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Frauenleben. Versuch einer Ehrung

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Foto: die große Kriegerin Yennenga, Ahnfrau der Mossi, auf ihrem Hengst (ouédraogo) [1]

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Amandine Monlezun: Hauptteil, Günther Lanier: kurze Einleitung, P.S. und Übersetzung
Ouagadougou 20. März 2024[2]

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Es sollte ohne Pomp geschehen, aber eine angemessene Würdigung darstellen. Schließlich ist der internationale Frauentag, der 8. März, in Burkina Faso ein großer Feiertag.

So lud der Internationale Frauenclub von Ouagadougou[3] für den Abend des besagten Feiertages zu einem Treffen, bei dem es galt, die Frauen zu ehren, indem über ein paar von ihnen “gesprochen“ würde (siehe das Plakat am Ende des Artikels).

Vier Frauen waren eingeladen, ihre Vita zu erzählen, oder was sie von ihr preisgeben wollten, für interessant hielten. Darunter meine liebe Freundin Dorothée Batiga, wahrlich eine Kämpferin, die eine Kinderlähmung im zweiten Lebensjahr und die Krücken, mit denen sie unterwegs ist, nicht von einer abwechslungsreichen, erfolgreichen Karriere in Ministerien, zivilgesellschaftlichem Kontext, bei internationalen Organisationen und an mehreren Botschaften abhalten konnten – und die vor kurzem ihren wohlbezahlten Job bei den DänInnen an den Nagel gehängt hat und in die staatliche Forschung zurückgekehrt ist und sich einige Jahre vor ihrer Pensionierung einer Doktorarbeit zu Frauenorganisationen in und um Ouagadougou widmen wird.

Nach diesem autobiographischen Teil des Abends gab es noch drei Fremderzählungen. Eine Haitianerin berichtete von einer Freundin, der eine fulminante akademische Karriere gelungen war – obwohl sie aus allerärmsten Verhältnissen stammte und es nur dem Zufall verdankte, dass sie je mit der Schule beginnen konnte. Ich hatte einen Text aus der Einleitung meines französischen Buches über die burkinischen Frauen[4] beigesteuert, über Macoucou Traoré, neben Yennenga eine der viel zu wenigen Frauen, die es in der burkinischen Geschichte zu Prominenz gebracht haben – sie wäre fast des Landes erste First Lady geworden (ihr Mann wurde kurz vor Amtsantritt vergiftet), ist dann aber tatsächlich seine erste Ministerin und seine erste Abgeordnete im Parlament geworden.


Macoucou Traoré, in Grand-Bassam eine der Anführerinnen des Frauenmarsches, der 1949 die Kolonialadministration in die Knie zwang, später ihres Landes erste Ministerin und erste Parlamentsabgeordnete [5]

Und zum Abschluss und (für mich) Höhepunkt las dann Amandine Monlezun, die Vizepräsidentin von Clif und Hauptverantwortliche für die 8. März-Feier, einen Text vor, den sie zu Ehren ihrer besten burkinischen Freundin geschrieben hatte. Ich wünschte nur, ich könnte in meiner Übersetzung auch Amandines Lebendigkeit, ihre leuchtenden Augen, ihre überaus ansteckende Begeisterung wiedergeben…

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Es gibt Begegnungen, die alles verändern

dieser Frau, die ich bewundere…

Amandine Monlezun

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Geboren wird sie auf dem Land, ihre Familie bewohnt ein kleines Haus im Dorf, ein bescheidenes Daheim, das aber Kraft gibt: ein Vater, eine Mutter, eine große Schwester und ein kleiner Bruder. Die Feldarbeit, die Arbeit zuhause und die Koranschule verleihen dem Leben seinen Rhythmus.

Schwierige Prüfungen stehen bevor. Sie werden erst viel später verständlich werden. Bleiben unglücklicherweise nicht wirkungslos…

Der Vater stirbt und die Familie wird aufgeteilt. Das Mädchen wird von seiner Mutter getrennt[6] und von einer Nachbarsfamilie aufgezogen. Dahinter steckt eine Heiratsgeschichte, das Mädchen war offenbar einem Nachbarn versprochen worden… Wie auch immer: Sie wächst heran und mit 16 will sie in die Hauptstadt ziehen. Um was zu tun? Sie weiß es nicht wirklich, aber die Zukunft scheint ihr dort vielversprechender.

Also läuft sie fort. Fragt sie das Familienoberhaupt um Erlaubnis? Nein. Am Vorabend kündigt sie ihre Abreise an, indem sie laut spricht, durch die Mauer. Nicht aus Mangel an Mut. Vielmehr ein Affront. Niemand versucht, sie am Weggehen zu hindern. Alle sagen sich, dass sie bald wieder zurück sein wird.

Sie kratzt ihre kleinen Ersparnisse zusammen und ergattert einen Platz auf einem großen Laster. Der Fahrer fragt sie, wo er sie absetzen soll. “In Ouagadougou“, sagt sie. Der Fahrer lacht und meint, dieses Ouagadougou sei groß. “Zu wem willst Du?“ Sie will zu ihrer Schwester, die dort bei der Familie einer Kusine wohnt. Doch der Fahrer – kein Unbekannter, er kommt aus demselben Dorf – ruft ihren “kleinen Vater“ an[7], dem sie, seit dem Tod des Vaters Rechenschaft schuldig ist.

Etwa zehn Tage wohnt sie bei diesem “kleinen Vater“, bevor er sie weit entfernten Verwandten als Dienstmädchen übergibt. Zufällig hört sie, wie ihr kleiner Vater der Alten[8] – ab sofort ihre Chefin – sagt: “Nehmen Sie sie. Ich will nichts für sie. Sie wird kein Geld verlangen.“

Zwölf Jahre im Dienst dieser Familie, die tagaus, tagein immer mehr von ihrer Kraft verzehrt.

