Foto: ein Hubschrauber des Welternährungsprogramms im terroristisch belagerten Djibo im Norden des Landes [1]
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Günther Lanier, Ouagadougou 2. April 2025[2] – dieser Artikel wurde für die Burkina-Info der Deutsch-Burkinischen Freundschaftsgesellschaft geschrieben
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Damit keine Missverständnisse aufkommen: Dieser Artikel handelt nicht von kleiner Hilfe, sondern von der großen.
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Burkina Fasos humanitärer Sektor ist im Umbruch.
Das hat eine nationale und auch eine internationale Dimension.
Die nationale ist, dass sich Schweden aus dem Land verabschiedet hat (sowohl, was die Botschaft, als auch, was die Kooperation betrifft), dass Dänemark[3], Luxemburg[4] und neuerdings auch Österreich[5] dabei sind, ihre Botschaften und/oder Kooperationsbüros zu schließen. Zudem ist das sehr vermindert präsente Frankreich weitestgehend in Inaktivität verfallen – ein Rückzug in den Schmollwinkel, aber französische Unterstützung wäre auch tatsächlich unerwünscht.
International im Sinn von nicht-burkinaspezifisch sind die Ankündigungen der Niederlande und Großbritanniens[6] und last but not least der USA (qua USAID-mehr-oder-weniger-Auflösung), ihre Hilfen drastisch zu kürzen. Auch hat die EU – zuletzt des Landes spendabelste Geberin – ihre Mittel um circa ein Drittel gekürzt.
Hinter all dem steckt geberInnenseits eine (noch) rechtere Politik, welche nationale Interessen rücksichtslos vorreiht, und, zumindest was EU-Europa betrifft (Berlin zuvorderst), ein Hochrüsten erschreckenden Ausmaßes, für das die üppigen Finanzmittel unter anderem aus mageren EZA-Geldern kommen sollen.
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Die Hilfe reicher an arme und insbesondere afrikanische Länder kann als Kompensation für vergangenes (in erster Linie während des Dreieckshandels mit versklavten AfrikanerInnen sowie in Kolonialzeiten) begangenes Unrecht gesehen werden. Die Ex-Kolonialmächte haben auch tatsächlich mehr als genug Dreck am Stecken, mehr als genug, um Kompensation und Wiedergutmachung zu fordern und das nicht nur in Extremfällen wie Deutschlands Genozid in Namibia (damals Deutsch-Südwestafrika).
Doch ist eine Entschädigung (auf die eineR Anspruch hat) etwas Grundverschiedenes von Hilfe (die gnädigerweise gewährt wird – oder eben nicht/oder eben plötzlich nicht mehr).
Nun gibt es zwei Arten von Hilfe: die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) und die humanitäre Hilfe. Letztere ist dringender, sie interveniert in Notfällen: bei Naturkatastrophen, Hungersnöten, wenn Kriege oder Bürgerkriege oder Terrorismus Menschen vertreiben, usw. Ihr Horizont ist kurzfristig: jetzt und sofort etwas tun, damit die Betroffenen überleben. Die EZA hingegen zielt auf mittel- und langfristiges Verbessern der Lebenslagen derer, denen geholfen wird (wenn auch in der Praxis die GeberInnen meist einfordern, dass ihnen sofortige Erfolge gemeldet werden).
Burkina hat vor etwa einem Jahrzehnt einen Kategorienwechsel vorgenommen. Es war lange Jahrzehnte in den Genuss von EZA gekommen. Den Anspruch auf humanitäre Hilfe haben ihm erst die terroristischen Angriffe verschafft, die das Land seit 2015 in steigender Intensität überziehen und Unmengen Binnenvertriebener geschaffen haben.
Humanitäre Hilfe ist ein Produkt, das von einer Gruppe in erster Linie internationaler und zuvorderst riesiger Organismen geliefert wird. Deren Zusammenarbeit (und immer wieder auch Konkurrenz) hat sich über Jahrzehnte überall in der Welt, wo sie nötig war, erprobt und eingespielt. So hat es Ende der 2010er Jahre nicht lange gedauert, bis der ganze Apparat auch in Burkina implantiert war: OCHA (das Amt der UNO fürs Koordinieren humanitärer Angelegenheiten) zuoberst, dann andere UN-Agenturen, die Cluster (fachspezifische Koordinationsgruppen), internationale NGOs und zuunterst die nationalen und sehr viel schlechter bezahlten Ausführenden, die sich auch in gefährliche Gegenden wagen und den Kontext beherrschen[7].
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Es ist nicht wenig Geld geflossen. Das schafft Gewohnheiten. Viele Burkinabè haben so ihr Auskommen gefunden. Dass die Mittel jetzt plötzlich fehlen, tut vielen weh. In einer schon zuvor (insbesondere terrorismusbedingt) labilen ökonomischen Lage kann das nur weiteres Unglück schaffen. Doch Achtung vor Menschen hat die Reichen dieser Welt noch nie ausgezeichnet.
