Günther Lanier, Ouagadougou, 3.3.2021
Der “Held“ meines heutigen Artikels ist keiner mehr. Er ist inzwischen zu den Mächtigen übergelaufen, genauer gesagt zu Paul Biya & Co. Denn die Geschichte, die ich heute erzähle, spielt in Douala, größte Stadt Kameruns und auch ökonomische Hauptstadt des Landes.
Das Foto, das ich dem Artikel vorangestellt habe, ist 20 Jahre alt[1]. Damals war in Douala eine Anti-Verbrecher-Aktion im Gange. Per präsidialem Dekret war am 20. Februar 2000 ein “Commandement opérationnel“, also ein “Einsatzkommando“ geschaffen worden. Im Kampf gegen die Schwerkriminalität in Douala sollte die Armee helfen. Mit der Leitung beauftragt wurde der Brigadegeneral und Kommandant der 2. Militärregion Kameruns, Philippe Mpay. Das Einsatzkommando sollte nur solange bestehen, bis das Problem beseitigt sei.
Es begann spektakulär, nach einer Helikopterjagd wurden drei Banditen gestellt, die einem Chauffeur 80.000 F Cfa und sein Auto entwedet hatten[2].
Doch in den Jubel über das Durchgreifen der Sicherheitskräfte mischte sich schon am Tag darauf ein Misston: Ein betrunkener Soldat verprügelte einen kleinen Gastwirt, Kalo Pascal. Armeeangehörige glaubten, schalten und walten zu können, wie sie wollten. Wie die Folge zeigte, hatten sie Recht: Egal, wie himmelschreiend ein Übergriff ihrerseits auch war, bestraft wurde dafür niemand.
Die Franko-Kamerunerin Osvalde Lewat hat 2007 einen Film über das Einsatzkommando gedreht, vier Jahre hat sie an diesem Film gearbeitet, “Une affaire de nègres“ heißt er politisch unkorrekt, “Eine Neger-Angelegenheit“. Er wurde vergangenen Donnerstag im französischen Institut in Ouagadougou gezeigt.
Es war eine fast schon skurrile Veranstaltung. Allmonatlich leiht das Institut Français der burkinischen Hauptstadt seinen “Petit Méliès“-Kinosaal dem Verein Africadoc für eine Filmprojektion seiner Wahl. Dokumentarfilme sind nicht jederfraus und jedermanns Sache, so sind die Reihen bei den Africadoc-Veranstaltungen meist dünn besetzt. Doch ganz anders dieses Mal. Nicht nur war der Saal fast voll, es war sogar Prominenz im Publikum vertreten, und was für eine! Neben der Regisseurin waren auch die First Lady Burkinas, der Parlamentspräsident des Landes, der Bürgermeister von Ouagadougou und der französische Botschafter zugegen. Und sie blieben alle bis zum Ende des Films und nahmen an der Diskussion teil.
Des Rätsels Lösung wurde mir gegen Ende der Diskussion geliefert. Denn die Ehre des hohen Besuchs war diplomatischer Natur, sie galt dem offiziellen Frankreich mehr als Osvalde Lewat. Die Regisseurin ist die Ehefrau von Luc Hallade, dem derzeitigen Botschafter der Ex-Kolonialmacht sowohl Burkinas als auch Kameruns in Burkina.
Was freilich nicht der Pikanterie entbehrt, wirken Vorgehen und Straflosigkeit des Douala-Einsatzkommandos doch wie eine Wiederholung der genauso unbestraften Brutalitäten der französischen Armee im Unabhängigkeitskampf gut 40 Jahre vorher.
Deren prominentestes Opfer war Ruben Um Nyobè, zu dessen Ehre ich hier oben und unten en passant zwei Fotos zeige.
Seine Partei, die “Vereinigung der Völker Kameruns“ (Union des populations du Cameroun/UPC) hatte übrigens in Douala das Licht der Welt erblickt, in einer Café-Bar namens “Chez Sierra“ in Douala-Bassa[5].
Am 23. Jänner 2001 wurden in Doualas Bépanda-Viertel Marc Etaha, Frédéric Ngouffo, Chatry Kuété, Eric Chia, Jean Roger Tchiwan, Charles Kouatou, Effician Chia, Elysée Kouatou und Fabrice Kuaté verhaftet. Eine Nachbarin hatte sie des Diebstahls einer Propangasflasche bezichtigt. Nach ein paar Tagen in der Gendarmerie wurden sie am 26. Jänner in die Lokale des Einsatzkommandos in der Kaserne der 2. Militärregion überstellt – offensichtlich hatten sie das verlangte “Lösegeld“ nicht zahlen können. Ab 28. Jänner verloren die Angehörigen jede Spur der “9 von Bépanda“[7]. Zwischen 21 und 38 Jahre waren die neun Inhaftierten und dann Verschwundenen alt[8].
