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Die algerischen Blutkorallen

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Foto: Corallium rubrum [1]

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Günther Lanier, Ouagadougou 15.2.2023[2]

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So arg wie Diamanten setzt das Blut, stellen wir es Korallen voran, diesen nicht zu. Doch auch Corallia rubra – Rote oder Edel- oder eben Blutkorallen – sind sehr viel wert und verleiten zum Missachten von Ökologie und Gesetz.


in Portofino, Italien, in 27 Meter Tiefe [3]

Letzte Woche ging es hier um ein Korallenatoll, das zu den Seychellen gehört: Aldabra. Riffbildende Korallen sind allerdings mit den Roten Korallen, um die es heute geht, nur weitschichtig verwandt[4].

Sowohl Korallenriffs als auch Blutkorallen sind gefährdet, aber die Gefahr kommt von unterschiedlicher Seite.


Banyuls-sur-Mer (an der französischen Mittelmeerküste, fast schon in Spanien) [5]

Meine Mutter trug nur ganz selten Schmuck. Für mich als Kind fand sich unter ihren Schätzen aber ein Prunkstück: eine Korallenkette. Sie beeindruckte mich mit ihren eigenartigen Formen, dem tiefen Rot. Sie war so gar nicht glatt wie Schmuck sonst. Da war nichts Gerades. Sie schien ungezähmt auch in ihrer adretten Aneinanderreihung der Kettenglieder.

Wie Quallen sind Korallen Nesseltiere, auch wenn ihre Nesseln – mit Sekret ausgestattete Fangvorrichtungen, die beim Erbeuten von Nahrung eingesetzt werden – meist wenig oder gar nicht ausgebildet sind. Nesseltiere sind um einen Hohlraum, den Gastralraum, herum geformt, der hat nur eine Öffnung, die sowohl der Nahrungsaufnahme als auch dem Ausscheiden dient. Um die “Mund“öffnung herum gibt es Tentakeln, die für das Fangen der Nahrung essentiell sind (und in denen auch die Nesselzellen untergebracht sind).

Im Gegensatz zu den Quallen[6] sind Korallen sesshaft (“sessil“ ist der Fachausdruck). Ihre Körper – mit Tentakeln bestückte Hohlzylinder – werden Polypen genannt. Diese sondern am Fußende, der Basalscheibe, Kalk ab und sind über diesen fest mit dem Untergrund verbunden.

Korallen sind wirbellose Tiere. Sie kommen ausschließlich im Meer vor. Da sie fest mit ihrem Untergrund verwachsen sind, war lange nicht klar, ob es sich um Pflanzen oder Tiere handelt. Das spiegelt sich noch heute wider in der schönen deutschen Bezeichnung der Klasse, der sie angehören: Blumentiere (auf Latein Anthozoa). Zu diesen “Blumen des Meeres“ gehören z.B. auch die Seeanemonen und unter den Korallen sowohl die riffbildenden Steinkorallen als auch die Weichkorallen, darunter unsere Blutkorallen, die nach ihrem Tod deutlich weniger Spuren hinterlassen.


Anatomie eines Korallen-Polypen [7]

Blutkorallen haben acht Tentakeln (sie gehören schließlich zur Unterklasse der Octocorallia, der “Achterkorallen“[8]). Sie ernähren sich von Plankton, und zwar fast nur pflanzlichem Plankton, das sie mit Hilfe der Tentakel auffangen, also aus dem Wasser filtern. Die acht Arme sind fiedrig ausgeformt – um das winzige Plankton aufzufangen, sind diese in einem Abstand von 60 bis 80 Mikrometern angeordnet[9].


Fieder – eigentlich Tentakel – der Blutkorallen zum Auffangen von Plankton [10]

Blutkorallen sind vor allem im westlichen und zentralen Mittelmeer heimisch – nirgends so sehr wie in Algerien. Auch in angrenzenden Teilen des Atlantiks kommen sie vor, an den portugiesischen und marokkanischen Küsten bis zu den Kanarischen und Kapverdischen Inseln. Sie sind lichtscheu, leben meist in größerer Tiefe (vor allem zwischen 40 und 100 Metern, maximal 280 Meter unter dem Meeresspiegel), in flacherem Wasser nur im Schatten von Höhlen und Überhängen.