Eine Freundin, die selbst einmal für das Schweizer Kooperationsbüro hierzulande gearbeitet und sich nachher in Ouagadougou niedergelassen hat, meinte in Reaktion auf das Chaos, das die Ankündigung der USAID-Auflösung erzeugt hat, WIE das über die Bühne gegangen sei, sei absolut inakzeptabel. Doch DASS es nötig war und ist, den ganzen Hilfe-Apparat gründlich zu überholen, ja neu aufzustellen, dafür zeugten schon die fürstlichen[8] Gehälter, die an den international besetzten Spitzen der diversen großen Hilfsorganismen gezahlt würden und welche die Budgets der Hilfsorganisationen belasten. Und da brauchen wir gar nicht beginnen, von tied aid und anderem Verfolgen von GeberInneninteressen zu sprechen.
Ich will Ihnen in meinem heutigen Artikel mithilfe einer Tabelle zeigen, wie groß der humanitäre Apparat ist, der im Wesentlichen seit 2019 in Burkina in Stellung gebracht wurde. Doch bevor ich das tue, noch eine kurze Bemerkung. Mali hat der neuen US-Regierung zum Einstellen der Hilfszahlungen gratuliert (es ist selbst freilich auch betroffen). Am 24. Februar 2025 war das[9]. In dem Communiqué des malischen Außenministeriums werden solche Gelder als destabilisierend und subversiv bezeichnet, als “Mittel zum Verletzen staatlicher Souveränität.“
Dem ist vollumfänglich zuzustimmen.
Jenseits aller Erschütterungen, welche die brutale, ja unmenschliche Plötzlichkeit des Abzugs der Mittel verursacht, passt der oben beschriebene (Teil)Ausstieg aus den EU- und US-Hilfszahlungen zu den Bemühungen (nicht nur) der drei Angehörigen der Allianz der Sahelstaaten (Alliance des États du Sahel/AES) um Stärkung ihrer Souveränität. Es sollte eigentlich auch jenseits dieser Allianz Burkinas, Malis und des Niger selbstverständlich sein, tunlichst auf eigenen Füßen zu stehen, sich nur ganz ausnahmsweise auf Hilfe anderer zu verlassen.
Wie es hierzulande sprichwörtlich heißt: Schläfst Du auf der Matte anderer, schläfst Du am Boden[10].
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Die folgenden Angaben stützen sich auf Daten der OCHA[11], des Amtes der UNO fürs Koordinieren humanitärer Angelegenheiten. In Ländern, wo OCHA interveniert, veröffentlicht es regelmäßig Informationen zu allem, was mit Humanitärem zu tun hat. Am 28. Februar 2025 wurde für Burkina ein Überblick über die “operationelle Präsenz“ in den letzten beiden Monate 2024 publiziert[12], also die letzte Zeit vor der US-amerikanischen Ankündigung des Schließens von USAID, der bis dahin bei weitem finanzkräftigsten aller Hilfsorganisationen weltweit. Hier wurde somit für Burkina ein Stand humanitärer Interventionen wiedergegeben, der so schnell nicht wieder erreicht werden wird, einfach weil das Geld dafür nicht da sein wird.
Ende 2024 gab es laut OCHA 146 in humanitären Belangen aktive Organisationen in Burkina Faso – 73 nationale NGOs, 55 internationale, 8 Regierungsagenturen, 5 Organisationen der Vereinten Nationen, 3 der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung und 2 Konsortien[13].
Die allermeisten Organisationen – 54 – intervenieren in Sachen Wasser/Sanitäranlagen/Hygiene, 46 sind gegen geschlechtsspezifische Gewalt tätig, 38 in Kinderschutz, 34 in Ernährung, 27 in Nahrungsmittelsicherheit, ebenfalls 27 in Bildung, 24 in Gesundheit, 16 in Sachen Schutzmaßnahmen[14], 15 im Führen vorläufiger Aufnahmezentren, 4 im Sektor Flüchtlinge und 2 in Sachen Notquartiere und wesentliche Haushaltsartikel. Freilich kann ein und dieselbe Organisation in mehreren Sektoren gleichzeitig tätig sein.
Was die regionale Verteilung betrifft, hat das nördliche Zentrum (Centre-Nord) mit 71 die meisten Organisationen angelockt. In der Region Sahel (zu der Djibo gehört – siehe das dem Artikel vorangestellte Foto) waren es 49, in der Region Nord 47, in der Region Osten 46. 32 Organisationen sind in der Mouhoun-Schleife (Boucle du Mouhoun) aktiv, 20 in den Hauts-Bassins (Hohe Becken/im Westen rund um Bobo-Dioulasso), 16 im Zentrum, 15 im östlichen Zentrum (Centre-Est), 10 im westlichen Zentrum (Centre-Ouest), 8 auf dem Zentralplateau, 7 in den Kaskaden, 6 im Südwesten und 5 im südlichen Zentrum. Natürlich intervenieren manche Organisationen in mehr als einer Region[15].
