Institutionen müssen „mehr als mal schnell dekolonialisieren wollen“, damit eine erfolgreiche Kooperation mit dem Team der DEKOLONIALE, Berlin stattfinden könne, erklärt Anna Yeboah in der Podiumsdiskussion mit dem Titel ‚Dekoloniale Erinnerungskultur und antirassistische Institutionsentwicklung‘. Der 56. ecm-Diskurs (educating, curating, managing) fand am 30. August als Teil der ‚decolonial summer school‘ statt. Hierbei handelt es sich um eine Kooperation des Masterlehrgangs für Ausstellungstheorie und Praxis an der Universität für Angewandte Kunst Wien mit dem Technischen Museum Wien. Zu den Podiumsgästen zählten außerdem Simon Inou, ehemaliger RATV-Kollege (u.a. als Chefredakteur tätig) und Herausgeber von fresh. Die dritte im Bunde war Larissa Förster vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste. Gemeinsam diskutierten sie an diesem Abend, wie antirassistische Museen der Gegenwart und Zukunft aussehen können und luden sowohl Studierende des gastgebenden Masterlehrgangs als auch eine interessierte Öffentlichkeit zum Gespräch ein.
„Wir haben komplizierte Namen ausgewählt, weil die Welt kompliziert ist“
Mit diesen Worten erklärt Yeboah die Bezeichnungen der Teilprojekte der DEKOLONIALE, einer Zusammenschließung von drei Vereinen sowie dem Stadtmuseum Berlin zur dekolonialen Stadtentwicklung. Unter den Titeln Geschichte[n], [Re]präsentationen, In[ter]ventionen und Entwicklung[en] laufen die Arbeitsbereiche der 2020 gegründeten Initiative. Das Projektbüro des Verbunds befindet sich in der Wilhelmstraße 92 in Berlin, einem Ort, an dem mehrere schmerzvolle Momente der Geschichte zusammenlaufen. Beispielsweise war diese Adresse Schauplatz der Berliner Afrika Konferenz. In den Jahren 1884/85, wurde hier der afrikanische Kontinent aufgeteilt und ein neues, dunkles Kapitel der Ausbeutung begründet. Aufgrund dieser Geschichte, macht es sich die DEKOLONIALE zum Ziel, Stadtgeschichte neuzuschreiben. Daher bildete dieser Ort den treffenden Ausgangspunkt für eine der In[ter]ventionen: nämlich die Dekoloniale Berlin-Afrika-Konferenz, die am Jahrestag der Konferenz von 1884/45 stattfand. Statt weißer Kolonialherren, waren bei der Konferenz letzten Jahres jedoch ausschließlich Nicht-weiße Frauen geladen. Gemeinsam trafen sie sich an diesem historischen Ort, um Kolonialismus heute zu thematisieren und sichtbar zu machen.
Eine Minute des Gedenkens
Inou beginnt seinen Diskussionsbeitrag an diesem Abend in Wien mit einer Schweigeminute. Bei der Entwendung von Artefakten kam es zu gewaltvollen Auseinandersetzungen, betont er. Daher soll diese Schweigeminute jenen Menschen gedenken, die davon betroffen waren. Der aus Kamerun stammende Journalist ist Initiator von 3RRR (RESTITUTION, REHABILITATION, RECONCILIATION). Ziel der Initiative ist eine afrikanische Diasporaperspektive auf ebendiese Artefakte in den österreichischen Bundesmuseen. Das ist Inou ein wahres Herzensanliegen. Bereits sein Großvater hätte ihn damit beauftragt herauszufinden, welche Gegenstände aus der Heimat sich nun in Museen im deutschsprachigen Raum befinden. Ebenso möchte Inou den gesamten Restitutionsdiskurs neuausrichten. Im Globalen Süden werde bereits seit über 50 Jahren über Restitution gesprochen. Aber erst seit Macron und Figuren des Globalen Nordens dafür eintreten, bekäme es globale Aufmerksamkeit, führt Inou aus. Dass Österreich hier besonders hinterherhinkt, wird daran deutlich, dass 3RRR seit seiner Gründung keine Förderung aus Österreich bekommen habe, ergänzt er. Monetäre Unterstützung käme bisher nur aus den USA.
Globale Wissensordnungen überdenken
Abschließend spricht Larissa Förster vom Zentrum für Kulturgutverluste. Die Anlaufstelle für Fragen zu unrechtmäßig entzogenen Kulturgut beschäftigt sich seit 2018 auch mit Artefakten aus kolonialen Kontexten. Auch Förster beklagt, dass Institutionen des Globalen Südens weniger ernst genommen würden. Eher würde mit einem weiteren europäischen Museum kooperiert, bevor nichtwestliche Partner*innen gesucht werden. Neben ethnographischen Sammlungen und ‚den üblichen Verdächtigen‘ wie Weltmuseum und Co. geraten nun zunehmend auch Museen aus dem Bereich Naturkunde und Technik in den Fokus. Auch hier gäbe es neben materiellen Gütern globale Wissensordnungen, die überdacht werden müssten, um antirassistische Institutionsentwicklung voranzubringen. „Raus aus der Komfortzone“ ist schließlich die finale Botschaft des Podiums an Museen und Institutionen. Aber auch an Besucher*innen selbst. Wer sich für antirassistische Praxis einsetzen möchte, muss auch selbst tätig werden, fordert Yeboah. „Das Material ist ja da und wir sind alle mündige Menschen“ betont sie.
Neugierig geworden? Wie dekoloniale Stadtentwicklung in Wien aussehen kann, beschreibt Nadja Grossenbacher hier.
Die Inhalte dieses Artikels wurden den Beiträgen der Podiumsdiskussion vom 30. August entnommen sowie den Onlineauftritten der vorgestellten Initiativen.
Titelbild: Podiumsdiskussion mit Anna Yeboah, Larissa Förster und Simon Inou, links im Bild: Moderatorin Susanne Wernsing, nicht im Bild: Moderatorin Vanessa Spanbauer ©Mara Köhler