Foto: Plakat zur Ausstellung [1]
Der Fotograf als Archivar
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Günther Lanier, Ouagadougou 18.1.2023[2]
Als Harouna Marané Ende Juni 1978 geboren wurde, waren seit dem Sturz Maurice Yaméogos zwölfeinhalb Jahre vergangen. Der seiner Bürgerrechte entkleidete Gründerpräsident Obervoltas (1984 in Burkina Faso umbenannt) hatte ein Jahr zuvor rund um seinen Sohn Hermann die Nationale Union für die Verteidigung der Demokratie[3] gegründet und diese Partei war auf Anhieb zweitstärkste Kraft im Parlament geworden. Für eine Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen 1978 war Hermann Yaméogo noch zu jung. Der von den Yaméogos, Verzeihung: der von der UNDD aufgestellte ex-Banker Macaire Ouédraogo schaffte es immerhin, Sangoulé Lamizana, der seit dem Volksaufstand vom 3. Jänner 1966 an der Macht war, zu einer Stichwahl zu nötigen.
Harouna Marané am 12. Jänner 2023 bei der Präsentation seiner Maurice Yaméogo-Ausstellung
Der burkinische Fotograf Harouna Marané hat über die Jahre Fotos vom ersten Präsidenten seines Landes gesammelt. Nun lässt er die Öffentlichkeit an seinen Schätzen teilhaben. Unter dem Titel “Ein Kapitel Geschichte: Die Jahre Maurice Yaméogos“[4] sind die Fotos noch bis zum Samstag, den 21. Jänner, im Rayimi-Museum in Koudougou zu besichtigen.
Modeste Yaméogo bei der Ausstellungseröffnung
Dieses Museum hat 2010 ein anderer, mit Maurice nicht verwandter Yaméogo gegründet: Modeste ist seit 2005 Naaba (traditioneller Herrscher) von Issouka, einem Bezirk von Koudougou, der dritt- oder viertgrößten Stadt Burkina Fasos (etwa 100 km westlich der Hauptstadt Ouagadougou). Der umgängliche, charismatische Modeste war früher bei der Unicef mein Kollege – deren Kommunikationsabteilung machte sich seine Kontakte im modernen und traditionellen Burkina zunutze.
Eine Besonderheit Issoukas ist, dass dort nie exzisiert wurde[5]. Das Zurechtschneiden weiblicher Geschlechtsorgane ist sonst bei den Mossi (zu denen die Menschen in Issouka gehören[6]) Tradition. Doch hier verlangt Naaba Wende (ein Gott, der sich generell weniger ins menschliche Leben einmischt als der christliche oder muslimische), dass die Menschen nach ihrem Leben hienieden intakt zu ihm zurückkehren[7]. Auch beschnittene Buben oder Männer sind hier also nicht zu finden.
Es herrschte einiger Andrang bei der Ausstellungseröffnung am vergangenen Donnerstag.
“MAASME” prunkt über dem Eingang des Museums, auf Mooré heißt das so viel wie Schatten, Frische, Süße, Sanftheit, Langsamkeit oder Geduld. Der Name des Museums aber ist “Rayimi“: Nichtvergessen. Da passt Harouna Maranés Ausstellung hervorragend dazu, will er mit seinen Fotos von Maurice Yaméogo doch an jene längst vergangene Zeit erinnern, als das Land nach über 60 Jahren unter dem Joch der französischen Kolonialherren seine Unabhängigkeit wiedererlangte.
Dazu kommt noch, dass der Gründerpräsident aus Koudougou stammte. In seiner Heimatstadt ließ er sich auch um teures Geld, das sich das Land eigentlich nicht leisten konnte, einen prächtigen Palast bauen (der heute in Ruinen liegt). Und in Koudougou wollte der 71-Jährige 1993 sterben, da hatte er sich schwerkrank nach Frankreich fliegen lassen, doch auch dort vermochte die Medizin nichts mehr für ihn tun, so ließ er sich zurückbringen, starb aber während des Fluges.
Bei der Ausstellungseröffnung im Hintergrund am Podium ganz links Harouna Marané und ganz rechts Modeste Yaméogo. Die Kopfbedeckung, die Modeste und auch mehrere Männer im Publikum tragen, ist Zeichen der Naaba-Würde. Am Podium befinden sich außer den beiden noch Dr Koudbi Kaboré, Historiker an der Ki Zerbo-Universität Ouagadougous sowie der Journalist François Kombasséré, u.a. Autor einer Maurice Yaméogo-Biographie.
Ich finde ja, dass Maurice Yaméogo nicht viel Aufmerksamkeit verdient, machtbesessen, egozentrisch und korrupt, wie er war. Schon die Art, wie er – noch vor der Unabhängigkeit, aber als diese sich schon deutlich abzeichnete – Obervoltas Nummer 1 wurde. Sein Vorgänger Daniel Ouezzin Coulibaly – ein ganz anderes “Kaliber“ als Maurice Yaméogo, sowohl was den Intellekt als auch was den Charakter betrifft – starb am 7. September 1958. Hatte ihn die Nummer 2 vergiftet oder vergiften lassen? Jedenfalls rückte Maurice nach.
