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Aldabra. Eine andere Globalisierung

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Foto: Aldabra-Atoll, Seychellen [1]

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Günther Lanier, Ouagadougou 8.2.2023[2]

* * *

Die meisten unter uns werden die Seychellen nie kennenlernen. Nicht nur liegen sie im Indischen Ozean fernab aller Zentren. Noch mehr als Mauritius spezialisieren sie sich zudem auf einen Hochpreistourismus, den sich wohl nur wenige werden leisten wollen.

457 km2 klein ist die Inselgruppe (das ist unwesentlich größer als Wien). Es leben dort circa 100.000, ein Viertel von ihnen in der Hauptstadt Victoria auf der Hauptinsel Mahé. Im afrikanischen Vergleich sind SeychellerInnen reich: das Pro-Kopf-BIP liegt bei 15.000 USD.

Im Südwesten der Seychellen, von der Hauptinsel mehr als 1.000 km entfernt, liegt das Aldabra-Atoll – näher ist es von dort zur Nordspitze Madagaskars, weniger als 500 km, Richtung Südosten.


Aldabra-Atoll aus der Luft aus dem Südwesten aufgenommen [3]

Ein Atoll ist ein Riff – meist ein Korallenriff –, das rund um eine Lagune einen Ring bildet. Aldabra ist das größte Atoll des Indischen Ozeans – 35 km lang, bis zu knapp 15 km breit. Die vier den Ring formenden Hauptinseln[4] haben zusammen 155 km2 (somit ziemlich genau ein Drittel der Fläche der Seychellen). Das helle Blau im Zentrum des Fotos ist die Lagune, sie ist 224 km² groß, trocknet bei Ebbe großteils aus[5].

Vor sehr langer Zeit war hier ein Vulkan, der dürfte vor ungefähr 20 Millionen Jahren erloschen und dann langsam erodiert sein. Als er unters Meer sank, siedelten sich Korallen an. Sie bildeten im Lauf der Jahrtausende einen 500 Meter hohen Kalkturm. Dessen Spitze ist das Atoll – die höchste Erhebung liegt 8 Meter über dem Meeresspiegel, dessen klimawandelbedingtes Ansteigen hier zweifellos gravierende Folgen hat.

Auf Aldabra gibt es kein Trinkwasser und es regnet wenig. So ist das Atoll unbewohnt geblieben. Eine einzige Ressource gab es, die hier ausbeutbar war: die Schildkröten. Ihr Fleisch diente den Besatzungen vorbeikommender Schiffe als Proviant – so sehr, dass sie gegen Ende des 19. Jahrhunderts fast ausstarben.


Karte des Aldabra-Atolls [6]

Der Name Aldabra könnte vom arabischen “Al-Khadra“ stammen, “die Grüne“, weil sich die Lagune offenbar grün in den Wolken über ihr spiegelt. Eine andere Erklärung leitet die Bezeichnung vom Stern Aldebaran[7] ab, der für die arabische Seefahrt zur Orientierung eine wichtige Rolle spielte[8].

Jedenfalls war das Atoll eine arabische Entdeckung, im Jahr 916 der christlichen Zeitrechnung soll das gewesen sein. Für Europa wurde Aldabara dann Anfang des 16. Jahrhunderts von portugiesischen Seefahrern entdeckt, Mitte des 18. Jahrhunderts wurde es französische[9], nach vielem Hin und Her[10] 1814 dann britische Kolonie (jeweils mit den Seychellen), wurde dort zunächst Mauritius zugeteilt, bevor 1903 die Seychellen zu einer separaten britischen Kronkolonie wurden. Erst 1976 erlangten die Inseln die Unabhängigkeit.


Aldabra-Küste [11]

In den 1960er Jahren drohte den entlegenen Inseln Schlimmes. Wie 1965 bekannt wurde, hatte die britische Regierung drei Jahre zuvor eine Geheimstudie in Auftrag gegeben – das Atoll wurde als ein möglicher Standort für eine britische oder eigentlich US-amerikanische Militärbasis ins Auge gefasst. Doch dieses Schicksal konnte von Aldabra abgewandt werden. Ob es wirklich die Proteste von UmweltschützerInnen unter Führung der Royal Society of London und Professor David Stoddarts waren, die das bewirkten[12], sei dahingestellt. Jedenfalls traf es Diego Garcia und somit den zu Mauritius gehörenden Chagos-Archipel etwa 2.000 km östlich von Aldabra, wo die nicht minder skandalöse Errichtung der Militärbasis in den 1970er Jahren zum zwangsweisen Absiedeln von Menschen führte, aber die ökologischen Auswirkungen wohl weniger dramatisch waren[13].

