Radio Afrika TV

Garküchenessen oder Billig soll’s sein

Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on whatsapp
Share on email
Share on print
  • Home
  • Garküchenessen oder Billig soll’s sein

Foto: Puff puff-Verkäuferin, Lagos [1]

* * *

Günther Lanier, Ouagadougou 6. Dezember 2023[2]

* * *

Frühstück, Jause, Mittag- und Abendessen: All das gibt es in afrikanischen Städten auf der Straße billiger als daheim. Die Straßen-Verkäufer und vor allem -Verkäuferinnen prägen manch Straßen- und Stadtbild und ein guter Teil der im informellen Sektor Tätigen verdient sich so das zum Überleben nötige Kleingeld. In den reichen Teilen der Welt hingegen sind Garküchen “aus der Mode“ gekommen. Gerade, dass es noch Würstel- oder Imbissstände gibt, wo eineR an einem Kiosk bedient wird und das Erstandene auch gleich draußen und im Stehen essen kann. So gut ausgerüstet wie diese Kioske sind die ZubereiterInnen afrikanischen street foods freilich nur selten. Aber wenn vor Ort gegessen wird, dann im Sitzen, wie einfach die gebotene Sitzgelegenheit auch sein mag – oft eine wacklige Holzbank.

Weltweit werden in Ländern mit niedrigem Einkommen (low-income countries) laut einer rezenten Studie 80% aller lebensmittelbedingten Krankheiten durch street food bzw. informelle Märkte verursacht. In Ländern mit mittlerem Einkommen/unterer Teil (lower middle-income countries)[3] sind es noch immer 65%. “Lebensmittelbedingte Erkrankungen werden durch den Verzehr von Lebensmitteln verursacht, die mit infektiösen Krankheitserregern (Bakterien, Viren, Parasiten) oder Toxinen verunreinigt (kontaminiert) sind. Eine Vielzahl von Krankheitserregern und Toxinen können lebensmittelbedingte Krankheiten auslösen.“[4] Solche Erkrankungen können harmlos verlaufen – oder auch zum Tod führen[5]. Jedenfalls gälte es, sie tunlichst zu meiden.

Dass diesbezüglich viel zu wenig geschieht, macht eine rezente Studie klar, die ich heute kurz referiere: Spencer Henson, Steven Jaffee, Shuo Wang, New Directions for Tackling Food Safety Risks in the Informal Sector of Developing Countries (in etwa: Neue Richtlinien für den Umgang mit Risiken hinsichtlich Lebensmittelsicherheit im informellen Sektor in Entwicklungsländern), Nairobi (ILRI) 2023[6].

schematische Darstellung der Stakeholder in Sachen Risken bei der Lebensmittelsicherheit, p.21 der Studie

Überall in diesem Schema können Erreger und Toxine, die lebensmittelbedingte Krankheiten auslösen, ins System eindringen. Im linken, die moderne/formelle Wirtschaft repräsentierenden Kreis, sind sie seltener als im rechten Kreis, der den informellen Sektor darstellt, aber nirgends sind sie abwesend. Auch KonsumentInnen können, wenn sie sich vor dem Essen die Hände nicht waschen, Krankheitserreger beitragen.

Der oberste Teil des Schemas zeigt, wo die Lebensmittel herkommen: links die Importe, in der Mitte die ländlichen landwirtschaftlichen Betriebe, generell die Hauptquelle, und rechts die landwirtschaftlichen Betriebe in Städten oder in Stadtnähe.

Unten in der Mitte befinden sich die KonsumentInnen, also die potentiell Leidtragenden.

Und die Kreise dazwischen stellen die MittlerInnen dar, links diejenigen des formellen Sektors, rechts die dem informellen Sektor angehörigen[7]. Beiderseits wird zuerst verarbeitet[8] und dann geht es vom Groß- zum Klein- oder Detail“handel“. Letzterer reicht im formellen Bereich vom Internet-Handel über Supermärkte bis zu Restaurants, im informellen Bereich von Märkten über kleine Geschäfte zu StraßenhändlerInnen und Garküchen – in der Grafik “informelle Restaurants“ genannt.

