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Gewaltfrei gegen Kolonialherrschaft: Aline Sitoé Diatta 1920-44

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Foto: Der Reis ist – oder war – den Diola heilig. Hier ein Mann und ein Kind beim Aufbereiten der Erde für die Reisaussaat mit den traditionellen, kadiandou oder kajendo (kajendu) genannten Geräten[1]

* * *

Günther Lanier, Ouagadougou 27.4.2022[2]

* * *

Mitten unterm Zweiten Weltkrieg kam es in der Casamance in Senegals äußerstem Süden unter den Diola zu breitem, vor allem von den Frauen getragenem Widerstand gegen die französischen Kolonialherren. Seit langem schon lasteten Steuern, Zwangsarbeit und Einheimischen-Code auf den indigenen UntertanInnen, dazu waren noch vermehrte Zwangsrekrutierungen gekommen. Das Fass zum Überlaufen brachten aber die von Dakar angeordneten Requisitionen der Reis-Vorräte der Diola. Denn für die BewohnerInnen des Unterlaufs der Casamance ist Reis nicht einfach Nahrung, um ihn dreht sich ihre ganze Gesellschaft, ihre ganze Kultur. Er ist heilig. Wie in Küstennähe die Erde dem Meer abgewonnen und langsam entsalzt wird, ist eine Wissenschaft.

Die Beschreibung, wie dieses langsame Entsalzen traditionell bewerkstelligt wurde, ist einer der Höhepunkte des Romans, den Karine Silla über den Frauenaufstand gegen die französischen Kolonialherren 2020 publiziert hat[3].


Die Casamance, ein dünner Streifen Landes südlich von Gambia und nördlich von Guinea-Bissau. Die Diola leben am Unterlauf des Casamance-Flusses, vor allem im heutigen Senegal, einige auch in Gambia, andere in Guinea-Bissau.[4]

Aufseiten der französischen Kolonialherren waren die Diola seit jeher als renitent und schwer beherrschbar bekannt, ja berüchtigt. Vor Ausbeutung hat sie dieser “schlechte Leumund” nicht bewahrt.

Ich will zwei “Berichte“ über diesen Frauenaufstand gegenüberstellen, den soeben erwähnten Roman und einen Film. Die beiden BerichterstatterInnen, Karin Silla und Ousmane Sembène, haben gemeinsam, dass ihr Schaffen sowohl Bücher als auch Filme umfasst. Was den alten Großmeister des senegalesischen und afrikanischen Films betrifft, so verfolgte er mit seinem 1971 herausgekommenen “Emitaï“ jedoch ein ganz anderes Projekt als knapp 50 Jahre später Karine Silla mit ihrem “Aline und die Krieger“. Der alte Rebell wollte Bewusstsein für Ungerechtigkeit und Ausbeutung schaffen. Silla wollte in erster Linie zwischen den Kulturen vermitteln.

KeineR der beiden ist Diola (Ousmane Sembène ist Lébou, Karine Silla halbe Wolof), Ousmane Sembènes Jugend situiert ihn jedoch in großer Nähe zu seinem Sujet: Er ist 1923 in Ziguinchor, der Hauptstadt der Casamance, geboren und dort auch aufgewachsen. Noch dazu hat er first hand-Erfahrung als senegalesischer Schütze: Er wurde 1943 oder 1944 als solcher für das 6. koloniale Artillerieregiment rekrutiert. Karine Silla, Tochter einer Französin und eines Senegalesen, ist vor allem in Dakar aufgewachsen.

   
Karine Silla (links) und Ousmane Sembène (rechts)[5]

Ich überlasse das Wort zunächst einem Wissenschaftler[6], der erklärt, wie es zum Diola-Frauenaufstand kam.

