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Unbekannte Schätze

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auf der S1-Straße, westlich von Skukuza, Kruger-Nationalpark, Südafrika [1]

* * *

Günther Lanier, Ouagadougou 1.2.2023[2]

* * *

Das deutsche Auswärtige Amt hat sich in die Nesseln gesetzt. Ein Tweet anlässlich der kurzen Afrika-Tournee des russischen Außenministers stereotypisierte den ganzen Kontinent als Safaripark. Am 24. Jänner um 10h39 hieß es (im Original auf Englisch):

Der russische Außenminister Lawrow ist in Afrika, nicht um (Leoparden Emoji) zu sehen, sondern um unverblümt zu behaupten, die Partner der Ukraine ‘wollen alles Russische zerstören’.[3]

Das Auswärtige Amt ist ob der Verunglimpfung dann schnell zurückgerudert und hat sich entschuldigt.

Inzwischen wurde eine andere Deutung des Tweets ins Spiel gebracht: Es hätte sich um einen (schiefgegangenen) Witz gehandelt; mit den Leoparden seien in Wirklichkeit nicht Tiere, sondern Kampfpanzer deutscher Produktion gemeint gewesen[4], die Berlin nun nach langem Zögern doch an die Ukraine liefern will.

Im Jeune Afrique wundert sich Damien Glez, dass ein deutscher Panzer den Namen eines Tieres trägt, das es nur in Afrika und Asien gibt. Warum nicht “Wildschwein-Panzer“, fragt er[5].

Sollte es sich da um “kulturelle Aneignung“ handeln, wie er meint, dann ist sie schon vor sechzig Jahren passiert, denn getauft und der Öffentlichkeit präsentiert wurden die ersten Panzerleoparden 1963.

Was Natur betrifft, kann solche Appropriation in Afrika auf eine lange Geschichte zurückblicken. Mit der im Rahmen von Nationalparks und Naturschutz vom Globalen Norden betriebenen Verteidigung der afrikanischen Natur gegen die Einheimischen und mit dem Grünen Landraub (Green Grabbing) habe ich mich schon 2021 beschäftigt[6].


geraubte Kunst heißt Raubkunst – geraubte Tiere demnach Raubtiere [7]

Wissen und Wissenschaft laufen Gefahr, instrumentalisiert zu werden. Bei der kolonialen Eroberung nicht nur Afrikas war das besonders offensichtlich: Meist bereiteten Forschungsreisende den Militärs den Weg. Auch nach vollbrachter Aneignung der fremden Welt brauchte es Wissen um Land & Leute, um die Unterwerfung zu vervollständigen und ertragreich gestalten zu können. So betätigte sich manch Kolonialbeamter[8] im Rahmen seiner Arbeit in staatlichen Diensten z.B. als Ethnologe, wurde ein von der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft anerkannter Experte und mutierte nach beendeter Praxis “im Feld“ zum Professor an einer Schule für angehende Kolonialbeamte oder gar einer Universität.

Soll Fremdes bewahrt werden, so wären also vorauseilende und begleitende intellektuelle Aneignung von Fremdem abzulehnen. Die Praxis ist aber weltweit eine entgegengesetzte. Und so gibt es heute keine “weißen Flecken“ mehr auf der Weltkarte, auch Afrika wurde bis in seine letzten Winkel kartografiert und gilt somit als bekannt.

Das stimmt jedoch gerade in einem Bereich nicht, wo Wissen wichtig und dienlich wäre: die Artenvielfalt bzw. allgemeiner die Biodiversität[9]. Diesbezüglich ist Afrika noch deutlich weniger erschlossen als andere Teile der Welt. Das liegt sicher daran, dass solches Wissen nicht direkt ökonomisch verwertbar ist. Zwar wird übereinstimmend das Bewahren größtmöglicher biologischer Vielfalt als erstrebenswert angesehen und es ist klar, dass die Liste bedrohter Tier- und Pflanzenarten aufgrund des voranschreitenden, sich beschleunigenden Klimawandels immer länger wird. Doch gilt ganz offensichtlich auch diesbezüglich in unserer globalisierten Welt, dass das Hemd uns näher als der Rock sitzt.

Das Problem dabei ist, dass wir nur schützen können, wovon wir wissen, nur bewahren können, was wir kennen[10].

Zwar ist bekannt, dass Afrika in Sachen Biodiversität eine für die ganze Welt überaus bedeutende Rolle spielt, aber das hat bisher nicht gereicht, um eine auch nur halbwegs umfassende Bestandsaufnahme zu gewährleisten.

 

Zahl vorgenommener Inventarisierungen

Die drei Karten zeigen die geographische Verteilung des bisherigen wissenschaftlichen Interesses an der Bestandsaufnahme von Amphibien, Säugetieren und Vögeln. Weiß sind Gebiete, wo bis dato keine Inventarisierung stattgefunden hat.

