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Afrika ist nicht arm an Geschichte – es gilt sie nur zu entdecken

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Foto: Brücke über den Oued Beht, etwa 100 km östlich von Rabat [1]

* * *

Günther Lanier, Ouagadougou 2. Oktober 2024[2]

* * *

Dass alle Menschen ursprünglich aus Afrika stammen, ist bekannt[3]. Und auch, dass die berühmteste der frühen Hochkulturen in Ägypten geblüht hat. Doch was den Großteil des Kontinents betrifft, hat die Archäologie viel aufzuholen. In Nordwestafrika ist diesbezüglich für die späte Prähistorie gerade ein großer Schritt gelungen.

Der Maghreb verfügt über fruchtbares Land mediterranen Typs im selben Ausmaß wie die iberische Halbinsel. Und die Meerenge von Gibraltar kann für Austausch mit dem Norden relativ leicht überwunden werden. Diese Gunstlage wurde seit dem Paläolithikum in wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung umgemünzt. Das trifft auch für die Eisenzeit zu, die Zeit der PhönizierInnen, im 1. Jahrtausend vor der Zeitenwende, und ebenso für nachher, für die islamische Epoche. Doch was die späte Prähistorie betrifft, etwa von 4.000 bis 1.000 vor der Zeitenrechnung, die Zeit der altägyptischen Hochkultur und die Kulturen der Kupfer- und Bronzezeit in Levante, Ägäis, im zentralen Mittelmeerraum und in Iberien, klaffte ein Loch in unserem modernen Wissen über den Maghreb.

Dieses ist dabei, geschlossen zu werden.

Der Oued Beht ist ein Fluss, der vom Atlas-Gebirge gegen Nordwesten fließt, unweit des Atlantiks in den Sebou-Fluss mündet[4] und das ganze Jahr über Wasser führt. Während die Sahara vor etwa 6.000 Jahren austrocknete, gewährte die Nähe zum Meer im Nordwesten des Atlas-Gebirges ausreichende Niederschläge. Dieses Gebiet wird heutzutage intensiv landwirtschaftlich genutzt, insbesondere für den Weizenanbau. Am Oued Beht liegt ein kleines Städtchen gleichen Namens.


Oued Beht-Stadt, Khémisset-Provinz [5]

Auf einem Hügelrücken aus Sandstein, Mergel und Konglomerat nahe der Stadt – er erreicht nur 170 bis 210 Meter über dem Meeresspiegel – wurden während der französischen Kolonialzeit in den 1930er Jahren erstmals polierte Steinäxte und Breitbeile gefunden, dazu steinerne Mahlwerkzeuge und etwas, was für Spuren einer prähistorischen befestigten Anlage gehalten wurde. Im Lauf der seither verstrichenen Jahrzehnte wurden von hier 1.388 Steinäxte und -Breitbeile ins Museum der Geschichte und der Zivilisationen und das Nationale Institut der Wissenschaften der Archäologie und des Kulturerbes[6] in Rabat überstellt. Viele mehr wurden kolonial-“legal“ oder illegal ins Ausland gebracht.

Erst im 21. Jahrhundert erfuhr der Oued Beht-Hügelrücken archäologische Aufmerksamkeit. Doch die Ergebnisse der Grabungen von 2005, 2013 und 2016-17 wurden nie veröffentlicht. Das hat sich nunmehr geändert: 2021 begann das britisch-italienisch-marokkanische Oued Beht Archäologie-Projekt (OBAP). Reiche, um 5.000 Jahre alte Funde bei deren Grabungen 2021-22 bedeuten eine kleine Revolution – es geht hier um die Zeit (3 Jahrhunderte vorher und 2 Jahrhunderte nachher), als sich im Nordosten Afrikas im Niltal die 1. Dynastie etablierte.

Ich referiere in aller Kürze die Ergebnisse und vorsichtigen Schlussfolgerungen des OBA-Projektes, die soeben unter dem Titel “Oued Beht, Marokko: eine komplexe frühe BäuerInnen-Gesellschaft in Nordwest-Afrika und ihre Bedeutung für west-mediterrane Wechselwirkungen in der späten Prähistorie“[7] publiziert worden sind[8].


in Farbe der Fundort, der Oued Beh-Hügelrücken, aus dem Südosten und aus der Luft gesehen [9]

Für die Zeit von 3400 bis 2900 vor der Zeitenwende wurden auf einer (freilich keineswegs vollständig) untersuchten Fläche von 19,5 Hektar insgesamt 19.626 Stücke gefunden, darunter 16.258 Töpfereifragmente, der Rest steinerne Artefakte (aber nur 50 Äxte und Breitbeile – die waren offenbar großteils schon früher abtransportiert worden). Dabei stellte sich ein 9 oder 10 Hektar großer Bereich im Norden (auf dem Foto also rechts hinten) als besonders ergiebig heraus. Viele der Fundstücke fanden sich in Gruben, die eventuell der Vorratshaltung dienten, also so etwas wie Silos waren.

So viele tönerne und steinerne Artefakte wurden für diesen Zeitraum bisher nur im ägyptischen Nil-Tal gefunden. Und die Menge und Dichtheit von Funden ist für den gesamten Mittelmeerraum außergewöhnlich.

   
links tönerne und recht steinerne Funde des OBA-Projektes, kartografiert; bei beiden ist die Konzentration im Norden des untersuchten Hügelrückens auffällig (p.7 bzw. 8 der Studie)

Was die Nahrung betrifft, wurden Überreste von Nacktgerste (Hordeum vulgare var. nudum) gefunden, seltener Weizen (Triticum sp.), dazu Erbsen (Pisum sativum), wilde Oliven (Olea europaea subsp. oleaster) und Pistazien (Pistacia atlantica/terebinthus). Dazu kommen noch (domestizierte) Ziegen, Schafe, Rinder und Schweine. Von Einhufern (Pferde, Esel, etc.) wurde nur ein einziger Zahn gefunden.


