Radio Afrika TV

Lokalisierung als Einfallstor für Internationalisierung

Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on whatsapp
Share on email
Share on print
  • Home
  • Lokalisierung als Einfallstor für Internationalisierung

Foto: Lebensmittelverteilung des Welternährungsprogramms in Epworth, Harare, Simbabwe [1]

* * *

Günther Lanier, Ouagadougou 7. August 2024[2]

* * *

Ob es sich um Entwicklungszusammenarbeit oder humanitäre Hilfe handelt: Die internationalen “PartnerInnen“ machen sich viel zu wichtig, sind viel zu dominant, haben zu viel Macht, insbesondere was die Finanzen betrifft.

“Lokalisierung ist ein Prozess, der dem übergeordneten Ziel dient, die Effektivität, Effizienz und Nachhaltigkeit des Systems humanitärer Hilfe in aktiver Partizipation mit Betroffenen zu steigern. Dazu müssen die Fähigkeiten lokaler oder nationaler Akteure in der humanitären Reaktion kontinuierlich gestärkt werden. Dies geht nicht ohne eine Veränderung der Rolle und eine Verschiebung von Entscheidungsbefugnissen im humanitären System auf die lokale Ebene. Dabei gilt in Anerkennung des Subsidiaritätsprinzips: ‘so lokal wie möglich, so international wie notwendig’.“[3]


im Jahr 2016 erhaltene humanitäre und Lebensmittelhilfe [4]

Die Karte ist acht Jahre alt. Ich habe keine rezentere gemeinfreie gefunden. Das ist nicht schlimm, sie ändert sich sowieso fortlaufend[5]. Gleich bleibt, dass Afrika der Fokus ist, auch zur Zeit der Kriege in der Ukraine und in Gaza.

2023 betrug die humanitäre Hilfe weltweit 25,9 Mrd USD[6]. Es handelt sich also um eine Riesen“industrie“.

Für fast 300 Millionen hilfsbedürftige Menschen wurde der Bedarf an humanitärer Unterstützung für 2024 auf 46,4 Mrd USD geschätzt[7].

Die “Internationalen“ sind in mehrerer Hinsicht wenig geeignet, humanitäre Hilfe zu leisten. Insbesondere sind sie lokal schlecht verankert und wissen weniger über Kontexte. Das hat sich mit der Zeit auch in den hohen Rängen der “helfenden“ Organisationen herumgesprochen und so hat Ban Ki-moon (damals UNO-Generalsekretär) im Mai 2016 in Istanbul den “Humanitären Weltgipfel“[8] veranstaltet, hat die großen humanitären AkteurInnen um sich geschart (Regierungen und Hilfsorganisationen) und hat sie den “Grand Bargain“, die “Große Übereinkunft“, unterzeichnen lassen[9], ein umfangreiches Programm zur Verbesserung der globalen humanitären Hilfe, insbesondere was ihre Effizienz, ihre Wirksamkeit und auch Wirtschaftlichkeit betrifft.

Im Herzen des Grand Bargain finden wir die Lokalisierung[10]. Die “Lokalen“ ins Zentrum zu rücken, war das Ziel, dabei sollte insbesondere der bis dato minime Anteil der Lokalen an den Finanzen auf ein Viertel angehoben werden.


der damalige nigerianische Präsident Buhari bei der ‘Inside Syria’ pledging session auf der Syrien-Unterstützungskonferenz 2016 [11]

Ich entführe Sie, liebe LeserInnen, kurz nach Syrien. Wie Sie wissen, befindet sich das Land seit Jahren in der Krise. Zur humanitären Hilfe, die dort geleistet wird, gibt es eine interessante Studie[12]. Sie beschreibt die paradoxen Auswirkungen der Lokalisierung.

Auf Macht zu verzichten ist nicht leicht.

Jenseits aller rationalen Argumente, die zeigen, wie dringend erforderlich die vom Grand Bargain verlangte Lokalisierung ist, wird jedoch genau das von den humanitären Internationalen verlangt: auf eine zuvor nahezu absolute Macht zu verzichten, sie zu teilen.

So ist nicht verwunderlich, dass die Lokalisierung in den acht Jahren seit der UNO-Konferenz in Istanbul, die sie groß aufs Aushängeschild geschrieben hat, nicht viel weitergekommen ist, auch wenn sie viel und oft beschworen wird.

Auf Macht verzichten tut kaum wer. In Damaskus genauso wenig wie in Washington, in Abidjan oder in Harare.

Rana Khoury und Emily K.M. Scott haben über mehrere Jahre zu Syrien geforscht[13]. Sie haben 250 lokale und internationale humanitäre AkteurInnen interviewt.

