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Der schwierige Zugang sierra-leonischer Frauen zu Land

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Foto: eine Frau bereitet Maniok zum Kochen vor, Zentral-Sierra Leone [1]

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Günther Lanier, Ouagadougou 28. August 2024[2]

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Vielerorts sind Frauen in der Landwirtschaft Afrikas produktiver als Männer. Vielerorts hapert es mit dem Zugang dieser Frauen zu Land. Bankolay Theodore Turay hat in Sierra Leone Feldforschung zu diesem Thema betrieben, schreibt an seiner Dissertation darüber und hat vor kurzem einen Artikel veröffentlicht, den ich für Sie ins Deutsche übersetzt habe.

Bankolay Theodore Turay[3] ist ein PhD-Kandidat an der Universität Lagos. Zudem arbeitet er in Forschung und Lehre an der Makeni-Universität Sierra Leones[4]. Seine wissenschaftlichen Interessen fokussieren Community Development (Gemeinwesenentwicklung scheint mir die adäquateste Übersetzung), Landrechte von Frauen, nachhaltige Entwicklung und Land Governance (Land-Verwaltung trifft es nicht ganz), das alles vor allem in periurbanen ländlichen Gebieten Sierra Leones.

Thema und/oder Titel seiner Dissertation ist “Der Zugang von Frauen zu Land für eine nachhaltige Existenzgrundlage: Eine Evaluierung der Auswirkungen von Landbesitz-Konflikten in periurbanen Siedlungen Sierra Leones. Fallstudien aus dem Western Area Rural District und dem Bombali District[5].

Ich bedanke mich herzlich bei Bankolay Theodore Turay für die prompt erteilte Erlaubnis, seinen Artikel für Radio Afrika ins Deutsche zu übersetzen.

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Sierra Leones Bäuerinnen nutzen einen ‘bora’ genannten Brauch, um Zugang zu Land zu erhalten – aber das macht sie verwundbarer

von

Bankolay Theodore Turay

in der englischen Originalfassung erschienen in The Conversation am 20. August 2024

https://theconversation.com/sierra-leones-women-farmers-use-a-custom-called-bora-to-access-land-but-its-making-them-more-vulnerable-235365

 
Frau mit Kind am Rücken in Kamabai, einer kleinen Stadt im Distrikt Bombali[6]

Bora, eine Art Dankesgabe, ist eine sierra-leonische Usance des Respekts, die oft im Zusammenhang mit Land zur Anwendung kommt. So können zum Beispiel informelle BäuerInnen an LandbesitzerInnen bora zahlen, um deren Land nutzen zu können.

Aber bora hat sich im Lauf der Zeit geändert und wirkt sich heute auf Frauen negativ aus, obwohl diese für einen wesentlichen Teil der Landwirtschaft dieses westafrikanischen Landes verantwortlich sind. In Sierra Leone ist Landbesitz – und daher die Nutzung des Landes fürs Bebauen – Sache von Männern.

Der Zugang zu Land von Frauen für einen nachhaltigen Lebensunterhalt ist der Gegenstand der Dissertation des Bodenrechts-Experten Bankolay Theodore Turay. Wir (das sind die Leute der Zeitschrift The Conversation, GL) haben ihn zu seinem Forschen befragt.

Welche Rolle spielen Frauen in der Landwirtschaft Sierra Leones?

Die Landwirtschaft ist das Rückgrat[7] der sierra-leonischen Wirtschaft, sie beschäftigt über 60%[8] der Bevölkerung und trägt fast die Hälfte[9] zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei.

Frauen spielen dabei eine lebenswichtige Rolle. Sie stellen ungefähr 70%[10] der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte. Sie sind vor allem verantwortlich für Anbau, Ernte und Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte. Sie sind für die Lebensmittelsicherheit und das wirtschaftliche Wachstum des Landes unentbehrlich.

Viele Frauen sind die primären EinkommensbezieherInnen ihrer Familien; sie verwenden die Einkünfte aus der Landwirtschaft für Erziehung, Gesundheit und anderen Haushaltsbedarf.

Was haben Sie bei Ihrer Forschung herausgefunden?

Ich habe drei Jahre lang in fünf periurbanen sierra-leonischen Gemeinschaften geforscht und dabei ausführliche Interviews mit 120 Frauen geführt.

Ich habe herausgefunden, dass die Frauen mit Problemen zu kämpfen haben, die ihr landwirtschaftliches Potential beeinträchtigen.

Ihr erstes und Hauptproblem ist, dass sie mit tief verwurzelten Bräuchen und patriarchalen Traditionen konfrontiert sind, die ihren Zugang zu und ihre Kontrolle über Land beschränken.

Von Vererbungsregeln, die männliche Erben bevorzugen, über traditionelle Praktiken bis hin zu Gesetzen, die männlichen Haushaltsvorständen das Managen von Land vorbehalten, prägen solche Konventionen nach wie vor die Landbesitz-Muster, sehr oft zum Nachteil der Frauen.


