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Die Vorzüge vertikalen Grüns

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Foto: Sharm el-Sheikh, Tourismuszentrum und COP27-Austragungsort [1]

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Günther Lanier, Ouagadougou 16.11.2022[2]

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Über die UNO-Klimakonferenz, die gerade an der Südspitze der Sinai-Halbinsel stattfindet, und über die dortigen Diskussionen wird anderswo ausführlich berichtet.

Sharm el-Sheikh, der Austragungsort dieser Konferenz, ist ein ägyptischer TouristInnenmagnet. Es hat heute um die 75.000 EinwohnerInnen. Bis vor wenig mehr als einem halben Jahrhundert gab es da jedoch nicht einmal eine permanente Siedlung. Fischer aus Nabk – etwas über 20 km nördlich – nutzten die Küste hier immer wieder vorübergehend als Basis für ihre Fangzüge.

Strategisch gelegen, geriet das Gebiet jedoch zwischen die Fronten, wurde 1956 von Israel erobert, im Folgejahr wieder an Ägypten retourniert. Bis zum Sechstagekrieg waren UNO-Friedenstruppen hier stationiert. Von 1967 bis 1982 war es wieder israelisch – bis es im Rahmen des ägyptisch-israelischen Friedensvertrags mit dem Sinai wieder an Ägypten zurückgegeben wurde.

Dann wurde es entwickelt. In Sharm el-Sheikh wurden seither einige Friedenskonferenzen abgehalten und es wird ägyptischerseits deswegen gerne zur “Stadt des Friedens“ hochstilisiert. Die Stadt lebt zu allererst jedoch vom Tourismus. Die schöne Lage, das trocken-heiße Klima, das kristallklare Meer mit 250 Korallenriffen und einem ungeheuren Fischreichtum ließen die BesucherInnenzahlen explodieren, sobald die nötige Infrastruktur geschaffen war. Die Korallenriffe erwiesen sich zudem als überraschend klimawandelresistent, obwohl das Wasser des Roten Meeres überdurchschnittlich wärmer geworden ist. Die Riffe könnten jetzt – glauben wir einem heutigen BBC-Artikel – vonseiten des ägyptischen Öl-Terminals Ras Shukeir gefährdet sein, von dem täglich 40.000 m3 Abwasser nahezu unbehandelt ins Meer gelangen[3].

Übrigens gehört Sinai zu Asien – der Suez-Kanal und der Golf von Suez trennen die Halbinsel von Afrika, während zwischen Sinai und der arabischen Halbinsel der Golf von Akaba liegt[4].


Panoramafoto von Sharm el-Sheikh[5]

In den Sälen der Kongressgebäude, die COP27 besetzt, in den Hotelzimmern, die seine TeilnehmerInnen belegen, ist Hitze selbstverständlich kein Problem, da schwitzt eineR nur, wenn er oder sie will. Vor dem Klimawandel brauchst du dich nur schützen zu können, dann ist er so tragisch nicht. Das kostet Geld, zum Beispiel, um Klimaanlagen zu kaufen und laufen zu lassen, oder um Dämme und andere Vorrichtungen zu errichten, die tiefliegende Ländereien vor dem Ansteigen des Meeresspiegels schützen.


Die Herren schauen trotz Anzug und Krawatte nicht verschwitzt aus: Biden und al-Sisi bei einem Treffen am Rand von COP27 [6]

Und dieses Geld haben viele Menschen nicht, zum Beispiel die große Mehrheit der AfrikanerInnen. Es sind gerade diese Menschen, die zu den Ursachen des Klimawandels nicht oder so gut wie nicht beigetragen haben, denen jetzt die finanziellen Ressourcen fehlen, um sich an die Folgen des von anderen veränderten Klimas anzupassen.

Aber das wissen wir ja zur Genüge.


Ein Teil Kairos, wo keine Reichen wohnen [7]

Olumuyiwa Adegun[8] ist Senior Lecturer an der Architektur-Fakultät der Federal University of Technology in Akure, der etwa eine Million EinwohnerInnen zählenden Hauptstadt des Bundesstaates Ondo in Südwest-Nigeria.

Er unterbreitet einen Vorschlag, wie sich gerade Arme in ihrem Zuhause vor dem Wärmerwerden schützen können. Denn in den Armenvierteln von Städten in den Tropen und Subtropen kann die Hitze lebensgefährlich werden. In den Reichenvierteln laufen die Klimaanlagen, da stehen die Häuser weiter auseinander und Gärten und Parks sorgen für bessere Durchlüftung und helfen, die Temperaturen erträglich zu halten. Doch welcher Staat oder welche Stadt investiert in einem Armenviertel in Parks?

Zum Senken der Temperatur in Wohngebieten schlagen Olumuyiwa Adegun und seine KollegInnen vertikale Gärten an den Außenwänden der Häuser vor[9]. Diesen Vorschlag unterfüttern sie wissenschaftlich. Es klingt nach einem überaus sinnvollen Umfunktionieren eines Modebegriffs aus der “Satten Welt“.

