Papaya, Innenansicht [1]
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Günther Lanier, Ouagadougou 19. Juli 2023[2]
Die Kupferköniginnen (Copper Queens) sind 77. in der Welt[3] und damit die niedrigstgereihte Frauschaft, die an der derzeitigen Fußballweltmeisterinnenschaft in Australien und Neuseeland teilnimmt. In ihrem Eröffnungsspiel gegen Japan hatte Starspielerin, Sturmspitze und Kapitänin Barbra Banda vorne keinen Ball gesehen. Heute gegen das von der FIFA[4] sechstgereihte Spanien verzeichnete sie in der 9. Minute den ersten Torschuss für ihre Seite, in der 27. Minute hatte sie die nächste Möglichkeit. Trotz der Anfeuerungen nicht nur aus sambischen ZuschauerInnenreihen hatten die Copper Queens auch in der Folge wenig Chancen auf ein Tor (in der 81. Minute ging ein Schuss Bandas an die Querlatte) und verloren schlussendlich 0:5[5]. In der Vorbereitung auf die WM hatten die Sambierinnen mit einem 3:2 gegen das in der Welt zweitgereihte Deutschland aufmerken lassen – bei dem Match waren Banda zwei Tore gelungen[6].
In Japan hat Banda 2020 olympische Geschichte geschrieben – sie war die erste, die in zwei aufeinanderfolgenden Spielen Hattricks (drei Tore in einem Spiel) erzielte (zuerst gegen die Niederlande, dann gegen China). Zwei Jahre später wurde sie dann aber gemeinsam mit drei Teamgefährtinnen von den Afrikameisterinnenschaften ausgeschlossen. Die vier waren beim Test ihrer Weiblichkeit durchgefallen, hatten zu hohe Testosteronwerte (das wichtigste männliche Geschlechtshormon). Der afrikanische Fußballverband hat diesbezüglich strengere Regeln als Olympia. Human Rights Watch bezeichnete den Ausschluss als klare Verletzung ihrer Menschenrechte. Das Verfahren wäre “stigmatisierend, stereotypisierend und diskriminierend“[7] gewesen. Sambias Frauschaft erreichte trotzdem den dritten Platz – wären Banda und die drei anderen dabei gewesen, hätten sie gewonnen, hieß es im Land…
An der Weltmeisterinnenschaft darf Barbra Banda teilnehmen, die FIFA hat keine Testosteronregeln, sie sei “mit unterschiedlichsten Experten aber dran am Thema, welches sehr komplex sei.“[8]
Banda hier beim erfolgreichen Auftritt gegen Deutschland in Fürth, 7.7.2023. Ihr Gesichtsausdruck passt aber zu den ersten beiden Ergebnissen Sambias bei der Weltmeisterinnenschaft [9]
Die einst angeblich gott- oder naturgegebenen binären Geschlechteridentitäten sind glücklicherweise stark in Fluss geraten, auch wenn nach wie vor viel gestritten wird rund um das Thema (wie ja allgemein rund um die unheilvollen Identitäten).
“Bei der Geburt sind Krabben männlich, sie werden zur Lebensmitte weiblich. Traumhaft! Beide Seiten kennen! Ich würde als Knäblein geboren, erwartet. Der Familienkreis würde tosenden Beifall spenden, sie würden mir alle Rechte zugestehen und mich mit der für die Konfrontation mit der Welt nötigen Selbstsicherheit ausstatten. Mit dieser wertvollen Wegzehrung versehen würde ich auf halbem Weg zur Frau, um fortan ein erfülltes Leben zu führen.“[10]
Kugelfische – hier ein Perlhuhn-Kugelfisch (Arothron meleagris) – sind Beispiele für Erstmännlichkeit/Proterandrie [11]
“Das Phänomen des Geschlechtswechsels ist im “Tierreich“ so selten nicht. Anders als bei transsexuellen Menschen ist es dort aber vorprogrammiert. Es wird sequenzieller Hermaphroditismus genannt, es gibt die Erstmännlichkeit (Proterandrie), die ist deutlich häufiger als die zweite Form, die Erstweiblichkeit (Proterogynie).
Nicht alles bleibt, wie es ist.