Hier nun zum Abschluss die meines Erachtens beeindruckend lange Liste der in Burkina Ende 2024 in humanitären Belangen aktiven Organisationen – nach Kategorien und innerhalb dieser alphabetisch geordnet[16].
Burkina Fasos humanitäre AkteurInnen Ende 2024
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Möge unser Burkina ob so vieler Hilfe gedeihen und blühen!
Endnoten:
[1] Djibo, Hauptstadt der Provinz Soum (die zur Sahel-Region gehört) hat wahrscheinlich mehr als alle anderen Städte des Landes unter Terrorismus gelitten. Foto Moctar Barry/VOA 6.9.2022, leicht zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:WFP_helicopter_Djibo.png.
[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!
[3] Schon vor etwa einem halben Jahr angekündigt, nimmt sich Dänemark bis Ende 2025 und offenbar teilweise darüber hinaus Zeit zum Zusperren.
[4] Auch Luxemburg wird offenbar noch bis Ende 2025 in Burkina aktiv sein, und in manchen Fällen noch länger.
[5] Die ADA bestraft offenbar das Land und die Beschäftigten seines Kooperationsbüros dafür, dass der KoBü-Chef gekündigt hat. Vielleicht war der Beschluss auch schon vorher gefasst worden und die Schließung wurde wegen der Kündigung nur vorverlegt. Jedenfalls erfolgt sie überaus plötzlich.
[6] Im Gegensatz zu den Niederlanden war Großbritannien in Burkina traditionell wenig präsent.
[7] Siehe dazu auch Günther Lanier, Lokalisierung als Einfallstor für Internationalisierung, Ouagadougou (Africa Libre) 7.8.2024, https://www.africalibre.net/artikel/586-lokalisierung-als-einfallstor-fur-internationalisierung bzw. Wien (Radio Afrika) 7.8.2024, https://radioafrika.net/lokalisierung-als-einfallstor-fur-internationalisierung/.
[8] Im Fall der österreichischen Kooperation in Burkina waren das mehrere Jahre lang sogar königliche Gehälter. Freilich sind diese absurd hoch – auch wenn Österreich offensichtlich, wie ich immer wieder klagen hörte, weniger bezahlt als andere.
[9] Siehe Nicolas Bazié, Suspension de l’USAID: Le Mali salue la décision des autorités américaines, Libreinfo 25.2.2025, https://libreinfo.net/suspension-de-lusaid-le-mali-salue-la-decision-des-autorites-americaines/.
Der Artikel enthält das gescannte Communiqué des malischen Außenministeriums. Ob die gegen Ende des Dokuments erwähnte Einschätzung stimmt, dass die neue US-Regierung die Hilfe “sanieren und humanisieren“ will, scheint mir als Motiv für die USAID-Schließung allerdings zweifelhaft. Vielleicht handelt es sich auch um Ironie oder Sarkasmus – obwohl diese in diplomatischen Kreisen ja eher wenig angewandt werden.
[10] Auf Mooré (Muttersprache der Hälfte der Burkinabè): “f sã n gãe f to pá¿–irẽ f gãee tẽnga“. Oder auf Französisch, der burkinischen Arbeitssprache: “celui qui dort sur la natte d’autrui, dort par terre!“ oder auch “dormir sur la natte des autres c’est comme si on dormait par terre“.
[11] OCHA = (United Nations) Office for the Coordination of Humanitarian Affairs.
[12] OCHA, Burkina Faso: Présence Opérationnelle (3W), novembre-décembre 2024, online publiziert am 28.2.2025, https://reliefweb.int/report/burkina-faso/burkina-faso-presence-operationnelle-3w-novembre-decembre-2024
[13] Die OCHA-Zahlen bedurften kleiner Korrekturen, die Summe beträgt 146 statt 148, denn bei den internationalen NGOs haben sie sich verzählt, da hatten sie in ihrer Liste 56 und nicht 57 angeführt und dann kam der Tassaght-Verein doppelt vor. Somit waren im November-Dezember 2024 statt 57 nur 55 internationale NGOs humanitär tätig.
[14] Auf Englisch oder Französisch heißt dieser Cluster “Protection“. Ich habe den deutschen Ausdruck dafür nicht gefunden.
[15] In dem OCHA-Dokument finden sich genauere Angaben zur operationellen Präsenz in den Regionen.
[16] Ich habe nach längerer Überlegung die Namen der Organisationen nicht ins Deutsche übersetzt, weil das die Tabelle unübersichtlicher und noch größer machen würde. Die Kategorien habe ich von OCHA übernommen. Zwischen NGO und Verein wird in Burkina kaum ein Unterschied gemacht; iO = internationale NGO; nO = nationale NGO.