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Ein Weltrekord, den wir nicht wollten

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Für 2023 registrierte ACLED 3.716 Vorfälle politischer Gewalt in Burkina Faso, Mali und Niger [1]

* * *

Günther Lanier, Ouagadougou 6. März 2024[2]

* * *

Ich beginne mit einem Zitat von mir selbst. Vor ungefähr zwei Jahren schrieb ich[3]:

Terrorismus sät Angst und Schrecken. Unschuldige absichtlich zu töten ist verwerflich.

Ist Terrorismus das schlechthin Böse? Sind terroristische Taten a priori zu verurteilen? So wie es einen “gerechten Krieg“ gibt – kann es auch einen “gerechten Terrorismus“ geben? Dürfen NichtkombattantInnen je getötet werden? Sind Ungläubige legitime Ziele “heiliger Kriege“, z.B. eines Djihad oder eines Kreuzzugs? Rechtfertigt Terror Gegen-Terror?[4]

Überlassen wir das Beantworten dieser komplizierten grundsätzlichen Fragen anderen und definieren wir zunächst einmal “Terrorismus“. Laut der quasi offiziell-staatlichen[5] Definition handelt es sich um “die angedrohte oder tatsächliche Anwendung von illegalem Zwang und illegaler Gewalt durch nichtstaatliche AkteurInnen, um durch Angst, Nötigung oder Einschüchterung ein politisches, ökonomisches, religiöses oder soziales Ziel zu erreichen“.

Das ist die Definition des Nationalen Konsortiums für die Untersuchung von Terrorismus und der Antwort auf Terrorismus (START)[6], das unter Führung der University of Maryland unter anderem eine Datenbank alimentiert, die zurück bis 1970 weltweit terroristische Vorfälle auflistet, die Globale Terrorismus-Datenbank (GTD)[7]. Diese Definition liegt auch dem jährlichen Terrorismus-Bericht des Instituts für Wirtschaft und Frieden (IEP)[8] zugrunde.

Vergessen wir nicht, dass 2002 dem Terror der Krieg erklärt wurde und das von der Weltmacht USA. Und seither wird er geführt, sei es als ein Kreuzzug gegen die Achse des Bösen – wobei der Terrorismus die Systemalternative Sowjetunion als Hauptfeind ersetzt hat, mittlerweile aber selbst durch die Volksrepublik China abgelöst wird – oder in anderer Form, jedes Land nach seinen Möglichkeiten, oft auch im Inneren. So kann der “war on terror“ durchaus auch einem diktatorischen Regime dazu dienen, sich Finanzierung und Unterstützung von außen zu sichern und Menschenrechtsverletzungen im Inneren zu bemänteln.

Afrika ist in den letzten ungefähr zehn Jahren zunehmend zu einem Fokus des Terrorismus geworden. Schon vorher hatte der Terrorismus auch diesen Kontinent nicht verschont, doch nunmehr scheint er überhandnehmen zu wollen. Neben Somalia, dem Osten Kongo-Kinshasas und Mosambik ist der Sahel hauptbetroffen. Da hat der Sturz Gaddafis und die resultierende Fragilisierung Libyens als Auslöser fungiert (siehe das Kapitel zu Libyen in diesem Buch), waren dadurch doch mit einem Mal Waffen im Überfluss vorhanden[9]. Doch mussten diese Waffen auf “fruchtbaren Boden“ fallen, sonst hätten sie sich nicht “entfalten“ können.

Einzelne terroristische Attacken können überall verübt werden, sogar in einem der Herzen der Satten Welt, New York, Paris, selbst Wien. Dauerhaft etablieren kann sich der Terrorismus jedoch typischerweise dort, wo Staaten versagen, wo sie scheitern oder Teile ihres Territoriums oder eigentlich deren BewohnerInnen vernachlässigen. Ein genaueres Hinschauen könnte uns eine Diagnose der betroffenen Gesellschaften liefern, wie sie praktischer kaum ausfallen kann: Nur wo Gemeinschaften krank sind, nur wo ihre Mitglieder über Gebühr leiden, kann ein Projekt Wurzeln schlagen und gedeihen, das sich gezielt der Übergriffe und der Grausamkeiten – des Terrors – bedient. Islamistische und Terror-Gruppen inszenieren Widerstand gegen ein übermächtiges, ein fremdes und entfremdendes System der Herrschaft und Ausbeutung. Ohne auch nur im Mindesten ihre Methoden gutzuheißen, sollten wir ernstnehmen, was sie an Gesellschaftskritik mit teils erschreckendem Erfolg vorleben[10].

Dem wäre eigentlich nicht viel hinzuzufügen.