Dass der formelle Kreis des Schemas fast genauso groß ist wie der informelle entspricht der Wirklichkeit überhaupt nicht. Anfang der 2010er Jahre dürfte der informelle in Subsahara-Afrika zwischen 85 und 95% ausgemacht haben, auch wenn zu erwarten ist, dass dieser Anteil bis zum Jahr 2040 unter 70% sinken wird[9]. Dass zwischen den beiden Bereichen vielfache Querverbindungen bestehen, zeigt ein guter Teil der blauen Pfeile[10].


wie schummrig es auf diesem Foto zugeht, ist wohl typisch für viel street food – hier geräucherte Truthahn-Bürzel in Kinshasa [11]

Was Vorbeugen & Verhindern lebensmittelbedingter Krankheiten betrifft, ist die Vielfalt der Einfallsmöglichkeiten der Erreger und Toxine die Hauptherausforderung für die Gesundheitssysteme und an Lebensmittelsicherheit interessierte AkteurInnen, in erster Linie staatliche Stellen. Bisher war für letztere in der Regel der formelle Sektor der Fokus. Dem informellen wurde viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Gerade im informellen Sektor gilt es nachzubessern. Wobei eine grundsätzlich neue Herangehensweise ratsam ist. Einerseits sollte der Schwerpunkt auf ein dezentrales Vorgehen – auf Gemeinde- oder Distrikt-Ebene statt auf gesamtstaatlicher – gelegt werden. Zudem sollte von strafenden Gesetzen zu Begleitung und Beratung informeller AkteurInnen übergegangen werden. Auch ist ein holistischer Ansatz zu empfehlen, bei dem gleichzeitig Versorgung mit kontaminierungsfreiem Wasser, die Verbesserung der sanitären Anlagen sowie andere Hygiene-Maßnahmen angestrebt werden.

Charakteristika der verschiedenen Subsektoren des informellen Lebensmittelsektors


im Original: Characteristics of informal sector sub-sectors [12]

In Subsahara-Afrika betrifft Regulierung bisher in erster Linie den formellen Sektor. Das gilt sogar, wenn auch weniger deutlich, für das relativ “hoch entwickelte“ Südafrika. Nun hat es früher gar keinen formellen Sektor gegeben. Können wir uns nicht in bester (neo)liberaler Manier zurücklehnen und abwarten, dass sich das Problem selbst löst? Dass also mit voranschreitender Formalisierung der Wirtschaft immer geringere Teile der Lebensmittel-Wirtschaft der Regulierung entkommen?


streetfood-Mittagessen in Lomé, der Hauptstadt Togos [13]

Auch wenn sich das System automatisch in diese Richtung weiterentwickeln sollte, so werden sich die notwendigen Veränderungen in einem nach wie vor dominanten informellen Sektor angesichts generell schwacher regulatorischer Instanzen nur langsam einstellen. “Obwohl die inkrementelle Formalisierung und Konsolidierung der inländischen Lebensmittelsysteme höchstwahrscheinlich sowohl die Motivation als auch die Kapazitäten privater AkteurInnen verbessern wird, ihre Lebensmittelsicherheitskontrollen zu verbessern (teils, weil sie regulierbarer werden), wird das Zeit in Anspruch nehmen“[14] – Jahrzehnte, meinen die Studien-Autoren.

Bis dahin gilt es, lebensmittelbedingten Krankheiten vorzubeugen und Menschenleben zu retten.


