Radio Afrika TV

Ein Burkina Faso ohne viel Terror

Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on whatsapp
Share on email
Share on print
  • Home
  • Ein Burkina Faso ohne viel Terror

* * *

Günther Lanier, Ouagadougou 28.12.2022[1]

* * *

Der Titel des Artikels meint leider nicht, dass das djihadistische Problem in Burkina gelöst werden konnte, auch wenn diesbezüglich seit Ende September, also seit dem “zweiten Putsch“ des heurigen Jahres (um genau zu sein, war es eine Palastrevolte), offenbar viel mehr unternommen wird als zuvor, zumindest in militärischer Hinsicht. Doch bleiben die Ergebnisse uneindeutig – unter Erfolgsmeldungen von Rückeroberungen von diesem Dorf und jenem Gebiet mischen sich allzu oft Nachrichten von blutigen Attacken anderswo, wie zum Beispiel vorgestern Montag, als ein Kleinbus im Osten des Landes, unweit der Grenze zum Niger, auf eine Mine fuhr und mindestens zehn Menschen starben[2]. Auch erhöht sich die Zahl der Binnenflüchtlinge beständig weiter, im November sind abermals 48.190 dazugekommen[3].

“Ohne viel Terror“ weist vielmehr auf den Fokus des Artikels hin, der auf Hintergründiges und Widerständiges gerichtet ist, sozusagen auf Bleibendes & Fundamentales statt auf ephemere Tagesereignisse.

Es folgt das erste Burkina-Kapitel[4] aus dem im Mai 2022 veröffentlichten Sahel-Buch[5], aus dem ich an dieser Stelle schon mehrere andere meiner Beiträge veröffentlicht habe[6]. Die beiden Fotos, die im Buch aus Kostengründen in Schwarz-weiß waren, gebe ich hier in Farbe wieder. Der Text ist unverändert, nur das Ende von Roch Kaborés Herrschaft habe ich ergänzt.

Burkina Faso

Hintergründiges, Widerständiges

Günther Lanier[7]

Zumindest in Österreich sollte Burkina Faso eigentlich bekannter sein, als es ist, handelt es sich doch um eines der wenigen Schwerpunktländer der chronisch unterdotierten österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Für Linke bleibt Thomas Sankara unvergessen, auch wenn “seine“ vier Jahre Revolution mittlerweile schon seit 34 Jahren wieder Geschichte sind. Die BewohnerInnen des Landes hat besagter Sankara “Burkinabè“ getauft, was soviel wie “integre Menschen“ bedeutet. Sind sie ihrem ehrenvollen Namen seither gerecht geworden? Im Alltag generell konfliktscheu, ertragen sie Unbill überraschend lange, schlagen sich recht und schlecht durch, kommen auch mit widrigen Umständen irgendwie zurecht. Doch sind sie zu beachtlichen Taten des Widerstands fähig (s.u.), wenn es ihnen einmal wirklich reicht. Seit einigen Jahren mit einer wachsenden Zahl terroristischer Angriffe konfrontiert und angesichts eines Zentralstaates, der große Teile des Territoriums de facto aufgegeben hat, fragt sich, wie lange ihre Geduld dieses Mal reichen wird. Weit und breit scheint kein Ausweg in Sicht. Vielleicht ist es Zeit, dass die Frauen die Initiative ergreifen und – wie Ende 2014 – mit den Spateln[8], den Insignien ihrer reproduktiven Macht, ausschwärmen und für die Wiederherstellung von Moral und Ordnung sorgen.