Doch hat sich die Lage für den zentralen Sahel zugespitzt.

In dem kürzlich vom im Zitat erwähnten Institut für Wirtschaft und Frieden publizierten Terrorismusindex[11] liegt Burkina Faso nunmehr an erster, Mali an dritter[12] und Niger an zehnter Stelle.

Von den im Jahr 2023 weltweit verzeichneten 8.352 Terrorismustoten waren 1.907 oder 22,83% Burkina Faso zuzurechnen, 753 oder 9,01% Mali und 468 oder 5,60% dem Niger.

Der von den Machthabern in Bamako, Niamey und Ouagadougou erst vor kurzem geschaffenen Allianz der Sahelstaaten (Alliance des États du Sahel/AES) legt diese Bilanz 37,45% der weltweiten Terrorismustoten in die Wiege. Auch wenn sich die AES den Kampf gegen den Terror als oberstes Ziel auf ihre Fahnen geschrieben hat: Was für ein Vermächtnis!

Ganz Subsahara-Afrika trug 2023 knapp 59% zu den weltweiten Terrorismustoten bei.

Die Zahl der Toten, die der Terrorismus im jeweiligen Land auf dem Gewissen hat, ist der wichtigste, aber nicht der einzige Bestandteil des IEP-Terrorismusindexes. Ebenso berücksichtigt werden die Zahl der Geiseln und die Zahl der Verletzten, mit einem Gewicht von je 0,5, und die Zahl terroristischer Vorfälle mit einem Gewicht von 1. Die Zahl der Terrorismustoten wiegt bei weitem am schwersten: Sie ist mit dem Faktor 3 gewichtet[13].

2023 betrug die Zahl der durch Terrorismus Verletzten in Burkina Faso 442, in Mali 390 und in Niger 166.

Die Zahl terroristischer Vorfälle belief sich 2023 in Burkina Faso auf 258, in Mali auf 253, in Niger auf 61, das ergibt zusammen 572, nur 17,07% der weltweiten Vorfälle. Im Sahel ist die Zahl der Toten pro Vorfall somit mehr als doppelt so hoch wie im weltweiten Schnitt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Burkina Faso und seine beiden Nachbarn in der Liste der 20 tödlichsten Attacken des Jahres 2023 überrepräsentiert sind[14].

Knapp ein Viertel aller Terrorismustoten weltweit – wie hat es im “Land der Aufrechten“ (das ist die Bedeutung des Namens Burkina Faso) so weit kommen können? Und 2023 ist kein Ausreißer, sondern Ergebnis einer steten Entwicklung – erstmals liegt im Terrorismusindex nicht Afghanistan oder Irak an erster Stelle, sondern der kleine Sahel-Staat.

Die Frage, wie es dazu gekommen ist, lasse ich im Raum stehen. Wichtiger als ihre Beantwortung ist der Umgang mit dem Phänomen, jetzt und in Zukunft. Während im Land selbst seit einiger Zeit ernsthafte Bemühungen zugange sind (auch wenn sie rein militärisch sind), bin ich überrascht, wie wenige Alarmglocken weltweit läuten. Freilich: Der Sahel ist seit den 1970ern als Krisen- und Katastrophenregion verschrien, das bestätigt sich nunmehr erneut. In den 1970ern und 1980ern war der Hunger der Hauptfeind, nun ist es der Terror.

Neben einer detaillierteren Aufschlüsselung der 2023er Daten bietet die 84-seitige 2024er Ausgabe des Terrorismus-Indexes die Behandlung anderer für den Terrorismus relevanter Themen, darunter die den Terror ausübenden (es sei wiederholt: nur die nichtstaatlichen) Gruppen sowie, als Schwerpunkt, die Querverbindungen zum organisierten Verbrechen. Diese werde ich hier nicht referieren. Ich schließe mit einer kartographischen Darstellung der Bedrohtheit afrikanischer Länder durch den Terrorismus – je dünkler das Rot, umso ärger ist sie. Weiß sind die laut Institut für Wirtschaft und Frieden 2023 nicht bedrohten Länder (die Westsahara wurde nicht behandelt).


N.B. Unter den ärger von Terrorismus betroffenen Ländern habe ich mich nicht an die Klassenbildung des Instituts für Wirtschaft und Frieden gehalten – Dunkelrot bedeutet Zugehörigkeit zu einem der zehn vom Terrorismus meistbetroffenen Länder weltweit.

P.S. Österreich rangiert in der zweitbesten Gruppe, der hellstrosanen (in Afrika: Äthiopien, Zentralafrikanische Republik, Ruanda und eSwatini). Deutschland ist eine Klasse schlechter eingestuft (wie z.B. Tunesien, Libyen, Algerien, Angola), während die beiden anderen (teil)germanophonen Länder (Schweiz und Belgien) in derselben Gruppe zu finden sind wie Österreich[15].

