seit dem Putsch im Niger im August 2023 ist der vom Atlantik zum Roten Meer reichende Gürtel militärregierter Länder im Sahel komplett [1]
* * *
Günther Lanier, Ouagadougou 4. Dezember 2024[2]
* * *
Ich bringe heute einen Artikel von German Foreign Policy, der vor ungefähr zwei Wochen erschienen ist. Er ist – wie bei den Produkten der “Informationen zur deutschen Außenpolitik“ mit ihrer German Foreign Policy-Webseite durchgängig üblich – ausgezeichnet[3]. So erübrigt sich jeglicher Kommentar meinerseits. Für die prompte Erlaubnis zur Wiederveröffentlichung des auf https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8393/ herausgekommenen Artikels gilt German Foreign Policy/Informationen zur deutschen Außenpolitik und insbesondere Horst Teubert mein herzlicher Dank!
* * *
Gegen Flüchtlinge, gegen Russland
Berlin bemüht sich um Einfluss im lange Zeit exklusiv von Paris dominierten Tschad – mit dem Ziel, Flüchtlinge aufzuhalten und russischen Einfluss zurückzudrängen, der in immer mehr Ländern des Sahel zunimmt.
German Foreign Policy 20. November 2024
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9765)
N’DJAMENA/BERLIN (Eigener Bericht) – Präventive Flüchtlingsabwehr sowie der große Machtkampf des Westens gegen Russland veranlassen die Bundesregierung zu neuen Einflussbemühungen im Tschad. Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze ist bereits am Montag in das afrikanische Land aufgebrochen, das inzwischen rund 1,2 Millionen Flüchtlinge beherbergt – überwiegend aus dem Sudan. Um sie von der Weiterreise in Richtung Europa abzuhalten, will Schulze ihnen Möglichkeiten eröffnen, sich im Tschad „eine neue Existenz auf[zu]bauen“: „Tschad errichtet keine Zäune, sondern zeigt Solidarität mit den Flüchtlingen“, lobt die Ministerin. Der Tschad ist eines der ärmsten Länder der Welt, sein Osten, wo die meisten Flüchtlinge leben, eine seiner ärmsten Regionen. Um Einfluss in dem Land bemüht ist Berlin darüber hinaus, weil die Regierung in N’Djamena enger mit Russland zu kooperieren beginnt – wie mittlerweile eine ganze Reihe von Ländern im Sahel. Die im Tschad traditionell dominante ehemalige Kolonialmacht Frankreich gerät nun auch dort in wachsendem Maß unter Druck. Deutschland bietet sich N‘Djamena als alternativer Kooperationspartner an – ganz wie Ungarn, das im Tschad Entwicklungsaktivitäten entfaltet und Militär in das Land entsenden will.
Flüchtlinge im Tschad
Einer der beiden Gründe, die die Bundesregierung dazu bewegen, dem Tschad eine gewisse Aufmerksamkeit und auch Entwicklungshilfegelder zukommen zu lassen, besteht darin, dass in dem Land immer mehr Flüchtlinge eintreffen – nicht nur, aber besonders aus dem östlich angrenzenden Sudan. Schätzungen belaufen sich derzeit auf rund 1,2 Millionen, wobei im Osten des Landes täglich neue sudanesische Flüchtlinge die Grenze überschreiten. Die Region gilt als eine der ärmsten im Tschad, der seinerseits eines der ärmsten Länder der Welt ist. Die Vereinten Nationen haben im Grenzgebiet zum Sudan, wie es in einem Bericht der Konrad-Adenauer-Stiftung heißt, „eine der weltweit größten Hilfsoperationen gestartet und mehrere Flüchtlingslager errichtet“[4]. Sie versuchen zudem, von dort aus Nahrungsmittel in den Sudan zu liefern, in dem der Krieg zwischen den offiziellen Streitkräften und der Miliz Rapid Support Forces (RSF) seit April 2023 unvermindert tobt und zahllose Opfer in der Zivilbevölkerung fordert. Die Flüchtlinge wurden im Osten des Tschad zunächst – trotz der krassen Armut der Region – wohlwollend aufgenommen. Weil das Land, das für sie nötig ist, inzwischen den tschadischen Bauern fehlt sowie die Preise der knappen Lebensmittel in die Höhe schnellen, nehmen nun die Spannungen zu.