Zum Entwerfen verschiedener Vorschläge solcher vertikaler Gärten wandten sich die ProjektbetreiberInnen an ihre StudentInnen – sie nennen das Crowdsourcing, wobei es nicht um das Aufstellen von Finanzen, sondern von Ideen ging. Ein gewünschter Nebeneffekt war, dass das Projekt bekannter wurde. Wer im Studium mit Design zu tun hatte, konnte an einem Wettbewerb teilnehmen. Unter den Einreichungen wurden sechs Vorschläge ausgewählt und ausgezeichnet. Von diesen sechs wurden drei in der Folge an der Wirklichkeit erprobt, in Akure, Lagos und Dar es Salaam.

Olumuyiwa Adegun & Co nennen die umgesetzten Vorschläge “Prototypen“. Durch seine Einfachheit und Billigkeit sticht unter ihnen der Polyethylenterephthalat(PET)-Flaschen-Prototyp hervor[10], der die ubiquitären Plastikflaschen rezykliert, von denen allein in Lagos jährlich geschätzte 75.000 Tonnen verbraucht werden und die, gemeinsam mit den Plastiksackerln[11], ein riesiges Abfallproblem darstellen, unter anderem, weil sie Kanäle verstopfen und somit zu Überschwemmungen beitragen. Die geköpften Flaschen werden mit Erde gefüllt an der Hausaußenwand befestigt. Der Nachteil dieses Prototyps ist die Kleinheit der PET-Flaschen, die der Bepflanzung enge Grenzen setzt.


Prototype from recycled PET bottles, https://academic.oup.com/view-large/figure/374676017/juac016f1.tif.

Der zweite an der Wirklichkeit getestet Prototyp ist der Gitter- oder Fachwerk-Prototyp (lattice prototype). Dafür werden 5,4 Meter lange Winkeleisen oder Röhren mit 7,5 cm Durchmesser mit Schrauben und Muttern an der Hauswand befestigt. Die Pflanzen wachsen im Boden und klettern das Gitter an der Hauswand hoch. Dieser Prototyp ist somit in erster Linie für Kletterpflanzen geeignet. Er stellt zudem bestimmte Anforderungen an die Festigkeit der Hausmauer.


Lattice prototype, https://academic.oup.com/view-large/figure/374676019/juac016f3.tif.

Der dritte Prototyp (High Density Poly Ethylene/HDPE pipe prototype) verwendet Röhren aus Polyethylen mit hoher Dichte, die einen Durchmesser von 10 cm haben. Die mit Metallhaken an senkrecht aufgestellten, leicht in den Boden versenkten Holzbrettern oder -pfosten befestigten Röhrenhälften werden an beiden Enden verschlossen und dann mit Erde gefüllt. In die Röhren gebohrte Löcher ermöglichen überflüssigem Wasser das Abfließen. Die senkrechten HDPE-Röhren-Gärten sind leicht zu bauen, das Material gibt es jedoch nicht geschenkt[12] – für ein Standard-Modell sind in Nigeria 79 USD, in Tansania 89 USD zu veranschlagen.


VHS_HDPE Pipes Prototype, https://academic.oup.com/view-large/figure/374676020/juac016f4.tif.

Die vertikalen Gärten an den Außenwänden haben eine deutliche Auswirkung auf die Temperatur im Haus-Inneren – das war ja der Sinn des Experimentes[13]. So wurden in Akure über 45 Tage Reduktionen der Maximaltemperatur bis zu 2,88°C und der Minimaltemperatur bis zu 0,7°C gemessen. In Dar es Salaam konnte die Mauer-Temperatur über 30 Tage um bis zu 5°C gesenkt werden. Das macht das Leben für die BewohnerInnen komfortabler und tut ihrer Gesundheit gut.

Ein nicht zu unterschätzender positiver Kollateraleffekt der vertikalen Gärten ist das geerntete Gemüse. Die Mengen variieren je nach Prototyp und angebauter Pflanze, sind jedenfalls alles andere als vernachlässigbar. So konnten in Nigeria vom HDPE-Röhren-Gärten alle 6 Wochen bis zu 1 kg Gemüse erzielt werden, wobei Jute-Blätter (vor Ort ewedu genannt), Lagos-Spinat (shoko) und Afrikanischer Spinat (tete) angebaut wurden. In Dar es Salaam konnten alle drei Wochen 0,66 kg Amarant (mchicha) geerntet werden oder 0,45 kg Kartoffelblätter (matembele) oder 0,3 kg Kürbisblätter (majani ya maboga). Die Entscheidung, ob die Ernte selbst konsumiert, verschenkt oder verkauft wird, bleibt den vertikalen GärtnerInnen vorbehalten.