Nach der französischen Kapitulation vor den Deutschen 1940 hatte sich Charles de Gaulle nicht ergeben, sondern war nach London gegangen und hatte dort den Grundstein für seine Rückeroberung Frankreichs gelegt, die in Afrika begann, sich zu großen Teilen auf die dort rekrutierten senegalesischen oder anderen einheimischen Schützen[7] stützte, und mit dem blanchiment der französischen Truppen vor dem triumphalen Einmarsch de Gaulles in Paris 1944 eigentlich skandalös endete, auch wenn kaum wer davon redet[8].

De Gaulles erste Schlacht in Afrika war ein Misserfolg, er versuchte mit der Unterstützung britischer Kriegsschiffe, Vichy-Frankreich um Französisch Westafrika (inklusive der dort geparkten Währungsreserven der französischen Nationalbank) zu erleichtern, unterlag jedoch in der Schlacht um Dakar[9]. Darob war nicht nur de Gaulle erbost, London rächte sich in der Folge durch eine Art See-Blockade, die den Verkehr zwischen Frankreich und seinen westafrikanischen Besitzungen mehr oder weniger zum Erliegen brachte. Das bedeutete unter anderem, dass die Kolonie, was ihre Ernährung betraf, auf sich selbst gestellt war. Da auch der Reis aus Indochina nicht mehr eintraf, beschloss die Kolonialadministration einen radikaleren Zugriff auf die Ressourcen der Casamance. Dakar verlangte von Ziguinchor das Requirieren der Reserven der Diola-BäuerInnen.

“Die Diola, die bis dahin ihren Reis sorgfältig aufbewahrt hatten für den eigenen Verzehr, für die Opfer an die Geister der AhnInnen, die ‘Ukin’, und für die traditionellen Feste: Beschneidungen, Begräbnisse… sahen sich gezwungen, die Reserven ihrer Speicher preiszugeben, jedes Dorf war verpflichtet, eine gewisse Anzahl von Zentnern abliefern. Dass nun der Reis trotz seines sakralen Wertes besteuert werden sollte, gefiel den Diola ganz und gar nicht. Manches Dorf weigert sich zu gehorchen, nutzt die Gelegenheit, um gegen das koloniale Joch aufzubegehren. So predigt die Königin von Kabrousse ‘Alinsitoë’ 1942 offen die Revolte gegen die französische Herrschaft. Mit dem Reis, den die Diola für einen spirituellen Teil ihres Ichs erachten, für eine unabdingbare Verbindung mit den AhnInnen und den schützenden Geistern, weigert sich die Königin, sich ihres ethnischen Erbes berauben zu lassen. Die als Steuerpflicht getarnte Beschlagnahmung des Reises ist Zerstörung und Negation einer kulturellen Einheit – Widerstand dagegen ist gleichbedeutend mit dem Verweigern von Selbstmord. Die Unterdrückung lässt freilich nicht lange auf sich warten, die Verwaltung schickt die Armee in die Niedere Casamance (Basse Casamance). Das Dorf Effoc wird niedergebrannt, aber seine EinwohnerInnen haben Zeit genug, um auf die andere Seite der Grenze, ins portugiesische Guinea zu flüchten. Die Königin ‘Alinsitoë’ wird verhaftet und eingesperrt, 1943 wird ihr in Ziguinchor der Prozess gemacht, dann wird sie in eine andere Kolonie ins Exil geschickt. Die BewohnerInnen von Kabrousse müssen nach den üblichen Repressalien den Reis abliefern. Die Unterdrückung ist überaus heftig, es gilt, ein Exempel zu statuieren.“[10]


Casamance, Frau bei der Arbeit auf einem Reisfeld[11]

Dakar war falsch informiert gewesen, hatte nicht nur die Bedeutung des Reises für die Diola missachtet, sondern auch deren Reserven zu hoch veranschlagt, entsprechend waren die abzuliefernden Mengen enorm, die Fristen zu kurz. Und so hat “ein von der Fetisch-Königin entfachter Wind der Revolte“ die ganze Niedere Casamance ergriffen. Die arge Unterdrückung, die dann folgte, säte Unruhe und Verstörung – das Konfiszieren der Reisernte löst eine Welle der Landflucht aus, Diola, die nicht ins Ausland flüchten, zogen in die Städte, auch nach Dakar[12].