Tonware war teils aufwendig verziert; hier eine Auswahl tönerner Fundstücke (Fragmente) – an archäologischen Funden ist die Interpretation der ExpertInnen meist sehr viel interessanter als die ausgegrabenen Exponate selbst; es handelt sich um den obersten Teil der Abbildung 9 auf p.13 der Studie

Obwohl die StudienautorInnen vor voreiligen Schlüssen warnen und betonen, dass zunächst weitere archäologische Forschung nötig ist, scheint es mehr als wahrscheinlich, dass es sich bei Oued Beht um eine sehr große Siedlung gehandelt hat, die am Ende der Steinzeit[10] hier mindestens fünf Jahrhunderte lang bestand und insbesondere mit Iberien in regem Handelskontakt stand. Auch kultureller Austausch ist wahrscheinlich – wobei der Einfluss entgegen aller Vorurteile des Globalen Nordens eher vom Maghreb in Richtung Norden verlaufen sein dürfte als umgekehrt.

Überraschend ist das Fehlen von Ernte-Geräten. Im Kontrast dazu war die Vorratshaltungskapazität der Gruben oder Silos enorm. Oued Beht könnte Zentrum eines fruchtbaren landwirtschaftlichen Gebietes gewesen sein mit einer beträchtlichen Produktion von Ton- und Stein-Werkzeugen – wobei der Mangel an Hinweisen auf Tragtiere (bis auf den einen Einhufer-Zahn) erklärungsbedürftig ist, waren für das Heranschaffen von Nahrungsmitteln und den Transport von Handelsware, auch von und nach jenseits der Gibraltar-Meerenge, Hilfe notwendig.


steinerne Fundstücke von Oued Beht; auch diese nicht gerade beeindruckend für einen Nicht-Fachmann wie mich; Abbildung 10 auf p.14 der Studie

Das Schlusswort überlasse ich den StudienautorInnen: “Oued Beht ist, was die Größe betrifft, Troja und anderen ägäischen Stätten der frühen Bronzezeit auf Kreta und dem griechischen Festland überlegen, Orten, die sich lange im Zentrum des Narrativs von der zentralen Stellung ihrer Region bei der “Entstehung der Zivilisation“ befanden.“[11]

* * *

Endnoten:

[1] Foto Ayoub.khallouq 15.1.2009, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Oued_beht_KHEMISSET.jpg.

[2] Petra Radeschnig gilt – wie stets – mein herzlicher Dank fürs Lektorieren!

[3] Siehe Günther Lanier, Wo wir (her) sind. Sehnsucht nach Ursprung, Ouagadougou (Africa Libre) 6.11.2019, https://www.africalibre.net/artikel/102-wo-wir-her-sind–sehnsucht-nach-ursprung. Erstveröffentlicht Wien (Radio Afrika TV) 6.11.2019.

[4] Siehe https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/16/Sebou_Bassin_OSM.png – auf dieser Karte “Bahat“ geschrieben.

[5] Foto Zakaria rajawi 1.1.2015, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Oued_beht_city.jpg.

[6] Musée de l’Histoire et des Civilisations bzw. Institut National des Sciences de l’Archéologie et du Patrimoine (INSAP).

[7] Cyprian Broodbank, Giulio Lucarini, Youssef Bokbot, Hamza Benattia, Aïcha Bigoulimen, Lucy Farr, Arnau Garcia-Molsosa, Hassan Hachami, Rafael Laoutari, Lorena Lombardi, Adelaide Marsilio, Louise Martin, Jacob Morales, Moad Radi, Francesco Michele Rega, Toby Wilkinson, Oued Beht, Morocco: a complex early farming society in north-west Africa and its implications for western Mediterranean interaction during later prehistory, Published by Cambridge University Press für Antiquity, 31.7.2024, herunterladbar auf https://doi.org/10.15184/aqy.2024.101.

[8] Auf die Spur gebracht hat mich ein RFI-Artikel: Matthias Raynal, Au Maroc, des archéologues ont découvert des vestiges d’un complexe agricole vieux de 5000 ans, le plus vaste de la région, RFI 30.9.2024, https://www.rfi.fr/fr/afrique/20240930-au-maroc-des-arch%C3%A9ologues-ont-d%C3%A9couvert-des-vestiges-d-un-complexe-agricole-vieux-de-5000-ans-le-plus-vaste-de-la-r%C3%A9gion.
Eine kurze Zusammenfassung des Forschungsprojektes von Science & Vie gibt es auf https://www.science-et-vie.com/science-et-culture/archeologie/oued-beht-decouverte-dune-civilisation-oubliee-en-afrique-du-nord-au-neolithique-179513.html.

[9] Foto Toby Wilkinson o.D., p.4 der soeben zitierten Studie.

[10] Sie dauerte in Nordwestafrika offenbar etwas länger als im ägyptischen Niltal, wo schon die Bronzezeit begonnen hatte.

[11] Studie p.15. Im Original: “Oued Beht compares favourably in size with Early Bronze Age Aegean sites such as Troy and others on Crete and the Greek mainland (Whitelaw 2004; Jablonka 2016), locations long at the heart of that region’s ‘emergence of civilisation’ narrative.”

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