der heilige Baobab in der Altstadt von Fada N’Gourma [1]
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Günther Lanier, Ouagadougou 24. Juli 2024[2]
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Könige, Naabas[3] und ähnliche traditionelle Autoritäten haben im modernen Burkina keine offizielle Rolle, sind aber nach wie vor von erheblicher Bedeutung und haben in manchen Fragen viel Einfluss. Unter der gegenwärtigen Übergangsregierung hat ihre Wichtigkeit zugenommen, ist dem Echt-Burkinischen und somit den Traditionen in Abwendung von den Sitten und Regeln, die von den Kolonialherren eingeführt worden waren, doch eine deutlich größere Rolle zugedacht. Folgerichtig wurde heuer auch ein neuer Feiertag eingeführt: Der 15. Mai ist ab sofort alljährlich der “Tag der Bräuche und Traditionen“.
Nicht nur in Demokratien ist ein G’riss um den ChefInnen-Sessel, wie uns gerade in den USA vorgespielt wird, auch beim Nachrücken traditioneller ChefInnen[4] kann es zu Streit und Konflikt kommen. Und nicht nur beim Sturm aufs Kapitol hat es Tote gegeben[5], das kann auch hierzulande passieren[6].
In Burkinas Osten leben vor allem die Gourmantché. Wie die Mossi im Zentrum bauten auch sie Reiche und die Königswürde[7] war und ist da von zentraler Bedeutung.
Jüngst konnte – zumindest schaut es ganz danach aus – ein jahrelanger Streit um die Nachfolge auf dem Thron von Fada N’Gourma beigelegt werden. Denn für den gab es zwei Anwärter: Mindierba Thiombiano und den um einiges jüngeren Tigue Mohammed Thiombiano – und das seit Mai 2020, acht Monate nach dem Tod Kupiendielis, des 31. Königs von Fada[8]. 60% der Alten, die das Kolleg bilden, das über die Nachfolge entscheidet, waren für Mindierba, 40% für Mohammed. Diese Pattsituation hat vier lange Jahre gedauert. Als hätte der burkinische Osten nicht schon Probleme genug mit dem Terrorismus…
Wie konnte der Streit geschlichtet oder eine Lösung gefunden werden? Nein, nicht durch Verhandlung oder Kommunikation. Offenbar war das Machtvakuum in der Ost-Region des Landes den modernen Autoritäten zu viel geworden. So wurde ein Machtwort gesprochen: der Minister der Territorialen Verwaltung, der Dezentralisierung und der Sicherheit hat per Dekret Mindierba Thiombiano als Untaamba als rechtmäßigen 32. König von Fada bestätigt[9].
Hoffentlich kehrt jetzt Frieden ein ins königliche Haus der Hauptstadt von Burkinas Osten.
derselbe mächtige Baobab
Doch ich will Sie in eine weiter zurückliegende Vergangenheit entführen.
Vorausgeschickt sei, dass die Gourmantché im Ruf stehen, viel mit Übernatürlichem, mit Mystik zu tun zu haben. Insbesondere sind sie als “Sand-Leser“ bekannt: Mit Hilfe von Spuren im Sand können sie Dinge in Erfahrung bringen, die sie eigentlich nicht wissen können. Eine Art Orakel. Oder Weissagen.
Zu dem Baobab, von dem Sie bisher zwei Fotos gesehen haben und der in Bardiego, dem 9. Bezirk Fada N’Gourmas thront, in der “Altstadt“, wie sie genannt wird, zu diesem offenbar über 350 Jahre alten Baum gibt es Erzählungen. Das hat nichts mit Sand zu tun, aber sehr wohl mit Mystischem.