96 Minuten und 36 Sekunden lang zeigt Ousmane Sembènes Film[13] schonungslos die Brutalität der Kolonialherren im Umgang mit den Diola. Der Film beginnt mit Zwangsrekrutierungen und endet mit der Massenerschießung der verbliebenen Bewohner des Dorfes Effoc.


Diola-Jäger Anfang des 20. Jahrhunderts. Diola-“Krieger“ waren, glauben wir Ousmane Sembènes Film, um nichts besser ausgerüstet[14]

Dazwischen geht es vor allem um Reis. Den haben die Frauen – vom Nahen der requirierenden kolonialen Truppen rechtzeitig verständigt – versteckt. Sich selbst haben sie dummerweise nicht mitversteckt. So werden sie von den Kolonialtruppen kollektiv in Geiselhaft genommen: In der Sonne müssen sie sitzen, Alte und Kleinkinder mit eingeschlossen. Gnadenhalber dürfen sie sich einmal an ein paar Kürbisflaschen voll Wasser laben, die ein kleiner Bub vorbeibringt.

Seinen Namen – Emitaï – verdankt der Film dem Gott des Donners. Das ist einer der Götter, der vom Altenrat des Dorfes wiederholt konsultiert wird. Die Alten wissen nämlich überhaupt nicht, wie sie agieren sollen, ob sie den Reis, wie von der Obrigkeit verlangt, herausrücken sollen. Wie sie die Frauen des Dorfes befreien sollen. Die traditionellen Regeln, denen ihre Gesellschaft unterliegt, deren Hüter sie sind, und die das gemeinsame Leben und Überleben seit unvordenklichen Zeiten regeln, erweisen sich nämlich als immer weniger nützlich. Wie auch der Mut und die Waffen, die ihnen zur Verfügung stehen. Einmal flackert männlicher Widerstand gegen die Besatzer auf: Unter der Führung des Ältesten des Altenrates, der schließlich an den Göttern verzweifelt, ziehen die im Dorf verbliebenen Männer in die Schlacht gegen die französischen Kolonialtruppen (abgesehen von den Kommandanten sind das lauter Einheimische). Und unterliegen dort mit ihren Pfeilen und Lanzen und – wenn ich recht gesehen habe einem einzigen – Gewehr. Die haushoch überlegenen kolonialen Waffen[15] bringen ein paar der Aufmuckenden zur Strecke, darunter den Ältesten des Altenrates. An dessen Leichnam verzweifeln die hinterbliebenen Alten abermals – kann er doch nicht begraben werden, wie es sich gehört – ohne Frauen geht das nicht, die sind aber in französischer Kollektivhaft. Der Versuch, das Begräbnis unter Männern trotzdem abzuwickeln, scheitert am französischen Kommandanten: Solange der Reis nicht den Ordern entsprechend übergeben ist, wird es kein Begräbnis geben. Den Männern bleibt nichts übrig, als den Schwanz einzuziehen und abzuwarten.

Rund um die Entschlossenheit der Frauen verzweifeln inzwischen die beiden Weißen. Befehl wird gegeben, auf alles, was sich bewegt, zu schießen.

An diesem Befehl stirbt ein Bub, er war vielleicht zehn Jahre alt. Der Tod dieses Kindes bringt die Frauen dazu, ihren Widerstand aufzugeben. Die Frauen sind zweifellos die Heldinnen dieses Films, und zwar die Frauen als Gruppe, in ihrer Gesamtheit[16]. Sie sind es, die agieren und Entscheidungen treffen. Männer sind vor allem ratlos.