[9]

70 Sprachen sind in Burkina heimisch. Kein Wunder, dass viele drei, vier oder mehr können. Mooré ist die mit den meisten SprecherInnen, den Mossi, sie stellen in etwa die Hälfte aller StaatsbürgerInnen. Um den Namen des Landes zu verstehen, muss eineR auch noch Dioula können – in des Landes Westen Verkehrssprache, dem in Mali dominierenden Bambara eng verwandt: “Faso“ heißt auf Dioula “Land“, “Burkina“ auf Mooré “integer“, “aufrecht“, “ehrlich“. Die Endsilbe für die EinwohnerInnen, das “-bè“ hinter dem “Burkina“, entstammt dem Fulfulde, der Sprache der im ganzen Sahel als Minderheit verbreiteten Peulh oder Fulbe[10], es bedeutet “Leute“, “Menschen“. Generell[11] funktioniert unter all diesen das Zusammenleben reibungsarm. Das gilt auch für die unterschiedlichen Religionen, unter denen der Islam den größten Anteil hat. Wobei ein beliebter Spruch besagt, dass 60% MuslimInnen sind, 15% KatholikInnen, 10% ProtestantInnen und 100% AnimistInnen. Der Glaube an Hexerei ist jedenfalls bis in die intellektuellsten Kreise selbstverständlich.

Insbesondere im sprachlich zersplitterten Westen des Landes herrschen “ethnischer Kosmopolitismus“[12] und eine Dynamik, die der Migration viel verdankt und historisch neben Eroberung, Expansion und Kampf ebenso auf Integration, Assimilation, Rekonstruktion, Symbiose und Verschmelzung beruht. Der üblichen Vorstellung von Abstammung als etwas in Stein – oder Blut – Gemeißeltes diametral entgegengesetzt, hat Zugehörigkeit hier nicht unbedingt Dauer. Identität wird dem Kontext entsprechend konstruiert und, wenn nötig, angepasst. “Ethnische Grenzen (…) sind variabel, hängen von den Umständen ab, sind verhandelbar“[13]. Die Geschichte dieses Vielvölkergemischs ist, so es dessen bedarf, ein wunderbarer Beweis des sozialen und nicht biologischen Wesens von “Ethnien“ und sogar von Verwandtschaft.

Eine wichtige historische Figur im Westen des Landes war Guimbé Ouattara, eine Dioula-Prinzessin, die sich in Bobo-Dioulasso, der heute zweitgrößten Stadt des Landes, nicht nur um durchreisende französische Reisende[14] wie Louis-Gustave Binger kümmerte und dort eines der damals üblichen “Kriegshäuser“ leitete[15], sondern der es ihre Heimatstadt auch zu verdanken hat, dass sie 1897 von Samory Touré und seinen Truppen verschont blieb – begleitet nur von einem Imam wagte sie es, sich dem großen anti-französischen Feldherren persönlich entgegenzustellen und mit ihm zu verhandeln.

Im Westen, Südwesten und Süden des heutigen Burkina dominierten in präkolonialen Zeiten akephale Gesellschaften, auch das Adjektiv “segmentär“ wird zu ihrer Kennzeichnung verwendet. “Akephal“ heißt “kopflos“ und es meint, dass es jenseits des Familien-, des Clan- oder Dorfchefs keine höhere politische Autorität gibt. Anders als in ansonsten “höher entwickelten“, stärker hierarchischen Gesellschaften ist Staatenbildung also ausgeschlossen. Vorübergehende Zusammenschlüsse und Kooperationen sind freilich möglich, zum Beispiel, wenn ein Krieg geführt wird (s.u.). Die Lobi, Dagara, Birifor, Dian (“Lobi-Gruppe“) rund um die heutige Regionalhauptstadt Gaoua stechen hervor, leisteten sie doch hartnäckiger als alle anderen Widerstand gegen die französische Kolonialisierung. Ihnen ging es nicht darum, sich gegen andere, neue Herren, eben Kolonialherren, zu wehren, sondern darum, herrenlos zu bleiben. Genügt es in einem zentralisierten Staat meist, die regierende Instanz zu beseitigen, um die Macht zu übernehmen, so musste im Lobi-Land BäuerInnenhof um BäuerInnenhof erobert werden. UntertanInsein will gelernt sein. Es vertrug sich nicht mit der traditionellen kulturellen Identität der Lobi, ging ihnen zutiefst gegen den Strich.

