In Wien gibt es glücklicherweise mehrere Möglichkeiten, sich mit (österreichischer) Kolonialgeschichte zu befassen. Wir haben eine davon für euch getestet: den Stadtspaziergang „Hietzing kolonial“ von dem Künstler und Lehrer Peter Haselmayer, der Teil des Kollektivs für gegen-hegemoniale Geschichte(n) und dekoloniale Zukünfte namens „Decolonizing in Vienna“ ist. Dieser Stadtspaziergang fokussiert das Ende des 19. beziehungsweise den Beginn des 20. Jahrhunderts sowie spezifisch den Stadtteil Hietzing. Die so genannte „Hietzing-Enklave“ war zu jener Zeit von einer imperialen, weißen und bourgeoisen Bevölkerungsschicht geprägt.
Schönbrunn: zwischen Exotismus und kolonialem Gedankengut
In dem Hietzing von heute führt wohl kaum ein Weg an Schönbrunn vorbei – und dies tat auch unserer nicht. Jedoch wurde die meiste Aufmerksamkeit nicht dem Schloss, sondern dem Denkmal von Philipp Franz von Siebold geschenkt. Der selbst ernannte Ethnograph und vermeintliche Gründer von modernen ethnographischen Museumskonzeptionen war auch für seine Liebe zur Botanik bekannt. Er hat wohl zur Erlangung einiger „exotischer Pflanzen“ sowie zu deren Kommodifizierung beigetragen. Diese musealen ethnographischen Erzählungen reproduzieren und verbreiten zum Teil bis heute das fälschliche koloniale Narrativ weiße Menschen seien nicht-weißen Menschen überlegen. In weißer Unschuld glorifiziert das Palmenhaus weiterhin den Exotismus für die Tropen ohne jeden Kontext ihrer Aneignung, Enteignung oder Geschichte und Gegenwart.
Auch der berühmte Schönbrunner Tiergarten ist eine Zielscheibe post-kolonialer Kritik. Der Tiergarten sei ein krasses Beispiel für die Beziehung von Menschen zu nicht-Menschen: andere Lebewesen werden gestohlen, eingesperrt und kapitalisiert. Auch hier spielt der Exotismus wieder eine tragende Rolle. Außerdem gab es in Wien sogar Menschenschauen: im Wiener Prater wurden einst Schwarze Personen „ausgestellt“. Ob dies auch in Schönbrunn der Fall war, ist noch ungeklärt.
Vom Hietzinger Platz bis Mexiko: Ferdinand Maximilian
Ein weiteres Denkmal auf der kolonialen Stadttour war jenes von „Kaiser“ Maximilian, der bis heute in Österreich als der ehemalige Kaiser Mexikos betrachtet zu werden scheint. Vor Ort wurde er allerdings nie als Staatsoberhaupt anerkannt. Die Kaiserkrone wurde ihm vom französischen Kaiser Napoleon III. angeboten. Maximilian verbrachte lediglich drei Jahre auf mexikanischem Boden und führte die Überfahrt mit jenem Schiff durch, das Novara genannt wurde. Eben dieses hatte ein paar Jahre zuvor die größte österreichische koloniale Expedition begleitet. Maximilian vertrat kolonialpolitische Interessen und war Kommandant der Kriegsmarine. Er hatte ebenso wie Siebold eine Schwäche für Botanik und fütterte das Narrativ der Natur-Kultur-Dichotomie.

Hügel: Kolonialgärtner, Botaniker und… Rassist
Ein weiterer Mann im Bunde der weißen Geschichtenerzähler war Karl Alexander Freiherr von Hügel. Das ihm gewidmete Denkmal befindet sich in einem Hietzinger Park, der sogar nach ihm benannt wurde. Während er als „ruhmreicher Förderer des Gartenbaus“ zelebriert wird und wurde, trug er zum imperialen Projekt der Systematisierung der Natur bei. Zudem entmenschlichte er Schwarze Menschen und POC-Personen. Hügel teilte die Bewohner*innen der Philippinen sogar in Gruppen ein, die er dann hierarchisch kategorisierte. Bis heute befinden sich über 700 Objekte Hügels im Weltmuseum Wien.
„Neue Welt Hietzing“
Von 1861 bis 1882 gab es zudem das Vergnügungsetablissement „Neue Welt Hietzing“ – sozusagen den Prater für die Bourgeoisie. Das privat von Karl Schwender betriebene Etablissement erstreckte sich über die gesamte Länge der Neuen-Welt-Gasse. Zum Vergnügen der bürgerlich imperialen Gesellschaft Hietzings wurde die Alhambra, die sich in Spanien befindet und einst als arabische Bibliothek im heutigen Europa diente, aus Holz in Hietzing nachgebaut. Dieser Verschnitt des originalen Kunstwerks diente als Café und Theaterbühne. Als Schwender später bankrottging, wurde das Grundstück parzelliert und verkauft – und die hölzerne Alhambra abgerissen. Heute erinnert nur noch die Benennung einer Gasse an dieses koloniale Projekt und die umliegenden Gärten.

Deconstruction of colonial thinking – an ongoing battle
Die Hintergründe zu Hietzinger Denkmälern und der Exkurs zu einem Teil der örtlichen Vergangenheit sind nur Beispiele dafür, wie Kolonialität äußerlich sichtbar ist und die bewusste und unbewusste Verinnerlichung kolonialen Denkens bis heute andauert. Während des Hietzinger Stadtspaziergangs wurden die Taten der thematisierten Personen auch in einen theoretischen Kontext eingebettet. In Nebensätzen wurden indirekte Zitate von Personen wie Frantz Fanon, Edward Said und Mary Louise Pratt erwähnt. Zudem wurde auf den Zusammenhang zwischen der Natur-Kultur-Dichotomie, kolonialem Gedankengut und dem kapitalistischen System verwiesen.
Auch Sie haben Lust, einen Stadtspaziergang zu machen und mehr über die koloniale Vergangenheit Hietzings zu lernen? Kontaktieren Sie DECOLONIZING IN VIENNA!
E-Mail: [email protected] | IG: decolonizing_in_vienna



Bilder: Theresa Mertens