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Schreiben als Gemeinschaftsprojekt, Schreiben auf Gĩkũyũ

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Er ist Aktivist und Akademiker, Gefangener und Pionier auf unbekanntem Terrain. Ngũgĩ wa Thiong’o lebt und schreibt im Exil in Amerika und richtet sich dabei doch in erster Linie an ein afrikanisches Publikum. In einem Artikel schreibt er: „Ein afrikanischer Schriftsteller sollte in einer Sprache schreiben, die es ihm ermöglicht, effektiv mit den Bauern und Arbeitern in Afrika zu kommunizieren – in anderen Worten, er sollte in einer afrikanischen Sprache schreiben.“ Indem er seine Romane und Theaterstücke auf Gĩkũyũ verfasst, erreicht er ein breites Publikum in Kenia, das aktiv am literarischen Diskurs teilnimmt.

Am 12. Mai findet eine Premiere am Kenya National Theater in Nairobi statt. Die Schauspielakademie „Nairobi Performing Arts Studio“ inszeniert das Stück des international bekannten kenianischen Schriftstellers Ngũgĩ wa Thiong’o: „Ngaahika Ndeenda“ (I Will Marry When I Want). Nur sechs Wochen nach seiner Uraufführung im Jahr 1977 war es von der Regierung Kenias verboten worden. Ngũgĩ wa Thiong’o wurde für ein Jahr inhaftiert und lebt seit 1982 im Exil in Großbritannien und Nordamerika.
Das Stück entstand im Rahmen eines Gemeinschaftsprojektes kenianischer Bauern- und Arbeiterfamilien. Es zeigt die sozialen Probleme und Ungleichheiten im unabhängigen Kenia. Außerdem stellte es auch eine Kritik an der Politik der Regierung des ersten kenianischen Präsidenten, Jomo Kenyatta, dar.

Vom 12. bis 29. Mai 2022 ist Ngũgĩ wa Thiong’os Theaterstück am Nationaltheater in Nairobi zu sehen

Der Pionier

Es war nicht leicht einen Verlag zu überzeugen, ein Buch in einer lokalen kenianischen Sprache zu publizieren. Auch 20 Jahre nach der Unabhängigkeit der meisten afrikanischen Länder von ihren europäischen Kolonisatoren, wurden die literarischen Werke afrikanischer Autoren und Autorinnen in Englisch, Französisch und Portugiesisch veröffentlicht. Und damit waren ausschließlich gebildete Eliten und EuropäerInnen die Zielgruppe afrikanischer Literatur.

Für eine lange Zeit glaubte auch Ngũgĩ wa Thiong’o, es sei unmöglich, einen Roman auf Gĩkũyũ zu verfassen. Als talentierter Schüler wurde der einfache Bauernsohn gefördert und konnte eine weiterführende Schule und eine Universität besuchen, wo er Englisch studierte und seine Karriere als Schriftsteller begann. Gĩkũyũ, die Sprache seines Elternhauses, schien Ngũgĩ nicht geeignet für literarischen Ausdruck und er ist unsicher, ob er seine Muttersprache überhaupt genug beherrscht. Später erkennt er darin einen Zustand der „Selbstkolonisation“.

Unter kolonialer Herrschaft war der Gebrauch lokaler afrikanischer Sprachen in der Schule verboten und wurde oft hart bestraft. Afrikanische Sprachen und die mündliche literarische Praxis wurden als „primitiv“ und „traditionell“ abgewertet. Für die europäischen Kolonialmächte dienten diese Ideologien als Rechtfertigung ihrer gewalttätigen Eingriffe in die afrikanischen Gesellschaften: unzivilisierte AfrikanerInnen sollten durch europäische Bildung gerettet werden.

Der Aktivist

Ngũgĩ wa Thiong’o, 1938 geboren, erlebte sowohl die koloniale Schulbildung, als auch die Befreiungskriege und Kenias Aufbruch in die Unabhängigkeit. Mit seiner literarischen Praxis möchte er Sprache und Kultur dekolonisieren. In den 1970er Jahren engagierte er sich in einem kulturellen Gemeinschaftsprojekt in der Nähe seines Geburtsortes. Ziel des selbstorganisierten Projektes war es, die Lese- und Schreibfähigkeit der lokalen Bevölkerung zu fördern. Gemeinsam mit einem Schriftstellerkollegen arbeitete Ngũgĩ wa Thiong’o an einem Theaterstück, das im Dorf aufgeführt werden sollte.