* * *

Endnoten:

[1] Auf der hier teilweise wiedergegebenen ACLED-Karte lassen sich durch Zoomen noch bedeutend mehr Details erkennen. Aus: Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), Conflict Watchlist 2024: The Sahel: A Deadly New Era in the Decades-Long Conflict, 17.1.2024, https://acleddata.com/conflict-watchlist-2024/sahel/.
Als politische Gewalt führt ACLED an: Gewalt gegen ZivilistInnen; Unruhen; Explosionen/Gewalt aus der Ferne; Schlachten.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Und zwar auf pp.138-140 im von mir gemeinsam mit Fritz Edlinger herausgegebenen Buch “Krisenregion Sahel. Hintergründe, Analysen, Berichte“, Wien (Promedia) 2022.

[4] Für vom Mainstream abweichende Ansichten siehe Ted Honderich, Nach dem Terror. Ein Traktat, Neu Isenburg (Melzer) 2003, Georg Meggle, Terror und Gegen-Terror. Erste ethische Reflexionen, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 50 (2002), pp.149-162, Uwe Steinhoff, Moralisch korrektes Töten. Zur Ethik des Krieges und des Terrorismus, Neu-Isenburg (Melzer) 2005, Tomis Kapitan, ‘Terrorism’ as a Method of Terrorism, in: Georg Meggle (Hg.), Ethics of Terrorism and Counter-Terrorism, Heusenstamm (Ontos) 2005, pp.21-37, Marcel Baumann, Schlechthin böse? Tötungslogik und moralische Legitimität von Terrorismus, Wiesbaden (Springer VS) 2013.

[5] Das Ministerium für Innere Sicherheit (United States Department of Homeland Security/DHS) wurde 2002 unter dem Eindruck der Terroranschläge vom 11.9.2001 eingerichtet und hat über 240.000 Beschäftigte. Siehe https://www.dhs.gov/about-dhs. Minister ist derzeit der Anwalt Alejandro Nicholas Mayorkas.

[6] Im Original: National Consortium for the Study of Terrorism and Responses to Terrorism (START): https://www.start.umd.edu. Das “National” meint die USA – es handelt sich um ein “Department of Homeland Security Emeritus Center of Excellence“ und START ist ein Netz von über 50 akademischen und Research-Institutionen, wo jenseits des Forschens auch akademische Grade erworben werden können.

[7] Global Terrorism Database (GFD): https://gtd.terrorismdata.com. Die Daten sind als Excel-Datei auf https://gtd.terrorismdata.com/files/gtd-1970-2019-4/ herunterladbar.

[8] Institute for Economics & Peace (IEP): https://www.economicsandpeace.org/.

[9] “Es ist nicht der Krieg, der nach Waffen verlangt. Das Gegenteil ist der Fall, die Waffen sorgen dafür, dass es Krieg gibt.“ Mia Couto, Imani, Zürich (Unionsverlag) 2017 p.255.

[10] In diesem Absatz und auch in der Folge zitiere ich immer wieder aus Günther Lanier, Wo es keine Perspektive gibt: Boko Haram oder das Versagen des Anti-Terror-Kampfes, Wien (International/Im Fokus 3/2021) 16. April 2021; herunterladbar unter https://international.or.at/wp-content/uploads/2021/04/ImFokus_3_2021-end.pdf.

[11] Institute for Economics & Peace, Global Terrorism Index 2024: Measuring the Impact of Terrorism, Sydney (IEP) Februar 2024, herunterladbar von: http://visionofhumanity.org/resources.

[12] Der 7. Oktober 2023 mit seinen über tausend Toten hat Israel an die zweite Stelle gehievt.

[13] Außerdem werden auch die vier vorangehenden Jahre einbezogen. Für den 2024er Indexwert hat 2023 ein Gewicht von 16, 2022 ein Gewicht von 8, 2021 ein Gewicht von 4, 2020 ein Gewicht von 2 und 2019 ein Gewicht von 1. Das Resultat wird logarithmisch überarbeitet, um den endgültigen Indexwert zu erhalten. Siehe IEP, Global Terrorism Index 2024, a.a.O., pp.76f.

[14] Ebd., pp.8f.

[15] Österreich findet sich unter den 158 gereihten Ländern auf Platz 68, Deutschland auf Platz 37 (je weiter vorne, umso schlechter!), die Schweiz auf Platz 71 und Belgien auf 51. 70 Länder werden als 2023 nicht vom Terrorismus bedroht geführt.

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