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Freiheitsbewegungen: Lasst sie nur ja nicht an die Macht!

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Foto: Samora Machel am 4. Frelimo-Kongress [1]

* * *

Günther Lanier, Ouagadougou 9.2.2022[2]

* * *

Wo wir auch hinschauen, in Afrika an die Macht gekommene Freiheitsbewegungen bleiben weit hinter ihren früheren Ansprüchen zurück. Der Seitenwechsel, die Transformation gelang keiner. Was einst im Widerstand gegen Ungerechtigkeit und Ausbeutung glänzte, ermattet, ja verkommt im Praktizieren von Herrschaft und betreibt schließlich selbst Ausbeutung.

Afrikanische Freiheitsbewegungen sind in Algerien, Angola, Cabo Verde/Guinea-Bissau, Eritrea, Mosambik, Namibia, Südafrika, Südsudan und Simbabwe an die Macht gekommen.

Unbescholten blieb eigentlich nur, wer früh genug starb, Samora Machel und Amílcar Cabral zum Beispiel, mit etwas Mühe auch Nelson Mandela, weil er am Ende seines Lebens nicht am Thron kleben blieb. Die anderen, so scheint es, hatten genug Zeit zu scheitern.

Roger Southall, emeritierter Wits University-Soziologieprofessor, hat vor einer Woche einen Artikel publiziert, der deutlich macht, was dem südafrikanischen ANC bevorsteht, sollte es nicht gelingen, das Steuer noch herumzureißen. Ihm besten Dank für die Erlaubnis, meine Übersetzung seines Artikels zu veröffentlichen.

[3]

Südafrika driftet ab: Es besteht Gefahr, dass der ANC Simbabwes ZANU-PF nachfolgt

Roger Southall

The Conversation 1.2.2022

https://theconversation.com/south-africa-is-in-a-state-of-drift-the-danger-is-that-the-anc-turns-the-way-of-zimbabwes-zanu-pf-176068

      [4]

Simbabwes trostloses Schicksal unter Führung der ZANU-PF[5] sollte der südafrikanischen Regierungspartei, dem Afrikanischen Nationalkongress (ANC[6]), schon lange als abschreckendes Beispiel dienen. Kaum je aber befand sich Südafrika in so arger Gefahr wie jetzt, einen Pfad des Niedergangs à la Simbabwe einzuschlagen.

Die südafrikanischen Medien sind übervoll mit der internen politischen Krise des ANC: überbordende parteiinterne Querelen, massive Korruption, das “Kapern des Staates“ (state capture[7]) mithilfe von Parteikader-Entsendung[8] und der resultierende Niedergang der Umfragewerte der Partei.

Es ist ernsthaft zu befürchten (oder zu hoffen), dass die Partei bei den nächsten allgemeinen Wahlen 2024 ihre Mehrheit verlieren könnte.

Daraus ergibt sich die grundsätzlichste aller Fragen: Sollte der ANC bei der nächsten Wahl seine Mehrheit verlieren, wie die ZANU-PF bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2008, wird er die Macht demokratisch abgeben? Oder würde er den Willen des Volkes konterkarieren, indem er systematisch jegliche Koalitionsregierung hintertreibt – wie es die ZANU-PF tat, als sie 2009 mit der oppositionellen Bewegung für Demokratischen Wandel (MDC)[9] eine Koalition bildete, sich weigerte, die Präsidentschaft abzugeben, und an allen wesentlichen Hebeln staatlicher Macht festhielt?

Was solche Überlegungen veranlasst, ist das offensichtliche Dilemma Präsident Cyril Ramaphosas, der auch ANC-Vorsitzender ist. Er ist als derjenige Kandidat angetreten, der den ANC reformieren würde. Auch hat er versprochen, den von Jacob Zuma hinterlassenen Korruptionssumpf auszutrocknen und Südafrika auf einen Wachstumspfad zurückzuführen.

Trotz all der schönen Worte gab es wenig realen Fortschritt. Ramaphosa wirkt wie gelähmt durch seine Unfähigkeit, die Kämpfe zwischen den ANC-Fraktionen beizulegen. Es mangelt ihm offensichtlich an Autorität, seine Regierung zu kontrollieren – und am Willen, es zu tun.

Solange das so weitergeht, wird das Land weiter abdriften. Die Arbeitslosigkeit ist erschreckend hoch, die Armut in der schwarzen Bevölkerung entsetzlich weit verbreitet und die Aussichten auf ein bedeutsames und angemessenes ökonomisches Wachstum stehen mehr als schlecht. Kein Wunder, dass sehr viele fürchten, dass Südafrika sich in einer Abwärtsspirale à la Simbabwe befindet in Richtung eines von einer Freiheitsbewegung in Alleinherrschaft abgewirtschafteten Landes.

Drei wesentliche Charakteristika von Freiheitsbewegungen

Um Südafrikas gegenwärtige Krise zu verstehen, ist es hilfreich, drei wesentliche Merkmale der Herrschaft von Freiheitsbewegungen herauszustreichen.