Schaf- oder Ziegenfleischspieße in Nieberé bella, Niger [15]

Dazu wird das Kombinieren einer Vielzahl verschiedener Maßnahmen nötig sein[16]. Einheitslösung gibt es keine – es gilt, dem jeweiligen Kontext entsprechend zu intervenieren oder zu agieren. Das bedeutet, wie oben schon erwähnt, das Abgehen von einem nationalen Fokus. Lokale Autoritäten sollten in erster Linie verantwortlich sein – sie sind es, die realen Kontakt mit allen Beteiligten haben und haben können. Nicht, dass es keine nationalen Regeln und Gesetze bräuchte, aber sie reichen bei weitem nicht, weil sie Theorie bleiben, solange sie nicht lokal implementiert werden. Die lokalen Behörden und Instanzen sind auch diejenigen, die sich um die Umwelt, um die Gesundheit von Tieren, um Hygiene und Versorgung mit einwandfreiem Wasser und die Verbesserung sanitärer Anlagen und Gewohnheiten kümmern. Eine multi-sektorielle Herangehensweise verspricht eindeutig mehr Aussicht auf Erfolg. Schließlich gilt es, Regulierung in Form von beratender Begleitung in den Vordergrund zu stellen. So kann am ehesten ein langsamer Prozess nachhaltigen Umdenkens angestoßen und immer weiter betrieben werden. Strafen sollten nur ein letzter Ausweg sein, wenn AkteurInnen beharrlich gegen das Allgemeininteresse verstoßen.

Last but certainly not least gilt es, die KonsumentInnen besser zu informieren, was die Gefahren von Garküchen und anderem Straßenessen betrifft. Solange für diese EndverbraucherInnen Billigkeit das einzige Kriterium bei der Auswahl ihrer Ernährung ist, wird sich ein Angebot finden. Die Gesundheit nicht gefährdende Nahrung ist freilich nicht immer nur eine Frage der Wahl[17], manch eineR kann sich einfach nur das Allerbilligste leisten.

Falls es noch eines Arguments bedürfte, wird hier evident, wie dringend eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums nötig ist. Damit ich nicht missverstanden werde: ausnahmsweise von oben nach unten.


vor der Amary Diop 2-Volksschule, Thiès, Senegal [18]

* * *

Endnoten:

[1] Im frankophonen Westafrika heißen sie gato (Kuchen) oder beignets (Krapfen): es handelt sich um frittierten Teig. Foto Oritsetsemaye Jemide 26.1.2017, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Working_Woman.jpg?uselang=de.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Die Übersetzung ins Deutsche wirkt überaus ungeschickt, es ist die vom Gabler Wirtschaftslexikon vorgeschlagene und mir fällt nichts Besseres ein.

[4] Es ist in afrikanischem Kontext fast schon verwegen, ein Institut zu zitieren, das Robert Kochs Namen trägt, aber seine heutige Expertise ist, glaube ich, unumstritten. Robert Koch-Institut, Lebensmittelbedingte Ausbrüche, https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Ausbrueche/LM/lebensmittelbedingte_Ausbrueche_node.html.

[5] “Die Symptome von lebensmittelbedingten Erkrankungen können vielfältig sein. Da die Erreger oder Toxine über den Verdauungstrakt in den Körper gelangen, stehen zumeist Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle und krampfartige Bauchschmerzen im Vordergrund. Meist verlaufen die Erkrankungen selbstlimitierend und mild, es kann jedoch in Einzelfällen auch zu schwerwiegenden Erkrankungen, unter Umständen sogar mit Todesfolge, kommen. So kann es im Rahmen einer Infektion mit Listerien bei Schwangeren zu Früh- und Totgeburten kommen. Infektionen mit Campylobacter können in sehr seltenen Fällen zu einem Guillain-Barré Syndrom mit Lähmungserscheinungen, Infektionen mit entero­hämorrhagischen E. coli (EHEC) zur Entwicklung eines lebensbedrohlichen hämolytisch-urämischen Syndroms (HUS) führen.“ Ebd.