Er mag seine Qualitäten gehabt haben. Doch dass er angesichts einer überaus angespannten ökonomischen und budgetären Lage seinen UntertanInnen Sparen verordnete, während er selbst mit seinem Klüngel weiterprasste, das brachte ihm den hochverdienten Sturz vom Thron und er landete im Gefängnis.
Der Gouverneur der Region Zentrum-West (deren Hauptstadt Koudougou ist) beim Rundgang durch die Ausstellung, in Begleitung Harouna Maranés. Bei der Frau auf dem Foto, auf das der Gouverneur deutet, handelt es sich um Maurice Yaméogos Sekretärin, hier mit ihrem Chef fotografiert an beider Arbeitsort, dem damaligen präsidialen Palast am Ostende der Innenstadt.
Auf Betreiben des ivorischen Staatschefs Félix Houphouët-Boigny, dem Maurice sehr nahestand, machte Paris, machte de Gaulle höchstpersönlich Druck auf Ouagadougou. Trotzdem dauerte es viereinhalb Jahre, bis er freigelassen wurde. Seiner Reichtümer und wie oben schon erwähnt, seiner Bürgerrechte blieb er beraubt.
Unter Thomas Sankara musste er dann noch einmal ins Gefängnis übersiedeln. Angeblich verdankte er damals sein Überleben der Nummer 2 der sankaristischen Revolution, Blaise Compaoré. Deren beider Karrieren ähneln sich in zwei wichtigen Phasen, dem Anfangs- und dem Endpunkt: Auch Blaise kam 1987, also dreißig Jahre nach Maurice Yaméogo, an die Macht, indem er die Nummer 1 beseitigen ließ. Und der Volksaufstand von Jänner 1966 kann als Probelauf für den von Ende Oktober 2014 gesehen werden, der Blaise Compaoré endlich von der Macht entfernte.
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Harouna Marané gebührt jedenfalls unser Dank und unsere Anerkennung dafür, dass er sein mit viel Mühe und Beständigkeit zusammengetragenes Archiv öffentlich zugänglich gemacht hat. Das Organisieren einer Ausstellung ist ja immer sehr viel Arbeit, noch viel mehr jetzt, wo Burkinas fast 1,9 Millionen Binnenvertriebene[8] und die Abwehr terroristischer Angriffe staatliche Ressourcen für weniger prioritäre Angelegenheiten wie Kunst und Geschichte und Kultur nahezu vollständig zum Austrocknen gebracht haben.
Die Maurice Yaméogo-Ausstellung wird hoffentlich reisen, damit auch andere Teile des Landes von ihr profitieren können. Und es mögen andere Foto-Ausstellungen folgen, denn die anderen Staatschefs von Obervolta und Burkina Faso, andere Perioden der Geschichte des Landes sind großteils noch ausständig…
Es bleibt genug für Dich zu tun, Harouna. Inzwischen barka wusgo[9] – merci beaucoup & bon courage !
Zum Abschluss noch ein zweites Plakat von der Ausstellung.
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Endnoten:
[1] Wie alle anderen Bilder meines heutigen Artikels hat mir Harouna Marané auch dieses zur Verfügung gestellt. Wie die meisten anderen habe ich auch dieses leicht überarbeitet.
[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!
[3] Union nationale pour la défense de la démocratie (UNDD).
[4] “Kapitel“ ist eine freie Übersetzung – “page“ heißt “(Buch- oder Heft)Seite“, “Geschichtsseite“ macht aber auf Deutsch keinen Sinn.
[5] Zur Exzision nicht nur in Burkina siehe das Kapitel 12, pp.477-551 in Günther Lanier, Land der Integren. Burkina Fasos Geschichte, Politik und seine ewig fremden Frauen, Linz (guernica Verlag) 2017 (nicht bei Amazon, sondern nur beim Verlag erhältlich unter [email protected]).
[6] Die Mossi stellen ungefähr die Hälfte der Burkinabè, ihre Sprache heißt Mooré. Das Nicht-Exzisieren haben sich die IssoukanerInnen vielleicht von den unmittelbar benachbarten Lyélé abgeschaut.
[7] Siehe Modeste auf der Homepage seiner Issouka-Webseite https://sites.google.com/site/masmenissouka/home.
[8] Soeben sind die neuen Daten eingetroffen. Nach CONASUR-Zählung waren es mit 31.12.2022 gegenüber dem Vormonat wieder um 3,99% mehr, nunmehr 1.882.391, davon die Hälfte unter 15 Jahre jung. Siehe https://drive.google.com/file/d/15mUeNHIKUw7ceVPJSqTmkY0aSgJJImAL/view. Wer die Zahlen auf Gemeindeebene heruntergebrochen haben will: https://docs.google.com/spreadsheets/d/1vyQ2wg8gR6Sg-5InRlG2UsjtrnX-1kkg/edit#gid=1730175250.
[9] Harouna Marané ist Bissa, spricht aber ausgezeichnet Mooré.