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Aus der Vergessenheit geholt: Andrée Blouin

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Detail aus dem Titelfoto der Presseaussendung von Inkani Books zum Andrée Blouin-Preis [1]

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Autor: Tinashe Mushakavanhu
kurze Einleitung Günther Lanier
Ouagadougou 12. März 2025[2]

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Dass dieser Artikel zeitnahe zum Internationalen Frauentag erscheint, ist Zufall: “Jeder Tag ist Frauentag!“[3]

Der in Johannesburg beheimatete, volksbewegungsgetragene Inkani-Verlag hat einen Andrée Blouin-Preis ins Leben gerufen. Einreichfrist für auf dem afrikanischen Kontinent lebende Cis- und Transgender-Frauen, die aus einem linken Blickwinkel über Geschichte, Politik oder Aktuelles schreiben, ist der 30. April um Mitternacht südafrikanischer Standardzeit. Die Siegerin, die im November 2025 bekanntgegeben wird, erhält einen Vorschuss von 2.000 Dollar und einen Verlagsvertrag mit Inkani Books.

Afrikanischer Widerstand ist viel zu viel auf Männlich erzählt worden. Der zu Ehren von Andrée Blouin gegründete Preis soll gegensteuern, soll die Aktivistin und Schriftstellerin einem breiteren Publikum bekannt machen und ihr Erbe politischen Denkens und politischen Aktivismus von Frauen fortsetzen[4].

Tinashe Mushakavanhu hat am 28. Februar auf The Conversation einen Artikel über Andrée Blouin veröffentlicht, dessen Übersetzung ins Deutsche Sie in der Folge hier finden. Dem Autor herzlichen Dank für die umstandslos erteilte Erlaubnis!

Tinashe Mushakavanhu ist wissenschaftlicher Mitarbeiter (research associate) für afrikanische und vergleichende Literaturwissenschaften am St Anne’s College der Universität Oxford. Er hat sein Englisch-Doktorat an der Universität von Kent erworben. Seine früheren Uni-Abschlüsse stammen von Hochschulen in Wales und Simbabwe. Er ist ein Schriftsteller und Akademiker, der sich insbesondere für literarische und historische Archive und das Verlagswesen im Südlichen Afrika interessiert. Er hat drei Bücher mitherausgegeben: Some Writers Can Give You Two Heartbeats (2019); Visa Stories: Experiences Between Law and Migration (2013) sowie State of the Nation: Contemporary Zimbabwean Poetry (2013)[5].

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Afrikas neuester Buchpreis ist benannt nach Andrée Blouin. Wer war sie?

Tinashe Mushakavanhu

englisches Original veröffentlicht auf The Conversation am 28.2.2025, Übersetzung Günther Lanier

https://theconversation.com/africas-newest-book-prize-is-named-after-andree-blouin-who-was-she-250828

 
Mein Land: Afrika. Autobiografie der Schwarzen Pasionaria, Verso-Verlag 2025 [6]

Andrée Blouin[7] war eine politische Aktivistin und Schriftstellerin aus der Zentralafrikanischen Republik. Bis vor kurzem tauchte ihr Name nur sehr selten im großen Narrativ von der Befreiung Afrikas[8] auf.

Als sie 1986 starb, wurde das von den Medien kaum wahrgenommen – in krassem Gegensatz zur Schlüsselrolle, die sie einst als Beraterin und Strategin an der Seite kurz zuvor unabhängig gewordener afrikanischer Leader[9] in Algerien, den beiden Kongos, der Côte d’Ivoire, Mali, Guinea und Ghana gespielt hatte.

Sie war sehr viel mehr als eine Teilnehmerin. Sie war eine organisierende Kraft, eine Architektin des Widerstands, eine Strategin, die den Kampf gegen koloniale Herrschaft gestaltete. Aber wie es vielen Frauen in der afrikanischen Geschichte passiert, verblasste ihr Wirken, wurde zu einer Randnotiz[10], überschattet von den Männern, zu deren Empowerment sie wesentlich beitrug.