Der Reis wird den Besatzern übergeben. Das Kind und der Älteste des Altenrates werden von den Frauen begraben. Das tut der voranschreitenden Katastrophe keinen Abbruch. Wie erwähnt endet der Film mit der Massenerschießung der Männer, die sich plötzlich weigern, den requirierten Reis für die Besatzer weiter zu tragen. Und aus dem oben angeführten Ausschnitt aus Pierre Xavier Trincaz’ wissenschaftlicher Kurzzusammenfassung wissen wir, dass das Dorf (Effoc) niedergebrannt werden wird – das ist im Film nicht zu sehen, damit wird nur gedroht.


Diola: Kleinkind unter tanzenden Erwachsenen[17]

Ganz anders als Ousmane Sembène[18] nähert sich Karine Silla dem Frauenaufstand in der Casamance. Zeigt er die Dorffrauen in seinem Film als Kollektiv, so konzentriert sich Silla auf die oben zwei Mal en passant erwähnte Königin von Kabrousse ‘Alinsitoë’ – bei Silla und heutzutage generell wird sie Aline Sitoé Diatta geschrieben.

Sie ist in der Casamance, ja in ganz Senegal alles andere als eine Unbekannte. In Ziguinchor (der Hauptstadt der Casamance) heißt heutzutage ein 1992 für die Afrika-Fußballmeisterschaften (CAN) gebautes Stadion nach ihr. In Dakar trägt ein Studentinnenheim der Cheikh Anta Diop-Universität ihren Namen. Und auch die 2006/07 in Berne in Niedersachsen gebaute Fähre, die seit 2008 zweimal wöchentlich in etwa 15 Stunden Dakar mit Ziguinchor verbindet, heißt “Aline Sitoé Diatta“. Am 26.9.2002 kurz vor 23h war ihre Vorvorgängerin, die Joola, etwa 40 km vor der gambischen Küste gesunken und hatte nach offiziellen Angaben 1.863 PassagierInnen mit sich in den Tod gerissen, nach anderen Schätzungen über 2.000 – jedenfalls mehr als die Titanic. Die Kapazität der Joola belief sich auf 536 PassagierInnen, sie war also heillos überladen. Außerdem dauerte es bis zum Nachmittag des folgenden Tages, bis die staatlichen Rettungsdienste eintrafen (Fischer waren seit der Früh am Werk). Nur 65 PassagierInnen überlebten. Nach über dreijähriger Fährenlosigkeit wurde die Joola Ende 2005 durch die Wilis ersetzt, diese dann 2008 durch die Aline Sitoé Diatta.

Bis Juli 2021 kannte ich die Geschichte der Königin von Kabrousse nicht. Damals sprang mir bei einem Einkauf in der Librairie aux 4 Vents in Dakars Zentrum ein Buch ins Auge, dessen Cover fast zur Gänze von einem Foto eingenommen wird, das ich selbst 2018, weil ich es so schön gefunden hatte, in einem Artikel über die Frauen im Senegal verwendet hatte (Günther Lanier, Erfolg qua Quote? In der senegalesischen Politik sind die Frauen auf dem Vormarsch, 20.6.2018)[19].


Wolof-Frau[20]

Aline Sitoé Diattas Leben ist schnell beschrieben. Sie wurde 1920 in Kabrousse im Südwesten der Casamance an der Küste des Atlantischen Ozeans geboren. Als Teenagerin ging sie nach Ziguinchor, wo sie als Hafenarbeiterin Geld verdiente. Von dort zog sie weiter nach Dakar – damals Hauptstadt nicht nur des Senegal, sondern von ganz Französisch Westafrika. 1941 kehrte sie nach Hause zurück. Und dort fand sie sich bald an der Spitze des anti-kolonialen Widerstandes wieder – wurde zur Königin gemacht, das war mehr eine spirituelle Rolle als eine Position der Macht. Und sie war Königin ihres Dorfes Kabrousse, nicht aller Diola, auch wenn das Charisma der jungen Frau  offensichtlich sehr viel weiter strahlte. So sehr, dass die französische Administration auf sie aufmerksam wurde und sie gefangen nahm, 1943 gelang ihr das. Es wurde ihr der Prozess gemacht, sie wurde verurteilt und sie musste ihre Strafe in weiter Ferne absitzen. 1944 starb sie in Timbuktu an Skorbut. Gerade 24 war sie geworden. Sie hinterließ eine Tochter[21].