Sie sind überaus gesellig, leben in “Kolonien“. Sie bilden im Lauf ihres Lebens weniger Skelett als ihre entfernten Verwandten, die riffbauenden Steinkorallen, formen nur sogenannte “Sklerite“, Skelettnadeln. Durch ihr Ableben tragen sie mit diesen Skleriten zum sehr langsamen Wachsen der Kolonie bei, den typischen unregelmäßigen und spärlich verzweigten roten Schmucksteinen.


Im Rahmen des Pianeta Mare (Planet Meer)-Projektes geerntete Edelkorallen in Alghero, Nordwest-Sardinien [11]

Nur um 2 bis 8 Millimeter wachsen die Edelkorallenkolonien jedes Jahr und die Kolonien werden mittlerweile nur mehr zwischen 5 und 30 Zentimeter groß. Früher konnten sie zu bis zu einem Meter anwachsen – das schaffen sie mittlerweile nicht mehr, dazu werden sie zu schnell “geerntet“, wobei meist von Korallen-“Fischen“ gesprochen wird.

An ihren Enden sind die “Zweige“ meist 3-5 mm schlank, an der Basis größerer Kolonien können sie bis zu 3 cm dick sein. Lebt die Kolonie, so ist ihr Skelett mit lebendigem, Coenenchym genanntem, krustenförmigem Gewebe bedeckt, das eben “korallenrot“ ist – de facto meist zinnoberrot, dunkelrot oder leuchtend rot, seltener auch rosa oder weiß.

Die Polypen selbst hingegen sind weiß, wie auf den Fotos oben gut zu sehen ist. Den roten Farbstoff für ihre Basis und des von ihnen hinterlassenen Skeletts entnehmen sie ihrer Nahrung – verantwortlich dafür ist der Farbstoff Canthaxanthin, ein Karotinoid, das auch Eierschwammerl, Lachse und rosa Flamingos färbt.

Die Skelette der Edelkorallen werden schon seit tausenden Jahren zu Schmuck verarbeitet. Aber erst in letzter Zeit wurde das Blutkorallenfischen potentiell existenzbedrohend für sie.


1934 geschaffener Schmuck aus Roten Korallen für die ägyptische Königin Farida [12]

Ein Kilogramm Edelkoralle bringt um die 5.000 Euro ein. Gegen eine solche Verlockung tun sich Einschränkungen schwer.

In Algerien galt von 2001 bis 2021 ein Moratorium fürs Ernten von Korallen[13]. Das hat diese Art von Fischen aber keineswegs unterbunden – es hat sie nur in den Untergrund abgedrängt, in die Illegalität. Wenn starkes Interesse an etwas besteht, bedarf es sehr viel mehr als eines Dekrets oder Gesetzes, um Verhalten wirksam zu ändern. In völlig unterschiedlichem Kontext ist genau das auch bei der Exzision passiert, dem Zurechtschneiden der weiblichen Geschlechtsorgane. Da hat sich die Tradition in den praktizierenden Gemeinschaften als so tief im überkommenen patriarchalen System verwurzelt erwiesen, dass weder Aufklärung noch Androhung von Strafen ausgereicht haben, um die überaus schädliche Praxis zur Strecke zu bringen.

Nachdem mehr als klar geworden war, dass das Verbot nichts brachte, versucht Algerien es seit 2021 anders: mit Regulierung. Lizensierte FischerInnen müssen nun 70% ihrer Korallen an die staatliche AGENOR verkaufen, das ist die Nationale Agentur für das Transformieren und den Vertrieb von Gold und anderen wertvollen Metallen[14]. Metall – naja. Zudem dürfen in bestimmten Gebieten höchstens 3.000 kg geerntet werden.

Diese Bestimmungen zu kontrollieren, wird schwer bis unmöglich sein. Es ist anzunehmen, dass die FischerInnen bei den offiziellen Stellen nur einen Teil ihrer Ernte angeben und den Rest auf dem Schwarzmarkt verkaufen werden. Dass Nicht-Lizensierte vom Korallenfischen ausgeschlossen werden können, ist ebenso anzuzweifeln, zumal die zwanzig Moratoriumsjahre davor für genug Erfahrung mit Illegalität gesorgt haben dürften.

Wichtig wäre es, auf der Nachfrageseite Kontrollen einzuführen, wie das z.B. bei den (Blut)Diamanten gemacht worden ist, wo in internationaler Zusammenarbeit versucht wird, mithilfe von Zertifikaten illegalen ProduzentInnen das Handwerk zu legen.

