diese Doppelgrafik dient der Erklärung des Gini-Koeffizienten; die Balken-Grafik links zeigt das Einkommen weltweit für 2011 (also vor 14 Jahren) nach “Dezilen“, also nach Zehntel geordnet: ganz links und braun das ärmste Zehntel der Weltbevölkerung, rechts davon und rot das zweitärmste, usw. bis hellblau rechts das reichste Zehntel alle anderen deutlich überragt; die rechte Grafik kumuliert die Einkommensanteile der Dezile: links das erste, rechts daneben das erste+zweite, usw. bis ganz rechts auch das hellblaue reichste Dezil dazukommt und den kumulierten Anteil am Welt-Einkommen auf 100% ergänzt; während die gestrichelte Diagonale das Ideal der Gleichverteilung repräsentiert (m.a.W. jedes Dezil verdient gleich viel), zeichnet die dicke schwarze sog. Lorenz-Kurve die tatsächliche Verteilung nach; dividieren wir nun die Fläche A (zwischen Lorenz-Kurve und Gleichverteilungslinie) durch die Fläche A+B, dann erhalten wir den Gini-Koeffizienten – bei Gleichverteilung beträgt dieser 0 (die Fläche A gibt es in diesem Fall ja nicht), im anderen Extremfall – einem oder einer gehört alles – beträgt der Gini-Koeffizient 1 oder 100% – im vorliegenden Fall liegt er weit über 0,5 oder 50%; beim weltweiten Vergleich kommen zu den (riesigen) Unterschieden zwischen den verschiedenen Ländern noch die (teils ebenfalls riesigen) Unterschiede der Einkommen innerhalb der Länder dazu; bei der Grafik ist kein Wert angegeben, aber der Gini-Koeffizient für die globalen Einkommensunterschiede dürfte im Jahr 2011 circa 66% betragen haben[1]
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Günther Lanier, Ouagadougou 7. Mai 2025[2]
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Vor einem guten halben Jahr, am 15. Oktober 2024, also genau am 37. Jahrestag der Ermordung Thomas Sankaras, ist die Weltbank mit ihrem Werk “Armut, Wohlstand und Planetenbericht 2024: Wege aus der Polykrise“[3] an die Öffentlichkeit getreten.
Die AutorInnen der Studie sind ganz entsetzt, dass seit circa 2020 im Kampf gegen die (insbesondere extreme) Armut keine Fortschritte mehr erzielt werden konnten, ja teilweise sogar Rückschritte verzeichnet wurden. Covid hat da eine Rolle gespielt, dann vor allem der unsägliche Ukraine-Krieg, wo die Sanktionen von EU und USA zwar Russland nicht in die Knie gezwungen haben, aber in vielen Ländern des Globalen Südens für Knappheit an Lebenswichtigem (Weizen, Dünger…) sorgten.
Und die Entwicklung geht ja auch weiterhin in die falsche Richtung: Geld geben die kriegshetzenden reichen Länder lieber fürs Militär aus und nahezu überall wird Solidarität beschnitten.
Vor 2020 hatte es – China und Indien seien bedankt, sie haben zusammen über eine Milliarde von extremer Armut befreit – über ein Vierteljahrhundert große Fortschritte gegeben, wenn wir die extreme Armut weltweit betrachten.
Extreme Armut (2,15 USD oder weniger) weltweit nach Regionen
Bei den 2,15 USD handelt es sich um 2017er Kaufkraftparitäten-Dollar.
Legende von oben nach unten: Rot = Ostasien+Pazifik. Ocker = Europa+Zentralasien. Hellblau = Lateinamerika+Karibik. Grün = Westasien+Nordafrika. Mittelblau = Südasien. Weinrot = Afrika südlich der Sahara. Dunkelblau = Rest der Welt.
Die ausgewiesenen Länder sind Indien in Südasien, Jemen in Westasien sowie, in Afrika südlich der Sahara von oben nach unten: Kongo-Kinshasa, Nigeria, Tansania, Mosambik, Madagaskar, Sudan, Äthiopien und Uganda.[4]
Die Obergrenze für “extreme Armut“ wird von der Weltbank mit 2,15 USD pro Person pro Tag definiert.
Jetzt ist es aber so, dass die Preise mancher Waren oder Dienstleistungen im weltweiten Vergleich stark schwanken, dass 2,15 USD unterschiedlich viel wert sind: in Wien zum Beispiel weniger als in Bamako. Um Vergleichbarkeit sicherzustellen, wurden die Kaufkraftparitäten erfunden: auf der Basis der Erhebung lokaler Preise werden von den Wechselkursen abweichende Umrechnungsraten kalkuliert – und so kann die reale Kaufkraft berücksichtigt werden.
Einkommens- und Konsum-Ungleichheit in der Welt
Hoche Ungleichheit (rot) bedeutet einen Gini-Index von über 40,
mäßige Ungleichheit (orange-gelb) einen Gini-Index von 30-40,
geringe Ungleichheit (blau) einen Gini-Index unter 30.
Bei grauer Färbung (in Afrika insbes. Libyen, Eritrea, Somalia, Somaliland) gibt es keine Daten.[5]
Rot sind insbesondere die USA, fast ganz Lateinamerika, die Türkei, in Afrika vor allem Länder am und südlich des Äquators. Nur Guinea und Algerien weisen geringe Ungleichheit (Gini unter 30%) aus.
