Bullen gegen Bären
(ein Bullen-Markt ist einer, der an Wert gewinnt, ein Bären-Markt einer, der an Wert verliert) [1]
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Autor: Misheck Mutize – kurze Einleitung und Übersetzung: Günther Lanier
Wien 29. Jänner 2025[2]
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Die internationalen Finanzmärkte tun Afrika nicht gut.
Ihre Funktion ist wohl die Fortsetzung des Kolonialismus mit modernen Mitteln.
Dass Rating-Agenturen afrikanische Länder unfair beurteilen und dadurch die Zinsen in die Höhe treiben, die für ihre im Ausland aufgenommenen Kredite zu zahlen sind, darüber habe ich vor knapp drei Monaten einen Artikel geschrieben[3]. Heute geht es um einen anderen Aspekt afrikanischer Benachteiligung. Misheck Mutize hat mir erlaubt, seinen Anfang Jänner in The Conversation veröffentlichten Artikel ins Deutsche zu übersetzen – herzlichen Dank! – den Sie, werte LeserInnen, im Anschluss finden. Von mir sind nur die kurze Einleitung sowie die Übersetzung.
Misheck Mutize hat 2017 an der Cape Town[4]-Universität in Finanzmanagement promoviert. Über die dazugehörige Studien-Vorgeschichte hinaus hat er auch ein Diplom in Theologie erworben. Bis 2020 unterrichtete er an der Universität von Südafrika[5] bzw. an der Cape Town-Universität. Seit 2020 ist er bei der Afrikanischen Union Chef-Experte für die Unterstützung der Mitgliedsländer gegenüber Rating-Agenturen[6].
Misheck Mutizes Forschungsinteressen[7] inkludieren Kredit-Rating, Finanzmärkte, afrikanische Wirtschaftspolitik, Geldwirtschaft, ökonometrisches Modellieren, financial modelling (Erstellen integrierter Unternehmensplanungen), Finanzanalyse und Finanzberichterstattung, quantitative finanzielle Risikoanalyse und quantitatives finanzielles Risiko-Management, Projekteinschätzungen, strukturierte Finanzprodukte und die Herangehensweisen an die Bewertung finanzieller Optionen.
Doch lassen Sie sich von so viel Ökonomischem und Mathematischem nicht verschrecken – der Artikel ist überaus verständlich geschrieben.
Die Bühne gehört Dr. Misheck Mutize
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Von afrikanischen Ländern ausgegebene Eurobonds sind bei InvestorInnen beliebt: Warum das eine schlechte Sache ist
im englischen Original veröffentlicht in The Conversation am 8.1.2025 um 3h16 südafrikanische Standardzeit
Autor: Misheck Mutize, promovierter wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Graduate School of Business (GSB), Cape Town-Universität
Kursbewegungen [8]
Eurobonds sind Schuldtitel, die ein Land in einer Währung ausgibt, die nicht seine eigene ist. Eurobonds haben in Afrika Bedeutung erlangt, weil sie Regierungen ein Fenster zum Diversifizieren ihrer Finanzierungsquellen bieten, jenseits der herkömmlichen Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu Vorzugsbedingungen und der Entwicklungshilfe – die beide weniger werden. Auch sind multilaterale Kredite wenig beliebt, weil sie Austerität und eine Verringerung der Regierungsausgaben als Bedingungen festlegen.
Ein Bond funktioniert wie ein Kredit, bei dem InvestorInnen einer ausborgenden Rechtsperson eine bestimmte Zeit lang einen Geldbetrag überlassen im Tausch gegen regelmäßige Zinszahlungen. Den ersten afrikanischen Bond hat Südafrika 1995 aufgelegt. Bis zum heutigen Tag haben 21 afrikanische Länder auf internationalen Finanzmärkten Eurobonds mit einem auf 155 Milliarden USD geschätzten Gesamtwert ausgegeben[9]. Institutionelle InvestorInnen aus Europa und den USA kaufen diese Titel. Misheck Mutize, Experte für afrikanische Staatsverschuldung, erklärt, warum das System afrikanische Länder nicht begünstigt.
Welche Länder haben zuletzt Eurobonds aufgelegt und warum?
Südafrika hat am 14. November 2024 zwei internationale Regierungs-Bonds ausgegeben, die sich auf 3,5 Mrd USD belaufen. Einer der Bonds war 2 Mrd USD wert, mit einem Kupon von 7,1%. Der andere war 1,5 Mrd USD wert, mit einem Kupon von 7,95%.
Kuponzahlungen sind fixe Zinszahlungen, die das betreffende Land an die BondhalterInnen halbjährlich zahlt. Diese Zinsen sind hoch. Über sie entscheiden die Syndikate, welche die Bonds auflegen, je nach erwarteter Nachfrage.
Alle bisher ausgegebenen afrikanischen Bonds waren mehr als 2,5-mal überzeichnet. Ein Bond ist überzeichnet, wenn beim Bond-Verkäufer mehr Angebote eingehen als zum Verkauf vorhanden sind.
