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Kann der Krieg gegen den Terror ohne Verhandlungen auskommen?

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Bild: Rechts Osama bin Laden, links sein weniger berühmter, in Ägypten geborener Nachfolger als al-Qaida-Chef Ayman al-Zawahiri, auf einem Flugblatt aus 2001, das jeweils 25 Millionen USD verspricht für Informationen, die zu ihrer Ergreifung führen. Beide wurden im Zuge von Aktionen des US-Kriegs gegen den Terror getötet, bin Laden am 2.5.2011, al-Zawahiri am 31.7.2022. [1]

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Günther Lanier, Ouagadougou 7. August 2024[2]

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In einer Rede vor dem US-Kongress erklärte George W. Bush am 20.9.2001, also neun Tage nach dem Anschlag auf die Twin Towers in Manhattan (9/11): “Unser Krieg gegen den Terror beginnt mit Al-Qaida, aber er endet nicht dort. Er wird nicht enden, bis jede terroristische Gruppe von globaler Reichweite gefunden, gestoppt und geschlagen ist.“[3]

So ganz hat das nicht geklappt. Zumindest aus einer afrikanischen Perspektive hat sich fast 23 Jahre nach Bush’s Rede der Terror vielmehr ausgebreitet. Nicht nur gibt es al-Qaida weiter, es ist ihr im Islamischen Staat Konkurrenz erwachsen. Es war ein IS-Sympathisant, der am 2. November 2020 in Wien vier Menschen ums Leben gebracht und mehr als zwanzig zum Teil schwer verletzt hat.

Auch in Afrika hat sich Washingtons Erfolg nicht recht einstellen wollen. Olayinka Ajala bescheinigt Washington anlässlich des Rauswurfs aus dem Niger schlichtweg Versagen[4]. Seiner Analyse nach waren drei Faktoren dafür verantwortlich, zuallererst die Überbetonung militärischer Aktionen, ohne sich mit den ökonomischen Gründen des Terrors zu beschäftigen. In der dominant jungen Bevölkerung hätten mangelnde wirtschaftliche Aussichten und die Arbeitslosigkeit wesentlich zur Ausbreitung der extremistischen bewaffneten Gruppen beigetragen[5].

Dass militärische Mittel im Kampf gegen den Terror bei weitem nicht ausreichen, haben auch die Gouverneure der Tschadseebecken-Kommission vor einem Jahr in ihrem Bericht[6] festgestellt.

Doch es scheint einfacher, nur zu schießen und an ein Verhandeln gar nicht erst zu denken. Die Gegenseite wird oft auch “entmenschlicht“ dargestellt: das inkarnierte Böse, das einer zivilisierten Behandlung nicht wert ist. Dem ähnelte auch die Haltung Frankreichs in den Jahren seines Anti-Terror-Einsatzes im Sahel.

Vor bereits 16 Jahren hat die Rand Corporation eine wissenschaftliche Analyse herausgegeben[7], in der es darum geht, wie Terrorgruppen wirksam begegnet werden kann[8].

648 solcher Gruppen, die zwischen 1968 und 2006 bestanden, wurden in diesem dem US-Verteidigungsministerium, der US-Armee und dem US-Geheimdienst nahestehenden[9] Paper unter die Lupe genommen.

Zum Zeitpunkt des Erstellens der Studie waren 268 der Gruppen “beendet“[10]. Dieses Ende war nur bei 20 durch militärische Mittel gegen sie erreicht worden, das sind nur 7%, 27 hatten gesiegt (10%), 107 waren mit polizeilichen und geheimdienstlichen Mitteln beendet worden, das sind 40% und 114 oder 43% waren mit politischen Mitteln, also insbesondere nach Verhandlungen und einer Vereinbarung mit der jeweiligen Regierung zu einem Ende gebracht worden.

Eine Erfolgsquote von 7%: Militärische Mittel allein haben sich im Kampf gegen den Terror also als ein “zu stumpfes Instrument“[11] erwiesen. Folgen wir der Analyse der Rand-Studie, so gibt es für Terrorismus “keine Schlachtfeld-Lösung“ und “militärische Gewalt hat üblicherweise die gegenteilige von der intendierten Wirkung: Oft wird sie zu viel eingesetzt, entfremdet die lokale Bevölkerung durch ihre plumpen Methoden und eröffnet terroristischen Gruppen günstige Gelegenheiten fürs Rekrutieren.“[12]


ein Polizeiposten in Lagos [13]

Freilich müssen wir immer den Kontext berücksichtigen. Und die verschiedenen Mittel – darunter durchaus auch militärische – sind miteinander zu kombinieren.