Eigentlich war Syrien prädestiniert fürs Lokalisieren. Beschränkungen seitens der Regierung, die Unsicherheit, die Angriffe auf humanitäre HelferInnen sorgten seitens der Internationalen für ein Helfen von jenseits der syrischen Grenzen, für ferngesteuertes Management. So schien alles aufbereitet für eine effektive Machtübergabe an die Lokalen, die nach wie vor tatsächlich Zugang zu den betroffenen Gemeinschaften hatten und auch bereit waren, die beträchtlichen Risken auf sich zu nehmen.

Von 2014 bis 2017 hat sich in Nordwest-Syrien die Zahl der einheimischen Hilfsorganisationen nahezu verzehnfacht. Das internationale humanitäre System, das für Nordwest-Syrien vor allem von der Türkei aus operierte, hing nahezu vollständig von SyrerInnen ab, die Hilfsgüter lieferten und die Hilfsmaßnahmen implementierten.

Doch das System verstärkte bestehende Ungleichheiten, nutzte Mittelknappheit, den Bedarf an Kapazitätsstärkung seitens der Einheimischen, die Ungleichheit der Partnerschaften zum Machterhalt und insbesondere auch die Koordinationsmechanismen[14], von denen die Lokalen meist ausgeschlossen waren oder in denen sie nur StatistInnen-Funktionen ausübten.


Ban Ki-moon bei derselben Veranstaltung wie Buhari auf dem Foto oben 2016 – Jahr auch des Humanitären Weltgipfels, des Grand Bargain und somit der “Geburt“ der Lokalisierung [15]

Die Internationalen bauten und vertrauten auf die Arbeit, das Sich-dem-Risiko-Aussetzen, den Zugang zu den Ziel-Gemeinschaften und das Kontext-Wissen der Lokalen, ja waren auf sie angewiesen, von ihnen abhängig, hielten aber dennoch an deren Unterordnung fest. Die Internationalen “lokalisierten“ ihre Syrien-Hilfe, indem sie die Ausführung Einheimischen überließen, aber sie lokalisierten mitnichten, wo es um das Delegieren von Macht, das Teilen von Entscheidungsgewalt ging.

Kapazitätsstärkung ist ein Schlüsselbegriff der Lokalisierung: Lokale Organisationen sollen fit gemacht werden für die gleichberechtigte Teilnahme an der humanitären Hilfe. Aber in der Praxis kann sich Kapazitätsstärkung als Falle entpuppen und die einheimischen NGOs in einen nicht-enden-wollenden Kreislauf von Ausbildungen zwingen. Statt dass tatsächlich ihre Fähigkeiten für die humanitäre Arbeit verbessert würden, werden sie in erster Linie dafür ausgebildet, sich den komplizierten Regeln des internationalen Systems, also der GeldgeberInnen zu unterwerfen.

Auch können Maßnahmen zur organisatorischen Stärkung lokaler NGOs deren Abhängigkeit verschärfen, so zum Beispiel das Einstellen neuer Arbeitskräfte für Verwaltung, Monitoring und Evaluierungen: Ohne Overhead-Finanzierung – und an der mangelt es meist für die lokalen NGOs – verwandelt sich dieses zusätzliche Personal in Last, strapaziert das sowieso schon knappe Budget und verstärkt die Abhängigkeit von Finanzierungen aus dem Ausland.

Wer in den humanitären Club hineingelassen wird, das entscheiden die Internationalen. Wer sich nicht wohlverhält, hat keine Chancen.

Entgegen aller Rhetorik und ihrer deklarierten Absichten, mehrt die “Lokalisierung“ unter solchen Bedingungen die Macht der Internationalen über die Lokalen.


Syria Relief ist ein Handelsname für die britische NGO Action for Humanity, die seit 2011 in Syrien interveniert. Hier jedoch 2020 in Beirut:
Von einem Land in ein anderes zu wechseln macht für die Internationalen nicht viel Unterschied [16]

* * *

Endnoten:

[1] Foto Kate Holt/AusAID 23.4.2009, zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Africa_Humanitarian_Food_Aid_19_(10665244594).jpg.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Arbeitsgruppe ‘Lokalisierung’ des Koordinierungsausschusses Humanitäre Hilfe, ‘So lokal wie möglich, so international wie nötig’ – die Lokalisierung des humanitären Systems. Eckpunkte zur Umsetzung durch deutsche humanitäre Akteure. 1 April 2018, https://venro.org/publikationen/detail/eckpunkte-zur-lokalisierung-der-humanitaeren-hilfe.

[4] Erstellt von Our World in Data 2020. Zugeschnitten GL. Als Quelle wird die OECD angegeben. https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/a/a1/Humanitarian_and_food_aid_received%2C_OWID.svg/1280px-Humanitarian_and_food_aid_received%2C_OWID.svg.png.