Zu den auch anderswo üblichen Widerstandsmethoden (Guerilla, Obstruktion, Emigration) kam eine den Lobi eigene hinzu, die sich als überaus effizient erwies: Nus[16]. Das bedeutet “Mund“ und wird oft mit “Schwur auf die Ehre“ übersetzt. Aber wenn etwas mit Nus belegt wurde, dann ging das weit über einen Eid hinaus. Es war so etwas wie ein Bannfluch. Die Lobi beratschlagten und ein Familienchef nach dem anderen belegte die Zusammenarbeit mit den Administratoren und das Übernehmen der Lebensart der Weißen mit Nus. Ab sofort standen nicht nur seine persönliche und die Familienehre auf dem Spiel – durch das Belegen mit Nus wurde Zuwiderhandeln zu einer Angelegenheit der AhnInnen. Deren Zorn zu erregen war schlimmer, als mit Pfeil und Bogen eine französische Kanone zu attackieren – darunter würde die ganze Familie, nicht nur das Individuum leiden.

Ganz anders organisiert waren Zentrum, Osten und Norden des heutigen Burkina. Hier gab es Hierarchien noch und nöcher – die Mossi sagen über sich selbst, dass, egal welche zwei von ihnen sich treffen, immer einer Chef ist. So sind die Mossi StaatenbildnerInnen par excellence. Womit sie auch erfolgreich waren: Es gelang ihnen, über viele Jahrhunderte ein Reich – oder eigentlich deren mehrere, nebeneinander bestehende – stabil instand zu halten. Auch zur Zeit des Dreieckshandels waren Mossi-UntertanInnen vor SklavInnen-Razzien sicher.

Überraschenderweise haben die Mossi – die wie die allermeisten anderen sehr patriarchal sind (die Lobi sind diesbezüglich eine Ausnahme) – eine Ahnfrau. Prinzessin Yennenga. Tochter Naaba (= König) Nedegas und Königin Napokos des Dagomba-Reiches im heutigen Nord-Ghana, war das erste Kind ihres Vaters, der sie über alles liebte und ihr keinen Wunsch versagen konnte. So durfte sie auch, was sonst nur Männer dürfen: auf ein Pferd steigen und Krieg führen. Bald war sie darin besser als alle Männer. So machte sie ihr Vater zur Chefin der Kavallerie (es gab keine wichtigere Funktion im Heer: die militärtechnologische Überlegenheit der Dagomba und Mossi gründete auf der Kavallerie). Doch der Vater war zu possessiv, wollte sie nicht ziehen, nicht heiraten lassen. So ritt sie eines Tages auf und davon. Ihr Ausritt, ihre Flucht, endete bei einem Bissa[17]: Sie wurde vom einsamen Jäger Rialé aufgenommen, auch er ein Prinz, gebar einen Sohn, nannte ihn zu Ehren ihres weißen Schimmels, auf dem sie geflohen war, “Ouédraogo“, das bedeutet “Hengst“ und ist noch heute der verbreitetste Name unter den Mossi. Dann verschwand sie aus der Geschichte – sie hatte ihre Pflicht als Frau getan, hatte einen Sohn geboren… Mit dem Sohn begann die Eroberung Zentral-Burkinas, wo die Mossi-Herrschaft bis zur Eroberung durch Truppen Frankreichs viele Jahrhunderte wie ein Fels in der Brandung Bestand hatte.

