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Geschichten aus Ouidah und Dahomey, heute Benin. Von Afro-BrasilianerInnen, rituellen Königsbräuten und falschen Amazonen

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Günther Lanier, Ouagadougou, 10.6.2020.

Benin ist en ziemlich kleines Land, mit 114.763 km2 nicht viel größer als Österreich. Knapp über 12 Millionen EinwohnerInnen bedeuten auch eine nahezu idente Bevölkerungsdichte von 105 pro km2. Sonst fallen mir keine Parallelen ein – ÖsterreicherInnen waren und sind meines Wissens auch an der Geschichte und Gegenwart des Landes am Golf von Guinea kaum beteiligt.

Die erste große zivilisatorische Wohltat, die Europa Afrika brachte, quasi seine Erbsünde, war bekanntermaßen der Dreieckshandel. Und “SklavInnenküste“ wurde das Atlantikufer hier einst genannt – die Küste des heutigen westlichen Nigeria, Togo und Benin war damit gemeint. Mit Ouidah verfügt das heutige Benin über eines ihrer ehemaligen Zentren. Eine Kleinstadt 38 km westlich der Metropole Cotonou, die heute in ihrem Zentrum entgegen ihrer brutalen Vergangenheit eine charmant-verträumte Ausstrahlung hat.

Hier ein paar Kilometer südlich, am Strand, die “Pforte ohne Wiederkehr“, das Monument wurde 1995 errichtet.

 [1]

In Benin werden ungefähr 60 Sprachen gesprochen. Am weitesten verbreitet – weit über die Landesgrenzen hinaus, ist das Fon, das auch die Muttersprache Angélique Kidjos, der berühmtesten Sängerin des Landes, ist. Während der Kolonialmacht sei Dank Französisch die offizielle Landessprache ist, gab es vorkolonial starke lusophone (portugiesische) und zwar brasilianische Einflüsse.

Das hat viel mit einem Mann zu tun, dem der britische Schriftsteller Bruce Chatwin mit seinem “Der Vizekönig von Ouidah“[2] ein Denkmal gesetzt hat: Francisco Félix de Sousa. Werner Herzogs Verfilmung “Cobra Verde“ mit Klaus Kinski in der Hauptrolle transponierte die Geschichte 1987 nach Elmina (bei Cape Coast, Ghana).

Wann er geboren wurde, ist nicht sicher. Wann er von Brasilien nach Afrika kam, auch nicht, um 1800 herum dürfte es jedenfalls gewesen sein. Jedenfalls soll er der Sohn eines portugiesischen SklavInnenhändlers – nach Familiensaga aristokratischer Herkunft[3] – und einer Sklavin gewesen sein. Zum größten SklavInnenhändler seiner Zeit am Golf von Guinea avancierte er, nachdem er Ghezo half, seinen Bruder Adandozan vom Thron von Dahomey zu stoßen.

 [4]

De Sousa ist nicht nur reich geworden, als typischer afrikanischer Chef – zu einem solchen ernannte ihn König Ghezo – hat er sich mit Hilfe seiner vielen Frauen auch fleißig fortgepflanzt. An die oder sogar über hundert Kinder soll er gezeugt haben. Sie sollen das Fundament der afro-brasilianischen Gemeinschaften in Ghana, Togo, Benin und Nigeria gewesen sein. Deren “goldene Zeit“ ist zwar lang vorbei, doch verfügen sie bis zum heutigen Tag über beträchtlichen Einfluss. So brachte es Paul-Emile de Souza zum Generalstabschef und ein halbes Jahr lang, 1969-70, sogar zum Präsidenten Benins (damals noch “Dahomey“ genannt), Isidore de Souza war 1990 bis zu seinem Tod 1999 Erzbischof von Cotonou, und beider Nichte Chantal de Souza war als Frau Boni Yayis 2006-16 Benins First Lady.

Hier noch ein anderes Bild der von der Unesco eineinhalb Jahrhunderte nach de Sousas Tod errichteten Pforte ohne Wiederkehr. Die Tristesse der Leere rundum – Sand, Himmel und kaum sichtbar das Meer – entspricht dem Thema mehr als der Hochglanz der Nahaufnahme.

