stellte anlässlich der 75. Weltgesundheitsversammlung unter anderem fest, dass nur 81% der WHO-Mitglieder (158 Staaten) dem Sekretariat die designierte, für den Kodex zuständige nationale Behörde mitgeteilt und nur 77 Staaten (in denen 55% der Weltbevölkerung lebten) ihren periodischen Bericht geliefert hatten. In Afrika[10] waren nur Simbabwe, Burundi, Uganda, Somalia, Äthiopien, Sudan, Ägypten, Nigeria, Ghana, Liberia und Marokko ihren Pflichten in Sachen Kodex vollständig nachgekommen – während Madagaskar, Lesotho, eSwatini, Mosambik, Botswana, Kongo-Kinshasa, Kongo-Brazzaville, Gabun, Äquatorialguinea, Südsudan, Eritrea, Niger, Burkina Faso, Mali, Guinea, Sierra Leone, Guinea-Bissau, Senegal, Mauretanien und Algerien nicht einmal zuständige Behörden designiert hatten[11].

Eigentlich überraschend, dass viele der vom medizinischen Brain drain hauptbetroffenen Länder sich bei dieser Initiative als so wenig eifrig erweisen.

Im 2022er Verhaltenskodex-Bericht war vermutet worden, dass bereits unter niedriger Gesundheitspersonaldichte leidende Länder im Gefolge der Pandemie noch verletzlicher geworden sein könnten. Daraufhin wurde abermals die beratende ExpertInnengruppe[12] einberufen, um zu prüfen, ob eine Revision und Ausweitung der Schutzmaßnahmen gegen aktive internationale Abwerbungen nötig seien.

Das wichtigste Ergebnis der Arbeit dieser beratenden ExpertInnengruppe ist die aktualisierte Liste der Länder, die angesichts der Ausdünnung von medizinischem Personal akut der Unterstützung bedürfen. Diese Liste umfasst 55 Staaten – drei Viertel davon, 40, liegen in Afrika[13]. Hier eine kartographische Darstellung, welche 40 afrikanischen Staaten hauptbetroffen sind:


Bleibt nur ein kleiner Teil Afrikas, wo das medizinische Personal halbwegs ausreicht: Nordafrika, Kenia, eSwatini, Namibia, Botswana, Südafrika, die Inselstaaten (mit Ausnahme Madagaskars und der Komoren) [14]

Für diese Länder wird gefordert, dass sie in Sachen Gesundheitspersonalentwicklung und das Gesundheitssystem betreffende Unterstützung Priorität erhalten und dass Schutzmaßnahmen ergriffen werden, die aktives Abwerben von Gesundheitspersonal aus dem Ausland verhindern oder zumindest vermindern[15].

* * *

Endnoten:

[1] Sarkophag aus der Zeit der 27.-31. Dynastie (525-332 vor der Zeitenwende). Foto André 19.6.2009, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:WLANL_-_andrevanb_-_kist_uit_de_27-_31e_dynastie_(4).jpg.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Was die folgende Nachricht aus Mozambique betrifft, so ist ein direkter Vergleich nicht möglich, doch lässt sich abschätzen, wie gravierend sich solcher Mangel auswirkt: Im Zentralspital von Maputo starben aufgrund eines bisher 40 Tage dauernden Streiks des medizinischen Personals mindestens 620 PatientInnen. Siehe BBC Africa Live 21 August 2023 um 11h52.

[4] FotografIn und Datum unbekannt; leicht zugeschnitten GL; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Roosevelt%27s_medicine_chest_1909.jpg

[5] Für die Weltgesundheitsorganisation ist auch im Deutschen das englische Akronym WHO = World Health Organisation üblich. Die Anregung zu meinem heutigen Artikel und insbesondere den Hinweis auf die WHO-Liste vom März 2023 verdanke ich einem Kurzartikel im Radio Afrika TV Newsletter 4/2023 vom 21.8.2023.

[6] Und zwar geschah dies auf der 57. Weltgesundheitsversammlung: WHA57.19 International migration of health personnel: a challenge for health systems in developing countries.

[7] WHO Global Code of Practice on the International Recruitment of Health Personnel, https://www.who.int/publications-detail-redirect/wha68.32.

[8] Das am Meer gelegene Douala ist die ökonomische Hauptstadt Kameruns. Foto Happi Raphael 27.4.2021, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Medical_Doctor_on_a_microscope_in_a_medical_lab._Hopital_Douala_Cameroun_29.jpg

[9] Generaldirektor, Human resources for health. WHO Global Code of Practice on the International Recruitment of Health Personnel: fourth round of national reporting, WHO 3. Mai 2022. WHO-Dokumente wie dieses, lauter pdf-Dokumente, sind leicht per Google auffindbar – hier könnte ich nur die umständlich langen google-links anführen, die direkt zu den pdf-Dateien führen.

[10] Bei der Kontinent-Aufteilung der Weltgesundheitsorganisation gilt es aufzupassen: Die “Afrikanische Region“  der WHO hat nur 47 Länder, darunter Algerien. Hingegen gehören die anderen Länder Nordafrikas (Marokko, Tunesien, Libyen, Ägypten), der Sudan, Djibouti und Somalia zur “Östlichen Mittelmeer-Region“ (Eastern Mediterranean Region).

[11] Ich entnehme diese Informationen der Weltkarte, die in dem 2022er Bericht auf p.4 abgebildet ist. Die Inselstaaten (mit Ausnahme von Madagaskar) sind dort nicht erkennbar – ebenso ist der Status von Gambia nicht ersichtlich.

[12] Auf Englisch klingt es schöner: Expert Advisory Group.

[13] Weltgesundheitsorganisation, WHO health workforce support and safeguards list 2023, Genf (WHO) 2023, https://www.who.int/publications/i/item/9789240069787. Die Länderliste findet sich ebd., p.4.
Die 15 in der Liste angeführten Staaten außerhalb von Afrika sind: Haiti, Afghanistan, Pakistan, Jemen, Bangladesch, Nepal, Timor-Leste, Kiribati, Laos, Mikronesien, Papua-Neuguinea, Samoa, Salomonen, Tuvalu und Vanuatu.

[14] Somaliland wird nicht separat ausgewiesen. Die Westsahara auch nicht. Dass eSwatini genug medizinisches Personal haben sollte, wundert mich.

[15] Ebd. p.2.

Afrika Tv

Tue 18:00 - 18:30
Wed 16:00 - 16:30
Thu 14:00 - 14:30
Fri 12:00 - 12:30
Sat 10:00 - 10:30
Sun 08:00 - 20:30

Radio Afrika International

On Orange FM 94.0 MHZ

Mon 09:00 - 10:00
Tue 09:00 - 10:00
Wed 09:00 - 10:00
Thu No Transmition
Fri 09:00 - 10:00
Sat 09:00 - 10:00
Sun 09:00 - 10:00

Radio Afrika International

On Ö1 campus

Mon 15:00 - 17:00
Tue 15:00 - 17:00
Wed 15:00 - 17:00
Thu 15:00 - 17:00
Fri 15:00 - 17:00
Sat 15:00 - 17:00
Sun 15:00 - 17:00

Current Events

take a look at the events that are happening right now.

Radio Afrika Tv Newsletter

Sign up to be inside the updates that Radio Africa Tv publishes

Radio Afrika youtube channel

Radio Afrika Tv Podcast

Newsletter Abonnieren

Bleiben Sie mit unserem monatlichen Newsletter über unsere Arbeit informiert!