Yendabli war der 14. König der Gourmantché. Eines Morgens ritt er aus, begleitet nur von seinem Griot (eine Art Troubadour, der für Genealogie und Historie zuständig ist). Da näherte sich ihnen eine Gruppe Bewaffneter – sie waren aus dem Osten gekommen, aus einer Gegend, die heute zu Burkinas östlichem Nachbarn Niger gehört. Und sie waren nicht in friedlicher Mission unterwegs. Das war schon an der Geschwindigkeit zu erkennen, mit der sie auf ihren Kamelen mit gezogenen Säbeln unterwegs waren. Yendabli und sein Griot berieten kurz. Letzterer versteckte sich und verständigte die anderen Gefolgsleute des Königs mit seinem Sanduhrtrommel[10], dass etwas nicht in Ordnung sei, sie schleunigst kommen sollten.
Währenddessen ritt Yendabli so schnell er konnte davon. Er ritt auf einen Baobab zu. Am Fuß des Baumes angekommen, machte er nicht halt, sondern ritt seinen Stamm gerade hinauf.
Oben war er unerreichbar. Seine Feinde scharten sich um den Baum, konnten ihm aber nichts anhaben. Wenig später trafen Yendablis Gefolgsleute ein – die Feinde aus dem Osten ergriffen angesichts von deren Überzahl die Flucht. Yendabli konnte aus seinen luftig-baumigen Höhen wieder herabsteigen.
Seither heißt dieser ehrwürdige Baum Yendabli-Baobab.
Yendabli gilt auch als Gründer von Fada N’Gourma. Um 1700 herum war das.
Die Hufe des wundersamen königlichen Pferdes hatten sich bei seiner Flucht in den felsigen Untergrund gegraben. Heute ist der Boden um den Baobab nicht mehr felsig, die Spuren der Hufe sind verschwunden. Laterit ist wenig beständig und die jahrhundertelange Erosion hat eine, wenn auch nicht sehr fruchtbare, Erdschicht geschaffen[11].
Sehr wohl sichtbar bleiben aber einige Hufspuren im Stamm des mächtigen Baobabs.
sehen Sie die Hufspuren in mittlerer Bildhöhe?
Doch andere erzählen, dass der Baobab und die Pferdehufspuren viel älter sind.
Dass derjenige, der sie hinterlassen hat, Diaba Lompo höchstpersönlich war – König Numero 1 der Gourmantché. Und der sei nach seinem Ritt den Baobabstamm hinauf nicht mehr zurückgekommen. Stattdessen sei er weitergeritten, himmelwärts[12].
Das verlegt die Entstehung der Hufspuren in etwa ins 13. Jahrhundert[13].
Der heilige Baobab wurde jedenfalls 2017 zum Nationalen Kulturgut erklärt.
Er ist zur Sehenswürdigkeit geworden.
Ist zum Beispiel fixer Bestandteil des Stadt-Besichtigungsprogramms des VIVAVI-Vereins (das Akronym steht für Vivre au Village – im Dorf leben)[14].
Allerdings liegt der Tourismus terrorismusbedingt darnieder, auch wenn sich Burkinabè so leicht nicht unterkriegen lassen: Erst kürzlich wurde ein Programm zur Belebung des internen Tourismus beraten und beschlossen.
die Spuren der Hufe des Pferdes von… auf dem Baobab-Stamm
Zum Abschluss noch eine dritte Variante der Geschichte des Heiligen Baobabs:
Ein Bekannter, ein Gourmantché, der seit längerem in der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou lebt, der aber in Fada N’Gourma aufgewachsen ist, erzählt, dass ihm erzählt wurde, dass der Heilige Baobab nicht wirklich der Baum ist, auf den Yendabli oder Diaba Lompo hinaufgeritten ist.
Der wirkliche Heilige Baobab hätte sich nämlich in einem Dorf außerhalb von Fada N’Gourma befunden. Als der nun altersschwach wurde, hätten die Alten beraten und dann beschlossen, ihre Magie zu nutzen, um die Hufspuren auf den uns heute bekannten Baobab im Bardiego-Viertel in der Altstadt von Fada N’Gourma zu übertragen.