 [5]

Das Königreich Dahomey spielte damals in der Gegend im SklavInnenhandel die Hauptrolle. Im 17. Jahrhundert gegründet, lag seine Hauptstadt im Landesinneren, in Abomey, 100 km Luftlinie nordnordwestlich von Cotonou. Der schon erwähnte König Ghezo, der von 1818 bis 1848 regierte, investierte viel ins Militär. In Europa berühmt wurde vor allem “sein“ Amazonen-Heer. Diese Frauentruppe bestand da aber schon seit fast zweihundert Jahren. Ihr “Erfinder“ soll Dahomeys dritter König, Houegbadja, gewesen sein, der 1645-85 regierte, zunächst waren sie für die Elefantenjagd zuständig. Seine Tochter Hangbe, die 1708-11 Königin von Dahomey war, verwandelte sie in eine Leibwache und ihr Bruder und Nachfolger Agaja setzte sie als erster im Kampf ein – ihre Feuertaufe war der Sieg über das Nachbar-Königreich Ouidah 1727 (dessen Hauptstadt war Savi), mit dem sich Dahomey auch direkten Zugang zum Meer verschaffte.

Diese reine Frauentruppe nannte sich selbst “Ahosi“, “des Königs Frauen“, von den männlichen Angehörigen des Heeres wurden sie “Mino“ (auch “Minon“) genannt – auf Fon heißt das “unsere Mütter“[6]. Als “Amazonen von Dahomey“ bezeichneten sie erst die EuropäerInnen, die meinten, ihre Kenntnisse der griechischen Antike bzw. ihrer Mythen nach Afrika transponieren zu können.

 [7]

Die Ahosi (oder Mino) wurden freiwillig oder unter Zwang rekrutiert, bei Letzteren handelte es sich entweder um Gefangene bzw. Sklavinnen oder aber um Freie, die bestraft wurden. Ihr Drill war extrem körperbetont. Sie sollten schmerzunempfindlich und wild, ja grausam gemacht werden. Wie in jedem Heer, das auf sich hält, war die hierarchischen Ordnung unter den Mitte des 19. Jahrhunderts etwa fünftausend Ahosi ausgeprägt: Befehligt wurden sie von einer Frau, die sich im Kampf ausgezeichnet hatte, dann gab es “gahu“ (Offizierinnen) und “awhouangan“ (Unteroffizierinnen) und zuletzt freilich das Fußvolk, die einfachen Soldatinnen. Ihre Aufgabe bestand zum einen in der Verteidigung des Palastes, des Königs, mit dem sie alle rituell verheiratet waren, zum anderen bildeten sie die Vorhut der königlichen Armee.

Auch politisch spielten die Ahosi eine Rolle – mittels der Debatten im “Großen Rat“ hatten sie Einfluss auf die Politik des Königreich.

Zwar war die mit einem halb-sakralen Nimbus ausgestattete Frauen-Truppe keineswegs unbesiegbar, sie war aber militärisch durchaus erfolgreich, solange es gegen ebenbürtige GegnerInnen ging. Als sich Frankreich dann ab 1890 im Zuge des “Wettlaufs um Afrika“ ernsthaft an die Eroberung seiner künftigen Kolonie Dahomey machte, hatten sie angesichts der haushohen Überlegenheit der Waffen der “französischen“ Truppen freilich keinerlei Chance und erlitten arge Verluste. Ihr königlicher “Gatte“ Béhanzin musste 1894 schließlich seine Niederlage anerkennen, er wird nach Martinique und später nach Algerien ins Exil verfrachtet.

 [8]

Eine ganz andere Geschichte spielt sich rund um die “Amazonen von Dahomey“ inzwischen in Europa ab. Die Kriegerinnen aus dem fernen Königreich in Afrika haben nämlich die Phantasie des damaligen europäischen Publikums angeregt wie kaum ein anderes Motiv.

Waren die “Völkerschauen“ der 1870er und 1880er Jahre noch relativ friedliche Inszenierungen, so galt es, das Interesse des Publikums nicht abstumpfen zu lassen und aufregendere Schauspiele zu bieten[9]. Was hätte sich da besser angeboten als die Kämpfe zwischen französischen Kolonialtruppen und wilden afrikanischen Frauen, von denen die Zeitungen ab 1890 berichteten?

Zu diesem Zeitpunkt gab es schon erfahrene Schausteller, wie sie genannt wurden. In Deutschland ist dabei Carl Hagenbeck an vorderster Stelle zu nennen, in Wikipedias Kurzdefinition “Tierhändler, Völkerschauausrichter und Zoodirektor“. Die “anthropologisch-zoologischen“ Vorführungen fanden auf Jahrmärkten, Volksfesten, im Zirkus, auf Gewerbe- und Kolonialausstellungen und oft auch in zoologischen Gärten statt – war ja naheliegend, es ging ja um “Wilde“.