[5] Unter https://ourworldindata.org/grapher/humanitarian-food-aid-received?time=2016 kann die jährliche Entwicklung von 2002 bis 2016 nachverfolgt werden.

[6] Quelle OECD. Siehe Global Humanitarian Overview 2024, https://www.oecd.org/en/about/news/press-releases/2024/04/international-aid-rises-in-2023-with-increased-support-to-ukraine-and-humanitarian-needs.html.

[7] Von den 299,4 Millionen Hilfsbedürftigen ist hierbei nur für die 180,5 Millionen Ärgstbetroffenen Geld für Hilfe veranschlagt. Stand Dezember 2023. Siehe https://humanitarianaction.info/document/global-humanitarian-overview-2024/article/response-plans-overview-2024#page-title oder https://www.unocha.org/publications/report/world/global-humanitarian-overview-2024-enarfres. Auf die einzelnen Länder aufgeschlüsselte Zahlen finden sich auf https://humanitarianaction.info/, wobei es da um insgesamt 186,6 Millionen USD geht.

[8] World Humanitarian Summit. Eine andere Übersetzung ins Deutsche wäre “Weltgipfel humanitärer Hilfe“.

[9] Ursprünglich haben 30 unterzeichnet, binnen eines Jahres waren es 48 und bis zum heutigen Tag sind es 68 geworden. Siehe https://interagencystandingcommittee.org/grand-bargain-official-website/grand-bargain-signatories. Österreich ist überraschenderweise nicht in der Liste der 68 Unterzeichnenden zu finden – ich habe keine Erklärung gefunden, warum nicht.

[10] Der Grand Bargain umfasst 9 Achsen und 51 Verpflichtungen (commitments) – für die Lokalisierung relevant sind die Achse 2 und die Verpflichtungen 5 bis 10.

[11] Foto Adam Brown/Crown Copyright – DFID (Department for International Development, Großbritanniens EZA-Agentur) 4.2.2016, leicht zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:President_Muhammadu_Buhari_of_Nigeria_at_the_Supporting_Syria_conference_(24722627871).jpg.

[12] Rana B. Khoury, Emily K.M. Scott, Localisation doesn’t shift power. It deepens international dominance, The New Humanitarian 23 July 2024, https://www.thenewhumanitarian.org/opinion/2024/07/23/localisation-doesnt-shift-power-it-deepens-international-dominance.

[13] Sie haben 2014 bis 2018 geforscht, in Syrien und seinen Nachbarländern und auch am Sitz intervenierender Organisationen. In den folgenden Absätzen bewege ich mich sehr nahe am Text ausgewählter Teile ihres Artikels.

[14] Standard-Vorgehensweise ist das vom UNO-System angestoßene, mit Unterstützung der Regierung betriebene Einrichten thematischer Koordinationsinstitutionen, die sogenannten cluster auf nationaler Ebene. Eventuell werden in den betroffenen Provinzen zu den erforderlichen Themen sub-cluster eingerichtet. Den Vorsitz und Vize-Vorsitz teilen sich UNO-Agenturen, internationale NGOs und staatliche Agenturen, einheimischen NGOs wird in der Regel höchstens der Vize-Posten auf sub-nationaler Ebene zuerkannt.

[15] Foto Adam Brown/Crown Copyright – DFID 4.2.2016, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ban_Ki-moon_highlights_the_humanitarian_needs_inside_Syria_(24698251552).jpg.

[16] Es handelt sich laut Bildtext um ein Notfall-Lebensmittelpaket nach der großen Explosion in der libanesischen Hauptstadt. Foto Edwardtheeduard 10.8.2020, leicht zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Syria_Relief_aid_worker_delivering_aid_August_2020.jpg.

Afrika Tv

Tue 18:00 - 18:30
Wed 16:00 - 16:30
Thu 14:00 - 14:30
Fri 12:00 - 12:30
Sat 10:00 - 10:30
Sun 08:00 - 20:30

Radio Afrika International

On Orange FM 94.0 MHZ

Mon 09:00 - 10:00
Tue 09:00 - 10:00
Wed 09:00 - 10:00
Thu No Transmition
Fri 09:00 - 10:00
Sat 09:00 - 10:00
Sun 09:00 - 10:00

Radio Afrika International

On Ö1 campus

Mon 15:00 - 17:00
Tue 15:00 - 17:00
Wed 15:00 - 17:00
Thu 15:00 - 17:00
Fri 15:00 - 17:00
Sat 15:00 - 17:00
Sun 15:00 - 17:00

Current Events

take a look at the events that are happening right now.

Radio Afrika Tv Newsletter

Sign up to be inside the updates that Radio Africa Tv publishes

Radio Afrika youtube channel

Radio Afrika Tv Podcast

Newsletter Abonnieren

Bleiben Sie mit unserem monatlichen Newsletter über unsere Arbeit informiert!