„Keine Zäune, sondern Solidarität“
Dies, die stetig weiter zunehmende Zahl der Flüchtlinge und die zusätzliche Belastung durch schwere Überschwemmungen, die in den vergangenen Monaten ein Zehntel der Bevölkerung des Tschad von fast 20 Millionen Menschen getroffen haben, geben in Deutschland und der EU der Vermutung Auftrieb, es könnten sich bald immer mehr Flüchtlinge aus dem Tschad in Richtung Europa aufmachen. Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze ist am Montag in den Tschad aufgebrochen, um dort nicht zuletzt Projekte zu besuchen, die, wie es in ihrem Ministerium heißt, „Wege … für die Integration von Flüchtlingen“ und „für ein friedliches Zusammenleben von Einheimischen und Neuankömmlingen“ aufzeigen sollen[5]. „Tschad errichtet keine Zäune, sondern zeigt Solidarität mit den Flüchtlingen“, erklärt Schulze, damit implizit darauf hinweisend, dass die wohlhabende EU exakt das Gegenteil tut. Deutschland werde den Tschad „verstärkt bei seinen Anstrengungen unterstützen, neue Lebensgrundlagen für Flüchtlinge zu schaffen“, damit „die Menschen … sich eine neue Existenz aufbauen können“ und im Land „bleiben“, fährt Schulze fort[6]. Berechnet nach Bevölkerungsgröße entsprächen die 1,2 Millionen Flüchtlinge im Tschad ungefähr fünf Millionen im reichen Deutschland. Dass hier derzeit 3,5 Millionen Flüchtlinge leben, veranlasst Berlin zu Abschiebeoffensiven[7].
Neue Alternativen
Der zweite Grund, der die Bundesregierung zu verstärkten Aktivitäten im Tschad motiviert, liegt darin, dass die Regierung des Landes sich außenpolitisch neu orientiert. Traditionell war Frankreich der engste Verbündete des Tschad, in dem es bis heute ungefähr 1.000 Soldaten stationiert hat. Im Gegenzug gegen verlässliche Loyalität sicherte es etwa gut drei Jahrzehnte lang dem überaus repressiv herrschenden Präsidenten Idriss Déby (1991 bis 2021) die Macht. Unter seinem Sohn und Nachfolger Mahamat Déby haben sich allerdings Risse aufgetan. Dies liegt unter anderem daran, dass Déby Junior sich französischer Unterstützung nicht mehr sicher fühlt, aber auch daran, dass in der Sahelregion in wachsendem Maß nichtwestliche Staaten Präsenz zeigen und Angebote machen. So unterstützen russische Söldner und Militärs die Regierungen in der südlich an den Tschad grenzenden Zentralafrikanischen Republik, im westlich angrenzenden Niger und in den noch weiter westlich liegenden Staaten Mali und Burkina Faso[8]. Im östlich angrenzenden Sudan wiederum wird laut einhelliger Auffassung zahlreicher Beobachter die RSF-Miliz von den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt. Die Emirate und Russland besitzen zudem deutlichen Einfluss im nördlich angrenzenden Libyen. Weitere aufstrebende Mächte, etwa die Türkei, kommen hinzu.
Maison Russe in N’Djamena
Dieses Jahr hat die tschadische Regierung begonnen, sich für eine Zusammenarbeit mit Russland zu öffnen. Bereits im Januar reiste Präsident Mahamat Déby zu Gesprächen nach Moskau[9]. Im Juni traf der russische Außenminister Sergej Lawrow zu einer Fortsetzung des Dialogs in der tschadischen Hauptstadt N’Djamena ein. Im September wurde dort die Maison Russe (Russisches Haus), ein russisches Kulturzentrum, eröffnet. Die weitere Entwicklung scheint ungewiss. Paris setzt alles daran zu verhindern, dass auch der Tschad – wie zuvor Mali, Burkina Faso und Niger – Frankreichs Streitkräfte aus dem Land wirft. Die Vereinigten Staaten sind ebenfalls bemüht, ihre kleine Spezialkräftepräsenz in N’Djamena zu sichern[10]. Allerdings ist unklar, ob das gelingt. Insbesondere unter jungen Tschadern sind Frankreich sowie die anderen westlichen Mächte verhasst, während Russland – als Alternative zum neokolonialen Westen – an Popularität gewinnt. Darüber hinaus wird Tschads Regierung von den Vereinigten Arabischen Emiraten finanziell unterstützt; im Gegenzug gestattet sie den Emiraten die Nutzung des osttschadischen Luftwaffenstützpunkts Amdjarass, um über diesen die RSF-Miliz im Sudan mit Munition und Waffen zu beliefern. Mittlerweile ist sogar die Ausstattung von Tschads Streitkräften mit emiratischen Drohnen im Gespräch[11].