Das Interesse an Blouin ist wiedererwacht. Sie kommt in Soundtrack to a Coup d’Etat[11] (Tonspur zu einem Staatsstreich) vor, dem für einen Oscar nominierten Dokumentarfilm über Patrice Lumumba[12], der den Kongo in die Unabhängigkeit geführt und für den sie als Redenschreiberin und Protokollchefin gearbeitet hat.

Zudem wurden ihre lange vergriffenen Lebenserinnerungen My Country, Africa: Autobiography of the Black Pasionaria[13] (Mein Land: Afrika. Autobiografie der Schwarzen Pasionaria) wiederaufgelegt und sind nunmehr weithin verfügbar.

Jetzt wurde ihr zu Ehren von Inkani Books[14], einem Verlag, der in Südafrika daheim ist, ein neuer Buchpreis mit dem Namen Andrée Blouin-Preis[15] lanciert. Seine Aufgabe ist es, den Stimmen afrikanischer Cis- oder Transgender-Frauen, die über Geschichte, Politik und Aktuelles aus einer linken Perspektive schreiben, mehr Widerhall zu verleihen.

Für mich als Literaturhistoriker[16], der sich mit Archiven[17] marginaler historischer Figuren beschäftigt, betont diese Aktivierung Blouins mit Nachdruck ihr Vermächtnis. Außerdem lädt sie zu einer Neubeschäftigung mit ihrem Werk ein.

Wer war Andrée Blouin?

1921 in der Zentralafrikanischen Republik geboren, wurde Blouin im Alter von drei Jahren in ein Waisenhaus im benachbarten Kongo-Brazzaville gesteckt. Als sie 14 war, rannte sie von dort weg und so begann ein Leben im Zeichen der Rebellion.

Sie entwickelte sich zu einer beeindruckenden politischen Macherin. Ihre Reichweite schloss viele Teile Afrikas mit ein. Für sie war der Kampf nicht nur lokal, auf einen Ort beschränkt, er war überall. Sie sprach ein Dutzend Sprachen, ein Talent, das ihr half, Orte und politische Kontexte zu wechseln.

Ihre politische Erweckung war zutiefst persönlich[18]. Was sie radikalisierte, war der Malaria-Tod ihres Sohnes in einem kolonialen Spital 1942. Ihm wurden lebensrettende Medikamente verwehrt. Ihr wurde bewusst, dass Kolonialismus nicht nur ihr eigenes Unglück war, sondern ein System des Bösen, das afrikanische Leben erstickte.

Heute rehabilitiert die Geschichte diese faszinierende historische Figur. Das geschieht mittels des reichen Archiv-Materials – Fotos, Videos, Interviews, Texte –, welches sie im Herzen der politischen Aktion verortet. Das Urbild afrikanischer Befreiung zeigt Männer in Anzügen. Und doch ist da eine lächelnde Andrée Blouin unter ihnen, Seite an Seite, und sie hält sogar vor riesigen Menschenmengen Reden.

Wir verdanken es der Weigerung dieses Archivs, sich unterdrücken zu lassen, dass wir die Momente, welche die Geschichte der afrikanischen Befreiung prägten, nochmals durchsehen können; und die Rollen würdigen, die Frauen wie Blouin dabei spielten.

Hintergrund zum Preis

Seit ein paar Jahren boomen afrikanische literarische Preise[19], sowohl was ihre Zahl, als auch, was ihren Einfluss betrifft. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Werbung für afrikanische Literatur, bieten AutorInnen Anerkennung und finanzielle Unterstützung und gestalten den literarischen Kanon.

Sie stillen auch den Bedarf an engagierten Plattformen, die unterrepräsentierte Stimmen verstärkt zu Wort kommen lassen.

Inkani Books[20] beschreibt sich selbst als einen “Verlag, der von einer Volksbewegung angetrieben wird“. Der Preis wurde Andrée Blouin zu Ehren geschaffen. Anstoß zu dem Preis lieferte laut Verlagsdirektorin Efemia Chela, gegen das Tilgen der Frauen aus Geschichte und politischen Schriften anzukämpfen.

