Jan Smuts 1891 in Studienabschlussrobe, 21 Jahre jung [1] Nelson Mandela 1937 in Umtata im Ostkap, 19 Jahre jung [2]
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ein Artikel von Prof. Roger Southall
Kurzeinleitung und Übersetzung Günther Lanier, Ouagadougou 18. Dezember 2024[3]
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Waren die beiden so unterschiedlich nicht?
Roger Southall ist emeritierter Soziologie-Professor der renommierten Witwatersrand-Universität. Davor war er 2001-2007 distinguierter Forschungsbeauftragter am Humanwissenschaftsforschungsrat und 1989-2001 Politologie-Professor an der Rhodes-Universität. Zuvor hatte er an Universitäten in Uganda, Lesotho, Großbritannien und Kanada gewirkt. Er hat mehrere Bücher[4] und eine Vielzahl von Artikel veröffentlicht und Kapitel-Beiträge für zahlreiche Bücher geschrieben[5].
Er trägt mit ziemlicher Regelmäßigkeit Artikel zu The Conversation bei – auf der Webseite sind 70 aufgelistet[6]. Dort hat er am 28. November 2024 eine kurze Zusammenfassung seines neuen Buches publiziert, in dem Jan Smuts und Nelson Mandela gegenübergestellt und verglichen werden – zwei herausragende Politiker des südafrikanischen 20. Jahrhunderts, die sonst wohl selten im selben Atemzug genannt werden.
Doch lesen Sie lieber selbst.
Bei Professor Southall bedanke ich mich herzlich für die prompte Erlaubnis, seinen Artikel zu übersetzen.
Die Fotos zum Artikel habe ich ausgewählt – nur das von Roger Southalls Buch ist aus dem Artikel-Original – für die Collage zum Conversation-Artikel-Beginn habe ich die Rechte nicht.
Jan Smuts war ein weißer Suprematist. Nelson Mandela ein schwarzer Befreiungsheld.
Ein neues Buch erkundet ihre Gemeinsamkeiten
veröffentlicht am 28. November 2024 um 15h51 südafrikanischer Standardzeit
Autor: Roger Southall, Soziologie-Professor, Witwatersrand-Universität
Premierminister Jan Smuts 1941, 71 Jahre alt [7] Präsident Nelson Mandela Okt.1994, 76 Jahre alt [8]
Jan Christiaan Smuts[9] (1870-1950) und Nelson Rolihlahla Mandela[10] (1918-2013) gehörten zwei verschiedenen südafrikanischen Epochen an und wurden von ihnen geformt, beide haben einen unauslöschlichen Abdruck hinterlassen. Der Soziologe Roger Southall hat sie sozusagen zusammengespannt in seinem Buch “Smuts & Mandela, The Men Who Made South Africa“[11] (Smuts & Mandela, die Männer, die Südafrika formten“). Eine unter den vielen Parallelen, die er zwischen den beiden gefunden hat – der eine ein weißer Suprematist und der andere ein Nicht-Rassist und afrikanischer Nationalist – ist, dass sie beide Nationenbauer waren. Smuts schuf den Staat für dessen Umwandlung Mandela kämpfte. Wir haben den Autor um Erklärungen gebeten.
Was wollen Sie, dass die LeserInnen aus dem Buch mitnehmen?
Der Schutzumschlag sagt alles: “Dieses Buch argumentiert, dass wir Mandela nicht wirklich verstehen können, wenn wir zuvor nicht Smuts verstehen, und dass Südafrika weiterhin mit dem Vermächtnis ringt, das er hinterlassen hat.“
Doch das geht an der eigentlichen Frage vorbei: Warum vergleiche ich gerade die Leben und Hinterlassenschaften von Jan Smuts, dem weißen suprematistischen Führer, und Nelson Mandela, dem schwarzen nationalistischen Führer der Befreiungsbewegung, der das Land in die Demokratie geführt hat?
Manche werden die moralische und historische Legitimität dieses Vergleichs in Frage stellen. Ich glaube aber, dass er gleichzeitig informativ ist und eine Herausforderung darstellt. Er zwingt uns, mit dem Bruch zurechtzukommen, zu dem es 1994[12] kam, als Südafrika eine Demokratie wurde – und auch mit den Kontinuitäten.