Es war übrigens keineswegs das einzige Mal, dass aus Neid oder anderen persönlichen Motiven heraus gemachte Denunziationen ohne die geringste Überprüfung der Richtigkeit den Soldaten des Einsatzkommandos als Grundlage der Bestrafung, also der Hinrichtung, dienten.
Die Ermordung der 9 von Bépanda schlug jedoch Wellen. Es kam zu zahlreichen Demonstrationen gegen die Straflosigkeit und das Schweigen der Autoritäten. Amnesty international, der Gouverneur der Littoral-Provinz, der Staatsanwalt in Douala und Kardinal Christian Tumi wurden mit der Sache befasst.
Ein Anwalt namens Jean de Dieu Momo kommt in Osvalde Lewats Film immer wieder zu Wort. Er hat sich damals für die Opfer des Einsatzkommandos bzw. für ihre Hinterbliebenen eingesetzt.
Ja, er hat sich sogar weit vorgewagt. Und er erzählt im Film, dass er unter beträchtlichenn Druck gesetzt wurde. Das ging bis zu Todesdrohungen, freilich anonym. Deren Schreiber outeten sich lediglich als Armeeangehörige.
Sollte er sich nicht schleunigst beruhigen, so würde auch seine Familie, insbesondere seine Kinder, exekutiert werden.
Und da reagierte er auf ungewohnte und für mich lehrreiche Art. Freilich hätte er Angst. Um seine Kinder noch mehr als um sich selbst. Die Kamera schwenkte während dieses Interviews immer wieder auf drei im Hintergrund spielende Kinder, sicher die seinen, die Größte unter ihnen, ein vielleicht zehnjähriges Mädchen, nahm dabei viel Platz ein. Doch gerade weil er Angst um sie habe, müsse er sich weiter wehren, könne er nicht aufgeben und der Ungerechtigkeit ihren Lauf lassen.
Es ist ja gerade diese Welt der Straflosigkeit, die so bedrohliche Auswüchse zeitigt. In der sollen unsere Kinder nicht leben müssen.
Laut Angaben von Menschenrechtsorganisationen hat das Einsatzkommando im Jahr 2000 und im ersten Quartal 2001 über tausend Menschen getötet[11].
Der SDF-Abgeordnete Joseph Mbah Ndam der oppositionellen Social Democratic Front (SDF) brachte es in einem Interview auf den Punkt: “Das Einsatzkommando ist per präsidialem Dekret geschaffen worden… Es muss dem, der es geschaffen hat, Rechenschaft ablegen. Wenn hier Leute umgebracht werden, dann ist es also der Präsident, der sie tötet.“[12]
Doch die Proteste wogen nicht schwer genug. Außer ein paar Versetzungen geschah in der Folge nichts.
Der damals 41-jährige Jean de Dieu Momo wurde durch die Verteidigung der 9 von Bépanda bekannt und kann sich auch die Verteidigung der nach den Ausschreitungen in Douala von 2008 Inhaftierten zugutehalten. Er war Anwalt am Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda und auch am Gerichtshof der Zentralafrikanischen Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft (CEMAC) in N’Djamena. Im März 2010 gründete er die Partei Demokratische PatriotInnen für die Entwicklung Kameruns[13] und er trat im Oktober 2011 zu den Präsidentschaftswahlen an. Wohlgenährt sieht er auf rezenten Fotos aus…
Doch es geht abwärts mit ihm. Anlässlich der Wahlen im Oktober 2018 hat er die Seiten gewechselt. Und wurde dafür kurz darauf belohnt – seit Jänner 2019 fungiert er als Paul Biyas Staatssekretär im Justizministerium. Wenig später, am 3. Februar 2019, erregte er Aufsehen, als er Bamiléké und JüdInnen verglich und dabei Folgendes von sich gab: “In Deutschland gab es ein reiches Volk, das an den ökonomischen Schalthebeln saß, das jüdische, die waren so arrogant …, dass die Deutschen frustriert waren. Dann ist eines Tages ein gewisser Hitler an die Macht gekommen und hat diese Leute in die Gaskammern gesteckt.“[14]
Osvalde Lewat stellt ans Ende ihres Films Kürzestinterviews mit PassantInnen in Douala, etwa fünf Jahre nach dem Wirken des Einsatzkommandos muss das gewesen sein. Fünf oder sechs sind es, die zu Wort kommen und die sich in aller Kürze positiv äußern: Ja, so ein hartes Vorgehen gegen die Kriminellen gehöre wiederholt.
Nur der allerletzte unter den Interviewten ist anderer Ansicht: So Furchtbares dürfte es nie wieder geben!
