Foto: Rezent getauft: der Rudolf-Duala-Manga-Bell-Platz in Ulm [1]
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Günther Lanier, Ouagadougou 9.11.2022[2]
Ein kleines Stück Wiedergutmachung wurde vollbracht.
Freilich nicht vom deutschen Staat. Es war an seiner statt die Stadt Ulm.
Immerhin.
Der deutsche Staat weigert sich beharrlich, die Verantwortung für Schandtaten seiner früheren Inkarnationen – sei es die Kolonialmacht Deutschland oder das Dritte Reich – zu übernehmen, egal, ob sein Gegenüber Namibia oder Griechenland oder Tansania oder Polen oder Kamerun oder Italien[3] heißt.
Zu Namibia[4] und Tansania[5] und den dortigen Genoziden gibt es Artikel von mir. Heute erzähle ich in aller Kürze die kleine Geschichte Rudolf Duala Manga Bells. Seinem Leben haben die kolonialen deutschen Autoritäten ein brutal frühes Ende gesetzt.
Sein Verbrechen: Er hatte sich nicht gefügt.
Unbotmäßigkeit geziemt sich nicht, schon gar nicht von schwarzhäutigen UntertanInnen. Auch wenn nur Recht eingeklagt wird. Und auch nicht, wenn sie sich nur legaler und friedlicher Mittel bedient.
In Kamerun bleibt Rudolf Duala Manga Bell ein Held.
Am Rudolf Duala Manga Bell-Platz in Ulm [6]
“Rudolf Duala Manga Bell, geboren am 20.3.1875, war ein Oberhaupt der Duala in Kamerun zur deutschen Kolonialzeit. Er besuchte in Ulm das Gymnasium und wurde später ein Ofer deutscher Kolonialjustiz.
Duala Manga entstammte einer Königsfamilie (…[7]) der Duala, die in einem Küstenbezirk im heutigen Kamerun lebten. Er absolvierte zunächst die deutsche Schule in Kamerun. Danach reiste er nach Deutschland, wo er von 1891 bis 1896 das Progymnasium in Aalen[8] und von 1896 bis 1897 das Gymnasium in Ulm besuchte. 1908 trat Rudolf Duala Manga Bell nach dem Tod seines Vaters die Nachfolge als König der Duala an. Gegen die Versuche deutscher Geschäftsleute und der Kolonialverwaltung in Kamerun, die Duala als Zwischenhändler auszuschalten, sie zu enteignen und gewaltsam umzusiedeln, protestierte er beim deutschen Gouverneur und schickte 1911 und 1912 Petitionen an den Reichstag in Berlin. Die Kolonialverwaltung versuchte, Rudolf Duala Manga Bell als Wortführer des Widerstandes auszuschalten. Obgleich sie nur friedlich und auf dem Rechtsweg gegen die Vertreibung protestiert hatten, wurden er und sein Sekretär Ngoso Din verhaftet, wegen Hochverrats angeklagt und nach einem Scheinverfahren am 8.8.1914 in Duala hingerichtet. Schon deutsche Zeitgenossen werteten dies als ‘Justizmord’. In seiner Heimat wurde Rudolf Duala Manga Bell zu einem Märtyrer des Widerstands gegen die deutsche Kolonialherrschaft.“
Rudolf Duala Manga Bell circa 1902 [9]
Douala – auf Deutsch “Duala” – ist die größte Stadt und ökonomische Hauptstadt Kameruns[10], eine bedeutende Hafenstadt dort, wo der Fluss Wouri in den Atlantik mündet.
Ihren Namen hat die Stadt von den Douala (Duala), die sich Ende des 16. Jahrhunderts hier niederließen. Die Douala haben vier Untergruppen: die Akwa, Bèlè-Bèlè, Bell und Deido. Sie alle sprechen eine Bantu-Sprache und berufen sich auf einen gemeinsamen Ahnen, “Ewale a Mbedi“ (Ewale Sohn Mbedis). Eventuell ist die Bezeichnung “D(o)uala“ von “Du’Ewale“ abgeleiten, was so viel wie “von Ewale“ bedeutet.
Bis sich Paris, London und Berlin in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts näher für diesen Teil des afrikanischen Festlandes zu interessieren begannen – bis dahin hatten sie Handelsstützpunkte meist auf der Küste vorgelagerten Inseln errichtet –, dominierten hier die Douala Handel und Wirtschaft. 1984 unterzeichneten die Douala-Könige mit Gustav Nachtigal (Afrikaforscher/Reichskommissar im Außenamt des deutschen Kaiserreichs) “Schutzverträge“ und die Annexion erfolgte wenig später, anfänglich gegen erheblichen Widerstand, insbesondere auch vom König der Bell.
Vom Douala-Gebiet aus regierten die Deutschen ihre neue Kolonie. Kamerunstadt nannten sie ihre Hauptstadt bis sie per Dekret des Gouverneurs am 1.1.1901 in Duala umgetauft wurde, gleichzeitig aber ihren Hauptstadtstatus an Buéa (weiter nördlich, am Kamerunberg, klimatisch günstiger) verlor. 1908 bis 1910 wurde Duala dann abermals Hauptstadt, seit 1910 und auch heute noch ist es Yaoundé im Landesinneren.