Die Gegenwart muss auf der Vergangenheit aufbauen, denn die Vergangenheit kann nicht einfach weggewünscht werden. Wir müssen versuchen, sie zu verstehen, teilweise aus sich selbst heraus (wie haben diejenigen, welche die Vergangenheit formten, ihre Gegenwart gesehen und ihr Handeln gerechtfertigt?) und teilweise aus unserem Blickwinkel (was waren die Konsequenzen dieser Vergangenheit und des Handelns derer, die sie gemacht haben?).
Der Untertitel meines Buches – Die Männer, die Südafrika schufen[13] – ist eine offensichtliche Übertreibung. Kein Individuum macht je allein Geschichte. Die ist stets ein kollektives Produkt. Nichtsdestoweniger gibt es immer Einzelne, deren Handlungen wirkungsreicher sind als die von Anderen. Etwas vereinfacht formuliert will ich deutlich machen, dass der Freiheitskampf, den Mandela und der Anti-Apartheid-African National Congress[14] führten, zwangsläufig vom Wesen des Staates geprägt war, den Smuts 1910[15] mit den Verhandlungen der Südafrikanischen Union schaffen half.
Wer war Jan Smuts?
Smuts gilt weithin als die dominante Figur bei der Einrichtung der Südafrikanischen Union 1909-10. Im Gefolge des Englisch-Burischen Kriegs (Südafrikanischen Kriegs)[16] von 1899-1902 vereinte die Union die beiden Buren-Republiken Transvaal und Oranje-Freistaat mit den seit langem bestehenden Kolonien Natal und Cape (Kapkolonie) in einem gemeinsamen Staat. Der Krieg hatte zur Folge, dass Großbritannien der burischen Unabhängigkeit ein Ende setzte. Wobei der durch die Union geschaffene Staat in erster Linie auf weißem männlichem Stimmrecht gründete. Sein Hauptmerkmal war, dass der schwarzen Mehrheit des “neuen Südafrika“ das Wahlrecht verweigert wurde.
Nach der Vereinigung spielte Smuts eine wichtige Rolle bei der Einrichtung der Segregation (wobei der Beschluss des Native Land Act (Eingeborenenland-Gesetz) 1913[17] sowie anderer Schlüssel-Gesetze die weiße Suprematie einzementierte). 1919-24 war er ein erstes Mal Premierminister. Während seiner zweiten Amtszeit an der Spitze des Staates, von 1939 bis 1948, führte er Südafrika in den Zweiten Weltkrieg[18] und wieder aus ihm heraus.
Über diese ganze Zeit hinweg entwickelte sich Smuts zu einem internationalen Staatsmann. Bei der Schaffung des Völkerbunds[19] nach dem Ersten Weltkrieg[20] spielte er eine ebenso maßgebliche Rolle wie bei der Einrichtung der Vereinten Nationen[21] nach dem Zweiten Weltkrieg[22].
Von der Allgemeinheit ist Smuts heute weitgehend vergessen. Dafür gibt es zwei Gründe. Nachdem er 1948 um die Macht gebracht worden war, bemühten sich in Südafrika seine Gegner in der National Party[23] (Nationale Partei), ihn aus den Geschichtsbüchern zu löschen. Aus Gründen, die ich im Buch erforsche, hielten sie ihn für einen Verräter an den Buren[24] (Afrikaaner/Afrikaander[25]), Nachfahren der vor allem niederländischen und französischen EinwanderInnen nach Südafrika, die sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts dagegen gewehrt hatten, unter britischen Einfluss und britische Herrschaft zu geraten.
Da Smuts einer der Architekten der Segregation war, war es außerhalb von Südafrika bequemer, das Lob zu vergessen, das ihm die westliche Welt gespendet hatte.
Jacana Media
Wollen wir das heutige Südafrika verstehen, so folgt daraus aber mitnichten, dass wir die Rolle vergessen sollen, die Smuts in der südafrikanischen und der Welt-Politik gespielt hat.
Wer war Nelson Mandela?
Mandelas[26] Leben ist zu einer triumphalen Moral-Lektion geworden.
