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Maï Lingani als ferne Mutter. Keiko Fujiies japanisch-afrikanische Oper entfaltet sich

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Foto: MusikerInnen und DarstellerInnen beim Applaus am Ende der Vorstellung [1]

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Günther Lanier, Ouagadougou 23.3.2022[2]

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Vor zweieinhalb Wochen, am 5. März, wurde der 2. Akt der Oper “Là-bas ou ici…“, zu Deutsch “Ob jetzt hier oder dort…“, in der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou der Öffentlichkeit präsentiert. Während des behutsamen Werdens dieses Werkes sucht die Komponistin immer wieder den Kontakt mit dem Publikum. Ich habe den Werdegang der Oper mit zwei Radio Afrika-Artikeln begleitet: Ein erster – “Fünf Arien auf dem Weg zu einer Oper“ – [3] kam im Jänner 2021 anlässlich einer Präsentation der fünf zentralen “Arien“ im Goethe-Institut von Ouagadougou heraus, ein zweiter[4] folgte im April vorigen Jahres nach der Präsentation des 1. Aktes der Oper im Institut Français, dem französischen Kulturinstitut im Zentrum der burkinischen Hauptstadt. Und ebendort wurde vor kurzem auch der 2. Akt vorgestellt[5].

Keiko Fujiie ist eine Grenzgängerin. Die heute knapp 60-jährige Komponistin – sie wurde 1963 in Kyoto geboren – erfuhr ihre Ausbildung an der Tōkyō Geijutsu Daigaku, der Tokyo National University of Fine Arts and Music[6], in Sachen Kunst die renommierteste Ausbildungsstätte Japans. Sie hat seither auf nationaler und internationaler Ebene gewirkt, Preise gewonnen (darunter zwei Mal den begehrten Otaka-Preis) und Erfolge gefeiert.

[7]

Dass sie nach Burkina kam, war Zufall. Ihre Tochter lebt in Berlin und dort lernte Keiko bei einem Empfang Francis Kéré[8] kennen, der im Ausland wohl berühmteste lebende Burkinabè, er hat gerade den Pritzker-Architekturpreis 2022 verliehen bekommen, den “Nobelpreis der Architektur“. Der erzählte Keiko von Schlingensiefs Operndorf, das er entworfen hatte, und lud sie nach Burkina ein. Ihren ersten Burkina-Aufenthalt im Juli 2018 verbrachte Keiko bei der Familie Francis Kérés, in dessen Geburtsort Gando[9]. Später übersiedelte sie zur Kéré-Familie, die sich in der Patte d’Oie in der burkinischen Hauptstadt niedergelassen hatte. Und schließlich machte sie sich an der Seite ihrer Musiker “selbständig“.

Keiko Fujiie ist eine Ausnahmeerscheinung. In den zweieinhalb Jahren, die sie inzwischen rund um ihr Opern-Projekt in Burkina verbracht hat, hat sie das Leben hier sehr viel gründlicher kennengelernt als es Fremde sonst tun. Sie spricht heute flüssig Mooré, zudem Dioula und Bwamu – Mooré ist die Muttersprache etwa der Hälfte der Burkinabè, Dioula die Verkehrssprache im Westen des Landes, Bwamu die Sprache der Bwa in der Volta-Schleife – von dort sind die drei Gründungsmitglieder ihrer burkinischen Gruppe[10]. Sie hat sich am Westrand der Hauptstadt ein überaus einfaches und kleines Haus neben dem ihres Lead-Sängers gebaut und lebt dort wie ihre burkinischen NachbarInnen. Und sie verkehrt übergangslos in diplomatischen Kreisen – und das keineswegs nur mit dem japanischen Botschafter. Denn ihr Projekt des Transzendierens musikalischer Grenzen erregt rundum Aufmerksamkeit. Was leider nicht bedeutet, dass die Finanzierung gesichert ist.

Der dritte und letzte Akt der Oper soll im kommenden Jahr fertigwerden, die Uraufführung ist für April 2023 geplant.