Begräbnis Rudolf Duala Manga Bells 2014 [11]
Die deutsche Kolonialherrschaft brachte viele Nachteile. Deutsche Unternehmen plünderten das Land hemmungslos aus[12] und exzessive Strafen der Behörden sorgten in der Bevölkerung für eine allgemeine “Aufruhrstimmung“. Dann verwandelten Zwangsenteignungen von Einheimischen die Gebiete am Wouri-Ufer in exklusive Weißenviertel – der Schutzvertrag hatte den Douala ausdrücklich zugesichert, dass ihr Grundbesitz nicht angetastet würde. Manga Bell – 1897 nach Kamerun zurückgekehrt und seit 1908 König der Douala-Untergruppe Bell – musste einschreiten. Doch nicht, indem er eine Rebellion entfacht hätte, nein, er verfasste Petitionen, schickte seinen Sekretär nach Berlin, um dort die Douala-Sache zu vertreten, war zunächst sogar erfolgreich damit, es gelang, “die Haushaltskommission des Reichstags im März 1914 (zu veranlassen), die Mittel für die Zwangsenteignungen in Kamerun vorläufig einzufrieren“, doch schon im Mai 1914 konnten sich koloniale Kreise durchsetzen. Rudolf Duala Manga Bell, der nun versuchte, eine breite Koalition gegen die deutschen Enteignungen zu bilden, und auch sein Sekretär wurden verhaftet, am 7. August 1914 bei einem Schnellprozess, “der selbst kolonialen Standards nicht genügte, zum Tod verurteilt und schon am Tag darauf, am 8. August 1914, hingerichtet.“
Kein Wunder, dass der wenig später zu vollziehende Abschied von den im 1. Weltkrieg unterlegenen deutschen Kolonialherren den KüstenbewohnerInnen Kameruns leichtfiel…
Der Rudolf-Duala-Manga-Bell-Platz in Ulm [13]
Berlin hat bisher Rudolf Duala Manga Bell und Ngoso Din nicht rehabilitiert. Dabei diente zunächst als Ausrede, dass der Bundesregierung keine diesbezügliche Forderung von Douala-VerteterInnen vorliege. Doch das stimmt nicht mehr, seit März 2022 liegt ihr eine unter anderem von Manga Bells Urenkelin Marilyn Duala Manga Bell initiierte Petition vor. Seither hat sie nichts unternommen.
Die Benennung eines Platzes in Ulm nach Rudolf Duala Manga Bell am 7. Oktober 2022 ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung[14]. Die Dinge hatten sich seit dem hundertsten Jahrestag der Hinrichtung langsam zu ändern begonnen. In Hamburg – wo Manga Bell 1896 eine kurze Maschinisten-Ausbildung machte – wurde am 14. April 2021 zum Beispiel eine Ausstellung eröffnet unter dem Titel “Hey Hamburg, kennst Du Duala Manga Bell?“ Sie läuft noch bis 31. Dezember.[15]
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Endnoten:
[1] Foto Reutlingendorf 29.10.2022, leicht zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rudolf-Duala-Manga-Bell-Platz_-_Ulm_II_(2).jpg.
[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!
[3] Was die deutsche Weigerung betrifft, Reparationen und Entschädigungen zu zahlen, publiziert German Foreign Policy immer wieder vernichtende Artikel, zuletzt: Das Recht des Täters, GFP 28.10.2022, https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9067.
[4] Günther Lanier, Sind die PostbotInnen Herero, dann ist Deutschland nicht zu Hause. Deutscher Krieg gegen Herero und Nama, revisited, Ouagadougou (Africa Libre) 24.1.2018, https://www.africalibre.net/artikel/344-sind-die-postbotinnen-herero-dann-ist-deutschland-nicht-zu-hause.
[5] Günther Lanier, Maji-Maji. “Den Schwarzen kann man nicht mit Friedenssachen kommen, es gebraucht eine starke Hand“, Ouagadougou (Africa Libre) 25.9.2019, https://www.africalibre.net/artikel/253-maji-maji-oder-den-schwarzen-kann-man-nicht-mit-friedenssachen-kommen-es-gebraucht-eine-starke-hand.
[6] Foto Reutlingendorf 7.10.2022, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rudolf-Duala-Manga-Bell-Platz_-_Ulm_-_VII.jpg.
[7] Im Original steht hier “des Stammes“ – ein überraschender Lapsus dieser sonst so respektvollen Initiative.
[8] Ungefähr 50 km nördlich von Ulm, 80 km östlich von Stuttgart.
[9] FotografIn unbekannt, leicht überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rudolf_Manga.jpg.
[10] Was die EinwohnerInnenzahl betrifft, liegen Douala und die (politische) Hauptstadt Yaoundé ziemlich gleichauf.
[11] Keine Angaben zu FotografIn oder genauem Datum; hochgeladen am 23.11.2006; leicht überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Funeral_of_Rudolf_Duala_Manga_Bell_perspektivisch_entzerrt_und_zugeschnitten.jpg.
[12] Ich folge in diesem Absatz insbesondere German Foreign Policy, Justizmord ohne Folgen, GFP 7.10.2022, https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9045.
[13] Foto Reutlingendorf 7.7.2022, leicht überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rudolf-Duala-Manga-Bell-Platz_-_Ulm_-_V.jpg.
[14] Auch RFI berichtete: RFI, L’Allemagne inaugure une place Rudolf Duala Manga Bell en hommage au martyr camerounais, RFI 25.10.2022 um 4h06, https://www.rfi.fr/fr/afrique/20221025-l-allemagne-inaugure-une-place-rudolf-duala-manga-bell-en-hommage-au-martyr-camerounais.
[15] Siehe https://markk-hamburg.de/ausstellungen/hey-hamburg/.