Nigeria hat am 3. Dezember 2024 einen 1,7 Mrd-Eurobond aufgelegt, der 5,4-mal überzeichnet war. An Zinsen wird Nigeria für seinen 6½-Jahres-Bond jährlich 9,625% zahlen, für seinen 10-Jahres-Bond sind es 10,375%.
Eine Verzinsung unter 5% wäre vernünftig für solche periodischen Ausgaben. Die Zinsen sind hoch, vielleicht sogar zu hoch, als dass Südafrika und Nigeria sie zahlen können. Niedrigere Zurückzahlungserfordernisse würden es den Regierungen erlauben, Ressourcen für andere Entwicklungsbedürfnisse zu sparen.
Was bedeuten die vielen Überzeichnungen?
Die südafrikanischen und nigerianischen Bonds gehören zu der Vielzahl von mindestens 2,5-mal überzeichneten Bonds, die afrikanische Regierungen im letzten Jahrzehnt ausgegeben haben.
Afrikas Regierungen feiern die Überzeichnung ihrer Bonds als ein Zeichen großen Vertrauens der InvestorInnen in afrikanische Wirtschaften und eines großen Appetits, in Afrika zu investieren. Sie wird als Riesenerfolg hingestellt.
Dem ist aber nicht so.
Wie gesagt, übersteigt bei einer Überzeichnung von Bonds die Nachfrage die Menge der Titel, die das ausgebende Land zu verkaufen beabsichtigt. Es bedeutet, dass InvestorInnen mehr Bonds kaufen wollen, als vorhanden sind.
Wenn die Nachfrage nach Bonds das Angebot übertrifft, sollte die Verzinsung sinken und nicht steigen. Was die Überzeichnung zeigt, ist, dass die angebotene Bond-Verzinsung für die InvestorInnen zu attraktiv ist und reduziert werden könnte.
Hohe Zinsen begünstigen InvestorInnen, für die sich verschuldenden Regierungen bedeuten sie aber hohe Kosten für die Rückzahlungen.
Afrikanische Regierungen versagen dabei, die starke Nachfrage nach ihren Bonds strategisch zu nutzen. Sie könnten stattdessen günstigere Bedingungen aushandeln:
– längere Laufzeiten, also längere Fristen, bevor das Kapital zurückgezahlt werden muss; Afrika sollte beginnen, 30- oder 40-jährige Bonds aufzulegen; das würde es ermöglichen, die Mittel in längerfristige Projekte zu investieren;
– niedrigere Zinsen, wodurch der Betrag, der halbjährlich von der Regierung an die BondeignerInnen zu zahlen ist, sinken würde; die Verzinsung sollte unter 5% liegen.
Das Akzeptieren hoher Zinsen hat Afrika Milliarden gekostet an Schuldendienstzahlungen, das setzt die Tragbarkeit der Verschuldung des Kontinents aufs Spiel.
Es gibt einen Grund, warum das geschieht: die ungleiche Machtverteilung zwischen afrikanischen Regierungen und denen, die das tatsächliche Ausgeben der Bonds managen.
Meines Erachtens und auf Basis meiner Erfahrungen mit dem Umgang mit Verschuldung sollten die Regierungen aber an die Sache schlauer herangehen.
Es wäre besser für afrikanischen Bonds, wären sie im Gegenteil unterzeichnet[10] (undersubscribed), nachdem sie gemäß ihrem inhärenten Wert bepreist und mit günstigen Bedingungen versehen wurden. Unterzeichnung bringt ein einziges Risiko mit sich: eine negative Marktstimmung, was in der Zukunft eine Kapitalaufnahme erschweren könnte. Bei einer Unterzeichnung (undersubscription) ist die Nachfrage nach einem Bond geringer als das Angebot. Potentielle InvestorInnen könnten sich denken, dass das ausgebende Land mit Risiko behaftet ist. Mit der Zeit würde sich solche Nervosität am Markt jedoch geben.
Andere Entwicklungsländer haben dasselbe Problem
Untragbar hohe Kapitalaufnahmekosten sind ein Problem, das sich entwickelnde Ökonomien weltweit haben. Allerdings zahlen afrikanische Staaten 4% höhere Zinsen als asiatische und lateinamerikanische mit ähnlichen Kreditratings[11]. Einen Hauptbeitrag zu dieser Tatsache liefern die Bond-Ausgabe-Syndikate.
Als Bond-Ausgabe-Syndikate werden die am Auflegen von Bonds Beteiligten bezeichnet. Zum Beispiel gibt es Konsortialführer (lead manager), typischerweise Investmentbanken, welche das Bond-Auflegen strukturieren, die Bedingungen entscheiden, InvestorInnen mobilisieren und den ganzen Prozess managen. Sie organisieren auch die Konsortialmitglieder (underwriter) – Finanzinstitutionen, welche zusagen, bei der Bond-Ausgabe unverkaufte Titel aufzukaufen und später am Sekundärmarkt zu verkaufen; sie übernehmen damit das Risiko des Nichtverkauf von Bonds.