Erstens bestehen demokratische und autoritäre Impulse in Freiheitsbewegungen Seite an Seite. Dass sie ihr Land von kolonialer Unterdrückung befreit haben, entspricht ja der Wahrheit. Und es stimmt auch dann, wenn es ihnen widerstrebt, die Lorbeeren dafür mit anderen Kräften zu teilen, die am Kampf für die Freiheit beteiligt waren.

Zudem gewährleistet ihr anhaltender Anspruch, “das Volk“ zu repräsentieren, dass sie die Bedürfnisse ihrer UnterstützerInnen nicht völlig ignorieren können.

Andererseits blicken sie auf eine lange Geschichte des Autoritarismus zurück.

Obwohl sie während des Freiheitskampfes im Allgemeinen internen Widerspruch tolerierten, haben sie ihn manchmal auch brutal unterdrückt. Seit der Einrichtung einer Demokratie haben sie systematisch RivalInnen und Verbündete bekämpft, die einen legitimen Anspruch auf Teilhabe am Befreiungskampf anmelden konnten.

Die vom Freiheitskampfhelden Joshua Nkomo geführte Afrikanische Volksunion Simbabwes (Zimbabwe African People’s Union) wurde so lange bearbeitet und geplagt, bis sie 1987 dem Aufgehen in der ZANU-PF zustimmte.

Die Vereinte Demokratische Front (United Democratic Front)[10], in den späten Apartheid-Jahren de facto ein ANC-Flügel, löste sich nach starkem Druck seitens des ANC 1991 auf.

Sowohl ZANU-PF als auch ANC tolerieren Oppositionsparteien. Aber sie bemühen sich systematisch um ihre Delegitimierung, bezeichnen sie zum Beispiel als konterrevolutionär oder als AgentInnen fremder Mächte.

Zweitens sind die Befreiungsbewegungen zu Instrumenten schneller Klassen-Bildung geworden. Zwar kamen sie an die politische Macht, sie verfügten jedoch über wenig wirtschaftliche Macht, da die Kommandozentralen ihrer Ökonomien in privater Hand verblieben.

Als sie die Macht im Staat übernahmen, gewannen ZANU-PF und ANC aber immerhin die Kontrolle über die Staatsunternehmen. In den frühen 1990er Jahren erwirtschafteten diese in Südafrika 15% des BIP.

Zunächst konzentrierten sich die neuen Mächtigen auf das Entfernen von BeamtInnen der Alten Garde, deren Loyalität gegenüber einer demokratischen Regierung zweifelhaft war, und ersetzten sie durch vertrauenswürdige ParteianhängerInnen.

Das führte zu einem Verschmelzen von Partei und Staat und beiderseits zu einem Schwächen der verfassungsgemäß vorgesehenen Institutionen der Rechenschaftslegung.

Mit der Rechtfertigung, dass die Revolution fortzusetzen sei, wurden zudem in beiden Ländern Anstrengungen unternommen, die Kommandozentralen der Ökonomien zu “kapern“[11]. In Simbabwe gelang das vollständig, in Südafrika nur teilweise. Dieses Verfahren konnte leicht verkehrt werden in eine Bereicherung der zunehmend räuberischen Staatsparteibürokratie. Wobei die Kontrolle, die ZANU-PF und ANC über öffentlichen Dienst und halbstaatlichen Sektor ausübten, es ihnen ermöglichte, gut bezahlte Posten und lukrative Ausschreibungen und Lieferverträge an ParteifreundInnen zu vergeben.

Drittens besteht ein anhaltendes Spannungsverhältnis zwischen dem Bekenntnis zum liberalen Konstitutionalismus, mit dem sie an die Macht kamen, und ihrem Bemühen um ein Monopol auf das Beherrschen der Gesellschaft.

Befreiungsbewegungen sehen sich als historische Verkörperungen der Bestrebungen “des Volkes“. Ihrer Logik nach arbeiten diejenigen, die nicht für sie sind, gegen sie. So werden verfassungsmäßige Beschränkungen für den Staat beim Ausüben von Macht abgeschwächt oder ignoriert. Vor allem aber werden andere politische Parteien oder Organe der Zivilgesellschaft, die beanspruchen, den Willen des Volkes zu repräsentieren, als konterrevolutionär gebrandmarkt. Der Wille des Volkes ist unteilbar.

Diese (sowie andere) Dynamiken von Befreiungsbewegungen führen unweigerlich zu demokratischem und ökonomischem Niedergang. Sind Befreiungsbewegungen die historischen Verkörperungen von Freiheit, so bedeuten Beschränkungen ihrer Macht Unfreiheit. Und die Ausweitung der Kontrolle von Befreiungsbewegungen über die Wirtschaft muss per defintionem die Revolution voranbringen.

Derartiges Denken lässt privater Beteiligung an der Wirtschaft wenig Raum – außer sie entspricht den Interessen der herrschenden Partei. Und es lässt noch weniger Raum für ein Mitmachen des Volkes in der politischen Arena – außer es geschieht unter der Schirmherrschaft derer, die regieren.