In ihrem Buch berichtet Karine Silla – selbst wie bereits erwähnt Tochter einer Französin und eines Senegalesen – vom Leben ihrer Heldin. Darüber hinaus bemüht sie sich, die Kultur der Diola zu vermitteln. Wobei sie einen Brückenschlag versucht zwischen der Welt der Kolonialherren – von den Entdeckern und Eroberern bis heute – und der traditionellen dörflichen Welt der BewohnerInnen der Niederen Casamance. Ich halte ihren Versuch für nicht besonders gelungen, zu sehr tendiert die auktoriale[22] Erzählerin zu Vereinfachungen und Übertreibungen, schreibt Teile der Biographie ihrer Heldin plötzlich aus deren Innerem heraus, also als Ich-Erzählerin, daweil weiß sie ganz offensichtlich ungeheuer wenig über sie. Letzteres ist kein Vorwurf – es ist einfach wenig bekannt über Aline Sitoé Diatta, wohl auch, weil die Kolonialherren versuchten, die Erinnerung an sie auszulöschen.

Freilich hat eine Autorin jedes Recht, in ihrem Buch zu schreiben und auch zu erfinden, was sie will. Doch scheint Karine Silla immer wieder Anspruch auf historische “Wahrheit“ zu erheben. Die Unehrlichkeit beginnt mit dem Cover-Foto. Es handelt sich um eine als “Wolof-Frau“ beschriebene Postkarte, die ein Foto von François-Edmond Fortier verwendet, der 1928 gestorben ist (die Wolof sind die zahlenmäßig dominante Sprachgruppe Senegals). Dass sich der Fotograf bei der ethnischen Zuordnung geirrt hat, wäre möglich. Doch Aline Sitoé Diatta war acht Jahre alt, als er starb. Dass es sich bei dem Bild um ihr Foto handelt – was Karine Silla nie explizit behauptet, aber mehrfach in ihrem Text insinuiert – ist somit auszuschließen.

Diese Unehrlichkeit hat mich bei der Lektüre des Buches begleitet, vielleicht sollte ich besser von Unstimmigkeit schreiben. Welche Information ist nun “wahr“, welche gut und welche frei erfunden? Zu Anfang ihres Werkes will Karine Silla offenbar unbedingt eine Figur des Widerstandes aus dem südlichen Afrika unterbringen, genauer gesagt aus Simbabwe: Nehanda. Von dieser sie in weiterer Folge stark inspirierenden Frau soll Aline während der Kindheit von ihrem Ersatzvater Diamacoune, seines Zeichens ehemaliger senegalesischer Schütze, erzählt bekommen haben. Dass der als senegalesischer Schütze nach Simbabwe gekommen ist, erscheint allerdings mehr als unwahrscheinlich. Als Martin – der spätere Dienstherr von Aline (sie wird als Kindermädchen und Mädchen für alles für ihn und seine Frau Marguerite arbeiten) beim Dienstantritt in der Kolonialadministration per Schiff in Senegal ankommt, steigt er zunächst in einen Zug nach Bamako, wo er zehn Tage bleibt, bevor er nach Dakar weiterfährt. Das bedarf zumindest einer Erklärung, zumal er zweifellos in Dakar an Land gegangen ist[23]. Zu Ende des Buches wird die zu Verbannung und Haft verurteilte Aline Sitoé Diatta zuerst nach Kayes verfrachtet (im Westen des heutigen Mali). Von dort aber soll sie in ein Gefängnis nach Gambia verlegt worden sein – das scheint widersinnig, ging es dem französischen Kolonialapparat doch darum, sie möglichst weit von ihren Wurzeln und ihren AnhängerInnen entfernt zu halten, in Gambia hingegen leben auch Diola, noch dazu war es eine britische, keine französische Kolonie. Vom Gefängnis in Gambia erst soll sie laut Karine Silla nach Timbuktu verlegt worden sein, wo sie bald darauf starb, ganz so wie von Dakar gewollt: ohne jegliches Aufsehen zu erregen.