Beim Führen von Interviews. Foto vom Autor zur Verfügung gestellt.

Sierra Leone hat eine geschriebene[11] Verfassung, die allen BürgerInnen, also auch den Frauen, die gleichen Rechte zusichert. Aber die Wirklichkeit ist oft anders. Das Gewohnheitsrecht ist fest im sozialen Gewebe verankert, insbesondere in weniger urbanisierten Gebieten. Es regiert einen Großteil des Lebens, darunter den Landbesitz, die Ehe, das Erben und Konfliktbewältigung. Die Rechte der Frauen, und ganz besonders ihre Landrechte, werden oft untergraben.

Das zweite große Problem ist, dass Frauen nur beschränkt Zugang zu landwirtschaftlichen Inputs haben, darunter Saatgut, Dünger, Energie, Pflanzenschutzmittel, tierärztliche Medikamente und Gerätschaft. Diejenigen, die Politik machen, und Verwaltungsbeamte nehmen nach wie vor an, dass die BäuerInnen Bauern, also Männer, sind und dass Frauen nur eine “unterstützende Rolle“ spielen als Ehefrauen der Bauern. Auch widmet landwirtschaftliche Vor-Ort-Beratung dem Erreichen von Bäuerinnen oder in der Landwirtschaft tätigen Frauen wenig Aufmerksamkeit.

Das dritte Problem ist, dass Frauen Schwierigkeiten haben beim Zugang zu Darlehen oder Krediten, die sie zum Vergrößern oder Stützen ihres Betriebes verwenden könnten. Eine Frau, die das Land, das sie bebaut, nicht besitzt oder unter Kontrolle hat, wird es beim Ausborgen von Geld nicht als Sicherheit anbieten können.

Viertens haben Frauen die nötigen Papiere nicht, um ihre Produkte international zu verwerten. Das liegt an den finanziellen Zwängen und den bürokratischen Verfahren, dem der Erwerb von Gewerbescheinen für solchen Handel unterliegt. Frauen müssen sich daher in der Regel mit dem heimischen Markt begnügen.

Eine Möglichkeit, wie Frauen Zugang zu Land erhalten können, ist die als bora bekannte traditionelle Praktik. Dabei bebauen die Frauen Land, das ihnen von ihren Ehemännern oder männlichen Verwandten zugeteilt wird, oft aber nur vorübergehend.

Zwar verschafft bora manchen Zugang zu Land, sie schafft jedoch keinen Besitz und bringt keine langfristige Sicherheit.

Was ist bora und wie funktioniert sie?

Bora ist eine traditionelle Zahlung, die in den Kulturen der nordwest-sierra-leonischen ethnischen Gruppen tief verwurzelt ist.

Gemäß der Tradition haben Individuen ohne vererbte Landrechte – wie zum Beispiel Frauen aus Familien ohne Landbesitz – ein symbolisches Geschenk wie Reis oder ein Huhn dargeboten, um das Land anderer bebauen zu können. Dieser Brauch hat sich zu einer jährlichen Zahlung weiterentwickelt.

Ursprünglich wurden für bora landwirtschaftliche Produkte verwendet, aber dann wurden Geldzahlungen immer häufiger. Der Betrag hängt von der genutzten Fläche und von den Marktkräften ab.

Diejenigen, die bora offerieren, anerkennen den Besitzer des Landes öffentlich – in Anwesenheit des Dorfchefs oder Angehöriger des Ältestenrates – und machen ihr Recht auf Nutzung geltend. Das schreckt andere davon ab, Anspruch auf dasselbe Land zu erheben.

Die bora-Praktik hat sich in meinen Interviews mit den Bäuerinnen als ein zentrales Thema herauskristallisiert. Die Interviewten hatten oft bora genutzt, um Zugang zu Land zu erhalten, sie betonten die bedeutende Stellung, die bora in ihrem Leben und für ihren Lebensunterhalt einnahm.

Was bewirkt bora für diese Bäuerinnen?

Meine Forschungen haben ergeben, dass bora in diesem Teil Sierra Leones den Zugang von Frauen zu Land behindert und die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern perpetuiert hat.

Zum Beispiel haben in einem Bezirk mehr als 40% der Frauen berichtet, dass ihnen der Zugang zu Land verweigert wurde, weil sie die bora-Kosten nicht zahlen konnten.

Die Praktik macht sie auch verletzlich für ausbeuterische Bedingungen – inklusive sexuelle Gefälligkeiten, um den Zugang zu Land zu bewirken.

Die wirtschaftlichen Konsequenzen für Frauen sind drastisch. Ohne Land sind ihre Möglichkeiten, Lebensmittel zu produzieren und Einkommen zu generieren, beschränkt. In Mabolleh[12] hatten Frauen mit Zugang zu Land um 70% höhere Einkommen als solche ohne Zugang zu Land.