Sie erklärt[21]: “Dieser Preis ist nicht nur ein Schulterklopfen; er ist eine Inanspruchnahme von Raum, eine Deklaration, dass ab sofort die Narrative revolutionärer afrikanischer Frauen nicht mehr beiseitegeschoben werden.“

Der vor weniger als fünf Jahren gegründete Verlag hat beliebte Bücher über revolutionäre Figuren wiederaufgelegt, darunter z.B. Thomas Sankara[22], Kwame Nkrumah[23], Amilcar Cabral[24] und Frantz Fanon[25]. Diese Männer werden oft für ihren Heroismus gefeiert und ihre intellektuellen Beiträge zu panafrikanischen Ideen über Freiheit, Politik und Revolution.

Der Andrée Blouin-Preis ist ein mutiger Akt der Wiederaneignung, der sicherstellt, dass die Narrative revolutionärer afrikanischer Frauen nicht länger übersehen, sondern stattdessen anerkannt, gefeiert und in den Mittelpunkt gerückt werden.

Und es ist eine Einladung an jetzt lebende Frauen, sich in die literarische Geschichte einzuschreiben.

Die erste Gewinnerin wird 2.000$ erhalten sowie einen Verlagsvertrag mit Ikani. Die Bewerbung steht allen Frauen Afrikas offen[26]. Der Preis verschreibt sich dem Zurschaustellen und Feiern der diversen und pulsierenden Erfahrungen des Kontinents.

Der Preis ist Teil einer breiteren Bewegung, die historische Exklusionen im afrikanischen Verlagswesen bekämpft. Literarische Produktion wird von großen multinationalen Verlagen dominiert, die Lese-Geschmäcker -Trends bestimmen.

Vergangenes Jahr hat die in Nigeria beheimatete Cassava Republic Press den Global Black Women’s Non-Fiction Manuscript Prize (Globaler Preis für sachliterarische Manuskripte Schwarzer Frauen) lanciert[27], um außergewöhnliche Werke Schwarzer Frauen ins Rampenlicht zu rücken.

Während das afrikanische Verlagswesen Schriftstellerinnen nicht immer gerade willkommen geheißen hat, ist ein Wandel im Gang. Schriftstellerinnen wie Nigerias Chimamanda Ngozi Adichie[28], Simbabwes NoViolet Bulawayo[29], Ugandas Jennifer Nansubuga Makumbi[30] und Sambias Namwali Serpell[31] gehören heute zu den einflussreichsten, die afrikanische Literatur gestaltenden Stimmen.

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v.l.n.r. und v.o.n.u. Chimamanda Ngozi Adichie, NoViolet Bulawayo, Jennifer Nansubuga Makumbi, Namwali Serpell [32]

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Endnoten:

[1] Die gesamte Presseaussendung kann unter https://inkanibooks.co.za/prizes/ heruntergeladen werden.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Die Solidarwerkstatt hat soeben einen Folder dieses Namens herausgegeben, der allerdings Österreich sehr viel mehr als Afrika fokussiert. Siehe https://www.yumpu.com/de/document/read/70115112/frauentag-2025.

[4] Ich formuliere nahe an der Presseaussendung zum Preis, heruntergeladen unter https://inkanibooks.co.za/prizes/.

[5] Meine Infos stammen von der Uni Oxford (https://www.africanstudies.ox.ac.uk/people/tinashe-mushakavanhu), von The Conversation (https://theconversation.com/profiles/tinashe-mushakavanhu-856950) und vom Wits Institute for Social and Economic Research (WiSER) an der Witwatersrand-Uni. Siehe auch die Liste seiner The Conversation-Publikationen unter https://theconversation.com/profiles/tinashe-mushakavanhu-856950/articles.

[6] Einleitung von Adom Getachew und Thomas Meaney, Beiträge von Jean Mackellar. Das im Jänner 2025 veröffentlichte e-Book kann um 10 USD erstanden werden unter https://www.versobooks.com/en-gb/products/2906-my-country-africa.
Die anderen Fotos von Tinashe Mushakavanhus Artikel sind leider nicht gemeinfrei. So habe ich es bei diesen beiden bewenden lassen müssen. GL.

