Wer erzählt Geschichten und welche Geschichten werden erzählt? Groß-Simbabwe ist ein Beispiel der fatalen Folgen kolonialer Ideologien für die Geschichtsschreibung über Afrika in einem großen Teil der Welt. Doch Groß-Simbabwe ist auch die einzigartige Geschichte einer Gesellschaft im südlichen Afrika: Beeindruckende Bauten und kostbare Schätze zeugen von ihrer komplexen politischen Organisation und Kultur.
Es war einmal…
Es war einmal ein großes Königreich und eine reiche, blühende Gesellschaft. Sie lebten in Lehmhütten, hüteten riesige Rinderherden und bauten Festungen aus Stein. 18.000 Menschen lebten in diesem Staat unter insgesamt 8 Königen, die auch spirituelle Oberhäupter waren. Einige von ihnen, eroberten neues Land und versammelten mehr und mehr Menschen unter sich, die sie durch ein Steuersystem an sich banden. Der Handel florierte, Gold und Elfenbein gelangten von hier in östliche Reiche, auf andere Kontinente. Die Herrscherfamilien wurden sehr reich. Durch den Handel besaßen sie Schätze aus Indien, China und der arabischen Welt. Sie ließen kunstvolle Skulpturen aus Speckstein bauen…
Doch dann…
Als europäische Kolonisatoren die mächtige Stadt erreichten, hatte der letzte König mit seinen Untertanen Groß-Simbabwe schon verlassen. Sein Volk zog nach Norden; vielleicht auf der Suche nach neuem Weideland für ihre Herden; vielleicht auf der Suche nach dem kostbaren Salz oder weil die Goldfunde an den Flüssen weniger wurden. Einige der Neuankömmlinge aus Europa waren Plünderer, die wertvolle Kulturschätze aus Groß-Simbabwe verschleppten. Später erhielt eine Bande sogar die staatliche Erlaubnis des Kolonialpolitikers und Kapitalisten Cecil Rhodes. Als Gesellschafter kaufte Rhodes das Land, auf dem auch Groß-Simbabwe lag – es wurde Südrhodesien genannt. Die von ihm unterstützte „Handelsgesellschaft für Antike Ruinen“ raubte Gold und Elfenbein aus Groß-Simbabwe; was ihnen nicht wertvoll erschien zerstörten oder entsorgten sie. Gleichzeitig erreichten mehrere europäische Forscher die Stadt, unter ihnen auch Archäologen. Doch verblendet von christlichen und rassistischen Ideologien konnten sie nicht glauben, dass Afrikaner*innen die Festungen gebaut hatten. Keiner von ihnen befragte die Menschen vor Ort und so bemerkte niemand, dass in ihren Häusern Objekte zu sehen waren, die den in Groß-Simbabwe gefundenen Schätzen ähnelten. Bei ihren Untersuchungen zerstörten die Forscher einen weiteren wichtigen Teil der Mauerwerke.
Wenn Mythen Geschichte schreiben
Viele europäische Mythen entstanden über Groß-Simbabwe: einige nahmen, einer alttestamentlichen Geschichte folgend, an, der israelische König Salomon habe hier Goldminen für den Bau seines prachtvollen Reiches erschlossen. Die ersten Forscher schlossen aus ihren Funden in Groß-Simbabwe, dass eine semitische oder phönizische Bevölkerung die Festung erbaut und in ihr gelebt haben müsse. Ähnliche, ideologisch motivierte Theorien und die ungenaue, zerstörerische Ausgrabungsarbeit dieser Forscher, erschweren die Arbeit heutiger Archäolog*innen und machen manche Rekonstruktionen unmöglich.
Am besten erhalten ist heute die Große Einfriedung, ein gewaltiges Bauwerk. Die äußere Mauer ist knapp 250 Meter lang und ragt an einigen Stellen bis zu 10 Meter in die Höhe. Schätzungen zufolge ist sie aus einer Million gemeißelter Steine erbaut, die ohne Mörtel passgenau zueinander konstruiert wurden. An einigen Stellen sind kunstvolle Verzierungen in das Mauerwerk eingearbeitet. Von den Menschen in der Umgebung wurde das Haus „Imbahuru“ (Haus der großen Frau oder Großes Haus) genannt. Ein weiteres Bauwerk, der Hügel-Komplex, ist am ältesten und soll schon im 5. Jahrhundert von Viehzüchter*innen bewohnt worden sein. Zwischen den beiden imposanten Bauwerken liegen kleinere Ruinen in einer Talsenke. Wie die soziokulturelle Organisation des ehemaligen Staates aussah, ist bisher nicht rekonstruierbar. Aufgrund ihrer handelsstrategisch günstigen Position und der zahlreichen Funde kostbarer Schätze ist jedoch zu vermuten, dass Groß-Simbabwe das politische Machtzentrum des zehnten bis fünfzehnten Jahrhunderts darstellte.
Und wenn sie nicht gestorben sind…
Die Kolonialzeit hat starke Spuren im kulturellen Erbe Groß-Simbabwes hinterlassen. Sinnbildlich für viele andere Orte auf dem Kontinent ist hier zu sehen, wie die kolonialen Machthaber*innen nicht nur geraubt und zerstört, sondern auch Geschichte fehl- und umgedeutet haben. Ein wertvoller Teil der Geschichte des südlichen Afrika wurde durch das Märchen des geschichtslosen Kontinents ausradiert und überschrieben. Der moderne Nationalstaat in dessen Gebiet Groß-Simbabwe liegt, hat sich mit der Unabhängigkeit von seinem kolonialen Namen „Rhodesien“ getrennt und sich die eigene geschichtliche Vergangenheit neu angeeignet: Simbabwe heißt, übersetzt aus der Sprache der Shona, „Steinhäuser“. Das Staatswappen Simbabwes zeigt einen der in Groß-Simbabwe gefundenen Vögel aus Speckstein.
Die Geschichtsschreibung Simbabwes erzählt nicht länger das Märchen eines geschichtslosen Kontinents. Die Nachfahren der Menschen, die Groß-Simbabwe erbauten, leben weiter und eignen sich ihre Vergangenheit neu an indem sie selber Geschichte schreiben.
Literatur und Quellen:
https://www.youtube.com/watch?v=uX0VNtaCcMk
https://www.spektrum.de/magazin/gross-simbabwe/824859
https://www.youtube.com/watch?v=GdSupLM4zAA
https://en.unesco.org/general-history-africa