Die Bedrohung und ihr erfolgreiches Abwehren hatten dem Atoll internationale Aufmerksamkeit verschafft. Nach einer Reihe von Forschungsexpeditionen errichteten Mitglieder der Royal Society auf der Picard-Insel 1971 eine wissenschaftliche Forschungsstation und in den Folgejahren wurden die reiche Fauna und Flora gründlich beforscht. 1979 – drei Jahre nach der Unabhängigkeit – wurde die Seychelles Islands Foundation (SIF) geschaffen, eine gemeinnützige Stiftung, die insbesondere für das Verwalten und Bewahren von Aldabra verantwortlich ist.


Mangroven auf Aldabra [14]

1982 wurde Aldabra zur Naturwelterbestätte der Unesco (Natural World Heritage Site) erklärt. Insgesamt sind 2.559 km2 geschützt, das entspricht einem Kreis mit einem Radius von 28,5 km, die marine Umgebung des Atolls ist also mit dabei, trockenes Land stellt nur einen kleinen Teil (6%) des geschützten Gebietes.


In der Aldabra-Lagune [15]

Die Unesco zeigt sich mit dem Schutzstatus überaus zufrieden:

“Das unberührte Saumriffsystem und die Korallenhabitate sind bei ausgezeichneter Gesundheit und zeichnen sich durch ihre Unversehrtheit und die schiere Fülle und Größe der enthaltenen Arten aus.“

“Abgeschiedenheit und Unzugänglichkeit des Atolls begrenzen weitreichende menschliche Eingriffe, die ansonsten laufende Prozesse gefährden könnten. Daher weist Aldabra ein nahezu intaktes Ökosystem auf, das von Natur aus lebensfähige Populationen aller wichtigen Arten beherbergt.“[16]


Am berühmtesten sind die Aldabra-Riesenschildkröten [17]

Ist also alles zum Besten bestellt?

Es scheint, dass der Indische Ozean unheilvoll tätig ist.

Er hat schon in mehreren meiner Artikel eine wichtige Rolle gespielt. Er war die Bühne einer ersten Globalisierung, die der vom Atlantik ausgehenden, die bei uns in aller Munde ist, um viele Jahrhunderte zuvorkam, er kann somit als Wiege der Globalisierung bezeichnet werden[18]. Erleichtert wurden Kontakte und Handel durch den Monsun, der einen Teil des Jahres (im europäischen Winter) aus dem Nordosten, also in Richtung Ostafrika, und einen Teil des Jahres (im europäischen Sommer) aus dem Südwesten, also von Ostafrika Richtung Indien bläst.

Jetzt bedrohen Plastikabfälle das Aldabra-Schutzgebiet. 2019 hat die Seychelles Islands Foundation in einer großangelegten Säuberungsaktion 25 Tonnen Plastikabfall entfernen lassen. Heute gälte es, geschätzte weitere 500 Tonnen zu beseitigen – das wäre alles andere als billig, könnte um die 5 Mio USD kosten[19]. Eine internationale ForscherInnentruppe hat sich auf die Suche nach dem Ursprung dieser Plastikabfälle gemacht. Die Seychellen selbst haben so gut wie keinen Anteil. Indonesien und in zweiter Linie Indien, Sri Lanka und die Philippinen sind stark vertreten. Wobei die Hauptablagerungszeit zwischen Februar und April liegt, also in der Zeit des in Richtung Ostafrika wehenden Nordostmonsuns. Doch noch mehr als diese fernen Länder sind die Schuldigen in Schifffahrt und Fischerei zu suchen: 83% aller Plastikabfälle, die ihren Weg nach Aldabra finden, entstammen diesen Quellen.

Plastikabfälle sind nicht nur hässlich, sie bedrohen auch die Biodiversität. Kommen Korallen zum Beispiel in Kontakt mit Plastik, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie erkranken, von 4 auf 89%[20].

Es gibt sehr unterschiedliche Globalisierungen. Manche unter ihnen haben katastrophale Auswirkungen.


Karte des Indischen Ozeans mit Strömungen und Winden[21]

* * *

Endnoten:

[1] Foto David Stanley 27.12.2016, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Aldabra_Atoll_(32808379840).jpg.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Foto Hansueli Krapf 25.8.2009, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Seychelles_outer_islands_25.08.2009_10-20-30.jpg.

[4] Insgesamt sind es laut Verfassung der Seychellen 46 Inseln, einige davon sind auf der Karte unten zu sehen.