Von einem Frauenaufstand in der Casamance ist bei Karine Silla übrigens nicht zu lesen. Obwohl freilich die Frauen unter den Gefolgsleuten ihrer Heldin zuvorderst rangieren. Mich dünkt, Ousmane Sembène war fortschrittlicher und vor allem auch feministischer.


Mangroven in der Casamance[24]

* * *

Endnoten:

[1] Das Foto ist in Boucotte aufgenommen, 8 km nördlich von Kabrousse, wo Aline Sitoé Diatta her war. Foto Olivier Epron Olivierkeita, Juli 2008, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Culture_riz_boucotte.jpg?uselang=fr.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Karine Silla, Aline et les hommes de guerre, Paris (Editions de l’Observatoir/Humensis) 2020. Die Passage zum Reisanbau findet sich auf pp.35-37.

[4] Karte der europäischen Besitzungen und Protektorate in Afrika in einem in Rom 1889 publizierten Buch, British Library HMNTS 10096.g.11, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:31_of_%27Possedimenti_e_protettorati_Europei_in_Africa,_1889._Raccolta_di_notizie_…_sulle_regioni_costiere_africane_Corredato_di_…_disegni%27_(11293116084).jpg?uselang=fr.

[5] Karine Silla am Cabourg-Filmfestival, Foto Georges Biard 13.6.2018, leicht überarbeitet und in Schwarz-weiß transformiert GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Karine_Silla_Cabourg_2018.jpg.
Ousmane Sembène bei einem Berlin-Besuch, Foto Günter Prust 18.11.1987, leicht überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ousmane_Semb%C3%A8ne_(1987)_by_Guenter_Prust.jpg.

[6] Siehe Pierre Xavier Trincaz, Colonisation et Régionalisme. Ziguinchor en Casamance, Paris (Editions d’Orstom) 1984, pp.52f, herunterladbar auf https://www.documentation.ird.fr/hor/fdi:17252.

[7] Die Bezeichnung “senegalesische Schützen“ (tirailleurs sénégalais) reicht weit über den Senegal hinaus, nicht jedoch bis zu den in Nordafrika rekrutierten Einheimischen.

[8] Wie ich in Günther Lanier, Land der Integren. Burkina Fasos Geschichte, Politik und seine ewig fremden Frauen, Linz (guernica Verlag) 2017, p.148 schreibe, war es de Gaulle, “der am 25. August (1944) in Paris einmarschiert, es ‘befreit’. Die Schwarzhäutigen unter den einmarschierenden Befreiern hat er vorher stark reduziert – das ist nicht Undankbarkeit, woher denn? Aber es hätte die Gefühle der FranzösInnen verletzt, ihre Freiheit Schwarzen verdanken zu müssen…“ Und ebd. Fn.4: “‘Blanchiment des troupes coloniales’, also ‘Weißen, Bleichen der Kolonialtruppen’, hieß diese Infamie.“

[9] Sie wird aus Dakar’scher Perspektive beschrieben in Karine Silla, a.a.O., pp.183ff. In Ousmane Sembènes Film kommt eine Szene vor, quasi ein Seitenhieb auf die Kolonialherren, die zu Ende ihrer Dorf-Besetzung verständigt werden, dass nicht mehr Pétain, sondern de Gaulle ihr Oberchef ist, alle Bilder somit auszutauschen sind.

[10] Pierre Xavier Trincaz, a.a.O., p.53. Übersetzung GL.