Ungarn im Sahel
Und während Frankreich und die Vereinigten Staaten um die Sicherung ihres bisherigen Einflusses kämpfen müssen, entfaltet Ungarn neue Aktivitäten im Tschad. Bereits im November 2023 hatte das ungarische Parlament die Entsendung von bis zu 200 Soldaten in das afrikanische Land prinzipiell genehmigt. Seitdem bauen Budapest und N’Djamena ihre Beziehungen aus. So hat Ungarn eine Reihe von Entwicklungsprojekten im Tschad gestartet, etwa zur Verbesserung der Wasserversorgung. Zudem will es Stipendien an jährlich 25 junge Tschader zum Studium an ungarischen Hochschulen vergeben. Im September hielt sich Präsident Mahamat Déby zu einem offiziellen Besuch in Budapest auf; es handelte sich um die symbolträchtige erste Reise nach Europa nach der tschadischen Präsidentenwahl im Mai 2024[12]. Ungarns Präsident Viktor Orbán begründet die ungewohnten Aktivitäten seines Landes im Tschad mit der Absicht, die Flüchtlingsabwehr in den Sahel verlegen zu wollen. Allerdings hat seine prinzipielle Bereitschaft, weiterhin mit Russland zu kooperieren, in Paris, Berlin und anderen westlichen Hauptstädten auch mit Blick auf Ungarns Präsenz im Tschad Unruhe ausgelöst. Frankreich hat durchgesetzt, dass die ungarischen Soldaten in großer Nähe zu seiner Militärbasis in N’Djamena stationiert werden, also problemlos überwachbar sind[13].
Das dritte Ziel
Dies ist der Hintergrund, vor dem Entwicklungsministerin Schulze noch bis zum morgigen Donnerstag Gespräche im Tschad führt. Berlin setzt dabei nicht zuletzt darauf, sich öffentlich klar von der verhassten ehemaligen Kolonialmacht Frankreich absetzen und damit eigenen Einfluss gewinnen zu können. Die Stärkung deutscher Positionen in Afrika ist – zusätzlich zu den Kämpfen gegen Flüchtlinge und gegen Russland – sein drittes Ziel.
* * *
Endnoten:
[1] Guinea ist freilich kein Sahel-Land. Farblich leicht veränderte und zugeschnittene Karte aus Günther Lanier, Niger nach dem Putsch, Ouagadougou (Africa Libre) 16.8.2023, https://www.africalibre.net/artikel/522-niger-nach-dem-putsch bzw. Wien (Radio Afrika TV) 16.8.2023, https://radioafrika.net/niger-nach-dem-putsch/.
[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!
[3] Das einzige, was ich an German Foreign Policy auszusetzen habe, ist, dass sich ihre Artikel nur selten mit Afrika beschäftigen 😊, auch wenn das angesichts des Schwerpunktes mehr als verständlich ist.
[4] Ulf Laessing: Sudan-Krise trifft Sahelland Tschad. kas.de 12.11.2024.
[5] Entwicklungsministerin Schulze besucht Tschad, das den vielen Flüchtlingen aus Sudan große Solidarität entgegenbringt. bmz.de.
[6] Ebd.
[7] Flüchtlingszahl in Deutschland steigt auf 3,5 Millionen. tagesschau.de 20.09.2024.
[8] S. dazu German Foreign Policy, In Westafrika gegen Russland (II) (https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9154) und German Foreign Policy, Im Sahel gegen Russland (https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9533).
[9] S. dazu German Foreign Policy, Die deutsche Cold Base in Niger (https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9572).
[10] Paul Melly: Comment le Tchad exploite la rivalité russo-occidentale à son avantage. bbc.com 07.10.2024.
[11] Ulf Laessing: Sudan-Krise trifft Sahelland Tschad. kas.de 12.11.2024.
[12] Carol Valade: Au Tchad, la Hongrie déploie son aide, avant ses soldats. lemonde.fr 18.10.2024.
[13] Ebd.