Der globale Durchschnitt liegt bei 8,5%, ganz leicht verbessert gegenüber den 8,8% vor Einsetzen der Covid-Pandemie. Doch in den ärmsten Ländern ist die extreme Armutsrate nach wie vor einen Prozentpunkt höher als 2019.
Ungleichheit und (extreme) Armut gehen Hand in Hand. 1,7 Milliarden Menschen, ein Fünftel der Weltbevölkerung leben in Ländern hoher Ungleichheit.
Der Weltbank-Bericht hat mit der Umwelt einen weiteren Fokus (das wird so bald wohl nicht wieder geschehen, wo ihr größter Aktionär nicht mehr will, dass von Umwelt die Rede ist). Der Umwelt widme ich hier nur einen einzigen Satz: Nirgends ist der Anteil der Bevölkerung, der ungeschützt mit einem hohen Risiko extremer Wetterereignisse lebt, so groß wie in Subsahara-Afrika, nämlich 39%[6].
Hier eine Tabelle, die für jedes afrikanische Land einzeln extreme Armut (in % der Bevölkerung – nicht wie oben in absoluten Zahlen) und das Ausmaß der Ungleichheit (gemessen am Gini-Index) angibt – soweit die Weltbank dazu Daten liefert.
Das jeweilige Jahr der Erhebung habe ich hinzugefügt, weil die Daten zum Teil recht alt sind – für Madagaskar stammen sie zum Beispiel aus 2012, für Marokko aus 2013.
In beiderlei Hinsicht – sowohl was den Teil der Bevölkerung betrifft, der in extremer Armut lebt, als auch, was die Ungleichheit innerhalb jeden Landes betrifft – sind die Unterschiede zwischen den afrikanischen Ländern erheblich. Nur selten sind sie so beschaffen, dass sich ein Staat auf seinen Lorbeeren ausruhen könnte…
Was sich über die Armen allgemein sagen lässt: Sie leben typischerweise am Land, sind eher jung und haben wenig Schulbildung genossen[8].
Endnoten[9]:
[1] Ich habe leider keine anschauliche Grafik auf Deutsch gefunden. Diese hier wurde erstellt von Cmglee. Datum ist keines angegeben. Adresse: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lorenz_curve_global_income_2011.svg.
[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!
[3] Weltbank, Poverty, Prosperity, and Planet Report 2024: Pathways Out of the Polycrisis, Washington, DC (World Bank) 2024, Lizenz: Creative Commons Attribution CC BY 3.0 IGO. Studie herunterladbar unter https://openknowledge.worldbank.org/bitstreams/8f505de6-d365-4f10-aa5a-353c39616895/download.
Bei Übersetzungen verlangt die Weltbank folgenden Disclaimer: “This translation was not created by The World Bank and should not be considered an official World Bank translation. The World Bank shall not be liable for any content or error in this translation.” Also “Diese Übersetzung wurde nicht von der Weltbank geschaffen und darf nicht als offizielle Weltbank-Übersetzung angesehen werden. Die Weltbank haftet weder für Inhalt noch für Irrtümer bei dieser Übersetzung.”
[4] Diese Kuchengrafik (Figure 1.4) entstammt der p.60 des Weltbank-Berichtes. Als Quelle angegeben ist: Weltbank, Poverty and Inequality Platform (Version vom Sept.2024), https://pip.worldbank.org/.
[5] Diese Kartengrafik (Map 0.1) findet sich im Weltbank-Bericht auf p.14. Als Quellen sind angegeben: Weltbank, Poverty and Inequality Platform (Version vom Sept.2024), https://pip.worldbank.org/ sowie Haddad, Cameron Nadim, Daniel Mahler, Carolina Diaz-Bonilla, Ruth Hill, Christoph Lakner, Gabriel Lara Ibarra, The World Bank’s New Inequality Indicator: The Number of Countries with High Inequality. Policy Research Working Paper WPS 10796, Washington, DC (Weltbank) 2024.
[6] “Ungeschützt“ ist meine Übersetzung von “vulnerable“. Extremen Wetterereignissen ausgesetzt sein, ist um vieles weniger schlimm für diejenigen, die sich dagegen schützen können. Zur Umwelt siehe insbesondere das Kapitel 3 des Weltbank-Berichts auf pp.162-222.
[7] Quellen: für die extreme Armut: https://data.worldbank.org/indicator/SI.POV.DDAY?end=2023&start=1963&type=points&view=chart, für den Gini-Index: https://data.worldbank.org/indicator/SI.POV.GINI?end=2023&name_desc=false&start=1963&type=points&view=chart.
[8] Weltbankstudie p.74.
[9] Um zumindest im Fußnoten-Apparat auf einer fröhlicheren Note zu enden, zeige ich hier eine Anwendung des Gini-Indexes auf das Thema Fußball – sie zeigt die erhebliche Konzentration der Einnahmen im niederländischen Fußball für die 2022/23er Saison – und zwar nach Vereinen, die in der Eredivisie (“Ehrendivision“) und der KKD (die nach dem Hauptsponsor benannte Keuken Kampioen Divisie) spielen, der höchsten bzw. zweithöchsten Fußball-Liga des Landes. Die Ungleichheit ist mit 0,69 erheblich – und entspricht ungefähr der Ungleichheit der Einkommen der Menschen auf unserem Globus.
Ein Gini-Index in völlig anderem – und reichem – Kontext
Einkommensungleichheit im niederländischen Profi-Fußball, oberste und zweitoberste Liga. Erstellt von Niko Roorda am 1.11.2022, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Football_Gini_-_Netherlands_2022-2023.png/.