Außerdem stärkt bora patriarchale Machtstrukturen. Wo Frauen keine sicheren Landrechte haben, werden ihre Stimmen in Gemeinschaftsangelegenheiten nicht gehört. Aufgrund wirtschaftlicher Abhängigkeit und beschränkter Autonomie innerhalb des Haushalts sind sie zudem häuslicher Gewalt verstärkt ausgesetzt. Derart machtlos haben sie wenig Möglichkeiten, ihrer Lage zu entkommen oder sie in Frage zu stellen.

Bora unterstützt ein System, in dem Frauen benachteiligt und ihrer Grundrechte beraubt sind.

Was gilt es zu tun?

Die Regierung, andere Entscheidungsträger und lokale traditionelle Autoritäten müssen Maßnahmen ergreifen:

  • Entscheidungsträger und Entwicklungspraktiker müssen von kurzfristigen Monetisierungsstrategien abrücken, die darauf abzielen, den Immobilienwert von traditionellem Land zu erfassen oder die finanzielle Lage lokaler Autoritäten zu stärken. Stattdessen gilt es, Langfrist-Lösungen anzuvisieren, die Frauen als wahre Landbesitzerinnen und -managerinnen ermächtigen.
  • Gesetze, welche die Landrechte von Frauen anerkennen und schützen, müssen beschlossen und durchgesetzt werden. Das inkludiert Gewohnheitsrecht. Gewohnheitsrecht mit Verfassungsbestimmungen zur Deckung zu bringen ist entscheidend.
  • Zur Ermächtigung der Frauen sind Sensibilisierungskampagnen nötig, damit sie ihre Rechte verstehen und ihr Land beanspruchen.
  • Es gilt, Frauen zu ermutigen, an gemeinschaftlichen Entscheidungsprozessen teilzunehmen. Das kann gender-sensible Politik und Praxis bewirken.
  • Frauen sollten beim Gründen von Genossenschaften unterstützt werden, damit sie in den Genuss kollektiver Verhandlungsmacht kommen und Zugang zu Märkten und finanziellen Ressourcen erhalten.
  • Das Erschließen alternativer Landbesitz-Arrangements kann zu gleichberechtigterem Zugang von Frauen zu Land führen; zum Beispiel ein System sicheren Pachtens von Land von landbesitzenden Familien.
  • Frauen können sich zu Gruppen zusammenschließen und kollektiv Land pachten.

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Frau in Njama, einem Dorf im Kailahun-Distrikt in Sierra Leones Osten [13]

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Endnoten:

[1] Foto Annie Spratt 21.8.2016 aufgenommen nahe Robathpla, ein Dorf im Süden des Tonkolili-Distrikts im Zentrum von Sierra Leone, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Carving_Food_(Unsplash).jpg.
Nur das Foto vom Artikelautor im Kreis interviewter Frauen entstammt dem Original-Artikel, die übrigen Fotos habe ich beigesteuert. GL.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] In Absprache mit dem Autor entstammen diese Informationen einem link, der im Artikel enthalten ist: https://www.urban-sdg-school.org/about/people/Turay. Das DAAD-finanzierte Wits-UniLag Urban Lab unterstützt die Zusammenarbeit von Witwatersrand-Universität, Lagos-Universität und Technischer Universität Berlin in Sachen Neue Urbane Agenda & Nachhaltige Entwicklungsziele.

[4] Makeni liegt ungefähr 120 km ostnordöstlich der sierra-leonischen Hauptstadt Freetown. Die Hauptstadt der Provinz Northern und gleichzeitig des Distrikts Bombali hat über 100.000 EinwohnerInnen und ist Sitz der Uni und eines Bistums.

[5] Bombali ist der Distrikt, in dessen Hauptstadt Makeni Bankolay Theodore Turay an der Universität forscht und unterrichtet. Western Area Rural District ist das ländliche Hinterland der sierra-leonischen Hauptstadt Freetown – gemeinsam mit dem Western Area Urban District (entspricht circa Freetown) bildet es das Western Area, das die Halbinsel umfasst, an deren Nordwest-Spitze Freetown liegt.

[6] Das einzige gemeinfreie Foto einer Frau in ruralem Kontext aus dem Gebiet von Bankolay Theodore Turays Feldforschung, das ich gefunden habe. Foto John Atherton 1968, zugeschnitten und leicht überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Young_Fula_(Peul)_woman_(with_child_on_her_back_—_note_feet),_Kamabai,_Sierra_Leone_(West_Africa)_(1043634634).jpg.

[7] Siehe https://www.worldbank.org/en/topic/agriculture/overview.

[8] Siehe https://www.trade.gov/country-commercial-guides/sierra-leone-agriculture-sector.

[9] Ebd.

[10] Siehe https://openknowledge.fao.org/server/api/core/bitstreams/2e90c833-8e84-46f2-a675-ea2d7afa4e24/content.

[11] Dass sie geschrieben ist, ist wohl nur erwähnenswert, weil der ehemalige Kolonialherr Großbritannien keine hat.

[12] Ein Ort im Makeni-Bezirk. GL.

[13] Foto LindsayStark 27.5.2005, leicht zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sierra_Leone_village_woman.jpg.

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