die HauptdarstellerInnen des heutigen Artikels [1]
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Autorin Sandra Lai – Einleitung und Übersetzung Günther Lanier
Wien 15. Jänner 2025[2]
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Genauer gesagt geht es um den äthiopischen Wolf (Canis simensis) und die Fackellilie, auch Raketenblume genannt (Kniphofia). Sandra Lai von der Uni Oxford hat einen Artikel geschrieben, in der Liebesgeschichte und Ökologie verwoben sind. Sie hat mir erlaubt, ihn ins Deutsche zu übersetzen, und hat mir Bildmaterial zur Verfügung gestellt – dafür herzlichen Dank!
Nach der kurzen Einleitung mit Informationen zur Autorin beschränkt sich meine Rolle auf die ihres Übersetzers.
Dr. Sandra Lai forscht an der Universität Oxford im Rahmen des Programms zum Schutz des äthiopischen Wolfes. Sie interessiert sich für Bewegungsökologie, Verhalten und Lebensgeschichtemerkmale von Säugetieren, die unter rauen Bedingungen leben, insbesondere von karnivoren (sich von Fleisch ernährenden), und dabei vor allem von Hundeartigen und Katzen, und dafür, wie Interagieren insbesondere rund um Ernährung Struktur und Funktionieren von Ökosystemen formt. Sie interessiert sich zudem für Naturschutzbiologie und Naturschutzmanagement[3].
Für ihr Doktorat an der Québec-Universität in Rimouski forschte sie zum Polarfuchs, nach dem Doktorat dann zu den Polarhasen und dem ökologischen Netzwerk einer polaren Wüste auf der Ellesmere-Insel. Zudem beteiligte sie sich an einem Programm zum Überwachen der Biodiversität und leistete Beiträge zu Plänen zum Management von Naturschutz vor allem für gefährdete Arten.
An der Wildlife Conservation Research Unit (Naturschutzforschungseinheit/WildCRU) an der zoologischen Fakultät der Universität von Oxford in England arbeitet sie beim Programm zum Schutz des äthiopischen Wolfes (Ethiopian Wolf Conservation Programme/EWCP) mit – in der Theorie und insbesondere auch praktisch vor Ort.
Einen Aspekt des Artikels wollte ich hervorheben, bevor ich Sandra Lai das Wort überlasse: Polygamie erweist sich hier einmal als Vorteil: Blieben die Wölfe “treu“, käme es nicht zur Befruchtung. Wobei Wölfinnen (s.u.) ebenso “fremdgehen“ wie ihre männlichen Artgenossen. An der Polygamie ist ja vor allem auszusetzen, dass sie generell nur Männern möglich ist. Wenn, dann sollte der Polygynie (“Vielweiberei“) die Polyandrie (“Vielmännerei“) ebenbürtig zur Seite gestellt werden.
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Wölfe mit einer Vorliebe für Nektar? Wie wir die ersten Karnivoren entdeckten, die Blumen bestäuben
Autorin: Sandra Lei, promovierte wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Oxford, Programm zum Schutz des äthiopischen Wolfes, Übersetzung GL
veröffentlicht auf The Conversation am 18.12.2024 um 6h31 MEZ
Foto Carine Lavril [4]
Wenn im äthiopischen Hochland nach der glühenden Trockenzeit der Regen zurückkehrt, entfaltet sich alljährlich ein umwerfendes Schauspiel. Aus ihren zerknitterten, welken Resten erstehen die äthiopischen Raketenblumen zu neuem Leben und erblühen zu feurigen, fackelähnlichen Blumen. Von Juni bis November bieten diese leuchtenden Blüten eine wertvolle Ressource: einen Überfluss an süßem Nektar.
In das bunte Gewimmel der von den Blumen betörten Nektarvögel und Insekten mischt sich überraschender Besuch: der äthiopische Wolf. Er nähert sich einem kegelförmigen Blütenstand, kostet an seinem unteren Rand, leckt Nektar und ist ganz offensichtlich begeistert. Während er[5] sich von Blume zu Blume bewegt, bedeckt sich seine Schnauze mit Pollen. Können Wölfe tatsächlich bestäuben?