Trotz ihrer drei burkinischen Sprachen bleibt Keiko freilich eine Fremde. Ihre Hautfarbe wird hierzulande als weiß wahrgenommen – “Nasara“ wird sie genannt, so wie ich auch, das ist wahrscheinlich eine Abwandlung von “NazarenerIn“ und leitet sich von der Religion der Weißen ab – dass Keiko von ganz woanders herkommt als die einstigen Kolonialherren, fällt nicht so auf. Als Fremde hat sie sich als Librettisten einen Kongolesen (Kongo-Brazzaville) ausgesucht, einen Rapper, der aufgrund seiner Kritik an den Herrschenden aus seiner Heimat fliehen musste. Moyi Mbourangon[11] alias Martial Pa’nuccis autobiographisches “L’Aube d’un avenir avorté…“, also “Morgengrauen einer abgetriebenen Zukunft…“ dient dem Großteil ihrer Oper als textliche Grundlage.

Worum geht es?

Ein Kongolese sehnt sich nach seiner Heimat und dabei nach nichts mehr als nach seiner Mutter, die er nunmehr seit Jahren nicht mehr gesehen hat. Der kongolesische Flüchtling wird auf der Bühne von Keikos Lead-Sänger Maboudou Sanou verkörpert – auf dem Bild oben träumt er, auf einem Fauteuil im Zentrum der Bühne sitzend. Und er träumt von seiner Mutter. Sie wird verkörpert von Maï Lingani – auf demselben Foto als Schatten hinter ihrem Sohn zu sehen.

Bitter sehnt sich der Flüchtling nach “la mère“, der Mutter und auch nach “la mer“, dem Meer.

Hier das Meer und der Schatten der Mutter gemeinsam auf der Leinwand hinter dem Flöte spielenden Sohn im Exil. Auf Französisch werden die beiden Wörter gleich ausgesprochen.

Maï Lingani, die in Keikos Oper die Mutter spielt und singt, ist eine in Burkina sehr bekannte Sängerin, Musikerin, Tänzerin. In Koudougou geboren, wuchs sie – wie so viele Burkinabè – in der Côte d’Ivoire auf, absolvierte dort eine Theater- und Tanzausbildung am Institut National Supérieur des Arts et de l’Action Culturelle (INSAAC)[12], trat dort seit Anfang der 1990er Jahre auch auf, kehrte 1997 oder 1998 nach Burkina zurück, wurde mit dem großen nationalen Preis des modernen Chansons ausgezeichnet und hat seither im In- und Ausland Karriere gemacht. International ist sie insbesondere mit dem gebürtigen Wiener Lukas Ligeti[13] – dem Sohn des österreichisch-ungarischen Komponisten György Ligeti[14] – aufgetreten, zunächst im Rahmen der Gruppe Beta Foly und später mit Burkina Electric. Das österreichische Kooperationsbüro in Ouagadougou hat Mitte der 2000er Jahre (ich glaube, es war 2006) ein Konzert von Burkina Electric in französischen Kulturinstitut mitfinanziert.

Für Keikos Oper ist Maï Lingani ein großer Gewinn. Ihre Auftritte sind meist einfache, aber beeindruckende Tänze. Dazu kommt dann freilich ihre Stimme…

“Oper“ klingt für viele nach einer Kunst-Welt, weitab der Realität. Letztere hat Keiko und ihre Musiker zuletzt brutal eingeholt. Haben Sie vom Massaker von Inata gehört oder gelesen? Dort sind Mitte November bei einem terroristischen Angriff auf eine Gendarmerie-Kaserne mindestens 57 Menschen – darunter 53 GendarmInnen – umgekommen, weitere sind vermisst. Wahrscheinlich war es dieses Massaker, wo herauskam, dass die Opfer seit Wochen nicht einmal mit Nahrungsmittel versorgt worden waren, das den früheren Präsidenten Roch Kaboré seinen Job kostete – am 24. Jänner stieß ein Putsch ihn vom Thron[15].