Verbale Misshandlungen. Unterlassene Hilfsleistung bei Krankheit – warum ein Dienstmädchen pflegen, die sind doch so robust! Völlige Vernachlässigung.

Ich habe sie getroffen, da war sie 21 Jahre alt, ich 25. Sie sprach kein Französisch und ich kein Mooré[9], alles lief über Blicke. Sie hat nicht um Geld gebeten, wollte lernen. Französisch lernte sie mit Hilfe des Katechismus. Ich wohnte bei meiner ersten Burkina-Reise bei dieser Familie. Ich leistete damals hie und da Freiwilligenarbeit und wenn ich nach Hause kam, war es sie, die da war. Sie zeigte mir ihr Ouagadougou, ein Kreis von nicht mehr als 500 Meter ums Haus, aber das beherrschte sie in- und auswendig. Ihre Welt meisterte sie nicht schlecht, die Kleine!

Mein Abflug rückte immer näher und ich versprach wiederzukommen. Natürlich glaubte sie mir nicht.

Ich bin wiedergekommen, einmal im Jahr, jedes Jahr… Bei jedem meiner Aufenthalte verbrachten wir Zeit miteinander, sprachen von unseren Leben, unseren Ambitionen. Im Juni 2016 hat sie ihren Volksschulabschluss geschafft – nicht ohne Schwierigkeiten, aber ich war unerbittlich, was die Schule betrifft! Wenig später sagte sie mir, sie wollen weg von dort, wo sie war. Keine Ahnung, was ihr die Zukunft bescheren würde, aber sich einen Ehemann zu suchen, war keine Option! Sie wollte einen Beruf lernen, auf eigenen Beinen stehen, unabhängig sein. Sie wusste nur nicht, wo beginnen.

Ich hatte recht gut gelebt, in Europa, ein normales Leben, ohne ärgere Sorgen. Ein bisschen langweilig vielleicht. Diese junge Frau hat mich aufgeweckt, hat mir Lust gemacht, mein Leben zu ändern. Warum nicht beginnen, an einer gemeinsamen Zukunft zu bauen? Später würden wir schon weitersehen…

Heute hat sie ihr kleines Unternehmen, ihre moralische und finanzielle Unabhängigkeit, bescheiden, aber kostbar.

Es war Freundschaft auf den ersten Blick. Eine Begegnung, die mein Leben verändert hat. Offenbar habe ich auch das ihre verändert!

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frei übersetzt: “Sprechen wir doch von Frauen!“ Poster für das CLIF-Fest zum 8. März 2024 [10]

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Von meiner Lektorin Petra Radeschnig inspiriertes P.S.: Wie wär’s, wenn wir aus dem 8. März statt eines Feiertags einen Kampftag machten? Gibt es außer Erfolg-im-Angesicht-der-Widrigkeit denn viel zu feiern?

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Endnoten:

[1] Foto Fespaco 7.10.2023, zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Fespaco_%C3%A9talon.jpg.
Die trotz einer Ahnfrau überaus patriarchalen Mossi stellen circa 50% der Burkinabè. Prinzessin Yennenga kam vor vielen Jahrhunderten auf ihrem Hengst aus dem Süden (dem heutigen Nord-Ghana). Mit der Geburt eines Sohnes, des ersten Ouédraogo (noch heute der verbreitetste Name unter den Mossi), verschwindet Yennenga vom Bildschirm der Historie. Ihr Sohn begann mit der Eroberung des Mossi-Reiches.
Das Foto zeigt den goldenen Hengst Yennengas, den Hauptpreis des alle zwei Jahre stattfindenden panafrikanischen Film- und Fernsehfestivals von Ouagadougou (Fespaco).

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Ich habe CLIF (Club international des Femmes de Ouagadougou) schon einmal einen Artikel gewidmet: Günther Lanier, CLIF oder Aus dem Schatten treten, Ouagadougou (Africa Libre) 15.3.2023, https://www.africalibre.net/artikel/494-clif-oder-aus-dem-schatten-treten bzw. Wien (Radio Afrika TV) 15.3.2023, https://radioafrika.net/clif-oder-aus-dem-schatten-treten/.

[4] Günther Lanier, Au pays des femmes intègres (Im Land der integren Frauen), Ouagadougou (CEPRODIF) 2020. Zu Macoucou Traoré alias Célestine Ouezzin Coulibaly, pp.27-32. Zu Yennenga siehe ebd., pp.19-22.

[5] Copyright Sénat, https://www.senat.fr/senateur-communaute/ouezzin_coulibaly_celestine0011sc.html.

[6] Anmerkung GL: Nichts Außergewöhnliches: Im Mossi-Patriarchat gehören Kinder dem Vater; nach geltendem burkinischem Gesetz gehören sie ihm, sobald sie sieben Jahre alt sind. Hier dürfte es sich jedoch um etwas Anderes handeln: Ist ein Mädchen zur Heirat versprochen, konnte sie gemäß Tradition auch schon viele Jahre vor Erreichen der Heiratsfähigkeit zu ihm gebracht werden und lebte dann unter der Autorität der Mutter ihres Zukünftigen.

[7] Anmerkung GL: Höchstwahrscheinlich der kleine Bruder des Vaters, der die Kinder des Verstorbenen “geerbt“ hat.

[8] Anmerkung GL: “Alte“ oder “Alter“ sind im burkinischen Kontext Ehrenbezeugungen. “Meine Alte“ bzw. “mein Alter“ bezeichnet die Eltern.

[9] Anmerkung GL: Mooré ist die Sprache der oben erwähnten Mossi/siehe Fußnote 1.

[10] Foto CLIF 27.2.2024.

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