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Umsicht beim Kontakt zu Weißen

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Abstecher nach Südamerika: das Dorf Jordão im brasilianischen Westen [1]

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Günther Lanier, Wien 12. Juni 2024[2]

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Die Huni Kuin kennen kein Metall, ihre Werkzeuge fertigen sie aus Knochen oder Holz. Doch auf dem Weltenberg leben sie ganz oben, da, wo alle Flüsse entspringen. Die Weißen hingegen, mit all ihrem glänzenden Metall, die leben am Weltenberg ganz unten, im Kälteloch.

Für meinen heutigen Artikel mache ich einen Abstecher nicht nach Latein-, sondern nach Pano-Amerika – die Huni Kuin sprechen eine Pano-Sprache, die stammt nicht vom Lateinischen ab. Bei den “echten Menschen“ (das ist es, was Huni Kuin bedeutet) hätten sich viele etwas abschauen sollen.

Im Wiener Filmmuseum wurde am 7. Juni um 18h im Rahmen der “Duisburger Filmwoche zu Gast“ der Film Naua Huni von Barbara Keifenheim und Patrick Deshayes gezeigt. Dieser 1986 herausgekommene, 64-minütige deutsche Dokumentarfilm ist für meinen heutigen Artikel die Hauptquelle. Barbara Keifenheim ist eine Filmanthropologin[3], die sich abseits des Mainstreams ethnologischer Kinematographie betätigte.

Nach kurzen einleitenden Bemerkungen kommen im Film Naua Huni nur mehr Huni Kuin zu Wort – für die ZuschauerInnen werden sie mittels Untertiteln verständlich gemacht. Erst drei Jahre nach ihrem ersten Besuch hatten die BesucherInnen ihre Kameras ausgepackt und dann bauten sie einmal eine einfache Filmleinwand auf, die an eines der hohen Dächer gelehnt wurde und nachdem die Dunkelheit hereingebrochen war, zeigten sie einen Film aus Deutschland, aus einer Industriestadt, wo insbesondere Metall eingeschmolzen wurde. Weitab von der modernen “Zivilisation“ arbeiteten die FilmemacherInnen und -zeigerInnenn schon damals mit Solarstrom. Ein wesentlicher Teil von Naua Huni sind die Reaktionen auf diese Bilder aus Deutschland – es geht also um Blickumkehr, darum, dass die Huni Kuin unsere Welt betrachten und kommentieren. Überraschend, dass immer wieder gesagt wird: “Aber das kennen wir doch schon alles“. Was dann mit den Halluzinationen des Lianensaftes erklärt wird, der offenbar im Rahmen der Traditionen immer wieder kollektiv konsumiert wird[4].

Auch wir im Filmpublikum, KonsumentInnen von Filmen über exotische Teile der Welt, meinen oft, das Gesehene zu kennen, obwohl wir nie dort gewesen sind.


Huni Kuin-Dorf Aldeia Caxinauás in Acre, Brasilien [5]

Einst gehörten alle Menschen zusammen.

Dann unternahmen sie alle zusammen eine Reise. Sie kamen an einen großen Fluss, so groß, dass an ein Übersetzen nicht zu denken war. Doch sie stießen auf ein riesiges Krokodil, das von einem Ufer zum anderen reichte. Ein paar Mutige verhandelten mit ihm, ob sie auf seinem Rücken den Fluss überqueren dürften. Kein Problem, meinte das Krokodil. Allerdings müssten sie ihm als Gegenleistung Jagdbeute bringen – tatsächlich sind die Huni Kuin offenbar ausgezeichnete JägerInnen[6]. So brachten sie einE jedeR ein erlegtes Tier und das Riesenkrokodil ließ sie eine nach dem anderen passieren[7]. Das ging solange gut, bis eineR einen kleinen erlegten Kaiman brachte. Dieser Mord in seiner Verwandtschaft brachte das riesige Krokodil so in Rage, dass es untertauchte und die übrigen Überquerungswilligen ihrem Schicksal überließ.

Seither gibt es nicht nur eine Menschheit.

Die Huni Kuin haben sich von den anderen nicht abgekoppelt. Immer wieder suchten sie den Kontakt. Sie haben sich allerdings nie für Lohnarbeit einspannen lassen. Und immer wieder endete es mit einem Konflikt und sie zogen sich auf Jahre wieder in ihre unzugänglichen Wälder zurück.

Anlässlich ihrer Kontakte – und nun komme ich zur Crux der vom Film erzählten Geschichte – haben sich die “echten Menschen“ stets genau ausgesucht, was sie von den Weißen übernehmen und was nicht.

Alkohol nicht, der ändert den Charakter und führt zu Streit.

Gewehre nicht, die lassen Konflikte eskalieren und brutal werden.

Macheten und Äxte schon. Aber nicht, um Erträge zu steigern, sondern um weniger arbeiten zu müssen, um das Notwendige zu bewerkstelligen.

So konnte das Leben der Huni Kuin weitergehen wie zuvor. Anders als so viele andere Völker bewahrten sie ihre Kultur, ihre Traditionen. Nicht, dass sie sich die Anderen und ihr Leben nicht anschauten, aber bei der Übernahme von Kulturgütern und Gebräuchen waren sie überaus selektiv. Es war ein rationales Anpassen ihrer Kultur und Traditionen – wobei das Abschotten oder die Möglichkeit des Abschottens eine wichtige Rolle spielte.