Im Osten des heutigen Burkina leben die Gourmantché. Sie sind den Mossi in vielem verwandt, auch wenn ihr Staat nicht so straff organisiert, nicht ganz so zentralisiert war. Wie die Mossi haben sie nach und nach das Land erobert und sich an die Spitze der besiegten autochthonen Gemeinschaften gesetzt. Bis zum heutigen Tag sind sie für ihre magischen und geomantischen Fähigkeiten bekannt oder gefürchtet – sie oder ihre WahrsagerInnen lesen im Sand. Nördlich der Gourmantché-Gebiete wanderten ab dem 15. oder 16. Jahrhundert aus dem heutigen Mali Peulh zu, ursprünglich NomadInnen, auch heute noch hauptsächlich ViehzüchterInnen, und errichteten in den folgenden Jahrhunderten drei Emirate: Jelgooji, Liptaako und Yaaga. Im 19. Jahrhundert orientierten sich diese an den djihadistischen Reichen in Macina (im heutigen Zentral-Mali/relevant für Jelgooji) bzw. in Sokoto (heute Nordwest-Nigeria/Liptaako und Yaaga), blieben jedoch weitestgehend unabhängig.

In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts erfolgte die Eroberung der Territorien des heutigen Burkina durch die französischen Kolonialtruppen. Ouagadougou, die Hauptstadt des größten Mossi-Reiches, fiel 1896. Dann wurde der Rest des Landes besetzt, “befriedet“.

Die französische Landnahme war die große Zäsur in der burkinischen Geschichte. Auto-Zentriertheit war vorbei, nun galt es, alles an der Metropole Frankreich auszurichten. Auch kam es zu einer Umorientierung: Die neuen Herren waren über den Atlantik gekommen, dessen Küsten und dichte Wälder waren zuvor nur dünn besiedelt gewesen, hatten mit Ausnahme des Ashanti-Reiches im heutigen südlichen Ghana wenig zu bieten gehabt. Die Verbindung mit dem Rest der Welt war über den Trans-Sahara-Handel erfolgt. Der Name der neu einzurichtenden Kolonie – Burkina Faso hieß bis 1984 “Obervolta“ – zeigt die Ausrichtung am Meer: Die drei Quellflüsse des Volta entspringen alle hier, das stimmt, doch wen kümmerte das zuvor? Frankreich aber hat seine Kolonie Obervolta insbesondere als Arbeitskräftelieferantin für die Côte d’Ivoire verwendet. Eine für den Alltag wesentlichere Zäsur war die Monetisierung der Wirtschaft: Die Einführung der Kopfsteuer zwang alle, sich über die für die eigene Versorgung betriebene Subsistenzwirtschaft hinaus Geld zu beschaffen – dazu musste etwas produziert werden, was auf einem Markt nachgefragt und daher bezahlt wurde. Langsam aber sicher wurde so der Einbezug der zuvor weitgehend autarken Gebiete in den Weltmarkt vollbracht. Nicht zu vergessen ist, dass die Steuern oft exzessiv waren, zu viel abschöpften. Dazu kam noch Zwangsarbeit, die von den Kolonialherren betriebene moderne Form von Sklaverei, auch wenn sie, so eineR nicht an ihr starb, zeitlich begrenzt war. Dazu kam die Zwangsrekrutierung für die “senegalesischen Schützen“, wie Einheimische in den Kolonialtruppen in ganz Westafrika genannt wurden.

An den Zwangsrekrutierungen entzündete sich in der Mouhoun-Schleife (im Westen Burkinas, Dédougou ist heute die regionale Hauptstadt) Widerstand, der zum Bona-Krieg führte, international meist Volta-Bani-Krieg genannt, westafrikaweit die bedeutendste Infragestellung der französischen Kolonialherrschaft. Diejenigen, die 1915/16 hier ein Territorium von der Größe Österreichs (leider nur kurzfristig) befreiten, waren Akephale: vor allem Marka und Bwa zunächst, doch ihnen schlossen sich viele andere an. Teilweise auf traditionelle Kommunikationskanäle und alte Bündnisstrukturen zurückgreifend wurde hier ein überraschend effizientes, sehr wenig hierarchisches, rhizomartiges System geschaffen, dem auch die rituelle Komponente rund um das Heiligtum von Bona (in diesem Dorf hatte der Krieg seinen Ursprung genommen) nicht fehlte. Zugehörigkeit zur antikolonialen Seite markierten die im Haar getragenen dafu – aus hibiscus cannabinus, raphiaähnlichen Fibern, geflochtene Kopfschnüre.