Entgegen ihrer Intuition, waren sie gezwungen, das Stück in der Sprache der Dorfbewohner zu verfassen. Dabei entstand ein ganz neuer Prozess literarischen Schreibens: Die DorfbewohnerInnen eigneten sich den Text an, sie machten ihn zu ihrer Geschichte. Gemeinsam diskutierten und korrigierten sie Unstimmigkeiten im Inhalt und in der Sprache des Stückes, sodass die Figuren ihre eigenen Lebensrealitäten widerspiegelten.
Nach der kurzen, aber erfolgreichen Spielzeit des Stückes stand Ngũgĩs Entscheidung fest – um mit der kenianischen Arbeiterbevölkerung in Kontakt zu bleiben – für sie und mit ihnen zu schreiben – würde er fortan seine Romane in Gĩkũyũ verfassen. Durch seine jahrelange Praxis zeigt sich, dass es in Kenia in allen sozialen Schichten ein großes Lesepublikum gibt und Bücher in afrikanischen Sprachen kommerzielle Rekorde erzielen. Außerdem fördern die vielen Übersetzungen seiner Werke die Kommunikation zwischen verschiedenen afrikanischen und zwischen afrikanischen und europäischen Sprachen.

Ngũgĩ wa Thiong’o signiert seinen Roman in London, wo er seit 1982 im Exil lebt

Der Gefangene

Im Zusammenhang mit dem Verbot des Stückes „Ngaahika Ndeenda“ (I Will Marry When I Want) wurde Ngũgĩ wa Thiong’o verhaftet. Ein Jahr, von 1977 bis 1978, verbrachte er im Gefängnis; ohne Befragung oder Prozess. In seiner Isolation fühlte er das starke Bedürfnis mit der Bevölkerung Kenias in Kontakt zu bleiben, die ebenso wie er unter der politischen Zensur litt. Er begann einen neuen Roman zu schreiben – auf Toilettenpapier und in der Sprache, die ihn ins Gefängnis gebracht hatte. Caitaani Mũtharaba-inĩ (Devil on the Cross) wurde zwei Jahre später in Gĩkũyũ veröffentlicht und erzielte (für den Verlag völlig überraschend) Rekorde im lokalen Verkauf.

Seither schrieb Ngũgĩ wa Thiong’o seine Romane, Kinderbücher und (Musik-)Theaterstücke in Gĩkũyũ. Ngũgĩs Erfahrung im Gefängnis wurde zu seiner Befreiung von tief verankerten kolonialen Machtstrukturen. Von seiner eigenen Website leuchten den Lesenden seine Worte entgegen: „Sprache als Kultur ist die kollektive Erinnerung an die historischen Erfahrungen eines Volkes.“ Für Ngũgĩ wa Thiong’o ist die Sprache zentrales Element der Identifikation und des Selbstbewusstseins einer Gemeinschaft. Sie erlaubt es den Menschen ihre spezifischen, eigenen Geschichten – ihre Erfahrungen im Bezug auf die Welt – auszudrücken und weiterzugeben.

In seinem Selbstverständnis als Schriftsteller und postkolonialer Aktivist, ist es Ngũgĩs Wunsch, den Erfahrungen und Realitäten der Arbeiter- und Bauernschicht durch sein Schreiben nahe zu kommen. Die Popularität seiner Romane ist überall zu spüren. In Kenia kann man sie in Bussen hören, bei großen Familienzusammenkünften und in Bars. Dort wird solange gelesen bis das Bier leer ist, sodass die gespannten Zuhörenden den Lesenden auf eine nächste Runde einladen müssen. Bis Ende Mai wird sein bahnbrechendes Stück „Ngaahika Ndeenda“ (I Will Marry When I Want) nach über 30 Jahren endlich wieder in Kenia zu sehen sein.

Literatur:
https://www.standardmedia.co.ke/entertainment/arts-and-culture/2001444457/ngugi-wa-thiongo-play-back-after-32-years

https://ngugiwathiongo.com/

Wa Thiong’o, Ngugi. Decolonising the mind: The politics of language in African literature. East African Publishers, 1992.

Ngũgĩ wa Thiong’o. “On Writing in Gikuyu.” Research in African Literatures, vol. 16, no. 2, 1985, pp. 151–56, http://www.jstor.org/stable/3819410. Accessed 5 May 2022.

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