Südost-Algerien, 72.000 km2, der Großteil des Tassili n’Ajjer-Gebirges oder -Plateaus [1]
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Günther Lanier, Ouagadougou 18. September 2024[2]
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Im Herzen der Sahara gibt es wundersame Geologie, uralte Kunst, erstaunliche Biodiversität in der Pflanzen- und Tierwelt. Tassili n’Ajjer ist ein 1.500 bis 2.000 Meter hohes Sandsteinplateau im Südosten Algeriens, an der Grenze zu Libyen und Niger. Der Großteil dieses “Landes der vielen Flüsse“ (das bedeutet Tassili n’Ajjer auf Tamascheq, Sprache der Tuareg) wurde von der Unesco 1982 zum Weltkultur- und -naturerbe erklärt, 1986 dann außerdem zum Biosphärenreservat.
Für die landschaftliche Schönheit ist die Geologie verantwortlich: Sandstein und Erosion haben im Laufe der Jahrtausende bizarre Formen entstehen lassen.
hoch oben, unberührt [3]
fast 300 solcher Steinbögen soll es geben [4]
Bekannt ist Tassili n’Ajjer aber mehr noch für seine bis zu 8.000 Jahre alten[5] Felsritzungen (Petroglyphen) und Felsmalereien (wobei sich die bis zu 10.000 Jahre alten archäologischen Funde keineswegs auf die über 15.000 bekannten Felsmalereien und -ritzungen beschränken).
diese 3 Meter große gottähnliche Figur – links unten einE AnbeterIn – ist laut Unesco die älteste Tassili-Felsmalerei [6]
ähnlich alt: Tanzende [7]
der Fotograf sah hier Schwarze und Weiße in harmonischem Zusammensein – wishful thinking? [8]
vor circa 6.000 Jahren wurden im Tassili n’Ajjer Rinder gezüchtet [9]
auch hier Rinder – diesmal in Felsen graviert [10]
Auch Jagd- und Kampfszenen wurden abgebildet, Menschen beim Schwimmen und in Booten. In 4.000 Jahre alten Felsmalereien ersetzen Dromedare die Rinder, wohl ein Zeichen, dass es trockener wurde und die Weiden der früheren Zeit verschwanden. Rund um diese Zeit sollen die Tuareg in Tassili n’Ajjer eingewandert sein. Zur Wüste wurde die Sahara erst vor ungefähr zwei Jahrtausenden.
die endemische Sahara-Zypresse (Cupressus dupreziana) ist vom Aussterben bedroht, rechts ihre Zapfen [11]
Die Flora im äußersten Südosten Algeriens hat ihre Besonderheiten – die Sahara-Zypresse hat hier ihr einziges natürliches Habitat. Gemeinsam mit der Nivelle-Myrte (Myrtus nivellei) und den vom Aussterben bedrohten wilden Olivenbäumen (Olealaperrini) bildet sie “eine lichte Gehölzvegetation, 300 km vom nächsten Baum entfernt“[12]. Die Nivelle-Myrte gibt es außer in Algerien auch in Südwest-Libyen und im nördlichen Tschad, in Tassili n’Ajjer, Tassili n’Immidir, Tefedest, Ahaggar und im Tibesti.
links: die Nivelle- oder Sahara-Myrte ist ein bis zu 120 cm großer Busch, rechts Zweige des wilden Olivenbaums [13]
Auch die Fauna ist in Tassili n’Ajjer gut vertreten. Der Star unter den Tieren ist wohl der nordwestafrikanische Gepard – wie die Sahara-Zypresse ist auch seine (Unter)Art bedroht. Schon vor zehn Jahren soll es weltweit nur mehr circa 250 erwachsene Tiere gegeben haben[14].
Acinonyx jubatus hecki, der nordwestafrikanische oder Sahara-Gepard kann ohne Wasser überleben (er holt sich die notwendige Flüssigkeit aus dem Blut seiner Beute, insbesondere Gazellen).
Die Nilpferde und Büffel der Felsmalereien gibt es heute nicht mehr, auch Krokodile muss eineR in feuchteren Gegenden südlich der Sahara suchen. Doch bleiben an Säugetieren noch die steinbockähnlichen Mähnenspringer (Ammotragus lervia, auch Mähnenschaf oder Aoudad genannt), die Dorkasgazellen (Gazella dorcas), die hochgradig gefährdeten Addax oder Mendesantilopen (Addax nasomaculatus), die Val-Gundi (Ctenodactylus vali, stachelschweinverwandte Nagetiere), die ohne Schwanz bis zu 40 cm kurzen, großohrigen Wüstenfüchse (oder Fennek, Vulpes zerda), die wüstensandfarbigen Sand- oder Wüstenkatzen (Felis margarita) und viele Vögel, darunter die Steinadler (Aquila chrysaetos), die Adlerbussarde (Buteo rufinus) und Eulen (Strigiformes)[15].