Nicht überall sind die Ernten so gut. Zu viel Sonne kann ein Problem sein. Die PET-Flaschen ermöglichen Wurzeln nur wenig Entwicklung. Zudem ist regelmäßiges Gießen unumgänglich, was insbesondere dort, wo Wasser nicht leicht verfügbar ist, ein Problem sein kann. Während der PET-Prototyp auch für kleine Flächen anwendbar ist, eignen sich die HDPE-Röhren mehr für durchgehende, also größere Außenwände, die nicht überall verfügbar sind. Zudem können streunende Tiere zum Problem werden. In Dar es Salaam gab es Fälle von Vandalismus, wohl aus Neid. Wo BewohnerInnen nicht auch EigentümerInnen sind, bedarf es zudem der Erlaubnis letzterer.

Noch zu erproben sind die Auswirkungen auf die Tierwelt – für Vögel, Eidechsen, Schlangen, Ratten, Insekten sind die vertikalen Gärten sicher attraktiv und sie könnten für die hier wohnenden Menschen zu einem Problem werden.

Im Vordergrund der vertikalen Armenviertelgärten stehen Komfort und Gesundheit. Die Aufbesserung des eigenen Essens oder des Einkommens bleibt sekundär. Zunächst sollten alle von dieser simplen und erschwinglichen Möglichkeit des Sich-Anpassens an die Klimakrise wissen[14]. JedeR kann dann einen eigenen, für die konkreten Verhältnisse am besten geeigneten Prototyp entwickeln – erfinderisch sind Arme meist zur Genüge, gewohnt, sich selbst zu helfen.

* * *

Endnoten:

[1] Foto Badics 29.2.2012, zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Images_from_Sharm_El_Sheikh_No_3..JPG.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Ziad Al-Qattan, COP27: Oil pollution in Egypt threatens one of world’s few thriving coral reefs, BBC 16.11.2022 um 0h34, https://www.bbc.com/news/science-environment-63603861.

[4] Geologisch allerdings gehört Sinai zu Afrika – es ist Teil der Afrikanischen Platte.

[5] Foto Łukasz Ciesielski 14.2.2015, File:Sharm el-Sheikh Panorama Seaside.jpg.

[6] Foto White House 11.11.2022, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:President_Biden_met_with_President_El-Sisi_of_Egypt_at_the_margins_of_COP27.jpg.

[7] Foto Nowhereman1977, 29.9.2007, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Slum_in_Cairo.jpg.

[8] Siehe Olumuyiwa Adegun, Growing plants on buildings can reduce heat and produce healthy food in African cities, The Conversation 24.10.2022, https://theconversation.com/growing-plants-on-buildings-can-reduce-heat-and-produce-healthy-food-in-african-cities-191190.

[9] Ich stütze mich auf Olumuyiwa Bayode Adegun, Olawale Oreoluwa Olusoga, Elinorata Celestine Mbuya, Prospects and problems of vertical greening within low-income urban settings in sub-Sahara Africa, Journal of Urban Ecology, Bd.8, Nr.1, 29.9.2022, https://academic.oup.com/jue/article/8/1/juac016/6726544?login=false. Auch die drei folgenden “Prototypen”-Grafiken sind diesem dankenswerterweise gemeinfreien Artikel entnommen.

[10] Im Original “recycled Polyethylene terephthalate (PET) bottle prototype”.

[11] Die 75.000 Tonnen-Schätzung ist aus Y. Ibukun, Nigeria Enlists Big Beverage Companies to Fight Plastic Waste’, Bloomberg Businessweek 13.11.2019, https://www.bloomberg.com/news/articles/2019-11-13/nigeria-enlists-bigbeverage-companies-to-fight-plastic-waste. In Nigeria sollen alljährlich 1 Milliarde Plastiksackerl und PET-Flaschen verwendet und entsorgt werden – diese Zahl ist O. Kehinde et al., Plastic Wastes: Environmental Hazard and Instrument for Wealth Creation in Nigeria, Heliyon Vol.6, Nr.10, Oktober 2020 (https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2405844020319745) entnommen.

[12] Das gilt auch für den Fachwerk-Prototyp, für den im Artikel aber keine Kostenangaben gemacht werden. Zum ersten und dritten Prototyp gibt es im Artikel Fotos – die sind von derart geringer Auflösung, dass ich es nicht wage, sie hier zu zeigen.

[13] Überraschenderweise werden diese Auswirkungen auf die Temperatur nicht in dem Artikel erwähnt, der meine Hauptquelle darstellt, sondern nur im oben bereits erwähnten The Conversation-Artikel: Olumuyiwa Adegun, Growing plants on buildings can reduce heat and produce healthy food in African cities, The Conversation 24.10.2022, https://theconversation.com/growing-plants-on-buildings-can-reduce-heat-and-produce-healthy-food-in-african-cities-191190.

[14] Hier sei auf einen anderen Artikel verwiesen – zwei seiner drei AutorInnen sind dieselben –, der sich mit heat stress und den Reaktionen darauf in einem Armenviertel Dar es Salaams beschäftigt, ohne auf vertikale Gärten Bezug zu nehmen: Olumuyiwa Bayode Adegun, Elinorata Celestine Mbuya, Emmanuel Njavike, Responses to Heat Stress Within an Unplanned Settlement in Dar Es Salaam, Tanzania, Frontiers in Built Environment 4.5.2022, https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fbuil.2022.874751/full.

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