Auch sonst entspricht im Tierreich nicht alles dem Schema F, dass Männchen stärker, auffälliger und dominanter sind als die Weibchen. Hyänen z.B. leben im Matriarchat, weibliche Hyänen sind größer, haben mehr Testosteron und verfügen über Pseudo-Penisse[12].“[13]
aufgeblasener Perlhuhn-Kugelfisch – bei Gefahr pumpen Kugelfische Wasser in eine bauchseitige, sackartige Erweiterung des Magens [14]
Auch Kompassquallen und Seesterne sind Beispiele für Erstmännlichkeit/Proterandrie. Einen besonderen Fall stellen die Anemonenfische (Amphiprion) dar, oft auch Clownfische genannt. Wie die Kugelfische sind auch sie im indo-pazifischen Raum daheim, in Afrika zum Beispiel im Roten Meer. Sie leben in polyandrischen (Polyandrie ist Vielmännerei) Gruppen, die von einem Weibchen geführt werden. Sie ist die Größte. Alle anderen in der Gruppe sind Männchen. Nur die Nummer 2 in der Gruppenhierarchie ist geschlechtsreif, alle anderen haben sozusagen die Pubertät noch nicht erreicht. Das für die Fortpflanzung zuständige Männchen kümmert sich auch um die “Brutpflege“: Es belüftet und reinigt die Eier, die das Weibchen in der schützenden Anemone oder in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft gelegt hat.
Ein Anemonenfischweibchen wird bis zu 30 Jahre alt. Stirbt es, so verwandelt sich die Nummer 2 in ein Weibchen – ein Prozess, der sofort beginnt, aber ein Jahr dauert – und die bisherige Nummer 3 wird geschlechtsreif[15].
Papaya-Blüte am weiblichen Baum [16]
Sie kennen sicher Papayas. Es handelt sich eigentlich um Beeren. Die auch Melonenbäume genannten Papaya-Bäume (Carica papaya) sind entweder weiblich oder männlich oder hermaphroditisch. Ob männlich/weiblich (zweihäusig/diözisch) oder hermaphroditisch (einhäusig/monözisch) hängt nicht vom einzelnen Exemplar ab, sondern von der Sorte[17].
Nun sind die Blüten hübsch und Papayas können köstlich sein, die “Bäume“ – die Stämme sind nicht aus Holz, somit sind es keine wirklichen Bäume, sondern ein “baumförmiges Kraut“[18] – sind jedoch keine besondere Zierde. GärtnerInnen werden sie ihrer Früchte wegen halten. Dann sind bei den zweihäusigen Sorten die männlichen Exemplare zwar nicht überflüssig, weil zur Befruchtung sind sie ja notwendig, aber eine Enttäuschung, weil sie keine Früchte tragen. Werden viele Papaya-Bäume großgezogen, so reicht ein 10-15%iger männlicher Anteil für die Befruchtung[19].
Der Enttäuschung der GärtnerInnen kann jedoch abgeholfen werden. Die Methode ist einfach. Ist das männliche Geschlecht einer Pflanze etabliert – was nur anhand der Blüten einwandfrei möglich ist –, dann braucht es einen Spieß, sei er aus Holz oder Metall und dieser muss in Bodennähe waagrecht mitten durch den Stamm getrieben werden (au!). Dort bleibt er – und der Papaya-Baum wird nach drei Monaten weiblich geworden sein[20].
Eine andere Methode ist, den Papaya-Mann zu köpfen (au!), also den Blätterteil zu entfernen und dann das obere Ende des Stammes mit einem Messer oder einer Machete etwa 10 cm tief einzuschneiden (au!), ein zweites Mal im 90°-Winkel dazu (au!) und dann einen dünnen Spieß dort hineinzutreiben, wo sich die beiden Schnitte treffen (au!) – der Stamm darf dabei nicht bersten – und stecken zu lassen[21].
Auch so wird die Geschlechtsumwandlung ein Vierteljahr später vollzogen sein.
Insbesondere bei hohen Temperaturen oder auch in Funktion der Niederschläge können Geschlechtsumwandlungen bei Papaya-Bäumen auch spontan, also ohne Menscheneinwirkung, erfolgen[22].
Papaya-Blüte am männlichen Baum [23]
Zum Abschluss noch einmal zurück zu den Menschen.
Christine Mboma lief bei den olympischen Spielen in Tokio mit ihrem Weltrekord für Unter-20-Jährige über 200 Meter zur Silbermedaille. Über 400 Meter durfte sie nicht antreten, da bei einem Trainingsaufenthalt in Italien bei ihr zu hohe Testosteronwerte festgestellt worden waren – die Werte wurden von Namibias Nationalem Olympischen Komitee bestritten. Nach den neuen Regeln des Leichtathletik-Weltverbandes World Athletics müsste sie sich einer Hormontherapie unterziehen, um an Wettkämpfen teilzunehmen. So wird sie die Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Budapest in der zweiten Augusthälfte 2023 versäumen.