algerische Marke mit zwei Wüstenfüchsen [16]
Dorkasgazellen in Algerien, nicht allzu weit von Tassili, westlich von Tamanrasset [17]
Es gibt also sehr viel gute Gründe, einen National- oder Kulturpark einzurichten und das “Land der vielen Flüsse“ (eben Tassili n’Ajjer) zu schützen und zu bewahren. Und das hat Algier auch versucht – im Rahmen des Kulturerbe-Schutz-Gesetzes von 2004[18] wurde ein neues Konzept entwickelt, das des Kulturparks, ein geographischer Raum, wo sich Kultur und Natur gegenüberstehen und miteinander verwoben sind. Auf dieser Basis “wurden Regeln für die Organisation und das Management definiert sowie Strukturen und Mechanismen zum Verwalten dieser Räume, von der prähistorischen Höhle bis zu bestehenden urbanen Strukturen, innerhalb eines Gebietsentwicklungsplans, einem legalen und technischen Instrument für Politik und Planung, das die Sektoren Kultur und Inneres ebenso berücksichtigt wie lokale Gemeinschaften und die Umwelt inklusive Wäldern.“[19]
Es wurde ein Tassili-Park-Büro eingerichtet, dem der Schutz des Kulturparks obliegt und das ausgestattet ist mit einem jährlichen “Betriebsbudget fürs Implementieren des Aktionsplans im Rahmen eines partizipatorischen Managements, das die verschiedenen Partner integriert, und einem Finanzbudget für größere Entwicklungsprojekte und Infrastruktur.“[20] Zudem wird Forschung gefördert und im Park Lebende werden sensibilisiert.
Auf 72.000 km2 – fast doppelt so groß wie die Schweiz, etwas größer als Bayern oder so groß wie Österreich ohne Oberösterreich – leben laut Unesco heute 40.000 Menschen[21], in erster Linie Tuareg und gut die Hälfte davon wohl in der Provinzhaupt- und Oasenstadt Djanet im Süden des Tassili n’Ajjer.
Der durch den Kulturpark – in erster Linie natürlich die Felsmalereien – generierte Tourismus soll dieser lokalen Bevölkerung zugutekommen. “Tourismus wird strikt kontrolliert; BesucherInnen-Gruppen werden stets von offiziellen FührerInnen begleitet. Eine der langfristig zwingenden Notwendigkeiten in diesem riesigen Gebiet wird das Management der TouristInnen bleiben.“[22]
Dromedare im zentralen Tassili n’Ajjer [23]
Nun hat die Internationale Vereinigung für die Erhaltung der Natur und der natürlichen Ressourcen (IUCN)[24] dem Tassili-Kulturpark zwar ein gutes Zeugnis ausgestellt, fast könnten wir von einem Unbedenklichkeitszeugnis sprechen, das nur sehr vorsichtig ein paar Warnungen formuliert[25], doch steht es, wenn wir Jeune Afrique glauben[26], gar nicht gut um Tassili n’Ajjer. Neben dem Klimawandel bedrohen Wildern und verantwortungsloser Tourismus Kultur- und Natur-Schätze. Anlässlich von Kontrollbesuchen von Parkwächtern und anderem Personal des erwähnten Park-Büros im August sei zum einen eine völlige Abwesenheit von Dorkasgazellen festgestellt worden, zum anderen grobe Schäden an Felsmalereien, die nur zu einem Teil natürliche Ursachen hätten, mehrheitlich vielmehr auf Vandalismus zurückzuführen seien, wobei TouristInnen die uralten Kunstwerke zerstörten (z.B. mechanisch entfernten) oder ruinierten, indem sie sie mit Graffiti verunstalteten.
Hier zeigen sich die negativen Folgen des Aufschwungs, den der Tourismus in den letzten fünf Jahren im Süden Algeriens genommen hat. Air Algérie hat nämlich Direktflüge von Paris nach Djanet eingeführt. Zudem sind die Visa-Bestimmungen bedeutend erleichtert worden (Reisende können ihr Visum beim Grenzposten bekommen, also auch bei der Ankunft am Flughafen). So hat Mokhtar Didouche, Tourismus- und Handwerksminister berichtet, dass der algerische Süden (Grand Sud algérien) 2022-23 um die 490.000 TouristInnen willkommen geheißen hat.
Es schüttet nicht nur in Österreich und Zentraleuropa – auch in Südalgerien, wo es in der Regel so gut wie nicht regnet, ist heuer extrem viel Wasser vom Himmel gefallen. Das hat den BesucherInnenstrom stark eingebremst. Doch dieser Effekt wird nicht lange halten[27].
Dem Tassili-Park-Büro müssen konsequentere Mittel zur Verfügung gestellt werden, sonst wird es seinem Auftrag, Natur und Kultur zu schützen, nicht nachkommen können.
es zielt zwar niemand auf das Tier im Zentrum, aber es handelt sich wohl um ein Bild von Jagd – von Wildern sprach damals sicher noch niemand [28]
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Endnoten:
[1] Tassili-Karte aus 1981. Blau umrandet das bei der Unesco einzureichende Weltkultur- und -naturerbe, sehr viel größer als der grün umrandete Tassili-Nationalpark, herunterladbar auf https://whc.unesco.org/en/list/179/maps/.
[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!
