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Rettungsleine und Lebenslinie oder Koleka Putuma once again

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Foto: Winslow Homer, Die Rettungsleine [1]

* * *

Günther Lanier, Wien 31.8.2022[2]

* * *

Eine Rettungsleine wird typischerweise jemandem im Wasser zugeworfen, die oder der unterzugehen droht. Der Ausdruck bezeichnet ein Seil, eine Leine, das auf die eine oder andere Art zur Lebensrettung verwendet wird[3]. Im Englischen wird “lifeline“ oft im übertragenen Sinn verwendet.

In der Chiromantik[4], der Handlesekunst, bezeichnet die Lebenslinie (auch “Daumenfurche“ oder “Vitalis“, auf Englisch “life line“) die Handlinie, die den Daumenballen umkreist. Sie gibt Auskunft über die Vitalität, also die Lebenskraft.

Mir geht es heute um ein Gedicht von Koleka Putuma[5], es heißt “Lifeline“, also Rettungsleine (Lebenslinie).

Koleka Putuma ist Südafrikas meistverkaufteR LyrikerIn, zudem eine Spoken Word-Künstlerin und sie inszeniert auch – vor fast genau einem Jahr in Wien. Ich habe ihr Anfang 2022 einen kurzen Artikel gewidmet[6].

Über fast drei Seiten reiht die junge queere Poetin die Kurzverse ihres Gedichtes, schon optisch wie ein dickes, solides Seil, das ihr ein Leben ermöglicht oder es erleichtert und das auch uns als Rettungsleine dienen kann. Ich werde gleich einen Ausschnitt daraus wiedergeben und eine zaghafte Interpretation anschließen.

Doch davor, quasi als Warnung der Autorin, meine Übersetzung der letzten Verse des Gedichtes:

du wirst sagen, das ist kein Gedicht
und ich gebe dir recht:
es ist keines.

es ist eine Rettungsleine.

jeder Name
ist ein in meine Knochen eingeschriebenes Evangelium
jeder Name singt
Schwarzes Mädchen –
Lebe!
Lebe!
Lebe!


Kimberlé Crenshaw in Berlin 2018 [7]

Hier nun die ersten Verse des Lifeline-Gedichtes, welches bis auf den zitierten Schluss aus einer einzigen Strophe besteht:

Rettungsleine
(Lebenslinie)

Kimberlé Crenshaw
Audre Lorde
Angela Davis
Margaret Ekpo
Zethu Matebeni
Ellen Kuzwayo
Miriam Tlali
Funmilayo Ransome-Kuti
Funeka Soldaat
Bessie Head
(…)

Kimberlé Crenshaw ist Juristin und-Professorin an der University of California, Los Angeles sowie an der Columbia Law School. Sie hat den Begriff “Intersektionalität” geprägt und die “Critical Race Theory” maßgeblich beeinflusst, die sich mit dem Zusammenhang zwischen Rasse, Rassismus und seiner Verankerung insbesondere in rechtlichen Strukturen beschäftigt[8].


Audre Lorde [9]

In der Eigenbeschreibung ist Audre Lorde “schwarz, lesbisch, Feministin, Kriegerin, Dichterin, Mutter“[10]. Dichtung war ihr kein überflüssiger Luxus, sondern fürs Überleben nötig. “Das Werkzeug des Meisters wird niemals das Haus des Meisters niederreißen.“[11] Die Aktivistin-Professorin-Dichterin…, die eigentlich wohl keiner Vorstellung bedarf, wurde am 18. Februar 1934 in New York geboren und starb nur 58-jährig am 17. November 1992 auf den US-amerikanischen Jungferninseln.

Angela Davis ist berühmt, seit sie 1970 verhaftet und ihr wegen Verschwörung, Kidnapping und Mord der Prozess gemacht wurde. Sie verbrachte 16 Monate im Gefängnis, es kam zur weltweiten “Free-Angela”-Bewegung und 1972 wurde sie freigesprochen. Unermüdlich scheint sie, die heute 78-jährige radikale politische Aktivistin, Intellektuelle, Professorin, BürgerInnenrechtlerin, Feministin, politische Philosophin, Autorin…[12]


Angela Davis Myer bei einer Rede im Horowitz-Theater der Universität von Alberta 2006 [13]

Die nigerianische Frauenrechtlerin Chief Margaret Ekpo lebte von 1914 bis 2006. Ende der 1940er Jahre gründete sie in Aba (im Südosten Nigerias) die Market Women Association, eine Gewerkschaft der Marktfrauen, die sie als Plattform für den Kampf für die Interessen der Frauen weit jenseits der Partikularinteressen der Marktfrauen nutzte. Sie war in den 1950er und 1960er Jahren politisch sehr aktiv, insbesondere als Mitglied des National Council of Nigeria and the Cameroons (NCNC) und sie vertrat Fraueninteressen in den 1950er Jahren im Regional House of Chiefs und im darauffolgenden Jahrzehnt im Eastern Regional House of Assembly.