 [18]

Mit großer Brutalität und unter Einsatz beträchtlicher Mittel (Personal und v.a. Waffen) konnte Paris den Krieg schließlich gewinnen. Der Kernbereich des befreiten Landes wurde verwüstet und eines guten Teils seiner BewohnerInnen entledigt – einer der vielen Vorzüge der aus Europa hierher verpflanzten Zivilisation. Eigenartig, dass hier nicht von Genozid oder zumindest von Verbrechen gegen die Menschheit die Rede ist. 1919 wurde eine eigene Kolonie Obervolta eingerichtet, annähernd in heutigen Grenzen. “Entwickelt“ wurde das Land nie so recht. Weder von seinen Gouverneuren zur Zeit der französischen Besatzung, noch unter deren einheimischen Nachfolgern ab 1960, als Paris seine afrikanischen Kolonien in eine sehr relative Unabhängigkeit verstieß. Die Abfolge von Staatschefs reicht von Maurice Yaméogo bis (ein paar Staatsstreiche und viele Wahlen später) Roch Kaboré bis Jänner 2022[19].

Jedoch weist eine Reihe von Ereignissen die Burkinabè und ihre älteren Brüder und Schwestern, die ObervoltaerInnen, als würdige NachfolgerInnen der Bwa, Marka & Co aus, die 1915/16 Widerstand leisteten.

Anfang 1966 erhob sich das Volk und entledigte sich seines Präsidenten Maurice Yaméogo.

1983 bescherte ein Staatsstreich dem Land für gut vier Jahre Revolution. War diese von oben dekretiert, so brachte sie doch eine Vielzahl neuer Impulse und innerhalb kurzer Zeit bewegte sich mehr als in Jahrzehnten davor. War die Theorie auch stimmig, der Diskurs brilliant, so haperte es an der Umsetzung in die Praxis. Mit der Ermordung des bis heute berühmten, charismatischen Thomas Sankara[20] am 15.10.1987 fand das Bemühen um eine grundlegende Transformation ein frühes Ende. Der Hintermann des Mordes, Blaise Compaoré, “rektifizierte“ die Revolution, steuerte einen neoliberalen Kurs und konsolidierte unter einem demokratischen Deckmantel ein semi-autoritäres System. 27 Jahre dauerte diese bleierne Zeit.

Doch Ende 2014 wurde Blaise Compaoré per Volksaufstand vom Thron gestoßen. Das Volk holte sich die ihm zustehende Macht für kurze Zeit zurück. Im darauffolgenden Jahr der zu kurzen Transition ging einiges weiter, insbesondere erwies sich das Übergangsparlament als dynamisch und in vieler Hinsicht fortschrittlich.

Gegen Ende dieser Übergangszeit, im September 2015, wehrte das Volk einen Putschversuch der alten Garde ab. Die Transition konnte zu einem guten Ende gebracht werden. Doch die bei den folgenden Wahlen Ende 2015 siegreiche Equipe wurzelte tief im alten Machtapparat. In den sechs seither vergangenen Jahren bewies sie zur Genüge, dass sie an dem versprochenen Wandel und einer grundsätzlichen Besserung nicht interessiert ist. Und so herrscht wieder Frust im Land, zumal seit Ende 2015 der Terrorismus immer stärker Fuß fasste, zuerst im Norden des Landes, dann auch im Osten, mittlerweile entlang fast aller Grenzen (siehe die Kapitel zum Terrorismus und zum Generalverdacht in diesem Buch) und der Zentralstaat betroffene Gebiete weitgehend sich selbst überlässt.