Wie es heißt, begann es in den 1950ern, da spielte er eine führende Rolle in den Massenkampagnen[27] gegen die Apartheid, stieg in der Hierarchie des anti-Apartheid African National Congress (ANC[28]) auf und brachte dann die Sache der Freiheit im Landesverratsprozess (Treason Trial[29]) 1956-61 und im Rivonia-Prozess (Rivonia Trial[30]) 1963-64 geschickt voran. Dann verbrachte er aufgrund seiner Überzeugungen 27 Jahre im Gefängnis[31].
In den 1980er Jahren drängte Mandela das widerspenstige Apartheid-Regime in Richtung Verhandlungstisch und leitete in den 1990ern den ANC während der Verhandlungen[32], die Südafrika die Demokratie brachten. In der Folge erntete er als Präsident weltweit Anerkennung – seine Bemühungen um Versöhnung transformierten Südafrika und konsolidierten die Demokratie.
Während Smuts nach seiner Niederlage in den 1948er Wahlen weitgehend vergessen wurde, entfaltete sich Mandela zur internationalen Ikone.
Aber Geschichte befindet sich im steten Wandel. Im Buch argumentiere ich, dass das nunmehr wiederauflebende Interesse an Smuts in der Notwendigkeit gründet, Mandela einer kritischeren Einschätzung zu unterziehen. Smuts war der Mann, der mehr als alle anderen das rassistische Südafrika von 1910 schuf. Mandela, der Mann, der mehr als alle anderen das 1994er Südafrika jenseits der Rassen formte, musste auf dem von Smuts gelegten Fundament aufbauen.
Inwiefern hilft der Vergleich zwischen den beiden beim Verständnis der Geschichte des Landes?
Mein Buch verfolgt die Geschichte Südafrikas im 20. Jahrhundert mittels der beiden Leben von Smuts und Mandela. Ich spüre Parallelen in ihren Leben nach: Sie waren Freiheitskämpfer, Staaten- und Nationen-Bauer und Staatsmänner auf der Weltbühne.
Ich habe ergründet, wie es geschehen konnte, dass sich gerade diese Führer eines eher unwichtigen Landes zu bedeutenden Figuren der globalen Imagination entwickelten.
Ein Augenmerk auf Individuen ist nur eine von mehreren Arten, Geschichte zu betreiben, aber es eine zulässige. Die Beliebtheit von Biographien zeigt, dass es für viele Nicht-HistorikerInnen eine besonders attraktive Art ist, sich mit ihrer Geschichte zu beschäftigen. Ich wollte ein Buch schreiben, dass sich an eine LeserInnenschaft jenseits von Academia wendet.
Außerdem wollte ich unterstreichen, dass, obwohl 1994 für den südafrikanischen Staat und seine Ökonomie massive Veränderungen gebracht hat, es gegenüber der Vergangenheit zahlreiche Kontinuitäten gibt. Smuts schuf den Staat, für dessen Verwandlung Mandela kämpfte.
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Endnoten:
[1] UnbekannteR FotografIn, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Jan_Smuts,_1891.jpg.
[2] UnbekannteR FotografIn, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Young_Mandela.jpg.
[3] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!
[4] The Conversation erwähnt die folgenden:
South Africa’s Transkei: The Political Economy of an ‘Independent’ Bantustan, 1983,
Imperialism or Solidarity? International Labour and South African Trade Unions, 1995,
Liberation Movements in Power: Party and State in Southern Africa, 2013,
The New Black Middle Class in South Africa, 2016.
[5] Siehe https://theconversation.com/profiles/roger-southall-296862.
[6] Siehe https://theconversation.com/profiles/roger-southall-296862/articles.
[7] FotografIn: keine Angaben; zugeschnitten GL; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Jan_en_Isie_Smuts.jpg.
[8] Foto Maureen Keating, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Nelson_Mandela_and_the_Congressional_Black_Caucus.jpg.
[9] Siehe South African History Online, General Jan Christiaan Smuts, o.D., https://www.sahistory.org.za/people/general-jan-christiaan-smuts.
[10] Siehe South African History Online, Nelson Rolihlahla Mandela, o.D., https://www.sahistory.org.za/people/nelson-rolihlahla-mandela.