Doch was seither in Kamerun geschehen ist, scheint diesem frommen Wunsch Hohn zu sprechen. Erst vorigen Freitag, den 26. Februar 2021, trat Human Rights Watch mit Nachrichten von einem der ärgsten Übergriffe der Armee gegen ZivilistInnen im anglophonen Teil des Landes an die Presse, bei dem aus Rache an den SeparatistInnen im Dorf Ebam mindestens 20 Frauen vergewaltigt worden waren[16].
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Endnoten:
[1] Bessengué, Douala, Foto doual’art 1.1.2001, zugeschnitten von GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:1093_vue_de_la_palissade.jpg.
[2] Ich folge der Chronologie von “Cameroun, Devoir de mémoire: Les 40 jours du Commandement opérationnel“ (die 40 Tage des Titels sind irreführend), Mutations Nr.474 vom 20.2.2016, http://camer.be/49761/35:32/cameroun-devoir-de-memoire-les-40-jours-du-commandement-operationnel-cameroon.html.
[3] Eine von Alioum Moussa künstlerisch gestaltete Brücke in Bessengué, Douala, Foto Sandrine Dole 27.7.2012, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Alioum_Moussa,_La_passerelle,_photo_by_Sandrine_Dole_July_2012_01.JPG.
[4] Ruben Um Nyobè, hochgeladen am 24.2.2016 von Samhorry, keine weiteren Angaben zu Datum oder FotografIn, leicht überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ruben-um-nyobe.jpg.
[5] Am 10.4.1948 war das. Ruben Um Nyobè war nicht anwesend, wurde im November 1948 aber UPC-Vorsitzender.
[6] Der Leichnahm des am 13.9.1958 ermordeten Ruben Um Nyobè. Keine Angaben zu Datum oder FotografIn, hochgeladen am 1.3.2016 von Samhorry, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:D%C3%A9pouille_de_Ruben_Um_Nyob%C3%A8.jpg.
[7] Auch die “9 Verschwundenen von Bépanda“ genannt.
[8] Direction des recherches, Commission de l’immigration et du statut de réfugié, Immigration and Refugee Board of Canada, «Cameroun: Comité des 9», 30.5.2002, CMR39246.F, https://www.refworld.org/docid/3df4bee624.html.
[9] Ich habe von Bépanda keine gemeinfreien Fotos gefunden. Das Bessengué-Viertel – wo auch die beiden oben gezeigten Fotos aufgenommen wurden – ist nicht weit entfernt. Mauer-Kunst, Bessengué, Douala, Foto doual’art 16.11.2001, überarbeitet von GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Palissade_Bessengu%C3%A9,_gros_plan.jpg.
[10] Auf den Straßen von Douala, Foto Kondah 5.3.2020, leicht überarbeitet GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sur_les_rues_de_Douala_13.jpg.
[11] Diese Zahl taucht immer wieder auf. Siehe z.B. das oben zitierte Dokument des Refugee Board of Canada.
[12] Interview vom 4.4.2001 im Messager, zitiert in “Cameroun, Devoir de mémoire: Les 40 jours du Commandement opérationnel“, Mutations Nr.474 vom 20.2.2016, http://camer.be/49761/35:32/cameroun-devoir-de-memoire-les-40-jours-du-commandement-operationnel-cameroon.html. Die dort angeführte Liste der Gräueltaten ist schon in ihrer Länge beeindruckend.
[13] Les Patriotes Démocrates pour le Développement du Cameroun/PADDEC.
[14] Zitiert in Cameroun: le ministre Jean de Dieu Momo recadré par Israël après des propos “antisémites”, Africanews 4.2.2019, Übersetzung GL; https://fr.africanews.com/2019/02/04/cameroun-le-ministre-jean-de-dieu-momo-recadre-par-israel-apres-des-propos//. Im Original: “En Allemagne, il y avait un peuple qui était riche, qui avait tous les leviers économiques, c’était n’est-ce pas, les Juifs et qu’ils étaient d’une arrogance … telle que les allemands se sentaient frustrés. Puis un jour est venu au pouvoir un certain Hitler qui a mis ces populations-là dans des chambres à gaz.“
[15] Gemälde von Omer Maganga, Foto von doual’art 1.1.2001, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:0832_toile_d%27Omer_Maganga.jpg.
[16] Der Vorfall selbst ist schon ein Jahr alt. Angst vor der Stigmatisierung nach Vergewaltigungen hat die Überlebenden schweigen lassen. Siehe BBC, Cameroon soldiers ‘raped women in revenge raid’, BBC Africa Live 26.2.2021 um 12h25, sowie RFI, Human Rights Watch accuse l’armée camerounaise d’exactions, RFI 27.2.2021 um 2h46, https://www.rfi.fr/fr/afrique/20210227-human-rights-watch-accuse-l-arm%C3%A9e-camerounaise-d-exactions.