Ausschnitt aus dem Unterdeckteil des Versklavtentransportschiffschemas der Brooks, Dezember 1788 [1]
Günther Lanier, Ouagadougou 23. Oktober 2024[2]
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Die Brooks, ein speziell für den Transport von Versklavten gebautes Segelschiff, das 1781 in Liverpool vom Stapel lief, durfte gemäß 1788er Verordnung (Regulation Act of 1788) 454 Versklavte transportieren. Dabei waren für jede Frau 5 Fuß 10 Zoll mal 1 Fuß 4 Zoll (177,8 mal 40,6 cm = 0,72 m2) vorgesehen, für jeden Mann 6 Fuß mal 1 Fuß 4 Zoll (182,9 mal 40,6 cm = 0,74 m2) und für jedes Kind 5 Fuß mal 1 Fuß 2 Zoll (152,4 mal 35,6 cm = 0,54 m2).
In der Praxis scheint dieser Mindestraum weiter reduziert worden zu sein: Offenbar wurden 609 oder sogar 744 Versklavte transportiert, also ein Drittel (34%) oder fast zwei Drittel (63%) mehr als erlaubt, was entsprechend weniger Platz für jedeN einzelneN bedeutete. Das war nur möglich, wenn die Menschenware löffelgleich gestapelt wurde.
Ausschnitt aus derselben Gravur, der vordere Teil der Brooks
Nirgends anders wurden in so kurzer Zeit so viele Versklavte transportiert wie über den Atlantik. Zwischen 1501 und 1867 sollen es 12,5 Millionen gewesen sein[3]. Um das zu schaffen, brauchte es Vorsatz, Planung und tunlichst eine wissenschaftliche (Medizin, Ökonomie, Ingenieurwesen…) Herangehensweise. Durch die Sahara und aus Ostafrika dürfte eine ähnliche Gesamtzahl (um die 11 Millionen) an Versklavten ausgeschafft worden sein, doch da fand der Handel über einen wesentlich längeren Zeitraum statt.
Die Profite, die der transatlantische Menschenwarentransport versprach und auch tatsächlich einspielte, waren enorm. Und da es im Kapitalismus um das Maximieren von Profiten geht, wurde getüftelt und probiert und verbessert. Auf die Fracht brauchte ja nicht allzu sehr aufgepasst werden, auch wenn das Ziel war, einen möglichst großen Teil halbwegs unbeschädigt ans Ziel zu bringen. Es wurden zusätzliche Plattformen oder Regale eingebaut, so wurde sowohl der Raum des Zwischendecks als auch des Puppdecks (der Aufbau hinten am Schiff) optimal ausgenutzt.
links ein Querschnitt des Puppdecks, rechts ein Querschnitt des Zwischendecks mittschiff, Brooks 1788
Nirgendwo anders ging es brutaler zu. Es galt, Willen zu brechen, das eigentliche Versklavten-Leben vorzubereiten, das nach der Landung und dem Verkauf beginnen würde. Manche HistorikerInnen sprechen hier von einer eigenen Unterform der Versklavung, der “Salzwasserversklavung“ oder “Versklavung zur See“[4]. Ein Regime des Terrors, der Gewalt und des Todes sollte den Versklavten ihre Warennatur beibringen.
12 bis 13% der Verladenen sollen die Überfahrt nicht überlebt haben[5].
Waren Versklavte für Zuckerplantagen – vor allem in der Karibik – bestimmt, so betrug ihre Lebenserwartung nach der Ankunft um die zehn Jahre.
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Ich kannte die offenbar “ikonische“ Brooks-Gravur nicht, habe mich auch nie ernsthaft mit dem Abolitionismus auseinandergesetzt. Dass ich sie hier des Langen und Breiten verwende, liegt daran, dass sie meines Erachtens in ihrer wiederholenden optischen Einfachheit die industrielle Selbstverständlichkeit und Banalität der Unmenschlichkeit – oder, wenn Sie wollen, des Bösen – des (frühen) Kapitalismus versinnbildlicht.
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Noch ein kurzer Nachsatz: Die Handelsware selbst hat keine Stimme, kam fast nie zu Wort. Es gibt nur ganz wenige Autobiographien oder ähnliche “Ego-Dokumente“ von Versklavten und Ex-Versklavten. Wurde eines veröffentlicht, ist zu hinterfragen, wie “wahr“ es ist, musste es auf dem Weg in die Öffentlichkeit doch enorme Hürden passieren, Umschreibungen und Korrekturen vonseiten der HerausgeberInnen inklusive. Auch bei Interviews ist nicht klar, ob die Beforschten wirklich Teile ihrer selbst enthüllen oder diese nicht vielmehr gewollt oder ungewollt verstecken. Auch können Subjektivität und individuelles Bewusstsein, wie sie im Globalen Norden heute üblich sind, nicht als ubiquitär vorausgesetzt werden[6].
Bei allem eventuellen Bemühen, Geschichte (und das gilt eingeschränkt sogar für die Gegenwart) von und für unten zu schreiben: Was wir hören und lesen gründet auf den Stimmen der BesitzerInnen der Versklavten.
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Hier das gesamte Schema des Versklavtentransportschiffs Brooks 1788 [7]
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Endnoten:
[1] Ausschnitt der 1788 veröffentlichten Gravur der Plymouth-Ortsgruppe der Gesellschaft zum Abschaffen des Versklavten-Handels (Plymouth Chapter of the Society for Effecting the Abolition of the Slave Trade), https://en.wikipedia.org/wiki/File:Slaveshipposter.jpg.
[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!
[3] Die diesbezüglichen Schätzungen divergieren freilich. Meine entstammt dem Buch, das schon letzte Woche meine Hauptquelle war, dieses Mal handelt es sich um das Kapitel Traites von Cécile Vidal, pp.721-740 in: Paulin Ismard (Hg.), Les mondes de l’esclavage. Une histoire comparée, Paris (Editions du Seuil) 2021, neue, um ein Kapitel erweiterte Auflage 2024.
[4] Siehe abermals das zitierte Traites von Cécile Vidal. A.a.O.
[5] Ebd.
[6] Siehe dazu M’hamed Oualdis Kapitel Voix d’esclaves, pp.795-807 im selben Buch Les mondes de l’esclavage.
[7] Hier handelt es sich um die gesamte Gravur der Plymouth-Ortsgruppe der Gesellschaft zum Abschaffen des Versklavten-Handels – die anderen Bilder des heutigen Artikels sind Ausschnitte davon; https://en.wikipedia.org/wiki/File:Slaveshipposter.jpg.
Es zahlt sich aus, diese Gravur unter der angegebenen Adresse aufzurufen und dann die einzelnen Teile noch mehr zu vergrößern als es mir in diesem Artikel möglich ist – die Auflösung ist ausgezeichnet. Das Original befindet sich in der United States Library of Congress in der Abteilung Drucke und Fotografien, digitale Identität cph.3a34658.