[11] Jacana Media, Smuts & Mandela: The Men Who Made South Africa, 380 Rand, https://jacana.co.za/product/smuts-mandela-the-men-who-made-south-africa/.
[12] Siehe David Robinson, World politics explainer: the end of Apartheid, The Conversation 11.10.2018, https://theconversation.com/world-politics-explainer-the-end-of-apartheid-101602
[13] Wörtlich: “Die Männer, die Südafrika machten“. Siehe https://jacana.co.za/product/smuts-mandela-the-men-who-made-south-africa/.
[14] Siehe South African History Online, African National Congress (ANC), publiziert am 20.3.2011, letztmals aktualisiert am 28.3.2019, https://www.sahistory.org.za/article/african-national-congress-anc.
[15] Siehe South African Government, History, o.D., https://www.gov.za/about-sa/history#:%7E:text=In%201910%2C%20the%20Union%20of,of%20black%20people%20from%20power.
[16] Siehe André Wessels, Anglo-Boer War: how a bloody conflict 125 years ago still shapes South Africa, The Conversation 9.10.2024, https://theconversation.com/anglo-boer-war-how-a-bloody-conflict-125-years-ago-still-shapes-south-africa-240162.
Anmerkung GL: auf Deutsch meist Zweiter Burenkrieg genannt.
[17] Siehe South African Government, 1913 Natives Land Act Centenary, o.D., https://www.gov.za/news/events/commemorative-events/1913-natives-land-act-centenary.
[18] Siehe National Army Museum, Jan Smuts: The warrior-statesman, o.D., https://www.nam.ac.uk/explore/jan-smuts-warrior-statesman#:%7E:text=Second%20World%20War,-On%20the%20renewal&text=He%20was%20appointed%20a%20British,treaties%20after%20both%20World%20Wars.
[19] Siehe South African History Online, General Jan Christiaan Smuts, o.D., https://www.sahistory.org.za/people/general-jan-christiaan-smuts.
[20] Siehe Britannica, World War I, o.D., https://www.britannica.com/event/World-War-I.
[21] Siehe United Nations, Peace, Dignity and Equality on a Healthy Planet, o.D., https://www.un.org/en/.
[22] Siehe Britannica, World War II, o.D., https://www.britannica.com/event/World-War-II.
[23] Siehe South African History Online, National Party (NP), publiziert am 30.3.2011, letztmals aktualisiert am 26.10.2020, https://www.sahistory.org.za/article/national-party-np.
[24] Siehe Britannica, Afrikaner people, o.D., https://www.britannica.com/topic/Afrikaner.
[25] Anm. GL: In der Eigenbezeichnung ‘Afrikaner’ – ‘Bure’ ist heute nicht mehr gebräuchlich, nach dem 2. Weltkrieg war es das jedoch noch.
[26] Siehe The Nobel Prize, The Nobel Peace Prize 1993, o.D., https://www.nobelprize.org/prizes/peace/1993/summary/.
[27] Siehe South African History Online, Defiance Campaign 1952, publiziert am 21.3.2011, letztmals aktualisiert am 14.11.2018, https://www.sahistory.org.za/article/defiance-campaign-1952.
[28] Siehe South African’s National Liberation Movement, Statements, o.D., https://www.anc1912.org.za/.
[29] Siehe South African History Online, Treason Trial 1956 – 1961, publiziert am 31.3.2011, letztmals aktualisiert am 5.7.2021, https://www.sahistory.org.za/article/treason-trial-1956-1961.
[30] Siehe South African History Online, Rivonia Trial 1963 – 1964, publiziert am 31.3.2011, letztmals aktualisiert am 29.10.2018, https://www.sahistory.org.za/article/rivonia-trial-1963-1964.
[31] Siehe Zanela Riba, Nelson Mandela’s release from prison: 33 years on, Nelson Mandela Foundation 10.2.2023, https://www.nelsonmandela.org/news/entry/nelson-mandelas-release-from-prison-33-years-on.
[32] Siehe South African History Online, Convention for a Democratic South Africa (CODESA), 21.3.2011, zuletzt aktualisiert am 3.5.2017, https://www.sahistory.org.za/article/convention-democratic-south-africa-codesa.