[11] Foto Julsalomon 11.10.2017, leicht überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:FEMME_S%27ACTIVANT_DANS_UN_CHAMPS_DE_RIZ.jpg.

[12] Pierre Xavier Trincaz, a.a.O., p.53.

[13] Ousmane Sembène, Emitaï, Senegal 1971, 1h36’36’’. Der Film ist – allerdings mit portugiesischen Untertiteln – anschaubar auf https://www.youtube.com/watch?v=kdpnw7-1yL4. Die geringe Auflösung lässt die Zeit spürbar werden, die seit den dargestellten Ereignissen vergangen ist.

[14] Fortier-Sammlung Nr.1270, Foto François-Edmond Fortier (1862-1928), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:S%C3%A9n%C3%A9gal-Chasseurs_Diolas_(AOF).jpg?uselang=fr.

[15] Ein Vergleich mit dem Volta-Bani-Krieg (auf “Einheimisch“ Bona-Krieg genannt) drängt sich auf. Im Westen des heutigen Burkina war es dort während des Ersten Weltkrieges gelungen, ein Gebiet von der Größe Österreichs von der kolonialen Besatzung zu befreien, wenn auch nur für kurze Zeit. Dort verfolgten die waffenmäßig wie die Diola haushoch unterlegenen “Aufständischen” jedoch eine ganz andere Strategie. Siehe Günther Lanier, Land der Integren. Burkina Fasos Geschichte, Politik und seine ewig fremden Frauen, Linz (guernica Verlag) 2017, pp.102-111.
Dass die Diola sich als so hilflos erwiesen, liegt vielleicht am alles überragenden Wert des Friedens in ihrer Kultur. Für die Diola wäre die einzige realistische Möglichkeit bewaffneten Widerstands der Guerilla-Kampf gewesen – der aber französischerseits sicher genauso zu brutaler Rache geführt hätte wie das Nichtherausrücken der Reisvorräte.

[16] Wie es auch Igancio Ramonet feststellt in seinem Artikel «Emitaï». Un film de Sembène Ousmane, Monde Diplomatique Juni 1977, p.23, https://www.monde-diplomatique.fr/1977/06/RAMONET/34266.

[17] Foto MaxSterno 2.4.2017, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Le_petit_Diola_parmi_les_grands.jpg?uselang=fr.

[18] Ousmane Sembène hat 1988 noch einen weiteren Film über die senegalesischen Schützen in der Zeit des Zweiten Weltkrieges gemacht: Camp de Thiaroye.

[19] Der Artikel entspricht dem Kapitel 32 in Günther Lanier, Afrika. Exkursionen an den Rändern des Weltsystems, Linz (guernica Verlag) 2019, pp.231-237. Verfügbar auch auf https://www.africalibre.net/artikel/128-erfolg-qua-quote–in-senegal-sind-die-frauen-auf-dem-vormarsch.

[20] Fortier-Sammlung Nr.1037, Foto François-Edmond Fortier (1862-1928), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:S%C3%A9n%C3%A9gal-Femme_Ouolof_(AOF)_(2).jpg.

[21] Ihre Tochter, laut https://fr.allafrica.com/stories/201503091091.html hieß sie Anne Marie Diatta, ist am 1.3.2015 verstorben. Laut https://fr.allafrica.com/stories/201503091428.html war ihr Name hingegen Seynabou Niaouless Diatta und Macky Sall soll nicht nur sein Mitleid ausgesprochen, sondern auch ein Flugzeug für den Transport ihres Leichnams von Dakar nach Kabrousse zur Verfügung gestellt haben.

[22] Auktorial = allwissend.

[23] An anderer Stelle mokiert sich die Autorin über Charles de Gaulle, der offenbar nichts über Afrika wusste, nicht einmal, dass St. Louis keinen großen Hafen hat und der daher dort statt in Dakar landen wollte.

[24] Foto jbdodane 7.6.2013, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mangroves_in_Casamance.jpg?uselang=fr.

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