Und die Frauen? Im burkinischen Patriarchat sind sie Statistinnen und bleiben meist unsichtbar. Aber: Wenn das Land bis heute überlebt hat, die auf überaus periphere Art ins Weltsystem integrierte Ökonomie ebenso wie einzelne Haushalte, dann dank seiner Frauen. Sie tragen mehr als 70% zur Volkswirtschaft bei, insbesondere am Land. “Familienoberhaupt“ ist, wenn einer da ist, immer der Mann, aber nur für wenige Familien wäre der Ausfall der Frau nicht existenzbedrohend.

Statt Dank ernten Frauen und Mädchen oft Gewalt. So geht es unter anderem um Polygynie (“Vielweiberei“), Kinderheirat, zu frühe Schwangerschaften und Geburten, Hexenvertreibungen und um Exzision, die v.a. an kleinen Kindern praktizierte Form des Zurechtschneidens des weiblichen Geschlechts. Des Ertragens und Unterwerfens ist schon lange genug. Doch noch deutet nichts auf ein Rebellieren der Frauen.

* * *

* * *

Endnoten:

[1] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[2] “Mindestens“, weil noch PassagierInnen vermisst wurden. Siehe z.B. https://www.bbc.com/news/world-africa-64097377.

[3] Die Gesamtzahl der Binnenflüchtlinge war von der Regierung Damiba im August 2022 deutlich nach unten korrigiert worden. Trotzdem liegt sie jetzt wieder über 1,8 Millionen. Siehe das am 22. Dezember veröffentlichte dashboard général des Conseil National de Secours, d’Urgence et de Réhabilitation (CONASUR) auf https://drive.google.com/file/d/1UMBKFOhvy6UoRT8YX_b3XcZGR-Npx3dV/view.

[4] Das zweite berichtet vom ersten Putsch des heurigen Jahres, dem vom 24. Jänner – aus burkinischer Sicht. Der Verlag hat es im Buch leider ohne Rücksprache mit mir mit dem ersten verschmolzen, so als wäre es einfach ein Unterkapitel von “Hintergründiges, Widerständiges“.

[5] Fritz Edlinger, Günther Lanier (Hg.), Krisenregion Sahel. Hintergründe, Analysen, Berichte, Wien (Promedia) 2022. Zu bestellen auf https://mediashop.at/buecher/krisenregion-sahel/.

[6] Zuletzt die Tschad-Länderanalyse in Günther Lanier, Gewalt am aufmüpfigen Volk, Ouagadougou (Africa Libre) 26.10.2022, https://www.africalibre.net/artikel/470-gewalt-am-aufmupfigen-volk bzw. Wien (Radio Afrika TV) 26.10.2022, https://radioafrika.net/gewalt-am-aufmupfigen-volk/.

[7] Wer sich ausgiebiger für Burkina interessiert, sei verwiesen auf Günther Lanier, Land der Integren. Burkina Fasos Geschichte, Politik und seine ewig fremden Frauen, Linz (guernica Verlag) 2017, erhältlich nicht bei Amazon, sondern nur beim Verlag (+43-664-1540742 bzw. [email protected]). Außerdem GL, Au pays des femmes intègres, Ouagadougou (CEPRODIF) 2020 sowie GL, Burkina Libre. La guerre de Bona comme acte fondateur d’un pays à venir, Ouagadougou (CEPRODIF) 2019. Eine Variante dieses Textes erscheint demnächst in der Jubiläumsschrift zum 40-jährigen Bestehen des Fördervereins Piéla – Bilanga e.V. Ochsenhausen.

[8] Riesige Holzlöffeln, mit denen der tägliche tô (eine Art Polenta aus Hirse oder Mais) zubereitet wird.

[9] Screenshot GL bei der Präsentation des falsch betitelten Films “Une révolution africaine“ – es handelte sich um einen Volksaufstand, nicht um eine Revolution –, Espace Gambidi, Ouagadougou 8.6.2017.

[10] Zu diesen siehe das Kapitel “Unter Generalverdacht“ in diesem Buch.

[11] In letzter Zeit ist allerdings das Verhältnis zwischen Peulh und dem Rest spannungsreich geworden. Siehe ebd.