Vögel liegen deutlich vor Säugetieren. Dass Amphibien am wenigsten beforscht wurden, liegt teilweise an den klimatischen Bedingungen, der Trockenheit.


umso dunkelvioletter, desto besser inventarisiert

Für dieses zweite Set von Karten wurden für jedes afrikanische Land – wieder getrennt nach Vögeln, Säugetieren und Amphibien – die Zahl der Inventarisierungen zur Landesfläche ins Verhältnis gesetzt. Bei 5 Bestandsaufnahmen als Mindestzahl für eine “Zelle“ (100km x 100km) wurde dieses Minimum für Amphibien in 25, für Säugetiere in 16 und für Vögel in 5 Ländern verfehlt. Auf den Komoren, in Libyen und Dschibuti wurde dieses Minimum in keiner einzigen Zelle und weder für Vögel noch für Säugetiere oder Amphibien erreicht.

Was Pflanzen, Pilze und Insekten betrifft, so wurden sie in Afrika bisher noch viel weniger inventarisiert als die angeführten Wirbeltier-Klassen.


die horizontale Achse zeigt Jahreszahlen, die vertikale Achse den Teil Afrikas, der zu inventarisieren bleibt

Wie lange wird es noch dauern, bis ganz Afrika inventarisiert ist? Werden bisherige Trends zugrunde gelegt, so kommt die Studie zur Prognose, dass es – für Amphibien, Säugetiere und Vögel jeweils unterschiedlich – mindestens bis ins Jahr 2192 und höchstens bis zum Jahr 2294 dauern wird, bis immerhin 90% von Afrika erfasst sein werden.

Bis dahin sind es also noch über eineinhalb Jahrhunderte. Ich überlege mir lieber nicht, wie viele Arten bis dahin ausgestorben sein werden…

* * *

Endnoten:

[1] Männlicher Leopard (panthera pardus), Foto Bernard DUPONT 5.2.2019, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Leopard_(Panthera_pardus)_male_walking_on_the_road_…_(50148578263).jpg.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Übersetzung des RedaktionsNetzwerks Deutschland/RND (https://www.rnd.de/politik/auswaertiges-amt-tweetet-ueber-russischen-aussenminister-in-afrika-und-leoparden-panzerwitz-oder-DG7IDEP4KODOGCKYZEI37UDHZM.html). Im Original: “The Russian Foreign Minister #Lavrov is in Africa, not to see 🐆, but to bluntly claim that #Ukraine’s partners ‘want to destroy everything Russian’.” Siehe https://twitter.com/GermanyDiplo/status/1617834372232785920?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1617834372232785920%7Ctwgr%5E%7Ctwcon%5Es1_&ref_url=about%3Asrcdoc.

[4] Siehe den zitierten RND-Artikel vom 26.1.2023, der “Diplomatisches Fiasko oder Panzerwitz?“ betitelt ist.

[5] Damien Glez, La (mauvaise) blague allemande qui froisse l’Afrique, Jeune Afrique 31.1.2023, https://www.jeuneafrique.com/1413383/politique/la-mauvaise-blague-allemande-qui-froisse-lafrique/.

[6] Siehe Günther Lanier, Landraub der anderen Art. Naturschutz in Afrika und seine Militarisierung, Ouagadougou (Africa Libre) 11.8.2021, https://www.africalibre.net/artikel/141-landraub-der-anderen-art–naturschutz-in-afrika-und-seine-militarisierung, ursprünglich publiziert in Wien (Radio Afrika TV) 11.8.2021, dort aber nicht mehr zugänglich.

[7] Die afrikanische Natur hat freilich kein Monopol auf Enteignung durch den Globalen Norden. Hier ein schwarzer Jaguar (panthera onca) aus Südamerika im Zoo von Edinburgh. Foto Bruce McAdam 29.8.2008, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Black_Panther_by_Bruce_McAdam.jpg?uselang=de.

[8] Meines Wissens waren das ausschließlich Männer.

[9] Die Biodiversität geht über die Artenvielfalt hinaus, sie inkludiert Öko- und Landschaftssysteme.

[10] Ich stütze mich in der Folge auf Harith Farooq, Josué A R Azevedo, Amadeu Soares, Alexandre Antonelli, Søren Faurby, Mapping Africa’s Biodiversity: More of the Same Is Just Not Good Enough, Systematic Biology, Bd.70, Nr.3, Mai 2021, pp.623-633, https://doi.org/10.1093/sysbio/syaa090. Auch die drei Grafiken habe ich dieser dankenswerterweise gemeinfreien Studie entnommen. Eine Zusammenfassung bieten zwei ihrer AutorInnen unter Harith Omar Morgadinho Farooq, Søren Faurby, It’ll take 150 years to map Africa’s biodiversity at the current rate. We can’t protect what we don’t know, The Conversation 27.1.2023, https://theconversation.com/itll-take-150-years-to-map-africas-biodiversity-at-the-current-rate-we-cant-protect-what-we-dont-know-195219.

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