Das sind dieselben Probleme, die seit Jahren ihrer berühmteren südafrikanischen Kollegin Caster Semenya das Leben schwermachen. Ich habe ihr bereits Ende 2017 hier einen Artikel gewidmet[24].
In einem Prozess, der sich auch auf Christine Mbomas Zukunft auswirken könnte, hat Caster Semenya vor kurzem Recht bekommen. Sie hatte sich zunächst an den Internationalen Sportgerichtshof CAS gewandt, dann an das Schweizer Bundesgericht, welches das abschlägige CAS-Urteil überprüfen sollte. Das fiel für Semenya jedoch ebenso negativ aus. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat nun entschieden, dass Semenyas Menschenrechte von den beiden Gerichten nicht ausreichend berücksichtigt worden seien, insbesondere ihr Recht auf Nicht-Diskriminierung bezüglich Privat- und Familienleben und ihr Recht auf wirksame legale Abhilfe[25].
So erfreulich dieses Urteil ist, so wenig ändert sich dadurch, zumindest vorerst. World Athletics ist zwar der Dachverband aller nationalen Sportverbände für Leichtathletik, aber eine private Struktur. Somit ist das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für den Verband in keiner Weise bindend.
Dennoch steht zu hoffen, dass es auf die künftige Politik und Regelgestaltung von World Athletics (und anderer privater Sport-Verbände) Einfluss haben wird, dass Menschen- und Frauenrechte mehr Berücksichtigung finden werden. Schließlich muss sich der Verband ja auch um sein Image kümmern – eine Flut von Prozessen wäre dem kaum dienlich.
Christine Mboma in der Sam Nujoma-Stiftung, Walvis Bay, Namibia [26]
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Endnoten:
[1] Foto Ivar Leidus 4.2.2022, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Papaya_-_longitudinal_section_close-up_view.jpg.
[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!
[3] Siehe https://www.fifa.com/fifa-world-ranking/women?dateId=ranking_20230609. Österreich ist auf Platz 18, nimmt an der WM jedoch nicht teil.
[4] Der Weltfußballverband. Das Akronym entstammt dem Französischen: FIFA = Fédération Internationale de Football Association.
[5] Siehe https://www.bbc.com/sport/live/football/65565257. 0:5 war auch das Endergebnis von Sambias erstem Spiel gegen Japan gewesen.
[6] Von Sofascore hatte sie dabei die Note 8,3 zugeteilt bekommen, das ist für zwei Tore eigentlich wenig. Siehe https://www.sofascore.com/fr/equipe/football/zambia/288601.
[7] Der Standard, Fußball-WM: Hohe Testosteronwerte? Sambias Kapitänin im Fokus und gegen die Widerstände, Wien (Der Standard) 25.7.2023, https://www.derstandard.at/story/3000000180468/fu223ball-wm-gegen-alle-widerst228nde-sambias-kapit228nin-im-fokus.
[8] Olaf Jansen, Sambias Barbra Banda – wie viel Testosteron erlaubt die FIFA? Sportschau 7.7.2023, https://www.sportschau.de/fussball/fifa-frauen-wm/barbra-banda-sambia-100.html.
Zu Barbra Banda siehe auch Eleanor Lee, From amateur boxer to top goalscorer – how Zambia captain Barbra Banda is writing herself into history, International Olympic Committee 20.7.2023, https://olympics.com/en/news/fifa-women-world-cup-2023-zambia-captain-barbra-banda-interview.
[9] Foto Steffen Prößdorf am 7.7.2023 um 21h14, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2023-07-07_Fussball,_Frauen,_L%C3%A4nderspiel,_Deutschland_-_Sambia_1DX_7059_by_Stepro.jpg.
[10] Monique Ilboudo, Carrefour des Veuves, Pointe-Noire (Les Lettres Mouchetées) 2020, p.47, (etwas freie) Übersetzung GL.
Carrefour des Veuves ist der letzte Roman der bekennenden Feministin, ehemaligen Menschenrechtsministerin (2002-08), ehemaligen burkinischen Botschafterin in Kopenhagen (bis 2015). Seither unterrichtet sie wieder an der juridischen Fakultät der Uni in Ouagadougou.