 [10]

So wurden Schauspieltruppen zusammengestellt. Einer Frauenarmee hatten ihre Mitglieder mit Sicherheit nie angehört und mit Dahomey hatten sie meist nichts zu tun. Schwarz mussten sie freilich sein. Sonst waren der Phantasie keine Grenzen gesetzt.

Unter der Führung einer wilden Amazonenkönigin Gumma tourte eine solche Truppe zum Beispiel 1891 durch Europa. Die Kriegstänze der falschen Amazonen wurden im Prater auch dem Wiener Publikum erfolgreich vorgeführt[11]. Und Paris und London und ich weiß nicht, wer aller sonst noch[12], wollten natürlich nicht zurückstehen.

Obwohl Österreich keine außereuropäischen Kolonien hatte, fanden in Wien in den vierzig Jahren zwischen 1870 und 1910 über fünfzig Völkerschauen statt[13]. Vielleicht ist es deswegen kein Wunder, dass sich die ÖsterreicherInnen rund drei Jahrzehnte später, als ihnen endlich die Möglichkeit dazu geboten wurde, als kompetente RassistInnen hervortaten.

 

Endnoten:

[1] Pforte ohne Wiederkehr, Foto Yayitalon 15.9.2019, leicht überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Porte_du_non_retour_%C3%A0_la_plage_de_Ouidah.jpg.

[2] Im Original “The Viceroy of Ouidah”, London (Jonathan Cape) 1980. Auf Deutsch 1982 bei Rowohlt, Reinbek, erschienen.

[3] Er soll ein Nachkomme von Tomé de Sousa (1503-79) gewesen sein, der 1549-53 als erster Generalgouverneur der portugiesischen Kolonie Brasilien fungierte.

[4] Ölbild, KünstlerIn unbekannt, fotografiert von Estudo Africanos und veröffentlicht in Alberto Costa e Silva. O Brasil, a África e o Atlântico no Século XIX, leicht überarbeitet von GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Francisco_F%C3%A9lix_de_Souza.jpg.

[5] Pforte ohne Wiederkehr = “Porte du non retour“, Foto Yayitalon 23.6.2019, leicht überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Porte_du_non_retour_12.jpg.

[6] Das dem Artikel vorangestellte Foto zeigt eine Feier der Mino-Veteraninnen in Abomey 1908, Sammlung Edmond Fortier. Die Beschriftung des Fotos macht keinen Sinn: Béhanzin war 1908 schon tot und er war auch nicht Sohn Gélés. Foto zugeschnitten und leicht überarbeitet von GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:The_c%C3%A9l%C3%A9bration_at_Abomey(1908)._-_The_veteran_amazones(_AHOSI_)_of_the_Fon_king_B%C3%A9hanzin,_Son_of_Roi_G%C3%A9l%C3%A9.jpg.

[7] Seh-Dong-Hong-Beh, Chefin der Amazonen von Dahomey, gezeichnet 1851 von Frederick E. Forbes, Kapitän in der Royal Navy; keine Angabe zur Quelle, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dahomey_amazon1.jpg.

[8] Amazonen von Dahomey, circa 1890, FotografIn unbekannt, Quelle: Stanley B. Alpern, Amazons of Black Sparta : The Women Warriors of Dahomey, London (C. Hurst & Co. Ltd.) 2011, leicht überarbeitet von GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dahomey_amazon2.jpg.

[9] Vgl. hierzu David Ciarlo, Advertising Empire: Race and Visual Culture in Imperial Germany, Cambridge, Massachusets (Harvard Univ. Press) 2011, pp.94ff. Teilweise verfügbar auf Google Books.

[10] Die Amazonen von Dahomey in Paris, auf Europa-Tournee, FotografIn unbekannt, Feb.1891, Sammlung der Stiftung des niederländischen Nationalmuseums der Weltkulturen, leicht überarbeitet von GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:COLLECTIE_TROPENMUSEUM_Groepsportret_van_de_zogenaamde_%27Amazones_uit_Dahomey%27_tijdens_hun_verblijf_in_Parijs_TMnr_60038362.jpg.

[11] Siehe Brigitte Fuchs, “Rasse”, “Volk”, Geschlecht: anthropologische Diskurse in Österreich 1850-1960, Frankfurt am Main (Campus) 2003, teilweise zugänglich auf Google Books.

[12] Generell war Basel – auch mit seinem Zoo – sehr aktiv, was solche Schaustellungen betrifft. Ich weiß aber nicht, ob die Amazonen von Dahomey dort auch gastiert haben.

[13] Werner Michael Schwarz, Anthropologische Spektakel: zur Schaustellung “exotischer” Menschen, Wien 1870-1910, Wien (Turia + Kant) 2001, pp.223ff.

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