[7] Siehe auch Wedaeli Chibelushi, The remarkable life of Andrée Blouin – Africa’s overlooked independence heroine BBC 6.1.2025, https://www.bbc.com/news/articles/c5ydjkgx7x4o.

[8] https://www.britannica.com/topic/list-of-African-Countries-Independence-Dates.

[9] Ich vermeide Anglizismen tunlichst, aber es ist immer wieder ein Problem beim Übersetzen, das englische “leader“: Im Gegensatz zu “Führer“ ist es neutral. “Führende Köpfe“ wäre eine Möglichkeit…

[10] Im Original sehr viel direkter und eleganter: “faded into the margins“. GL.

[11] Siehe https://www.imdb.com/fr/title/tt14452174/.

[12] S. https://www.britannica.com/biography/Patrice-Lumumba.

[13] Siehe https://www.penguinrandomhouse.com/books/761174/my-country-africa-by-andree-blouin/.

[14] Siehe https://inkanibooks.co.za/.

[15] S. https://thetricontinental.org/pan-africa/in-the-spirit-of-resistance-the-andree-blouin-prize-the-second-pan-africa-newsletter-2025/#:%7E:text=The%20Andr%C3%A9e%20Blouin%20Prize%20is,affairs%20from%20a%20left%20perspective.

[16] Siehe https://www.africanstudies.ox.ac.uk/people/tinashe-mushakavanhu.

[17] S. das 4’47’’-Youtube-Video “Missing Perspectives in the Archives” auf https://www.youtube.com/watch?v=11SER-Zc8tI.

[18] Siehe https://www.bbc.com/news/articles/c5ydjkgx7x4o.

[19] S. https://theconversation.com/african-literary-prizes-are-contested-but-writers-groups-are-reshaping-them-127129.

[20] Siehe https://inkanibooks.co.za/.

[21] S. https://thetricontinental.org/pan-africa/in-the-spirit-of-resistance-the-andree-blouin-prize-the-second-pan-africa-newsletter-2025/#:%7E:text=The%20Andr%C3%A9e%20Blouin%20Prize%20is,affairs%20from%20a%20left%20perspective.

[22] Siehe https://theconversation.com/now-theres-a-chance-of-justice-for-thomas-sankara-its-useful-to-review-what-got-him-killed-159749.

[23] S. https://theconversation.com/how-kwame-nkrumahs-midnight-speech-set-a-tradition-for-marking-the-moment-of-liberation-178609.

[24] Siehe https://www.britannica.com/biography/Amilcar-Lopes-Cabral.

[25] S. https://theconversation.com/remembering-frantz-fanon-six-great-reads-187295.

[26] Siehe https://inkanibooks.co.za/prizes/.

[27] S. https://cassavarepublic.biz/black-womens-non-fiction-manuscript-prize/

[28] S. https://www.chimamanda.com/about/.

[29] S. https://novioletbulawayo.com/about/.

[30] S. https://jennifermakumbi.net/about/.

[31] S. https://www.namwaliserpell.com/about.

[32] Alle vier Fotos von GL auf die Köpfe reduziert.
Chimamanda Ngozi Adichie beim Fall for the Book, Foto Slowking 27.9.2013, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Chimamanda_Ngozi_Adichie_9363.JPG.
NoViolet Bulawayo in Melbourne, Australien, Foto EuphoricOrca 8.4.2019, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:NoViolet_Bulawayo_at_Melbourne,_Australia.jpg.
Jennifer Nansubuga Makumbi beim Festival Atlantide 2021 in Nantes, Frankreich, Foto DeuxPlusQuatre 19.6.2021, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Jennifer-Nasubuga-Makumbi.jpg.
Namwali Serpell im Lannan Center for Poetics and Social Practice, Georgetown University, Washington D.C., USA, Foto SlowKing4 am 15.3.2016, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Namwali_Serpell_3152373.jpg.

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