[11] Perlhuhn-Kugelfische leben in Korallenriffen, in Afrika vor den ost- und südafrikanischen Küsten. Foto Bryan Harry des National Park Service der USA, ohne Datum (spätestens 9.11.2006), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Arothron_meleagris_by_NPS.jpg.
[12] Siehe Louise Gentle, Sex and power in the animal kingdom: seven animals that will make you reconsider what you think you know, The Conversation 27.9.2022, https://theconversation.com/sex-and-power-in-the-animal-kingdom-seven-animals-that-will-make-you-reconsider-what-you-think-you-know-191369. Auch sequenzieller Hermaphroditismus wird dort en passant erwähnt.
[13] Zitiert aus Günther Lanier, Blick ändern, Blick schärfen oder Dauerkrise Weltsystem am Beispiel des Sahel, Ouagadougou (Africa Libre) 5.10.2022, https://www.africalibre.net/artikel/467-blick-andern–blick-scharfen-oder-dauerkrise-weltsystem-am-beispiel-des-sahel bzw. Wien (Radio Afrika TV) 5.10.2022, https://radioafrika.net/dauerkrise-weltsystem-am-beispiel-des-sahel/
[14] Foto Bill Eichenlaub des National Park Service der USA, ohne Datum (spätestens 9.11.2006), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Arothron_meleagris_by_NPS_1.jpg.
[15] Siehe z.B. Fishipedia, Poisson-clown du Pacifique, ohne AutorIn od. Datum, https://www.fishipedia.fr/fr/poissons/amphiprion-percula.
[16] Foto Pancrat, ohne Datum, spätestens 26.4.2009, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Carica_papaya_fl_fem.jpg.
[17] Es gibt auch noch Mischformen von ein- und zweihäusig, die heißen subdiözisch, auf Deutsch wird von polygamer Geschlechtsverteilung gesprochen. Dabei hat eine Pflanzenart ein dominierendes Geschlecht, dazu noch hermaphroditische Blüten oder Blüten des anderen Geschlechts.
[18] Siehe z.B. https://mundraub.org/blog/fruechte-selber-pfl%C3%BCcken-asien-mundraub oder https://www.fruchtsommelier.de/fr%C3%BCchte/was-ist-eine-frucht/papaya/.
[19] Siehe B. Mulat vom Institut Français de Recherches Fruitières Outre-mer, Quelques conseils pour la culture du papayer, Fruits (document IFAC) Bd.19, Nr.9, Jänner 1964, pp.536-38, https://revues.cirad.fr/index.php/fruits/article/view/33402.
[20] Dazu gibt es Videos, z.B. https://www.youtube.com/watch?v=kkIkoyqUESM. Ein Agriculteurs Modernes-Video rät, zwei Spieße in Bodennähe in den Stamm zu treiben, der zweite im 90°-Winkel zum ersten und etwas oberhalb; siehe https://www.youtube.com/watch?v=3VJ7Ewo0SuA.
[21] Ein zweites Agriculteurs Modernes-Video zeigt diese Methode: https://www.youtube.com/watch?v=q-og4TNQs3M.
[22] Siehe z.B. http://www.itfnet.org/gfruit/Template%20France/papaya.biology.htm.
[23] Foto Pancrat, ohne Datum, spätestens 26.4.2009, leicht zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Carica_papaya_fl_male.jpg.
[24] Günther Lanier, Im Sport war doch immer alles einfach… oder: Geschlechtsfestlegung durch die Öffentlichkeit, Ouagadougou (Africa Libre) 8.11.2017, https://www.africalibre.net/artikel/356-im-sport-war-doch-immer-alles-einfach-oder-geschlechtsfestlegung-durch-die-oeffentlichkeit bzw. Wien (Radio Afrika TV) 8.11.2017.
[25] Siehe hierzu und zum Folgenden vor allem Eleanor Drywood, Caster Semenya’s legal victory is significant for human rights, but doesn’t necessarily mean she’ll be able to compete again – here’s why, The Conversation 14.7.2023, https://theconversation.com/caster-semenyas-legal-victory-is-significant-for-human-rights-but-doesnt-necessarily-mean-shell-be-able-to-compete-again-heres-why-209706.
[26] Sam Nujoma war 1990-2005 Namibias erster Präsident. Foto Kashindi Ausiku 24.11.2021, zugeschnitten und überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Henk_Botha,_Beatrice_Masilingi,_Sam_Nujoma,_Christine_Mboma_at_Sam_Nujoma_Foundation.jpg.