[5] Die vier Inseln gemeinsam mit der Lagune sind somit knapp so groß wie Wien.

[6] Erstellt von Ewan ar Born am 11.8.2008 auf Basis von Material der NASA Shuttle Radar Topography Mission, leicht zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Aldabra_islands_seychelles_76-fr.png.

[7] Aldebaran selbst kommt von “ad-Dabarān“, was “der Folgende“ bedeutet – der Stern scheint den Plejaden am Himmel zu folgen.

[8] Siehe – auch für die folgenden Ausführungen, insbesondere zum Schutzgebiet – den Aldabra-Teil der Seychelles Islands Foundation-Webseite http://www.sif.sc/aldabra.

[9] Getauft wurden die Seychellen nach Jean Moreau de Séchelles, Finanzminister unter Ludwig dem XV.

[10] Damals hisste der französische Gouverneur (ab 1793) Jean-Baptiste Quéau de Quinssy (auch Quincy) die französische Flagge, wenn französische Schiffe die Inseln anliefen und die britische, wenn es britische waren. Das Außenministerium der Seychellen (https://www.mfa.gov.sc/headquarters) nennt das ein frühes Beispiel des Blockfreien-Prinzips. So ist es wenig überraschend, dass de Quinssy nach der Übernahme der Seychellen durch Großbritannien vorübergehend als “commissioner“ oder Hauptadministrator in Londoner Diensten stand.

[11] Foto Seychelles News Agency 10.10.2020, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Aldabra_shores.jpg.

[12] Das behauptet die erwähnte Aldabra-Webseite der Seychelles Islands Foundation http://www.sif.sc/aldabra.

[13] Siehe dazu Günther Lanier, Der Chagos-Archipel. Postkoloniale Macheloikes in einer Welt von Gestern, Ouagadougou (Africa Libre) 24.10.2018, https://www.africalibre.net/artikel/304-der-chagos-archipel-oder-postkoloniale-macheloikes-in-einer-welt-von-gestern, ursprünglich veröffentlicht (dort aber nicht mehr verfügbar) auf der Radio Afrika TV-Webseite, 24.10.2018.

[14] Foto Martin Van Rooyen 5.11.2022, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Aldabra_mangroves.jpg.

[15] Foto Ron Van Oers/Unesco 21.4.2005, zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Aldabra_Atoll-108987.jpg.

[16] Beide Zitate: https://whc.unesco.org/en/list/185/. Im Original: “The pristine fringing reef system and coral habitat are in excellent health and distinguished by their intactness and the sheer abundance and size of species contained within them.” bzw. “The remoteness and inaccessibility of the atoll limit extensive human interference which could otherwise jeopardize ongoing processes. As such, Aldabra displays an almost intact ecosystem, sustaining naturally viable populations of all key species.”

[17] Foto David Stanley 27.12.2016, leicht zugeschnitten GL, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Giant_Tortoise_(32862290160).jpg.

[18] Meine früheren Artikel, alle ursprünglich auf der Radio Afrika-Webseite erschienen, sind: Günther Lanier, Abdulrazak Gurnah: Ein Literatur-Nobelpreis für den Indischen Ozean, Ouagadougou (Africa Libre) 15.12.2021, https://www.africalibre.net/artikel/107-ein-literaturnobelpreis-fur-den-indischen-ozean, Günther Lanier, Klimawandel und Kulturerbe, Ouagadougou (Africa Libre) 19.8.2020, https://www.africalibre.net/artikel/201-klimawandel-und-kulturerbe, Günther Lanier, Die Siddi. Schwarze InderInnen afrikanischer Herkunft, Ouagadougou (Africa Libre) 29.7.2020, https://www.africalibre.net/artikel/204-die-siddi-oder-schwarze-inderinnen-afrikanischer-herkunft.

[19] Hier und in der Folge (auch für die Karte weiter unten) ist meine Quelle Noam S. Vogt-Vincent, April J. Burt, David M. Kaplan, Satoshi Mitarai, Lindsay A. Turnbull, Helen L. Johnson, Sources of marine debris for Seychelles and other remote islands in the western Indian Ocean, Marine Pollution Bulletin, Bd.187, Feb. 2023, herunterzuladen auf https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0025326X22011791?via%3Dihub.

[20] Joleah B. Lamb et al., Plastic waste associated with disease on coral reefs, Science Bd. 359, Nr.6374 vom 26.1.2018, pp. 460-462, https://www.science.org/doi/10.1126/science.aar3320.

[21] P.2 der erwähnten Studie von Noam S. Vogt-Vincent et al.

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