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Für dieses fast museale Trachten, den Nachkommen Wertvolles zu erhalten, sei ihnen gedankt.
Endnoten:
[1] Alle Bilder meines heutigen Artikels wurden mir von Diane Béréhoudougou zur Verfügung gestellt.
[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!
[3] Ein Naaba ist bei den Mossi (die Hälfte aller Burkinabè sind Mossi) ein Chef, ob jetzt König oder Dorfchef oder…
[4] In Burkina ist die ganz überwiegende Mehrheit männlich, aber es gibt sehr wohl auch Frauen unter ihnen.
[5] Nämlich fünf Tote und zahlreiche Verletzte.
[6] Ich erinnere einen Fall im Süden Burkinas vor zwölf Jahren. Im Kasséna-Dorf Guenon kamen da am 2. März 2012 zwölf Menschen um bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Großfamilien Liliou und Akongba. Es ging darum, wer Anspruch auf den Königstitel hat. Siehe z.B. https://lefaso.net/spip.php?article48911.
Ursprünglich kannten die Kasséna – wie die anderen Gurunsi auch – keine zentrale Autorität. Das haben sie im Lauf der Geschichte erst von den Mossi gelernt, die sehr hierarchisch organisiert und begabte StaatenbildnerInnen sind.
[7] Bei ihnen weiß ich nur von Männern am Thron, aber ich bin mir nicht sicher, ob das stimmt.
[8] Eigentlich ist der Titel ‘König von Gulmu’. Zu dem Streit siehe z.B. Lefaso.net, Fada N’Gourma: Deux rois pour un trône du Gulmu, Lefaso.net 11.5.2020, https://est.lefaso.net/spip.php?article69&rubrique1 oder auch Gulmu Info, 2ème intronisation: Sortira ou sortira pas! Mohammed Thiombiano est décidé à être intronisé“ Gulmu Info 16.5.2020: https://www.gulmu.info/2eme-intronisation-sortira-ou-sortira-pas-mohammed-thiombiano-est-decide-a-etre-intronise/.
[9] Siehe Gulmu Info, Reconnaissance officielle du Roi UNTAAMBA comme Chef du Gulmu, Gulmu Info 10.7.2024, https://www.gulmu.info/selon-des-informations-relayees-sur-les-reseaux-sociaux-et-confirmees-par-des-personnes-proches-des-royautes-de-fada-ce-mardi-09-juillet-2024-le-ministre-de-ladministration-territoriale-de-la-dece/.
[10] Diese Sprechtrommel (talking drum) wird unter die Achsel geklemmt, der Arm spannt die Schnüre, die das Trommelfell halten und verändert die Tonhöhe.
[11] Es gibt verschiedene Versionen dieser Geschichte. Ich folge weitestgehend der von Tadano Oyienbiga in einem Video von 5’26’’ erzählten: https://www.studioyafa.org/2324-le-baobab-de-yendabli-un-mythe-une-histoire.
[12] Tadano Oyienbiga, seines Zeichens Traditionalist, Autor, Forscher und selbst ein traditioneller Chef, wehrt sich heftig gegen diese Geschichte. Er meint, es sei ein anderer König gewesen, die Nummer 12, der hinaufgeritten und himmelwärts verschwunden sei.
Diese Geschichte von Diaba Lompos Verschwinden passt allerdings gut zu der seines Auftauchens, spiegelt dieses gewissermaßen, ist er doch gemeinsam mit seiner Frau vom Himmel heruntergestiegen, zu Pferd und voll bewaffnet.
[13] Die ersten 24 Könige der Gourmantché, eben von Diaba Lompo an, sind gelistet in: https://www.gulmu.info/royaute-dans-le-nungu-les-lignees-des-differents-rois-du-gulmu/.
[14] Siehe https://web.facebook.com/profile.php?id=100090395088749.