[6] Herunterladbar unter https://hdl.handle.net/10568/130652. Eine von zwei der drei Autoren geschriebene Kurzfassung bietet Spencer Henson, Steven Jaffee, Food safety policy neglects informal markets in developing countries – 3 ways this can change, The Conversation 23.7.2023, https://theconversation.com/food-safety-policy-neglects-informal-markets-in-developing-countries-3-ways-this-can-change-209049.
Die im vorangehenden Absatz referierten Zahlen sind Schätzungen der Autoren – siehe ihre Tabelle 1 Food system composition and the attribution of foodborne disease (FBD) auf p.33 der Studie. Für Länder mit mittlerem Einkommen/oberer Teil (upper middle-income countries) liegt der entsprechende Wert immer noch bei 50%.

[7] Die von einer gestrichelten Linie umgebene Ellipse in der Mitte repräsentiert den “traditionellen“ Bereich – eine mir nicht wirklich einleuchtend erscheinende Kategorie.

[8] Im Inland ist der Verarbeitung noch das “Aggregieren“, das Einsammeln der Lebensmittel, vorgeschaltet.

[9] Studie p.20.

[10] Der Unterschied zwischen blauen und roten Pfeilen wird in der Studie nicht erklärt. Die roten Pfeile dürften die hauptsächlich eingeschlagenen Wege darstellen, die blauen die sekundären.

[11] Diese croupions de dindon fumé sind in Kinshasa eine begehrte Spezialität; Foto Myra vah 28.11.2017, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Le_fameux_vendeur_des_dindons.jpg?uselang=de.

[12] Es handelt sich um die Tabelle 2 der Studie auf p.44. Übersetzung GL.

[13] Foto PGskot 19.2.2010, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lunch_vendor.jpg?uselang=de.

[14] Studie p.25. Übersetzung GL. Siehe auch die Grafik ebd., p.45 “Phasenmodell der Lebensmittelsicherheit bei fortschreitender ökonomischer Entwicklung“ (Figure 4. Food safety life cycle with economic development).

[15] Ein Dorf circa 100 km östlich von Niamey. Rindfleisch ist zu wertvoll für Spieße. Foto Barke11 am 19.1.2022, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Boucher_au_village_Nieber%C3%A9_bella_au_Niger.jpg?uselang=de.

[16] Siehe das Schlusskapitel 8 der Studie, pp.78ff.

[17] Dass Gesundessen auch in luxuriösem Kontext nicht selbstverständlich ist, zeigt der folgende Artikel (übertreibt die Autorin die Vorsicht? Schließlich kommt nach Wolf Biermann “drin um, wer sich nicht in Gefahr begibt“…): Primrose Freestone, I’m a microbiologist and here’s what (and where) I never eat, The Conversation 28.9.2023, https://theconversation.com/im-a-microbiologist-and-heres-what-and-where-i-never-eat-213404.

[18] Leicht südöstlich des Zentrums von Thiès (etwa 60 km östlich von Dakar). Foto Bigfall91 am 10.12.2021, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cantines_Scolaire_de_Fortune.jpg?uselang=de.

Afrika Tv

Tue 18:00 - 18:30
Wed 16:00 - 16:30
Thu 14:00 - 14:30
Fri 12:00 - 12:30
Sat 10:00 - 10:30
Sun 08:00 - 20:30

Radio Afrika International

On Orange FM 94.0 MHZ

Mon 09:00 - 10:00
Tue 09:00 - 10:00
Wed 09:00 - 10:00
Thu No Transmition
Fri 09:00 - 10:00
Sat 09:00 - 10:00
Sun 09:00 - 10:00

Radio Afrika International

On Ö1 campus

Mon 15:00 - 17:00
Tue 15:00 - 17:00
Wed 15:00 - 17:00
Thu 15:00 - 17:00
Fri 15:00 - 17:00
Sat 15:00 - 17:00
Sun 15:00 - 17:00

Current Events

take a look at the events that are happening right now.

Radio Afrika Tv Newsletter

Sign up to be inside the updates that Radio Africa Tv publishes

Radio Afrika youtube channel

Radio Afrika Tv Podcast

Newsletter Abonnieren

Bleiben Sie mit unserem monatlichen Newsletter über unsere Arbeit informiert!