Abgang von der politischen Bühne

Diese Dynamiken erklären, warum Ramaphosas Reformagenda in der weiten Arena der Politik Südafrikas mit der politischen Lähmung in Konflikt geraten ist, die den ANC überwältigt hat.

Der ANC ist nach wie vor zum Herrschen entschlossen. In Ermangelung der Fähigkeit, es erfolgreich zu tun, ist der einzige Ausweg aus dem Dilemma seine Niederlage bei den Wahlen.

Allerdings zeigt das Beispiel Simbabwes, dass die Niederlage einer Befreiungsbewegung bei Wahlen keineswegs ihr Ablassen von der Macht garantiert, solange sie bei Armee, Polizei und Sicherheitsdiensten Unterstützung genießt.

Vielleicht könnte Südafrika einen anderen Weg gehen. Die Armee ist marod und Polizei sowie Sicherheitsdienste sind selbst in viele Fraktionen zersplittert. Allerdings bräuchte es eine Oppositionspartei oder -koalition, die den ANC in den Wahlen besiegen kann. Und sie müsste vom Volk und der Zivilgesellschaft eine Art von Unterstützung erhalten, die bereit und gewillt ist, jeden Versuch eines Diebstahls der Wahlen zu bekämpfen.

Die Befreiungsbewegungen haben ihre historischen Aufgaben erfüllt. Sie dazu zu bringen, die politische Bühne zu verlassen, ist ein gigantischer, aber dringend notwendiger Auftrag.

* * *

Zum Abschluss noch einmal die beiden Staatschefs von Simbabwe und Südafrika, diesmal mit weniger unbekümmerten Mienen.

  [12]

* * *

Endnoten:

[1] Foto Arramall 28.4.1983, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:4th_Congress_FRELIMO.jpg.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Wahlwerbung für die namibische Präsidentschaftswahl vom 15./16. 11. 2004 Foto (vermutlich) Bries 2004 (kein genaueres Datum angegeben), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Vote-SWAPO-2004-1.jpg.

[4] Im Originalartikel ist hier ein Foto der gegenwärtigen Präsidenten von Südafrika und Simbabwe zu sehen, lachend und in offensichtlich bestem Einverständnis. Für dieses Foto habe ich die Rechte nicht. Daher hier ein Ramaphosa- flankiert von zwei Mnangagwa-Fotos: Links: Simbabwes Präsident Emmerson Mnangagwa, Foto Kreml 15.1.2019, überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Vladimir_Putin_and_Emmerson_Mnangagwa_(2019-01-15).jpg. Mitte: Eine Mandela-der-Revolutionär-Statue schaut Ramaphosa beim 10. BRICS-Treffen am 26.7.2018 in Johannesburg über die Schulter, Foto Pressedienst des russischen Präsidenten, überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2018_BRICS_summit_(2).jpg. Rechts: Das offizielle Foto von Zimbabwes Präsident Emmerson Mnangagwa, Foto Regierung Zimbabwes 24.11.2017, überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Emmerson_Mnangagwa_Official_Portrait.jpg.

[5] Simbabwes Afrikanische Nationalunion-Patriotische Front/Zimbabwe African National Union-Patriotic Front.

[6] African National Congress.

[7] In Südafrika vor allem mit Jacob Zuma und den Gupta-Brüdern assoziiert. Zwei der drei Berichte der Zonda-Kommission dazu sind kürzlich herausgekommen, der dritte soll noch vor Ende Februar fertig sein. Siehe Keith Gottschalk, State capture in South Africa: how the rot set in and how the project was rumbled, The Conversation 8.2.2022, https://theconversation.com/state-capture-in-south-africa-how-the-rot-set-in-and-how-the-project-was-rumbled-176481.

[8] Cadre deployment – siehe Chitja Twala, The African National Congress (ANC) and the Cadre Deployment Policy in the Postapartheid South Africa: A Product of Democratic Centralisation or a Recipe for a Constitutional Crisis? Journal of Social Sciences Vol.41, Nr.2 (Nov. 2014) pp.159-165, DOI:10.1080/09718923.2014.11893352.

[9] Movement for Democratic Change/MDC.

[10] Siehe https://www.sahistory.org.za/article/united-democratic-front-udf.

[11] Englisch “capture“ – siehe oben zu “state capture”.

[12] Ist es zum Verzweifeln? Links Simbabwes Präsident Emmerson Mnangagwa aka “das Krokodil“, Foto Kreml 15.1.2019, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Emmerson_Mnangagwa_(2019-01-15).jpg. Rechts Ramaphosa beim 11. BRICS-Gipfel in Brasília, Foto Palácio do Planalto 14.11.2019, überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2019_Sess%C3%A3o_Plen%C3%A1ria_da_XI_C%C3%BApula_de_L%C3%ADderes_do_BRICS_-_49065329517.jpg.

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