Erinnert Sie das – freilich in einer ganz anderen Größenordnung – nicht an Japan im 19. Jahrhundert? Und an die Volksrepublik China im 20. Jahrhundert? Die beiden wehrten zerstörerische Kräfte von außen durch eine bewusste Politik der Abschottung ab – bis sie sich stark genug fühlten, um sich dem Weltmarkt zu stellen.

Es gibt freilich einen gewaltigen Unterschied zwischen den Huni Kuin einerseits und Japan und China andererseits: Die beiden ostasiatischen Staaten wehrten sich aus einer Position relativer Stärke heraus, die “echten Menschen“ taten es aus sehr viel schwächerer Position heraus.

Hätten andere – und da meine ich insbesondere in Afrika – sich nicht auch so verteidigen können wie die Huni Kuin statt unter weitgehender Aufgabe ihrer eigenen Kultur und Traditionen allzu schnell an den materialistischen Altären des weißen Kolonialismus zu opfern?

Zum einen haben es manche sowieso getan. Ich denke zum Beispiel an die Lobi im heutigen Südwest-Burkina, die nicht nur vier Jahrzehnte lang beharrlich Widerstand leisteten, bevor die französischen Kolonialherren das Gebiet tatsächlich unter Kontrolle hatten, sondern ihre Traditionen zudem durch kollektive Schwüre bei den AhnInnen schützten, nichts von der Kultur der Herrschenden zu übernehmen[8].

Zum anderen lebten die Huni Kuin gewissermaßen in einer Gunstlage: Ihr Gebiet ist noch heute schwer erreichbar und weckte keine allzu heftigen Eroberungswünsche seitens der Weißen beziehungsweise ihrer EpigonInnen. Wobei es mit der Zeit sogar dort zur Verdrängung kam und ein Teil der Huni Kuin ins naheliegende Peru abgedrängt wurde. Zudem war für die in Brasilien verbleibenden “echten Menschen“ der hauptsächliche Grund des Rückgangs der Bevölkerungszahlen die Verschmutzung des Wassers, der Flüsse, untrügliches Zeichen fortgeschrittener Integration ins Weltsystem…

* * *

Der hier referierte Film ist fast vierzig Jahre alt. Seither ist viel Wasser die Amazonaszubringer hinuntergeflossen. Ich habe bei meiner zugegeben recht kurzen Internet-Recherche nicht herausfinden können, wieviel von alledem noch stimmt, noch gilt. Wobei das nicht schlimm ist, es geht mir ja um die Idee.

Worauf ich bei meiner Recherche gestoßen bin, ist die 2013 gegründete Huni Kuin-KünstlerInnen-Bewegung (Huni Kuin Artists Movement/MAHKU), die bei der heurigen Biennale mitmacht. Es dominiert eine riesige Wandmalerei, welche das Riesenkrokodil darstellt, von dem ich oben erzählt habe[9].

 
das KünstlerInnen- und ForscherInnen-Kollektiv MAHKU [10]


MAHKU bei der 30. Venediger Biennale [11]

* * *

Endnoten:


[1] Jordão liegt im Bundesstaat Acre unweit der peruanischen Grenze. Foto AgniBa, 18.10.2019, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Reserva_Extrativista_Alto_Juru%C3%A1_de_n%C3%ADvel_Federal,_localizado_(a)_em_Jord%C3%A3o_(AC)_-02.jpg.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Sie war bis 2011 Professorin für Vergleichende Kultur- und Sozialanthropologie mit dem Schwerpunkt Film an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Von dort verabschiedete sich die damals 65-Jährige am 18.5.2011 mit einem Filmabend, bei dem drei der fünfundzwanzig studentischen Filme gezeigt wurden, die unter ihren Fittichen entstanden waren. Siehe https://www.europa-uni.de/de/struktur/unileitung/pressestelle/informationen/archive/medieninfoarchiv/medieninformation_2011/70-2011/index.html.

[4] Gegen Ende des Filmes ist eine solche “Zeremonie“ (ich weiß nicht, ob dieses Wort passt) zu sehen.

[5] Nicht datiertes Foto der Agência de Notícias do Acre, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Aldeia_Caxinau%C3%A1_no_Acre.jpg.

[6] Ob auch Frauen jagen, weiß ich nicht. Im Film werden die Geschlechtsunterschiede überhaupt nicht behandelt und Frauen kommen überraschenderweise kaum zu Wort.

[7] Laut https://www.labiennale.org/en/art/2024/nucleo-contemporaneo/mahku-movimento-dos-artistas-huni-kuin handelt es sich um die Bering-Straße zwischen Asien und Nordamerika, über die“ es eine Zeit lang ja eine Landbrücke gab.

[8] Was insbesondere die französischen Schulen meinte.

[9] Das Bild von ihr ist leider nicht gemeinfrei – siehe https://www.labiennale.org/en/art/2024/nucleo-contemporaneo/mahku-movimento-dos-artistas-huni-kuin. Für weitere MAHKU-Kunst siehe z.B. https://www.frieze.com/article/ela-bittencourt-mahku-venice-242.

[10] Foto Curador de Arte 11.2023, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:MAHKU_-_Movimento_dos_Artistas_Huni_Kuin.jpg.

[11] Foto Curador de Arte 15.4.2024, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:MAHKU.jpg.

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