[3] Foto 4.1.2012, FotografIn nicht angegeben, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Untouched_Place_Hidden_High_At_Tassili_N_Ajjer_(168020831).jpeg
[4] Foto Akli salah 27.3.2017, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Parc_Rupestre_du_Tassili_N%27Ajjer_,_Alg%C3%A9rie_._03.jpg
[5] Altersangabe Unesco (https://whc.unesco.org/en/list/179). Laut Wikipedia beträgt das Alter “nicht über 9-10.000 Jahre“.
[6] Keine Angaben zu FotografIn oder Datum; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Great_god_of_Sefar.jpg.
[7] Foto Mohammed Beddiaf 17.4.2007, zugeschnitten GL, https://whc.unesco.org/en/list/179/gallery/&maxrows=21.
[8] Foto Patrick Gruban 15.4.2006, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Tassili_-_whites_and_blacks_leaving_in_harmony%3F.jpg.
[9] Foto Patrick Gruban 15.4.2006, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Tassili_-_cows.jpg.
[10] Foto Patrick Gruban 15.4.2006, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Tassili_-_Bulls_(rock_engraving).jpg.
[11] Foto links Patrick Gruban 15.4.2006, Zypresse in ihrem natürlichen Umfeld (Tassili n’Ajjer), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cupressus_dupreziana1.jpg?uselang=de.
Foto rechts Rohit Naniwadekar 19.8.2018 in Montpellier (wohl in einem botanischen Garten), leicht zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Leaf_cone_of_Cupressus_dupreziana_04.jpg.
[12] Zitat aus https://de.wikipedia.org/wiki/Sahara-Zypresse.
[13] Linkes Foto Muséum National d’Histoire Naturelle 23.1.2021, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Myrtus_nivellei.jpg; rechtes Foto Raymond Gimilio 17.9.2013, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Olea_laperrinei_Herbier_Maire_779_MPU.JPG.
Weitere Flora siehe https://www.unesco.org/en/mab/tassili-najjer?hub=66369.
[14] Aus dem erklärenden Text des folgenden Fotos von Steve Wilson vom 11.11.2013 (ohne Ortsangabe), ganz leicht zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:NorthWest_African_Cheetah_(14846381095).jpg.
[15] Diese Aufzählung von Tieren, die es heute noch in Tassili n’Ajjer gibt, habe ich dem Jeune Afrique-Artikel entnommen, der mich zu meinem Artikel inspiriert hat: Akli Tansaout, Le parc culturel de Tassili en Algérie, un trésor en perdition, Jeune Afrique 13.9.2024, https://www.jeuneafrique.com/1604968/culture/en-algerie-comment-sauver-les-tresors-du-tassili/. Ich habe sie nicht überprüft.
[16] Foto algerische Post 1967, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Stamp_of_Algeria_-_1967_-_Colnect_325119_-_Fennek_Fennecus_zerda.jpeg.
[17] Foto Mourad Harzallah 26.12.2019, ganz leicht zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gazella_dorcas_63545556.jpg.
[18] Loi n° 98-04 du 20 Safar 1419 correspondant au 15 juin 1998 relative à la protection du patrimoine culturel. Gesetz und diesbezügliche Dekrete sind auf https://www.m-culture.gov.dz/index.php/fr/textes-juridiques-patrimoine-culturel/loi-et-textes-d-application zu finden.
[19] Übersetzung GL aus dem Unterkapitel “Protection and management requirements“ auf der Unesco-Webseite zu Tassili n’Ajjer, https://whc.unesco.org/en/list/179/.
[20] Ebd.
[21] Siehe https://www.unesco.org/en/mab/tassili-najjer?hub=66369.
[22] Wieder übersetzt aus https://whc.unesco.org/en/list/179/.
[23] Foto hanming_huang 9.9.2019, leicht zugeschnitten (Hälfte des Himmels entfernt) GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Tassili_N%27Ajjer_National_Park_(49465145453).jpg.
[24] Im Original: IUCN = International Union for Conservation of Nature and Natural Resources. Diese internationale Nichtregierungsorganisation/Dachverband vieler internationaler Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen führt u.a. die Rote Liste gefährdeter Arten, kategorisiert Schutzgebiete, nimmt zu Umwelt- und Naturschutz-Fragen Stellung, entwickelt internationale Standards… Webseite: www.iucn.org.
[25] Siehe https://worldheritageoutlook.iucn.org/explore-sites/wdpaid/4999. Diese Stellungnahme ist zwar die aktuell gültige, sie stammt jedoch offenbar aus 2020 (eigentlich wäre eine neue Einschätzung im Jahr 2023 fällig gewesen). Insofern können wir nicht von ihr erwarten, dass sie die weiter unten geschilderten, den Tourismus in Süd-Algerien betreffenden Entwicklungen in ihre Analyse miteinbezieht. Trotzdem wirkt das Dokument eher blauäugig.
[26] Siehe Artikel Fn.15.
[27] Siehe den letzten Absatz des Jeune Afrique-Artikels.
[28] Foto Patrick Gruban 15.4.2006, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Algerien_Desert.jpg.