Der äthiopische Wolf ist ein schlanker Angehöriger der Familie der Hundeartigen, etwa so groß wie ein großer Hund, mit rötlichem Fell (weiß an Kehle und Brust) und einem buschigen schwarzen Schwanz. Er lebt nur in Äthiopien, in ein paar “sky islands“ (Himmelsinseln), wo sich Gebirge inselartig aus der Ebene und ihren tropischen Wäldern erheben. Weniger als 500 sind heute am Leben – das macht sie zu Afrikas gefährdetsten Karnivoren[6].
eine dieser “himmlischen Inseln“ (sky islands) [7]
Ich bin Teil eines Teams von WissenschaftlerInnen, die im Rahmen des Programms zum Schutz des äthiopischen Wolfes[8] dieses verblüffende Nektar-Speisen und die potentielle Rolle der Wölfe für die Bestäubung ausführlich untersucht haben. Unsere Ergebnisse haben wir kürzlich im Journal Ecology veröffentlicht[9].
Das Schutzprogramm – eine gemeinsame Initiative der Universität Oxford und äthiopischer KollegInnen – setzt sich seit über 30 Jahren für den Schutz der äthiopischen Wölfe ein. Obwohl erst vor kurzem veröffentlicht, hat Claudio Sillero, der Gründer und Direktor des Programms, schon vor Jahren blütenweidende Wölfe beobachtet.
“Als ich unter einem Felsüberhang saß, richtete ich meinen Feldstecher auf einen Wolf, der sich im Zickzack zwischen einer Menge Fackellilien bewegte, stehenblieb, den glänzenden rotgelben Blütenstand abschleckte, und zur nächsten Blume weiterlief“, erinnert er sich. “Da ich selber gekostet hatte, wusste ich, dass sie voller süßem Nektar waren. Aber ich hatte nicht erwartet, dass Wölfe bei Süßem solche Leckermäuler wären!“
ein lilienloser äthiopischer Wolf in der Region Oromia [10]
Andere KollegInnen kannten die Pflanze auch. “Sie gilt in Äthiopien als Heilmittel und ihr Nektar wird traditionell zum Süßen von Kaffee verwendet oder mit kita, unserem Fladenbrot, gegessen“, erklärte Abdi Samune, einer von ihnen.
Beweisen nachstellen
Die Publikation war das Resultat einer Reihe glücklicher Umstände. Vor ein paar Jahren wurde Adrien Lesaffre, ein Naturfotograf, zu einem engen Mitarbeiter von uns. Nachdem er vom Nektar-Speise-Verhalten der Raubtiere gehört hatte, machte er es sich zur Aufgabe, gute Bilder zu machen von den Wölfen beim Weiden unter den Blumen. Damals war abgesehen von gelegentlichen Beobachtungen kaum etwas bekannt.
unterwegs zur nächsten… [11]
“Zwei Jahre habe ich gebraucht, mehrere Ausflüge in die Berge, Tonnen von Geduld und unzählige Anstrengungen, um meine ersten Bilder von einem Wolf einzufangen, der die Blumen abschleckt“, sagte Adrien. Die Nahaufnahmen zeigten, wieviel Pollen auf den Schnauzen der Wölfe hängen blieb. Ein verblüffender Beleg für ihre eventuelle Rolle beim Übertragen von Pollen zwischen Blumen.
Wir forschten weiter und bald war klar, dass es sich keineswegs um ein außergewöhnliches Ereignis handelte. Im Gegenteil, die Wölfe suchten ganz gezielt den Nektar auf und konnten beträchtliche Zeit auf die Suche verwenden. So stießen wir z.B. auf eine Wölfin, die eineinhalb Stunden in einem Blumenfeld verbrachte und 30 verschiedene Blütenstände besuchte. Beim Untersuchen der Blumen bestätigte sich, dass Pollen sehr wohl von einem Säugetier übertragen werden kann. Gerüstet mit dem neuen Wissen verbreiteten wir unsere Erkenntnisse per Fachzeitschrift.
Die Rolle der Karnivoren neu definieren
Unsere Arbeit stellt konventionelles Denken über Pflanzen-Bestäuber-Interaktionen in Frage, insbesondere, was die mögliche Rolle von Raubtieren betrifft.
Es gibt ein paar nektaressende bestäubende Säugetiere, in erster Linie Fledertiere. Bei Karnivoren ist Nektaressen unüblich, typischerweise tun es nur kleine Arten wie Zivetkatzen oder Mangusten. Omnivore (alles essende) Bären, so zum Beispiel Sonnenbären, können Nektar konsumieren – dazu wurde aber noch kaum geforscht.