Einer der Vermissten – nach zwei Monaten besteht eigentlich keine Hoffnung mehr, dass er überlebt haben könnte – ist ein Bruder des Lead-Sängers Maboudou Sanou. Damit nicht genug: Als Maboudou nach der Aufführung des 2. Aktes der Oper für eine traditionelle Zeremonie ins Dorf zurückkehrte (nahe Nouna im Nordwesten des Landes, unweit der malischen Grenze), erhielt dieses Dorf Besuch von Terroristen. Sie brachten ein paar Leute um – wie so oft nicht wahllos, sondern gezielt –, den restlichen BewohnerInnen legten sie nahe, ihr Dorf zu räumen. Denen blieb nichts anderes übrig, als nach Nouna zu flüchten – was auf den Dreirad-Taxis Platz hatte, kam mit.

Hier im Hintergrund ein Bild des staatlichen Fernsehsenders RTB von der Begräbnisfeier der Inata-Opfer.

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Ich bin mir freilich der Vergeblichkeit meiner Bemühungen bewusst, Musik und Bewegung in Worten und Fotos wiederzugeben – ich werde Keikos Oper hier in keiner Weise gerecht.

Doch für diejenigen, die ein wenig Geduld haben und die ich neugierig gemacht habe: Bald wird es Abhilfe geben. (Ergänzt von GL am 15.4.2022) Keiko hat am 9.4.2022 die Aufführung des 2. Aktes ihrer Oper in Bobo-Dioulasso auf YouTube hochgeladen, zu besichtigen unter https://youtu.be/g2xa_LDflXI.

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Zum Abschluss der Vorführung wurde das Publikum zum Tanz auf die Bühne gebeten. Nur wenige trauten sich.

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Endnoten:

[1] Fotos, wenn nicht anders angegeben GL 5.3.2022. Ich bitte um Entschuldigung für die schlechte Auflösung – ich saß relativ weit hinten im Open Air-Saal “Grand Meliès“ des Institut Français und es war Nacht.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Auf Radio Afrika ist er nur mehr fotolos zu sehen. Vollständig finden Sie ihn auf meiner Webseite unter https://www.africalibre.net/artikel/117-funf-arien-auf-dem-weg-zu-einer-oper.

[4] Vollständig auf meiner Webseite unter https://www.africalibre.net/artikel/118-ob-jetzt-hier-oder-dort-oder-oper-in-burkina.

[5] Vier Wochen davor war er schon im Centre Culturel Les Bambous in Bobo-Dioulasso aufgeführt worden.

[6] Der englische Name wurde 2008 in “Tokyo University of the Arts“ geändert.

[7] Foto Keiko Fujiie 10.2.2021, zugeschnitten GL.

[8] Siehe Günther Lanier, Der Schreiner, der für seine Dorfschule den Aga Khan-Preis bekam, Radio Afrika TV, Wien 18.8.2021, https://www.radioafrika.net/der-schreiner-der-fur-seine-dorfschule-den-aga-khan-preis-bekam/.

[9] Im erwähnten Artikel “Fünf Arien auf dem Weg zu einer Oper“ schrieb ich dazu: “Zur Regenzeit in einem kleinen Dorf mehr als hundert Kilometer von der Hauptstadt Ouagadougou entfernt – es war ein mutiger Einstieg ins unbekannte Schwarzafrika… Doch Keiko Fujiie kam wieder, mehrmals, verbrachte die Corona-Zeit der gesperrten Luft- und Landgrenzen mit uns.“

[10] Mittlerweile ist ein Gitarrist dazugekommen.

[11] Siehe seine Webseite https://www.martialpanucci.africa/.

[12] Höheres Nationales Institut der Künste und der kulturellen Aktion, Abidjan.

[13] 1965 geboren. Interkultureller Komponist und Schlagzeuger. Er hat insbesondere in der Côte d’Ivoire, in Burkina, in Ägypten, Simbabwe, Uganda, Kenia, Südafrika, Lesotho, Mosambik, Ghana musiziert und gearbeitet. Er lebt jetzt in den USA.

[14] 1923-2006. Wird der Neuen Musik zugeordnet. Ist oder war einer der ganz Großen in der modernen E-Musik. Stanley Kubrick verwandte zwei seiner Werke für seinen Film “2001: A Space Odyssey“ (2001: Odyssee im Weltraum).

[15] Siehe Günther Lanier, Ein Staatsstreich aus AnrainerInnen-Warte, 26.1.2022, https://radioafrika.net/ein-staatsstreich-aus-anrainerinnen-warte/.

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