Was die Blutkorallen betrifft, sind Versuche der Internationalisierung bisher fehlgeschlagen. Spanien hat bereits 1987 versucht, sie in die CITES[15]-Liste der gefährdeten Arten aufnehmen zu lassen, blieb dabei jedoch ebenso erfolglos wie EU und USA 20 Jahre später. So müssen regulierende Maßnahmen auf nationaler Ebene genügen.

Es schaut somit nicht gut aus für die wunderbaren Blumentiere und ihr “rotes Gold“. Vielleicht gibt es sie bald nur mehr in Museen wie hier im Deutschen Edelsteinmuseum in Idar-Oberstein[16]:

* * *

Endnoten:

[1] Foto ALLEMAND D 2010, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Corail_rouge.jpg.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Foto Yoruno 7.9.2007, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Corallium_rubrum.jpg.

[4] Korallenriffe, diese ökologischen Wunder, gibt es vor allem in den Tropen und Subtropen.


Korallenriffe weltweit, erfasst vom Millenium Coral Reef Landsat-Archiv, Karte gezeichnet von NASA, kein Datum (spätestens 5.1.2006), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Coral_reef_locations.jpg.

[5] Foto Parent Géry 31.7.2011, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Corallium_rubrum_(Linnaeus,_1758)_8.jpg.

[6] Schirmquallen durchlaufen mehrere Stadien, eines davon ist das sesshafter Polypen.

[7] Erstellt von MarkusZi auf Basis von Coral_polyp.jpg am 16.1.2010, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Coral_polyp_de.svg.

[8] Ein Beispiel für Oktamerismus. Im Gegensatz zur bilateralen Symmetrie, die z.B. den menschlichen Körper kennzeichnet, sind bei der radialen Symmetrie identische Körperteile kreisförmig um eine Mittelachse verteilt, in diesem Fall acht. Bei den riffbildenden Steinkorallen und ebenso bei den Seeanemonen sind es sechs – das wird Hexamerismus genannt. N.B.: Wider allem Anschein sind Oktopusse bilateral symmetrisch.

[9] Andere Korallenarten – die nicht so lichtscheu sind – leben in Symbiose mit Algen und beziehen daraus einen wichtigen Teil ihrer Nahrung.

[10] Hochgeladen von Animalandia at Educa Madrid (Nr.38049) durch Géry Parent am 10.5.2011, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Corallium_rubrum,_p%C3%B3lipo.jpg.

[11] Die Korallenkette meiner Mutter war freilich viel urwüchsiger, nahe am Originalzustand, gar nicht verkitscht. Foto Marco Busdraghi 28.8.2008, zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Tessa_Gelisio_ad_Alghero_con_il_Corallo_Rosso.jpg.

[12] Im Ascione-Korallenmuseum in Neapel, keine Angaben zu FotografIn, kein Datum, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Parure_realizzata_per_la_regina_Farida_d%27Egitto_(1934).JPG.

[13] Ich stütze mich hier auf Abdelkader Abderrahmane, Plunder of Algeria’s red gold. Will allowing red coral harvesting protect this precious species or add to its risk of extinction? Institute for Security Studies/ISS Today 31.1.2023, https://issafrica.org/iss-today/plunder-of-algerias-red-gold.

[14] Agence Nationale pour la Transformation et la Distribution de l’Or et des autres Métaux Precieux. Ihr Sitz ist die Avenue Mohamed Belkacem, der ehemaligen/gezähmten Schlucht der Wilden Frau (Ravin de la Femme Sauvage) im el Madania-Viertel südöstlich des Zentrums von Algier, dem ich in Stellvertretung für Hélène Cixous in meinem Artikel von Anfang 2022 schon einmal meine Reverenz erwiesen habe: siehe Günther Lanier, Erinnerungen an ein anderes Karthago, Ouagadougou (Africa Libre) 19.1.2022, https://www.africalibre.net/artikel/87-erinnerungen-an-ein-anderes-karthago bzw. Wien (Radio Afrika TV).

[15] CITES = Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora = Konvention über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen, auch Washingtoner Artenschutzübereinkommen genannt.

[16] Foto Beckstet 29.3.2010, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Coral3.JPG.

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