[12] Bakary Traoré, Mouvements de populations et constructions d’identités dans l’ouest du Burkina Faso jusqu’à la fin du XIXe siècle, in: Hamidou Diallo, Moussa Willy Bantenga (Hg.), Le Burkina Faso. Passé et présent, Ouagadougou (P.U.O.) 2015, p.151.

[13] Sten Hagberg bezieht sich auf Tiefo und Dioula (s.u.), das Zitat scheint mir jedoch auf große Teile des burkinischen Westens anwendbar. Sten Hagberg, Amoro et Guimbé. Histoire et religion dans la construction de l’identité tiefo, in: Richard Kuba, Carola Lentz, Claude Nurukyor Somda (Hg.), Histoire du peuplement et relations interethniques au Burkina Faso, Paris (Karthala) 2003, p.251.

[14] Sie waren “Vertragsjäger“, beauftragt, Herrschende dazu zu bekommen, sich unter Pariser Schirmherrschaft zu begeben – was im Gebiet des heutigen Burkina kaum gelang.

[15] Diese “war houses“ waren nicht an territorialer Eroberung interessiert, sondern an Geschäft: Primär galt es, dem Handel Begleitschutz zu gewähren. Siehe Mahir Saul, The War Houses of the Watara in West Africa, The International Journal of African Historical Studies Bd.31 Nr.3, Jan.1998, pp. 537-570, https://www.researchgate.net/publication/271154367_The_War_Houses_of_the_Watara_in_West_Africa.

[16] Madeleine Père ist die Nus-“Entdeckerin“. Die Dissertation M. Pères an der Universität Paris I aus 1982 heißt auch “Die zwei Münder“, im Original “Les deux bouches. Les sociétés du «rameau lobi» entre la tradition et le changement“.

[17] Die Bissa leben im Süden des heutigen Burkina.

[18] Das Bona-Heiligtum ein Jahrhundert später. Foto GL 17.10.2018.

[19] Maurice Yaméogo 1960-66, Sangoulé Lamizana 1966-80, Saye Zerbo 1980-82, Jean-Baptiste Ouédraogo 1982-83, Thomas Sankara 1983-87, Blaise Compaoré 1987-2014, Michel Kafando 2014-15, Roch Marc Christian Kaboré 2015 bis heute.

[20] Zu kritisieren ist v.a. auch Sankaras “Testament“: Er “hinterließ“ dem Land Blaise Compaoré als Nachfolger, davor die Nummer 2 der Revolution. Er hatte gewusst, dass dieser trotz langjähriger enger Freundschaft einen Staatsstreich gegen ihn plante, wollte vielleicht wie Che Guevara als Märtyrer der Revolution in die Geschichte eingehen. Die unsäglichen Folgen, die Herrschaft von Blaise, hatte nicht er, sondern Burkina zu tragen.

Afrika Tv

Tue 18:00 - 18:30
Wed 16:00 - 16:30
Thu 14:00 - 14:30
Fri 12:00 - 12:30
Sat 10:00 - 10:30
Sun 08:00 - 20:30

Radio Afrika International

On Orange FM 94.0 MHZ

Mon 09:00 - 10:00
Tue 09:00 - 10:00
Wed 09:00 - 10:00
Thu No Transmition
Fri 09:00 - 10:00
Sat 09:00 - 10:00
Sun 09:00 - 10:00

Radio Afrika International

On Ö1 campus

Mon 15:00 - 17:00
Tue 15:00 - 17:00
Wed 15:00 - 17:00
Thu 15:00 - 17:00
Fri 15:00 - 17:00
Sat 15:00 - 17:00
Sun 15:00 - 17:00

Current Events

take a look at the events that are happening right now.

Radio Afrika Tv Newsletter

Sign up to be inside the updates that Radio Africa Tv publishes

Radio Afrika youtube channel

Radio Afrika Tv Podcast

Newsletter Abonnieren

Bleiben Sie mit unserem monatlichen Newsletter über unsere Arbeit informiert!