Somit ist das Verhalten der äthiopischen Wölfe – normalerweise auf Nagetiere spezialisierte Jäger – bahnbrechend. Sie sind die ersten großen karnivoren Raubtiere, die erwiesenermaßen Nektar verspeisen.
Nektar kann zwar kaum den täglichen Nahrungsbedarf der Wölfe stillen, doch kann er einen kleinen zusätzlichen Energieschub besorgen: eine Leckerei, um den Tag gut zu beginnen, oder ein Dessert nach dem Verspeisen eines Nagetiers.
Genuss [12]
Ob die Wölfe tatsächlich als Bestäuber dienen, bleibt zu erforschen. Jedenfalls ist zu untersuchen, was es für die Fackellilien bedeutet. Und vielleicht ist der äthiopische Wolf nicht das einzige große Raubtier, das Nektar liebt. Ein verstärktes Bewusstsein untypischer Interaktionen könnte zu weiteren Entdeckungen in anderen Systemen führen.
Bewahren einzigartigen Interagierens von Spezies
Bestäubung ist ein entscheidender Prozess zum Erhalten von Biodiversität. Nektaressende Wölfe, die sich eventuell als Bestäuber betätigen, beleuchten die komplexen Interaktionen, zu denen es in diesen einzigartigen “afroalpinen“ Ökosystemen kommen kann. In dieser zerbrechlichen Umwelt, wo sowohl die Wölfe als auch die Blumen verletzlich sind, ist ein Verstehen solcher Beziehungen unerlässlich für alle Bemühungen um Erhaltung.
Das äthiopische Hochland ist ein Brennpunkt, ein Hotspot der Biodiversität, doch das Raubtier an der Spitze der Nahrungspyramide ist dort zunehmenden Bedrohungen ausgesetzt durch Habitatverlust, Krankheitsübertragung, Klimawandel[13].
Obwohl der Auftrag unseres Programms das Retten der Wölfe ist, hat das Bewahren nicht nur der Spezies, sondern auch der ökologischen Prozesse, bei deren Aufrechterhalten sie helfen, großen Wert. Seinerseits wird ein Bewahren des afroalpinen Ökosystems dafür sorgen, dass die vielen Spezies und lokalen Gemeinschaften, die von ihm abhängen, weiterhin gedeihen.
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Endnoten:
[1] Links eine Fackellilie im Garden of Joy, Henley on Klip, Gauteng, Südafrika, Foto MacDredd 15.4.2011, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bee_Approaching_a_Red_Hot_Poker.jpg. Rechts ein äthiopischer Wolf am Sanetti-Plateau, Oromia-Region, Äthiopien, Foto Charles J. Sharp 25.12.2017, leicht zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ethiopian_wolf_(Canis_simensis_citernii)_head.jpg.
[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!
[3] Angaben zur Biographie Sandra Lais habe ich https://theconversation.com/profiles/sandra-lai-2282583 entnommen.
[4] Dieses Foto, das auch dem Original-Artikel voransteht, hat mir Sandra Lai zur Verfügung gestellt. Die anderen dort zu sehenden Fotos habe ich auf ihren Wunsch durch Screenshots von Videos ersetzt, die sie mir zugesandt hat.
[5] Im Englischen ist es leichter, beide Geschlechter miteinzubeziehen – sowohl “wolf“ als auch das zu verwendende Personalpronomen “it“ sind geschlechtsneutral.
[6] Siehe https://www.iucnredlist.org/fr/species/3748/10051312.
[7] Screenshot aus einem Video von Sandra Lai.
[8] Siehe https://www.ethiopianwolf.org/.
[9] Siehe https://esajournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ecy.4470.
[10] Foto David Castor 14.11.2015, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Canis_simensis_Oromia.jpg.
[11] Screenshot aus einem Video von Danielle Rubens, das mir Sandra Lai zur Verfügung gestellt hat.
[12] Ein zweiter Screenshot aus dem Video von Danielle Rubens, das mir Sandra Lai zur Verfügung gestellt hat.
[13] Siehe https://theconversation.com/battling-to-save-the-ethiopian-wolf-africas-rarest-carnivore-76328.