Im Fall afrikanischer Länder wollen Konsortialführer und -mitglieder keinen Bond auflegen, der sich nicht verkauft. Sie wollen Profit machen und das Risiko verringern. Daher statten sie die Bonds mit Bedingungen aus, die – auf Kosten der ausgebenden Staaten – eine Überzeichnung fördern und ihre Profite maximieren.
Dabei ist die Verhandlungsposition afrikanischer Regierungen bei Verträgen zum Auflegen von Eurobonds eine schlechte, denn sie haben im Vergleich zu anderen Ländern wenig Finanzierungsalternativen. Regierungen legen Bonds auf, um wiederkehrende Ausgaben ihrer jährlichen Budgets zu finanzieren. Mehr als zehn seit 2020 ausgegebene Eurobonds werden verwendet, um wiederkehrende Ausgaben wie z.B. die Gehälter von BeamtInnen zu finanzieren.
Auch vertrauen die Regierungen das Auflegen, den Verkauf und das Managen von Eurobonds Syndikaten an, und haben selbst kein oder wenig Mitspracherecht beim Festlegen der Bedingungen. Daweil wäre es essentiell, dass die Finanzministerien in diese Prozesse dabei involviert sind.
Was ist zu tun?
Das Überzeichnen afrikanischer Eurobonds löst die fundamentalen ökonomischen Probleme nicht, mit der viele afrikanische Länder konfrontiert sind. Hohe Verschuldung, Wechselkursrisiken, Angewiesensein auf ausländisches Kapital und zukünftige finanzielle Notlagen – all das sind Gründe, warum Überzeichnungen mit Vorsicht zu begegnen ist und sie nicht gefeiert werden sollten. Überzeichnungen werden diese Probleme nur verschlimmern.
Nachhaltiges Schulden-Management und langfristige ökonomische Strategien sollten Vorrang erhalten vor kurzfristigem finanziellem Erfolg.
Afrikanische Regierungen sollten Überzeichnungen verwenden, um niedrigere Zinsen und längere Laufzeiten auszuverhandeln. Um Zinsen wie diejenigen zu erreichen, die Länder mit vergleichbarem Kreditrating zahlen, ist Koordination mit Bond-auflegenden Syndikaten wesentlich.
Ägypten hat das im September 2021 bei seiner 3 Mrd-USD-Bond getan und konnte die Zinsen bei den 6-jährigen Bonds um 0,33% und bei den 12-jährigen Bonds um 0,13% senken. Das erspart Ägypten ungefähr 53 Millionen USD an Zinszahlungen.
InvestorInnen-Geld will blühen und Früchte tragen – und das tut es auf Kosten Afrikas [12]
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Endnoten:
[1] Erstellt von forextime.com am 1.3.2021, zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:The_Difference_Between_Bull_vs_Bear_Markets_in_Investment.jpg.
[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!
[3] Siehe Günther Lanier, Kosten von Verruf und Vorurteil auf internationalen Finanzmärkten, Ouagadougou (Africa Libre) 6.11.2024, https://www.africalibre.net/artikel/599-kosten-von-verruf-und-vorurteil bzw. Wien (Radio Afrika) 6.11.2024, https://radioafrika.net/kosten-von-verruf-und-vorurteil-auf-internationalen-finanzmarkten/.
[4] Cape Town = Kapstadt.
[5] University of South Africa/Universiteit van Suid-Afrika
[6] Siehe Misheck Mutizes LinkedIn-Seite https://za.linkedin.com/in/misheck-mutize-phd-68131a2a.
[7] Meine Quelle sind hier die kurzen biographischen Angaben beim The Conversation-Artikel: https://theconversation.com/profiles/misheck-mutize-331377.
[8] Für das im Original-Artikel verwendet Foto von Getty Images habe ich die Rechte nicht. Dieses Foto ist von Harald Bischoff, gemacht am 13.4.2013, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Aktien_1709.jpg.
[9] Siehe https://theconversation.com/african-governments-have-developed-a-taste-for-eurobonds-why-its-dangerous-165469.
[10] Anm. GL: Unterzeichnen ist bei Bonds das Gegenteil von Überzeichnen, d.h. das Angebot ist größer als die Nachfrage. Wenn ich hier und in Folge englische Begriffe in Klammer hinzufüge, so geschieht das, weil im Finanzbereich sehr viel Anglizismen gang und gäbe sind.
[11] Anm. GL: Ein Kreditrating beurteilt das Risiko, mit dem (potentielle) SchuldnerInnen behaftet sind; dabei kann es sich um Staaten oder Unternehmen (oder andere kapitalaufnehmende Einheiten) handeln.
[12] Foto von “401(K) 2012“, aufgenommen am 30.8.2014, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Investing_money.jpg.