Die queere Aktivistin Zethu Matebeni macht Dokumentarfilme, schreibt Gedichte und Essays und hat viel publiziert, on- und offline. Sie ist Soziologin und Professorin und Inhaberin des Lehrstuhls für Sexualitäten-, Gender- und Queer Studies-Forschung an der Fort Hare-Universität in der Eastern Cape-Provinz Südafrikas[14].

Wie Chief Margaret Ekpo lebte die südafrikanische Sozialarbeiterin, Politikerin, Frauenrechtlerin, Schriftstellerin und Schauspielerin Ellen Kuzwayo von 1914 bis 2006. Als ersterR ScharzeR erhielt sie Südafrikas CNA Literary Award und zwar für ihre 1985 erschienene Autobiografie Call Me Woman. 1994 wurde sie, auch als “Ma K“ bekannt, für den ANC ins Parlament gewählt – diesem gehörte sie bis 1999 an. Mehrere Unis verliehen ihr Ehrendoktorate, darunter die Witwatersrand-Universität (Wits) 1984 (da war sie die erste Schwarze, der die Ehre zuteilwurde), Universität von Natal und Universität Port Elizabeth[15].

Miriam Tlali war die erste schwarze Südafrikanerin, die in ihrem Heimatland ein Buch veröffentlichen konnte. 1933 in Johannesburg geboren, musste sie zum Studieren nach Lesotho gehen, da ihre Zulassung an der Witwatersrand-Universität wegen ihrer Hautfarbe annulliert wurde. Bekannt ist von ihr insbesondere ihr Soweto-Aufstand-Buch Amandla! aus 1980.


Funmilayo Ransome-Kuti [16]

Dem britischen District Officer war Funmilayo Ransome-Kuti Ende der 1940er Jahre bei einem von ihr angeführten Frauen-Protestmarsch über den Mund gefahren: “Du magst geboren worden sein, erzogen wurdest du nicht! Würdest du mit deiner Mutter so reden?“ Ihre Begleiterinnen, auch nicht mundfaul, sollen dem Herrn Distriktchef in der Folge angeboten haben, ihn um sein Geschlechtsorgan zu erleichtern und es seiner Mutter per Post zukommen zu lassen. Jedenfalls blieb dem mächtigen Herrn nichts übrig als zu Kreuze zu kriechen und sich zu entschuldigen. Der unerschrockenen Feministin aus Nigerias Südwesten habe ich Ende 2017 einen Artikel gewidmet[17].

Selbst 1995 Opfer von “corrective rape“ (Vergewaltigung, welche die sexuelle Orientierung des Opfers korrigieren soll), hat die lesbische Aktivistin Funeka Soldaat 2008 in Khayelitsha (eine Township im Großraum Cape Town) “Free Gender“ gegründet, einen Verein, der gegen Homophobie kämpft. Zudem hat er nicht-heterosexuellen schwarzen Frauen ein Frauenhaus anzubieten, ein “wildes, tapferes, kritisches Zuhause“[18].

Bessie Amelia Emery wurde am 6. Juli 1937 im südafrikanischen Pietermaritzburg als Tochter einer weißen Frau und eines nicht-weißen Mannes geboren. Ihre aus wohlhabenden Verhältnissen stammende Mutter gebar sie, als sie in einem psychiatrischen Krankenhaus in Behandlung war. Sie durfte ihr Kind nicht behalten. Zunächst bei einer Ziehfamilie aufgewachsen, ging sie später nach Cape Town und Johannesburg, arbeitete als Journalistin, engagierte sich politisch (im Pan African Congress). 1961 wurde sie qua Heirat zu Bessie Head, ein Jahr später gebar sie ihren Sohn Howard. Im Folgejahr trennte sie sich von ihrem Mann und abermals ein Jahr später wanderte sie ins heutige Botsuana aus, 1964 war das. Dort lebte sie – vor allem in Serowe[19] – bis zu ihrem frühen Tod am 17 April 1986. Die Erzählungen und Romane Bessie Heads sind von ungeheurer sprachlicher Kraft[20].


nahe Serowe, Botsuana, wo Bessie Head ab 1964 hauptsächlich lebte [21]

* * *

Soweit in aller Kürze die ersten zehn Zeilen – vielleicht verfolge ich Koleka Putumas Rettungsleine aus lauter beeindruckenden Frauen ein anderes Mal weiter…

* * *

Endnoten:

[1] Winslow Homer, The Life Line, 1884. Öl auf Leinwand 72,7 x 113,7 cm, Philadelphia Museum of Art E1924-4-15, Foto Athenaeum of Philadelphia, kein Datum, keinE FotografIn, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:The_Life_Line_1884_Winslow_Homer.jpg.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Ein Mechanismus wie auf Winslow Homer’s Bild steht nur selten zur Verfügung. An Meeresküsten bindet sich einE SchwimmerIn die Rettungsleine um, schwimmt zur Person in Seenot hinaus und wird dann mit Hilfe des sehr langen Seiles gemeinsam mit der zu rettenden Person zurück an Land gezogen/gekurbelt. Dazu braucht es natürlich ein Team und Organisation, z.B. im Rahmen der Surf Life Saving Association. Hier aus 1922:


Rettungsschwimmerin Edie Kieft 1922, Tweed Heads and Coolangatta Surf Life Saving Club, New South Wales, Australien, FotografIn unbekannt, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Edie_Kieft_1922,_Tweed_Heads_and_Coolangatta_Surf_Life_Saving_Club.jpg.

[4] Vielleicht sollte ich von “Chirologie“ sprechen oder schreiben, dem einst üblichen Ausdruck, als Handlesen als Wissenschaft betrachtet wurde.

[5] Zu finden in Koleka Putuma, Collective Amnesia, Cape Town (uHlanga) 2017, pp.83-85

[6] Günther Lanier, Achtundzwanzig ist sie. Sich schreiben, sagt sie, Ouagadougou (Africa Libre) 12.1.2022, https://www.africalibre.net/artikel/104-koleka-putuma bzw. Wien (Radio Afrika TV) 12.1.2022. Ebendort schrieb ich zu ihrer Wiener Inszenierung:
Und sie inszeniert. Zum Beispiel HULLO, BU-BYE, KOKO, COME IN am 3., 4. und 5. September 2021 im brut nordwest in der Nordwestbahnstraße 8-10 im 20. Wiener Bezirk. Dort gestaltete sie gemeinsam mit anderen KünstlerInnen aus Cape Town “für die Wiener Festwochen eine musikalisch-performative Lesung der neuen Gedichte und stellt(e) Blickrichtungen zwischen Publikum und Performer*innen radikal in Frage.“ (Zitat: Wiener Festwochen, Koleka Putuma, HULLO, BU-BYE, KOKO, COME IN. Performance, Spoken Word, https://www.festwochen.at/hullo-bu-bye-koko-come-in.)

[7] Von Koleka Putuma habe ich leider kein gemeinfreies Foto gefunden. Foto Mohamed Badarne (Heinrich-Böll-Stiftung) 2.7.2018, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kimberl%C3%A9_Crenshaw_(32923552697).jpg.

[8] Siehe z.B. Gunda Werner Institut (Feminismus und Geschlechterdemokratie) der Heinrich Böll-Stiftung, Kimberlé Crenshaw, 2019, https://www.gwi-boell.de/de/person/kimberle-crenshaw.

[9] Foto Elsa Dorfman, o.D., leicht überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Audre_lorde.jpg.

[10] FemBio, Audre Lorde, https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/audre-lorde/.

[11] Ebd. Im Original: “The master’s tools will never dismantle the master’s house.”

[12] Siehe z.B. FemBio, Angela Davis, https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/angela-davis/

[13] Foto Nick Wiebe 28.3.2006, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Angela-Davis-Mar-28-2006-BnW.jpg.

[14] Diese war einst – bis in die 1960er Jahre – die einzige höhere Bildungsanstalt in Südafrika für schwarze AfrikanerInnen. Zu Zethu Matebeni s. z.B. https://socio.mandela.ac.za/Academic-visitors/Zethu-Matebeni.

[15] Für mehr zu Ellen Kuzwayo siehe z.B. den Nachruf im Guardian: Shola Adenekan, Ellen Kuzwayo. Tireless campaigner for women’s rights in apartheid South Africa, The Guardian 24.4.2006, https://www.theguardian.com/news/2006/apr/24/guardianobituaries.gender.

[16] Foto Unesco, keine Angaben zu FotografIn oder Datum, leicht überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Funmilayo_Ransome-Kuti_graduate.png.

[17] Günther Lanier, Die friedensnobelpreiswürdige Replik, Radio Afrika 27.12.2017, nachzulesen unter https://www.africalibre.net/artikel/348-die-friedensnobelpreiswurdige-replik.

[18] Übersetzt aus https://www.iol.co.za/capetimes/news/free-gender-protects-delivers-1990872. Im Original: “a fierce, brave, critical home for black non-heterosexual women”. Für Facebook-NutzerInnen: https://www.facebook.com/Free-Gender-Khayelitsha-960685403987106/.

[19] Heimat Seretse Khamas, des ersten Präsidenten Botsuanas, mit dem sie in späteren Jahren ein Konflikt verband.

[20] Mich persönlich hat ihr “A Question of Power“ am meisten beeindruckt, Heinemann (Oxford) 1974.

[21] Blick vom Swaneng-Hügel, Serowe. Foto JackyR 19.4.2006, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:From_Swaneng_Hill,_Botswana.jpg.

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