Die mit einer Erfolgsrate von 40% zweitbeste Lösung der Rand-Studie ist die polizeilich-geheimdienstliche. Anders als die militärische, beruht sie auf einer gründlichen Kenntnis des Terrains, wo sie operiert. Solches Wissen macht das Verhaften und daher Unschädlichmachen wichtiger Mitglieder der terroristischen Gruppen möglich. Doch gibt es nicht überall eine genügende Durchdringung des Territoriums durch Polizei oder Gendarmerie. Außerhalb der auch polizeilich privilegierten modernen Zentren – wie zum Beispiel Lagos auf dem Foto oben – kann diese mangelnde Präsenz vielleicht durch lokale Milizen, Bürgerwehren oder Jägerverbände in einem gewissen Maß kompensiert werden, aber ein vollständiger Ersatz ist so kaum erreichbar.

Die relativ dünne Polizeipräsenz lenkt die Aufmerksamkeit verstärkt auf gewaltlose Konfliktlösungsmethoden, auf das allzu oft verschmähte Verhandeln und Kompromissschließen. Liegt darin für terrorgeplagte Bevölkerungen, die Hauptopfer des asymmetrischen Krieges, die vielleicht beste Chance auf Frieden?

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im Vordergund die Freiheitsstatue, hinten die Manhattan-Skyline mit den World Trade Center-Zwillingstürmen in Brand, vor ihrem Einsturz[14]

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Nachbemerkung: Dieser Artikel will Gedankenanstoß sein. Die vorgebrachten Argumente beziehen den Kontext viel zu wenig ein. Liegt die Erfolgsaussicht der dominant militärischen Anti-Terror-Strategie laut der referierten Rand-Studie auch nur bei 7%, so kann sie in einem bestimmten Umfeld genau die richtige sein.

Der Studie werde ich übrigens nicht gerecht. Schon allein die Tabelle A1 (pp.141-186) mit den bündigen Kurz-Infos über die 648 in der Analyse berücksichtigten Terror-Organisationen ist überaus beeindruckend.

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Endnoten:

[1] https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Reward_for_Osama_bin_Laden,_Ayman_al_Zawahirir_–_AFD290F.jpg.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Siehe https://web.archive.org/web/20051217122637/http://www.lpb.bwue.de/aktuell/terrorusa/bush2109.htm. Dort finden sich auch weitere Auszüge der Rede auf Deutsch übersetzt.

[4] Olayinka Ajala, US military is leaving Niger even less secure: why it didn’t succeed in combating terrorism, The Conversation 4.8.2024, https://theconversation.com/us-military-is-leaving-niger-even-less-secure-why-it-didnt-succeed-in-combating-terrorism-235259.

[5] Die anderen beiden Gründe sind laut Olayinka Ajala mangelndes Kontext-Verständnis (insbesondere, was die wichtige Rolle traditioneller Autoritäten betrifft) sowie die Weigerung – aus Menschenrechtsgründen –, an die betroffenen Staaten Waffen zu liefern.

[6] Siehe ihren Report of the Fourth Annual Governors’ Forum of the Lake Chad Basin Commission of July 2023: https://www.undp.org/sites/g/files/zskgke326/files/2024-03/report_of_the_4th_governors_forum_-_final.pdf.

[7] Den Hinweis auf diese Publikation erhielt ich in Francesca Batault, Malik Samuel, Dialogue and negotiation: alternative solutions to Boko Haram conflict? ISS Today 29.5.2024, https://issafrica.org/iss-today/dialogue-and-negotiation-alternative-solutions-to-boko-haram-conflict.

[8] Seth G. Jones, Martin C. Libicki, How Terrorist Groups End. Lessons for Countering al Qa’ida, Santa Monica (Rand Corporation) 2008, https://www.rand.org/content/dam/rand/pubs/monographs/2008/RAND_MG741-1.pdf

[9] Siehe das Vorwort, ebd., Seite v.

[10] 244 waren noch aktiv, 136 waren aufgesplittert und ein Teil der Mitglieder war weiter terroristisch aktiv – in anderen oder neugegründeten Gruppen. Siehe ebd. p.19.

[11] Siehe z.B. ebd., p.31.

[12] Siehe ebd., p.xvii.

[13] Foto Zouzou Wizman 3.5.2005, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2005_police_Lagos_Nigeria_12126919.jpg.

[14] Foto National Park Service 11.9.2001, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:National_Park_Service_9-11_Statue_of_Liberty_and_WTC_fire.jpg.

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